Kleines Organ mit großem Einfluss
Die kirschkerngroße Hirnanhangdrüse, auch Hypophyse genannt, befindet sich unterhalb des Gehirns und steuert viele Hormone im Körper. Arbeitet sie nicht optimal, kann dies bei Kindern und Erwachsenen zu verschiedensten Erkrankungen führen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Kleines Organ mit großem Einfluss
Die kirschkerngroße Hirnanhangdrüse, auch Hypophyse genannt, befindet sich unterhalb des Gehirns und steuert viele Hormone im Körper. Arbeitet sie nicht optimal, kann dies bei Kindern und Erwachsenen zu verschiedensten Erkrankungen führen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Professor Martin Fassnacht
Dr. Katrin Ergezinger
Welche Aufgabe erfüllt die Hirnanhangdrüse? Die Hirnanhangdrüse bildet verschiedene Hypophysenhormone. Einige von ihnen, wie das Wachstumshormon, haben direkte Wirkung auf Organe. Andere kontrollieren die Hormonproduktion in weiteren Drüsen des Körpers, zum Beispiel in der Schilddrüse, der Nebenniere, den Hoden und den Eierstöcken. Auf diese Weise reguliert der Körper unter anderem das Wachstum, den Wasserhaushalt, die Fortpflanzung und den Stoffwechsel. Kommt es zu Störungen in der Hirnanhangdrüse, beeinträchtigt dies die verschiedensten Funktionen im Körper. Die Symptome sind oft unspezifisch oder zeigen sich schleichend. Das erschwert die Diagnose. Was ist die häufigste Erkrankung der Hypophyse? „Bei Erwachsenen treten am häufigsten Hypophysentumore auf. In 99 Prozent aller Fälle sind sie gutartig“, sagt Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Würzburg. Unterschieden wird zwischen Tumoren, die selbst Hormone bilden, und solchen, die die Hypophyse verdrängen und so zu einem Hormonmangel führen. Welche gesundheitlichen Folgen zieht ein Hypophysentumor nach sich? Wenn die Hypophyse durch den Tumor nicht optimal arbeitet, verursacht dies verschiedenste Symptome – je nachdem, für welches Hormon ein Mangel oder Überschuss besteht. Das können Wachstumsstörungen, Unfruchtbarkeit, Abgeschlagenheit und Gewichtsveränderungen sein. Betrachten wir als Beispiel das Hormon ACTH: Produziert die Hirnanhangdrüse zu viel davon, schüttet die Nebenniere zu viel des Stresshormons Cortisol aus. Patienten erkranken in der Folge am sogenannten Morbus Cushing. Es kommt zur Gewichtszunahme und unter anderem zu Veränderungen der Körperproportionen, an der Haut und am Stoffwechsel. Auch depressive Verstimmungen sind nicht selten. Ein Mangel an ACTH und damit an Cortisol wirkt sich ebenfalls auf die Gesundheit aus, etwa durch Antriebslosigkeit und Gewichtsverlust. Während eine Unterversorgung bei vielen Botenstoffen nicht direkt lebensbedrohlich ist, kann es bei Cortisolmangel zu einer Notfallsituation kommen. „Es ist ein lebenswichtiges Hormon. Wenn es ausfällt, wird dies für den Patienten über kurz oder lang tödlich enden“, erklärt der Hormonexperte. Deshalb ist eine umfangreiche Labordiagnostik bei einem Hypophysentumor unerlässlich.
Hypophysenhormone steuern u. a. die Hormonproduktion in den Nebennieren (hier orange), in der Schilddrüse, den Nieren sowie den Eierstöcken bzw. Hoden.
Wie lässt sich ein Hypophysentumor behandeln? Die Therapie hängt vom individuellen Befund ab. „Wenn der Tumor weder selbst Hormone produziert noch Sehprobleme oder Kopfschmerzen verursacht, kann man ihn beobachten“, sagt Martin Fassnacht. Ist ein Hormonmangel korrekt diagnostiziert, lässt er sich meist durch die Gabe von Hormonen gut ausgleichen. „Bei hormonaktiven Tumoren jedoch, beispielsweise bei einer Überproduktion von ACTH, raten wir zur operativen Entfernung“, erklärt der Endokrinologe. Eine Ausnahme gelte bei Prolaktin, dessen Produktion sich medikamentös hemmen lässt. Kann schon bei Kindern eine Erkrankung der Hirnanhangdrüse auftreten? „Ja, aber bei Kindern treten die typischen Hypophysentumore des Erwachsenenalters nur selten auf. Deutlich häufiger sind angeborene Störungen“, erklärt Dr. Katrin Ergezinger, Oberärztin an der Kinderklinik des UKW und Leiterin der Kinderendokrinologie. So könne es schon vor der Geburt zu Fehlentwicklungen der Hypophyse kommen, deren Auswirkungen sich dann im Kindesalter zeigen. Wenn Tumore im Bereich der Hypophyse auftreten, handelt es sich in den meisten Fällen um das gutartige Kraniopharyngeom, das durch sein Wachstum hormonbildende Zellen verdrängen kann. In der Regel kann der Tumor von spezialisierten Kinderneurochirurgen entfernt werden. Wie fallen Erkrankungen der Hypophyse bei Kindern auf? Wenn die Hypophysenhormone nicht ausreichend produziert werden können, fällt meist als erstes eine Wachstumsstörung auf. „Deshalb sind die Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt sehr wichtig“, sagt Dr. Katrin Ergezinger. „Abweichungen in der Wachstumskurve können so erkannt werden.“ Glücklicherweise gehören Hypophysenstörungen zu den seltenen Erkrankungen. Manche Kinder ließen sich mehr Zeit zum Wachsen als andere, erreichten aber trotzdem eine normale Erwachsenengröße, erklärt die Kinderendokrinologin. „In den seltensten Fällen liegt wirklich eine organische Störung vor. Sollte dies doch der Fall sein, können wir die fehlenden Hormone gezielt ersetzen, sodass die Kinder und Jugendlichen einen normalen Wachstums- und Pubertätsverlauf erleben.“
Behandlung am UKW: Erkrankungen der Hypophyse
Am Universitätsklinikum arbeiten Endokrinologen, Kinderendokrinologen, (Neuro-)Radiologen, (Kinder-)Neurochirurgen und Mediziner weiterer Disziplinen eng zusammen. Eine umfangreiche Hormondiagnostik (inklusive spezieller Hormontests) ist direkt vor Ort möglich. Im Zentrum für Innere Medizin und in der Kinderklinik werden Patientinnen und Patienten sowohl in entsprechenden Spezialambulanzen als auch stationär behandelt. Auf den hier genannten Webseiten können Anmeldeformulare heruntergeladen oder angefordert werden, die am besten vom Haus- bzw. Kinderarzt ausgefüllt werden:
www.ukw.de/medizinische-klinik-i/endokrinologie www.ukw.de/kinderklinik/schwerpunkte/hormonstoerungen
Text: Kerstin Schmirr, Fotos: Getty Images, Daniel Peter