Damit Narkosen sicherer werden
Im zertifizierten Zentrum für Maligne Hyperthermie wird an der lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisung geforscht und über mögliche Diagnostik aufgeklärt.
Hier wird getestet, ob die entnommenen Muskelproben auf MH-auslösende Narkosemedikamente reagieren.
Dr. Stephan Johannsen
Oberarzt Anästhesie
Unter dem Dach des ZESE (Zentrum für Seltene Erkrankungen) befasst sich die Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie intensiv mit der Malignen Hyperthermie (MH). Direkt übersetzt heißt das „bösartige Überwärmung“.
Genetische Veranlagung
Genau genommen handelt es sich dabei nicht um eine Erkrankung, sondern um einen sehr seltenen, potenziell lebensgefährlichen Notfall im Zusammenhang mit einer Vollnarkose. Ausgelöst durch Narkosemedikamente, „kommt es zu einer massiven Stoffwechselsteigerung der Skelettmuskulatur, die zu Sauerstoffmangel, Übersäuerung in der Zelle und in der Folge zum Zelltod führen kann. Äußerlich zeigt sich das in Form eines instabilen Kreislaufs, steifer Muskeln und einer unkontrolliert steigenden Körpertemperatur“, erklärt Privatdozent Dr. Stephan Johannsen, der Leiter des Zentrums für Maligne Hyperthermie. Die gute Nachricht: Diese „Stoffwechselentgleisung“ tritt nur bei genetischer Veranlagung auf und spielt im normalen Alltag der Betroffenen meist keine Rolle. „Sie ist sehr selten, sicher diagnostizierbar und, sofern bekannt, problemlos vermeidbar. Die potenziell gefährlichen Narkosewirkstoffe können wir ersetzen“, so der Anästhesist. Oder bei spontan auftretenden Fällen das Notfallmedikament Dantrolen geben.
Wie erkenne ich mein Risiko?
Grundsätzlich werden allgemeine Risiken vor jeder Operation im Anästhesie-Gespräch abgeklärt. Gibt es eindeutige Hinweise auf Narkosezwischenfälle auch bei Familienmitgliedern, empfiehlt Dr. Johannsen, sich in diesem Fall beraten zu lassen: „Risikopatienten bieten wir nach Voranmeldung einmal pro Woche eine Sprechstunde und Diagnostik. Auch Kollegen können sich bei uns informieren“, so der Experte.
Muskelprobe aus dem Oberschenkel
Als eines von zwei MH-Zentren in Deutschland verzeichnet die Ambulanz jährlich etwa 300 Kontakte aus dem gesamten Bundesgebiet. Für die Diagnose stehen zwei Tests zur Verfügung: eine molekulargenetische Analyse und ein In-vitro-Kontrakturtest (IVKT). Bei Letzterem wird eine Muskelprobe aus dem Oberschenkel entnommen und untersucht, wie sie sich unter dem Einfluss von MH-auslösenden Narkosemedikamenten verhält. Rund 90 genetische Untersuchungen und ca. 40 Kontrakturtests pro Jahr führen bei etwa einem Drittel der untersuchten Patienten zum Nachweis einer MH-Veranlagung und zur Ausstellung eines Notfallausweises. Um das Verfahren zu vereinfachen, „arbeiten wir aktuell an der Entwicklung minimalinvasiver Diagnosemöglichkeiten“, so Johannsen.