Am besten frühzeitig
Erst Hochstimmung, dann tiefe Depression. Wie sich eine Bipolare Erkrankung zeigt und wohin sich Betroffene sowie Angehörige wenden können: Spezialambulanz, Schwerpunktstation und Früherkennung am UKW.
Die junge Frau, nennen wir sie Julia, hatte sich ihren Eltern anvertraut. Es ging ihr nicht gut, sie wollte sich das Leben nehmen. In der Zeit vorher war Julias Freundeskreis und ihrer Familie aufgefallen, dass sie viel schneller sprach als früher, sich viel zu stark schminkte und zwei Wochen lang im Garten getanzt hatte. Julia war anders geworden, sozusagen „komisch“ – und dann zog sie sich zurück.
Sich Hilfe holen
„Häufig kommen Menschen erst in der depressiven Phase zu uns“, berichtet Dr. Barbara Hütz, Oberärztin der Schwerpunktstation Bipolare Erkrankungen an der Uniklinik Würzburg. „Dann geht es ihnen schlecht. Bei einer bipolaren Erkrankung schwanken Menschen zwischen absoluter Hochstimmung und tiefer Gedrücktheit. In den ,Hoch-Zeiten‘ leiden eher die Angehörigen und der Freundeskreis.“ Plötzlich sehr viel Geld ausgeben, viel Alkohol trinken, sexuell riskante Erlebnisse haben, die Anzeichen sind vielfältig.
Extremes Verhalten in Hochphasen kann auch dazu führen, dass Menschen von der Polizei zwangsweise eingeliefert werden. Zum Beispiel dann, wenn sie aggressiv werden oder in der Öffentlichkeit auffallen. „Manchmal sind es auch Eltern, die ihre jugendlichen Kinder davon überzeugen, sich bei uns Hilfe zu holen“, so Barbara Hütz.
„Geht es ihnen besser, sind die Betroffenen oft erschrocken und geben ihren Verwandten Vorsorgevollmachten. In denen wird vereinbart, was Verwandte unternehmen sollen, wenn es den Betroffenen wieder schlecht geht und sie sich selbst nicht mehr helfen können.“
Angehörige mit einbeziehen
Die Schwerpunktstation Bipolare Störungen der Uniklinik Würzburg ist von der Deutschen Gesellschaft für bipolare Erkrankungen (DGBS) zertifiziert. Die Behandlung erfolgt leitliniengerecht. Barbara Hütz: „Wir erstellen individuelle Therapiepläne, zu denen Angebote aus den Bereichen Kunst und Musik gehören. Manchmal sind auch Medikamente nötig, um überhaupt eine Therapie starten zu können. Die Angehörigen beziehen wir eng mit ein, so sie dies wünschen und die Betroffenen damit einverstanden sind. Es gibt auch eine Angehörigengruppe, die sich online austauscht. Die Station bietet darüber hinaus sozialpädagogische Beratung, Familiensprechstunden der Diakonie und Telefonsprechstunden an.“
Kommen Patientinnen und Patienten in großer Not nicht aus eigenem Antrieb oder durch einen Termin in der Spezialambulanz für bipolare Erkrankungen, sind es psychiatrische oder hausärztliche Praxen, die die Menschen der Schwerpunktstation zuweisen.
Was sagen? Oder nicht?
Tipps für Partnerinnen und Partner sowie Freundeskreis und Arbeitsumfeld:
- Machen Sie sich bewusst, dass Sie für die betroffene Person nicht verantwortlich sind.
- Sagen Sie offen, dass Sie sich Sorgen machen – ohne zu bevormunden oder zu „kontrollieren“.
- Unterstützen Sie die betroffene Person, zum Beispiel bei der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten und Selbsthilfegruppen.
- Nehmen Sie Ihr Gegenüber ernst und hören Sie zu, ohne Grenzen zu überschreiten.
- Wenn Sie von einer Erkrankung oder Diagnose wissen: Halten Sie Kontakt, gehen Sie freundlich und zugewandt, einfach „normal“ mit der Person um.
- Weitere Informationen und Tipps: dgbs.de
Dr. Barbara Hütz
Psychiatrie und Psychotherapie
„Viele denken, dass ein psychisch erkrankter Mensch generell eine Gefahr für andere sei. Das entspricht jedoch nicht der Realität.“
Dr. Barbara Hütz
Vorurteile und Ängste abbauen
Wichtig sei, dass die Gesellschaft ihre Scheu vor psychischen Erkrankungen verliert. „Ja, betroffene Menschen können krankheitsbedingt manchmal nicht mehr ,normal‘ handeln oder reagieren. Und alles, was ,anders‘ ist, macht Menschen zumeist Angst. Viele denken auch, dass ein psychisch erkrankter Mensch generell eine Gefahr für andere sei. Das entspricht jedoch nicht der Realität“, stellt Barbara Hütz klar.
Die Scheu vor Stigmatisierung durch solche Vorurteile erklärt, warum Betroffene nicht selten ihre Erkrankung geheim halten oder niemanden damit belasten wollen.
Erfahrungsgemäß profitieren die meisten Menschen jedoch davon, die wichtigsten Personen in ihrem Leben mit in die Behandlung und zum Beispiel das Notfall-Management mit einzubeziehen. Viele nutzen zusätzlich Angebote wie Selbsthilfegruppen, in denen man Menschen trifft, die genau das gleiche Problem haben.
„Wer offen mit der Erkrankung umgeht, trägt dazu bei, Vorurteile und Ängste abzubauen“, verspricht Barbara Hütz. „Es hilft dem Umfeld, das Verhalten während der Erkrankungsphasen besser einordnen zu können.“ Angehörige sollten ihre Belastungsgrenzen aber auch mitteilen und sagen, wenn ihnen etwas zu viel wird – oder sich Hilfe holen, zum Beispiel in Angehörigengruppen oder durch psychotherapeutische Begleitung.
Einfach abklären lassen
Junge Erwachsene, die abklären möchten, ob sie eventuell eine psychische Erkrankung entwickeln, können in die Früherkennungssprechstunde kommen. Barbara Hütz: „Junge Menschen heute haben weniger Scheu, sich mit ihrer Psyche zu beschäftigen, und holen sich schneller Rat. Das ist prima.“ Auch Julia kam noch rechtzeitig – zum Glück. Aktuell geht es ihr gut, und das wird hoffentlich so bleiben.
Kontakt
Schwerpunktstation Bipolare Erkrankungen mit Spezialambulanz Telefon: 0931 201-76500, E-Mail: ps_3west@ukw.de Telefonsprechstunde für Betroffene und Angehörige Donnerstags von 15 bis 17 Uhr, Telefon: 0931 201-76386 Dringende Notfälle Diensttelefon der Klinik: 0931 201-76050 Früherkennungssprechstunde für junge Erwachsene (FESP) Terminvereinbarung unter Telefon: 0931 201-77800