Durchbruch im Verständnis des Schlaganfalls
Ein Forscherteam des Uniklinikums Würzburg hat im Gehirn direkt nach einem Blutgefäßverschluss ein neues Bindemolekül entdeckt. Daraus lässt sich ein neuer Ansatz für die Medikamentenentwicklung in der Schlaganfalltherapie ableiten.
Beim Schlaganfall kommt es in den betroffenen Gehirnarealen zur Thrombo-Inflammation, also zum schädlichen Zusammenspiel von Thrombozyten und Entzündungszellen. Der Rezeptor CD84 spielt dabei eine wichtige Rolle.
Ischämische Schlaganfälle entstehen durch den plötzlichen Verschluss eines hirnversorgenden Blutgefäßes. „Zwar können wir mit einem winzigen Katheter den Gefäßverschluss eröffnen und damit gerade schwer betroffenen Patienten wirkungsvoll helfen. Dennoch bleiben viele Patienten, bei denen auch die Gefäßwiedereröffnung nicht genug Gehirngewebe retten kann“, schildert Prof. Dr. Mirko Pham, der Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie am Uniklinikum Würzburg (UKW). Mit den Gründen hierfür beschäftigte sich ein interdisziplinäres Forscherteam des UKW unter Beteiligung von Experten der Neurologie und Neuroradiologie sowie des Instituts für Klinische Epidemiologie und Biometrie und des Instituts für experimentelle Biomedizin der Uni Würzburg. Die in der Studie gewonnenen, wegweisenden Erkenntnisse publizierten sie Ende Juli 2020 in der Online-Ausgabe des Fachmagazins „Circulation Research“.
„Grundsätzlich geht man davon aus, dass trotz Wiederherstellung des Blutflusses in der Mikrozirkulation, d.h. dem nachgeschalteten Geflecht kleiner Gefäße im Gehirn, gewebszerstörende Prozesse einfach weiterlaufen und dadurch in vielen Fällen die Rettung von Hirngewebe verhindert oder zunichtegemacht wird“, erklärt Prof. Dr. Guido Stoll, Leiter der AG Schlaganfall und Neuroinflammation der Neurologischen Klinik des UKW. CD84 steigert die Aktivität von Entzündungszellen „Aus früheren Studien wissen wir, dass durch Thrombozyten und Lymphozyten gelenkte Entzündungsprozesse entscheidend für das fortschreitende Infarktwachstum sind“, berichtet Dr. Michael Schuhmann. Der Leiter des Klinischen Labors der Neurologischen Klinik und Erstautor der Studie fährt fort: „Wir konnten jetzt mit CD84 das erste Molekül entdecken, das die Aktivität von Thrombozyten und T-Lymphozyten direkt nach einem akutem Schlaganfall verknüpft.“ Die Wissenschaftler arbeiteten zunächst mit Mäusen, denen das Gen für CD84 fehlt. Bei den Tieren waren die Hirnschäden nach einem Schlaganfall reduziert und es wurden weniger dieser spezifischen Entzündungszellen vom minderdurchbluteten Gehirn angelockt. Per Zellkulturexperimente konnte dann gezeigt werden, dass das von Thrombozyten freigesetzte CD84-Molekül die Aktivität von T-Lymphozyten steigert.
Eine Besonderheit dieser Arbeit ist es, dass dieses Molekül nicht nur durch experimentelle Grundlagenforschung entdeckt, sondern auch unmittelbar im Schlaganfall beim Menschen nachgewiesen wurde. Dies gelang durch die Mikrokatheter, mit denen auch die Behandlung zur Gefäßwiedereröffnung durchgeführt wird. Mit ihnen konnten unschädlich wenige Tropfen Blut aus dem minderdurchbluteten Gehirnareal abgenommen werden. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Große Mengen von CD84 auf der Thrombozytenoberfläche korrelieren mit einem schlechten neurologischen Ergebnis bei Schlaganfallpatienten. Therapieidee: CD84 blockieren Zusammengenommen erscheint CD84 als vielversprechender Ansatz für zukünftige Medikamente in der Schlaganfalltherapie. Dazu arbeiten die Würzburger Forscher derzeit an gegen CD84 gerichtete Antikörper.
Laut Dr. David Stegner, Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Experimentelle Biomedizin und Letztautor der Studie, spricht vieles dafür, dass CD84 nicht nur beim Schlaganfall, sondern auch bei anderen schweren Gefäßerkrankungen eine wichtige Rolle spielt. „Das erforschen wir zurzeit im Sonderforschungsbereich/Transregio 240", so Stegner.
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