Der Kitt unseres Miteinanders: Prosoziales Verhalten
Herausragende Forscherinnen des UKW: Heute stellen wir die Psychologin und Physikerin Anne Saulin vor. Die zweifache Mutter untersucht das, was für ein friedliches Miteinander so wichtig ist: Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft. Dabei wirft sie einen spannenden Blick ins menschliche Gehirn.
Der Kitt unseres Miteinanders: Prosoziales Verhalten
Herausragende Forscherinnen des UKW: Heute stellen wir die Psychologin und Physikerin Anne Saulin vor. Die zweifache Mutter untersucht das, was für ein friedliches Miteinander so wichtig ist: Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft. Dabei wirft sie einen spannenden Blick ins menschliche Gehirn.
Trösten, helfen, teilen – wer sich in einen anderen Menschen und seine Gefühlswelt hineinversetzen kann, wer also empathisch ist, hat den Wunsch, im Bedarfsfall zu helfen. Aber wie genau wirken sich Empathie, das Gefühl der Gegenseitigkeit und finanzielle Anreize auf die Hilfsbereitschaft aus? Und was spielt sich dabei im Gehirn ab? Dies sind nur einige der Fragen, denen sich Anne Saulin in ihrer Forschungsarbeit widmet: „In zwei der Studien, die Teil meiner Dissertation sind, haben wir untersucht, wie sich das Zusammenspiel von Empathie mit der Gegenseitigkeitsregel – ich helfe dir, weil du mir geholfen hast – und geldbasierten Anreizen auf prosoziale Entscheidungen auswirkt.“ Im Gegensatz zu Studien, die ausschließlich das beobachtbare Verhalten analysieren, wurde in der Würzburger Studie die Hirnaktivität während des Tests mit funktioneller Resonanz-Tomographie aufgezeichnet. Dabei konnte eine Verbindung hergestellt werden zwischen prosozialen Entscheidungsprozessen und Hirnaktivität. Um mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede auszuschließen, wurden nur weibliche Testpersonen untersucht. Der Blick ins Gehirn Wie sich zeigte, aktiviert finanzielle Belohnung bei Teilnehmerinnen mit geringem Einfühlungsvermögen eine wichtige Region im Gehirn, die auch mit motivierter Hilfeleistung in Verbindung steht. Bei Probandinnen, die aus Gegenseitigkeit handeln, wirkte sich Empathie motivationsverstärkend aus. Finanzielle Anreize wirken also vor allem bei Menschen, bei denen Empathie und prosoziales Handeln wenig ausgeprägt sind.
Frauen in der Wissenschaft Wissenschaft ist ein hochspannendes Betätigungsfeld. Aber Frauen in der Forschung sind immer noch eine seltene Spezies. Vor allem, wenn sie – wie Anne Saulin – Mutter zweier Kinder sind. Da braucht es kooperative Konzepte: „Ich hatte das Glück, dass meine Doktorarbeit primär von einer Frau betreut wurde, die selbst Kinder hat und wusste, wie wichtig flexibles Arbeiten ist. Und schließlich unterstützen mein Mann und ich uns gegenseitig. Wir arbeiten beide 80 Prozent und teilen uns die Betreuungszeit der Kinder.“ Deutschland unter EU-Durchschnitt Doch das ist nicht immer so. Laut Statistischem Bundesamt lag der Frauenanteil in der Forschung 2019 mit 28 Prozent noch unter dem EU-Durchschnitt von 33 Prozent. Warum tut sich nach Meinung der Wissenschaftlerin unsere Gesellschaft so schwer mit Gleichberechtigung? „Ein wichtiger Punkt ist die große Disbalance der Kinderbetreuung und der Care-Arbeit im Allgemeinen. Nach wie vor übernehmen zu großer Mehrheit Frauen diese Arbeit.“ Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat gezeigt, dass während des Corona-Lockdowns die alten Rollenmodelle sogar wieder verstärkt zum Tragen kamen.
Die unsichtbare Grenze Basis für alle Regeln und Entscheidungen sind die kollektiven Wertvorstellungen unserer Gesellschaft. Und diese sind immer noch männlich geprägt. „Posten werden häufig nach ‚männlichen’ Spielregeln vergeben. Das heißt, wer viel da ist, der ‚muss’ auch gut sein und scheint daher besonders geeignet für einen hohen Posten. Dass man in weniger Stunden mindestens genauso viel inhaltliche Arbeit leistet, findet meist wenig Beachtung. Zudem liegen viele Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen auf unbewusster Ebene, die eine quasi unsichtbare Grenze der Gleichheit bildet“, sagt Anne Saulin. Frauenquote als Notwendigkeit Am Verhältnis der Geschlechter ändert sich kaum etwas. In Deutschland stieg der Frauenanteil im Sektor Forschung und Entwicklung zwischen 2009 und 2019 um gerade einmal 3 Prozent. Von allein scheinen sich über Jahrzehnte hinweg verfestigte Einstellungen also nicht zu wandeln. Wäre denn die Quote für Anne Saulin ein gangbarer Weg? „Uneingeschränktes Ja! Es hat sich nun schon so lange gezeigt, dass es nicht von alleine geht. Ich sehe eine Quote eher als notwendigen Krückstock. Wenn wir von der Ungleichheit genesen sind, können wir sie gern wieder ins Sanitätshaus zurückbringen.“ www.ukw.de/forschung-psychiatrie/translationale-soziale-neurowissenschaften
Text: Gisela Plettau, Fotos: Silvia Gralla