Ethiktag: Wir brauchen eine Sorgekultur
Beim 13. Ethiktag des UKW gab der renommierte Medizinethiker Prof. Dr. Giovanni Maio der großen Zuhörerschaft Denkanstöße zu den Themen „Verletzlichkeit“ und „Sorge“.
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Prof. Dr. Giovanni Maio, Medizinethiker und Philosoph.
Dr. Elisabeth Jentschke, die Vorsitzende des KEK, war begeistert von der Rekordbeteiligung am diesjährigen Ethiktag.
Zum diesjährigen Ethiktag des UKW am 22. Mai kamen über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Hörsaal des Rudolf-Vichow-Zentrums. Ein bisheriger Rekordwert für die vom Klinischen Ethikkomitee (KEK) des UKW organisierte, kostenlose Veranstaltungsserie, die sich an alle interessierten Klinikumsbeschäftigten sowie externe Kolleginnen und Kollegen richtet. „Dass wir bei der 13. Neuauflage auf eine so große Resonanz stoßen, liegt vermutlich am mindestens bundesweiten Bekanntheitsgrad unseres Referenten Professor Giovanni Maio sowie an der hohen Relevanz der von ihm vertretenen Thesen“, betonte Dr. Elisabeth Jentschke in ihrer Begrüßungsansprache. Die Vorsitzende des KEK stellt Prof. Maio als Leiter des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Uni Freiburg sowie als einen der Vordenker der Medizinethik in Deutschland vor.
Bevor der Gastredner das Wort ergriff, unterstrich Prof. Dr. Jens Maschmann, der Ärztliche Direktor des UKW, in seinem Grußwort die immense Bedeutung von ethischen Richtschnüren im Gesundheitswesen. Als aktuelle Beispiele verwies er auf den vor wenigen Monaten abgeschlossenen Erneuerungsprozess beim Leitbild des UKW und auf die im Rahmen der Corona-Pandemie zu treffenden Entscheidungen. Verletzlichkeit als Grundsignatur menschlicher Existenz Im folgenden Hauptvortrag entwickelte Prof. Maio „eine Grundreflexion auf die Identität der Heilberufe“. Sein Ausgangspunkt dabei war die These, dass der Mensch ein von Grund auf verletzliches Wesen sei. Diese Verletzlichkeit rufe in Heilberufen Tätige auf, Verantwortung für die Erkrankten zu übernehmen. Dabei relativierte er die aktuell im Gesundheitssystem gängige Praxis der Informierten Einwilligung – dieses System betrachte Kranke als Kunden, die man ausreichend informiert und dann sich selbst überlässt. Ein wesentlicher Unterschied zu einer Kundenbeziehung sei allerdings, dass man es sich als Kranker nicht aussuchen könne, behandelt zu werden. „Es ist nicht die Autonomie, sondern die Verletzlichkeit, die uns einen Auftrag erteilt“, betonte Prof. Maio. Sorge als Antwort auf Verletzlichkeit Die Antwort auf die damit verbundenen Herausforderungen kann nach seinen Worten nur eine „Sorgekultur“ sein. Diese müsse unter anderem geprägt sein von Haltung, Beziehung, Beständigkeit, Langmut und situativer Eingebundenheit. „Wenn diese verwirklicht werden, entsteht das, was die Sorge ausmacht – nämlich letztlich ein Ausdruck für Beistand“, sagte Maio und fuhr fort: „Die Sorgekultur hat allein dadurch, dass sie gelebt wird, eine heilende Wirkung. Sie verdeutlicht auch dem Gesunden, dass er bei einer Erkrankung nicht fallengelassen wird.“
Beim anschließenden, von Prof. Dr. Christoph Schimmer und Dr. Christian Markus vom KEK moderierten Austausch nutzten viele Zuhörerinnen und Zuhörer die Gelegenheit, mit dem Experten inhaltliche Querverbindungen zu topaktuellen Themen zu diskutieren, wie beispielsweise dem ärztlich-assistierten Suizid oder dem Einsatz von KI im Gesundheitswesen. Dabei unterstrich Prof. Maio nicht zuletzt den hohen Wert des geduldigen und interessierten Zuhörens – für die Erkrankten, aber auch für die Behandelnden.