Müde bis zum Umfallen
Seit auch Covid-19-Betroffene von ausgeprägter Erschöpfung berichten, bekommt das Chronische Fatigue-Syndrom mehr Aufmerksamkeit. Die Psychoonkologin Dr. Elisabeth Jentschke forscht dazu bei Menschen mit Krebs.
Dr. Elisabeth Jentschke
Leiterin Psychoonkologie, CCC MF
Fatigue wird mit Ermüdung übersetzt und klingt erst mal nicht so schlimm. Warum sind diese Symptome aber so kraftraubend? Die Müdigkeit, unter der Tumorpatienten mit Fatigue (Cancer related fatigue) leiden, unterscheidet sich von der uns allen bekannten Müdigkeit insofern, als der Schlaf nicht bzw. kaum erholsam ist und ihre Energiereserven schneller verbraucht sind. Außerdem sind Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung beeinträchtigt. Diese Fähigkeiten werden aber für viele berufliche Tätigkeiten benötigt, zum Beispiel ausdauerndes, konzentriertes Arbeiten oder Gespräche mit Kunden führen. Ohne entsprechende Bewältigungsstrategien kann es bei ausgeprägter Fatigue zu einer beruflichen Überforderung kommen, die schlimmstenfalls in einer dauerhaften Berufsunfähigkeit enden kann.
In jüngster Zeit berichten viele Covid-19-Betroffene von entsprechenden Symptomen. Ist das auch CFS? Die Symptomatik beider Erkrankungen ähnelt sich. Post-Covid-Betroffene können ein Chronisches Fatigue-Syndrom entwickeln. Wissenschaftler der Charité in Berlin zeigen in einer gut kontrollierten Studie, dass ein Teil der Covid-19-Erkrankten auch nach milderen Verläufen das Vollbild einer CFS-Erkrankung entwickeln kann. Leider wird CFS oft erst spät erkannt und vom Umfeld der Betroffenen lange nicht ernst genommen.
Wann sollte man sich ärztlichen Rat suchen? Wenn man während oder nach einer Erkrankung wie Krebs den Alltag nicht mehr bewältigen kann. Zunächst wird im Gespräch z. B. mit Psychoonkologen oder Neuropsychologen die Krankheitsgeschichte sowie das erstmalige Auftreten der Fatigue erfragt.
Die Fatigue kann vor, während und nach einer Krebsbehandlung auftreten. Anschließend wird mit Hilfe von Fragebögen und weiteren psychometrischen Verfahren (computergestützte Messung der Aufmerksamkeit) die Ausprägung der Symptomatik und das Ausmaß der Beeinträchtigung im Alltag erfragt und diagnostiziert. Um die Diagnose zu stellen, ist es erforderlich, andere behandelbare psychische oder körperliche Ursachen zu prüfen bzw. auszuschließen.
Wie lebt man mit CFS? Die eingeschränkte Leistungsfähigkeit zu akzeptieren, fällt zunächst schwer. Nicht selten wird an früheren Leistungsansprüchen festgehalten, was dazu führt, dass Betroffene sich überfordern und frustriert werden. Da sich dies ungünstig auf die Symptomatik auswirken kann, gilt es, die eigene Leistungsfähigkeit und deren Grenzen neu kennenzulernen. Dies ermöglicht, effektiv mit den zur Verfügung stehenden Kräften zu haushalten und Pflichten sowie angenehme Aktivitäten gezielt einzuplanen.
„Leider wird CFS oft erst spät erkannt und vom Umfeld der Betroffenen lange nicht ernst genommen.“
Dr. Elisabeth Jentschke
Was kann man dagegen tun? Viele Betroffene nehmen an, dass Fatigue eine Begleiterscheinung der Erkrankung und der Behandlung ist, die es hinzunehmen gilt. Glücklicherweise gibt es jedoch mehrere Ansätze, die während und nach der Behandlung nachweislich zu einer Verbesserung der Symptomatik führen können. Hierzu zählen u. a. der Aufbau von körperlicher Aktivität wie Yoga oder psychosoziale Angebote wie die kognitive Verhaltenstherapie oder die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Wer die Symptome kennt, sollte seine Behandler frühzeitig ansprechen.
Stichwort Forschung: Welche Ansätze verfolgen Sie gerade? Wir bieten im CCC MF (Comprehensive Cancer Center Mainfranken) zurzeit eine Studie zu kognitiver Erschöpfung an, die auch von der Krebshilfe gefördert wird. Patientinnen und Patienten mit krebsbezogenen Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen können sich gerne per E-Mail melden unter dem Stichwort „Fatigue-Studie bei Krebs“: anmeldung_ccc@ukw.de
Was Fatigue, CFS und ME/CFS bedeuten
Fatigue („Fa‘tig“ gesprochen, FS): unverhältnismäßige Erschöpfung nach körperlicher und/oder geistiger Anstrengung. Als Begleitsymptom bei einer Tumorbehandlung, bei Autoimmunerkrankungen, bei chronischen Infektionserkrankungen oder bei Therapien, die das Immunsystem dämpfen. CFS (Chronisches FatigueSyndrom): lähmende geistige und körperliche Erschöpfung mit Müdigkeit. Neuroimmunologische Erkrankung (neuroimmunologisch = Nerven- und Immunsystem betreffend). ME/CFS: CFS wird auch oft als Myalgische Enzephalomyelitis (ME) bezeichnet. Umfassende Entzündung des zentralen Nervensystems (Enzephalomyelitis = Gehirn- und Rückenmarkentzündung) mit Muskelbeteiligung (myalgisch). Der kombinierte Begriff ME/CFS existiert ebenfalls.