Avatare gegen Ängste
Verspürt ein Mensch Angst, kann ihn die Anwesenheit einer anderen Person beruhigen. Bei sozialen Phobien führt menschliche Nähe aber mitunter zu weiteren Ängsten. Die Psychologin und Professorin für Translationale soziale Neurowissenschaft, Grit Hein, untersucht in einer aktuellen Studie, ob auch rein virtuelle Begleiter Ängste mildern.
Welches Phänomen liegt Ihrer Untersuchung zugrunde? Wir wissen, dass soziale Interaktionen Ängste verringern können, aber dies ist nicht bei allen unseren Patientinnen und Patienten der Fall. Bei Menschen mit einer sozialen Angststörung löst soziale Anwesenheit Stress aus. Sie können schlecht damit umgehen, wenn ihnen jemand Aufmerksamkeit schenkt, und reagieren in solchen Situationen oft sogar mit heftigen körperlichen Symptomen wie Schweißausbrüchen, Herzrasen, Schwindel, Atemnot und Ohnmachtsgefühle. Dies führt zu einem hohen Leidensdruck, umso mehr als häufig keine Hilfe gesucht wird, da Hilfe mit sozialen Interaktionen verbunden ist. Aus Studien mit sozialen Tierarten wissen wir, dass die bloße Gegenwart eines Artgenossen die körperlichen Angstreaktionen reduzieren kann. Dieses Phänomen wird als „Social Buffering“ bezeichnet. In dieser Studie wollten wir herausfinden, ob es solche „Social-Buffering“-Effekte bei sozial ängstlichen Personen gibt, und ob auch die Anwesenheit einer virtuellen Person Angst reduzieren kann. Welche Bedeutung hat Ihre Forschung für Menschen mit sozialen Ängsten? Die Frage, ob die Anwesenheit einer virtuellen Person Angst reduzieren kann, ist wichtig, weil sich Menschen mit sozialen Ängsten häufig auf klassischem Weg keine Hilfe holen können, weil dies mit sozialen Interaktionen verbunden ist. Für sozial ängstliche Personen stellt sogar ein Telefonat eine große Überwindung dar. Die damit verbundene Einschränkung von Sozialkontakten führt zu sozialen Defiziten. Die Betroffenen „verlernen“ den Umgang mit anderen Menschen. Sie fühlen sich immer weniger in der Lage, mit anderen zu interagieren, was soziale Ängste weiter schüren kann. Daher hat unsere Fragestellung, wie virtuelle Begleiter Einfluss nehmen können, eine hohe Relevanz für Betroffene. Nehmen soziale Ängste in unserer Gesellschaft zu? Wir haben in Würzburg eine große Studie mit mehreren Tausend Teilnehmern durchgeführt. Sie zeigte, dass psychische Störungen während der Pandemie zunahmen, besonders bei vulnerablen Personen. Was unter anderem mit „Social Distancing“ und sozialer Isolation zusammenhängt. Wir sehen auch viele Patienten, die eine Erkrankung gut im Griff hatten, diese aber während der langfristigen Corona-Maßnahmen nun massiv zurückkehrt. Das Thema soziale Angst schwingt schließlich auch bei vielen anderen Erkrankungen mit – wie Parkinson oder Depression.
Prof. Dr. Grit Hein
Wie sehen die Untersuchungen konkret aus? Für unsere Studie haben wir Testpersonen rekrutiert, die in Fragebögen über ihre sozialen Ängste Auskunft gaben. Dann haben wir den Probanden angsterzeugende Töne, wie Schreie, vorgespielt – einmal begleitet von einem Menschen, in einem zweiten Versuch war ein Avatar anwesend. Beim Avatar handelt es sich um die exakte Nachbildung einer realen Person mithilfe einer Computersimulation. Er wurde von Experten des „Institute für Human-Computer Interaction“ an der Universität Würzburg angefertigt. Wir haben unseren Versuchsraum virtuell nachgebaut, darin hielten sich ein Proband mittels einer Virtual-Reality-Brille (VR-Brille) und der virtuelle Avatar auf. Die Probanden geben über Computer Rückmeldungen über ihre Gefühle, z. B. Angstzustände. Dazu haben wir Hautleitwerte gemessen wie Schwitzreaktion – was ein Indikator für physiologische Erregung ist. Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die klinische Arbeit? Wir haben festgestellt, dass die bloße Anwesenheit einer virtuellen Person Angstreaktionen reduziert. Die Effekte waren besonders deutlich bei Menschen, die zu sozialen Ängsten neigen. Bei ihnen führte die Anwesenheit einer realen Person nicht zur Beruhigung. Theoretisch lassen sich unsere Forschungsergebnisse in vielfältiger Weise auf unterschiedliche klinische Symptome übertragen. Konkret sind wir in der klinischen Forschergruppe Resolve Pain beteiligt und untersuchen, wie soziale Anwesenheit periphere Schmerzempfindlichkeit beeinflusst. Wie könnte Virtual Reality noch angewandt werden? Mit virtueller Realität lassen sich möglicherweise Engpässe bei bestimmten Therapieangeboten abfedern. Betroffene könnten unabhängig von der Verfügbarkeit eines Therapeuten weiter Unterstützung erhalten. Sie könnten von zu Hause aus mit virtueller Begleitung an Behandlungen und Trainings teilnehmen. Hier gibt es bereits erste Ansätze aus dem Bereich e-Health, beispielsweise mittels Smartphone-Apps. Man könnte anhand der Untersuchung Probleme adressieren, die in der Pandemie aufgetreten sind – etwa die schlimmen Auswirkungen von Isolation und Vereinsamung bei Hochrisikogruppen, z. B. in Alten- und Pflegeheimen, die über Monate hinweg keinen oder kaum Kontakt hatten. Aber ganz egal, welche virtuellen Werkzeuge wir entwickeln: Entscheidend ist, dass wir menschliche Interaktion nicht abschaffen wollen! Denn diese ist in der Regel für den Erfolg einer medizinischen Behandlung unerlässlich. www.ukw.de/psychiatrie
Text: Jörg Fuchs, Fotos: Getty Images, Uniklinikum