Häppchen­weise Gewöhnung

Wer an einer Lebensmittelallergie leidet, streicht bislang häufig seinen Speiseplan zusammen. Warum das nicht immer sein muss und wie man bestimmte Nahrungsmittel trotzdem genießen kann, erklärt Prof. Axel Trautmann, Leitender Oberarzt der UKW-Hautklinik und Leiter des Allergiezentrums Würzburg.

Was ist eine Nahrungsmittel­allergie? Bei einer Lebensmittelallergie reagiert das Immunsystem überempfindlich auf eigentlich harmlose Bestandteile wie Eiweiße in Nahrungsmitteln. Warum manche Menschen eine Allergie entwickeln und andere nicht, können die Forschenden noch nicht erklären. Man kennt inzwischen einige Risikofaktoren, hat aber noch keine schlüssige und allgemeingültige Erklärung.

Von den „Big Eight“ und einer Kreuzallergie Die sogenannten „Big Eight“ (Große Acht) sind am häufigsten für eine primäre Nahrungsmittelallergie verantwortlich. „Big“ auch deshalb, weil sie teils schwere allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock mit Lebensgefahr verursachen können. Vier tierische Lebensmittel: (Kuh)Milch, Fisch, Garnelen und (Hühner)Ei. Vier pflanzliche Lebensmittel: Erdnüsse, andere Nüsse, Soja und Weizen. Zehnmal häufiger kommt eine sekundäre Nahrungsmittelallergie vor: Menschen, die unter Heuschnupfen leiden, reagieren dann mit einem Kribbeln bis Juckreiz im Mund auf den Verzehr von rohen Walnüssen, Äpfeln, Karotten oder Pfirsichen. So eine Kreuzallergie ist zwar unangenehm, aber nicht gefährlich und löst auch keinen anaphylaktischen Schock aus. Das Immunsystem verwechselt hier ähnliche Allergene, die sowohl in Pollen (z. B. Birke oder Gräser) als auch in besagten Lebensmitteln vorkommen. Die wichtigsten Diagnose-Verfahren Lebensmittelallergien sind seltener als viele Menschen vermuten. Um zu vermeiden, dass auf bestimmte Nahrungsmittel unnötigerweise verzichtet wird und eine Mangelernährung entsteht, ist eine sichere Dia-gnostik wichtig: Hauttests (Prick), Bluttests, orale Provokation. Bei Letzterem werden schwer betroffene Menschen für diese ‚Verzehrversuche von bestimmten Nahrungsmitteln‘ z. B. in einer Tagesklinik längere Zeit überwacht. Was Behandlung und Beratung alles kann Die gute Nachricht: Manche Nahrungsmittelallergie verwächst bzw. verliert sich wieder im Laufe des Lebens. Die noch bessere Nachricht: Verzicht muss nicht immer die Lösung sein. Prof. Trautmann: „Unser Bestreben ist es, dass Patienten die Nahrungsmittel wieder essen können – zu Hause wie im Restaurant.“ Das kann gelingen, wenn Betroffene erfahren, dass sie bei einer sekundären Nahrungsmittelallergie Haselnüsse oder Äpfel durchaus im gekochten oder gebackenen Zustand ohne Symptome genießen können. „Wir testen das gemeinsam aus, und unsere Patienten können dadurch eine enorme Steigerung der Lebensqualität erleben“, so der Experte. „In bestimmten Fällen kann man das Verfahren durchaus als eine Form Hyposensibilisierung bezeichnen, weil eine Art häppchenweise Gewöhnung stattfindet. „Es hilft auch zu wissen, dass ‚geringe Spuren‘ eines Nahrungsmittels wirklich nur in den allerseltensten Fällen einen anaphylaktischen Schock auslösen können“, sagt Trautmann. Ein Notfallset bräuchte man daher nur in schweren Einzelfällen, z. B. bei einer (primären) Erdnussallergie. Die Beratung der Patienten spielt im Allergiezentrum eine zentrale Rolle, denn die meisten Betroffenen schätzen das Risiko ihrer Allergie unrealistisch hoch ein. So sei es selbst für einen Erdnussallergiker 100fach wahrscheinlicher im täglichen Leben einen Autounfall mit tödlichen Verletzungen zu erleiden, so Trautmann, als an der Erdnussallergie zu sterben.

www.ukw.de/behandlungszentren/allergiezentrum-mainfranken

Text: Anke Faust, Fotos: Daniel Peter