Schlaganfall:

Neue Erkenntnisse aus der abgeriegelten Zone

Einem interdisziplinären Forscherteam des Uni­klinikums Würzburg ist es gelungen, bei Schlaganfall­patienten winzige Blutproben direkt aus der abge­riegelten Gehirnzone zu gewinnen und zu analysieren. Es zeigt sich, dass es hier sehr früh zu einer Entzündungsreaktion kommt. Eine Erkenntnis mit Aus­wirkungen auf die zukünftige Schlaganfalltherapie.

Beim ischämischen Schlaganfall verschließt ein Blutgerinnsel (Embolus) ein Gefäß im Gehirn und verhindert die ausreichende Durchblutung des dahinterliegenden Areals. In der Folge kommt es dort zu einer Mangelversorgung mit Nährstoffen, allen voran Sauerstoff, und die betroffenen Nervenzellen beginnen, abzusterben. Diese Zusammenhänge sind hinlänglich bekannt. „Es wird aber vermutet, dass sich in der abgeriegelten Zone weitere pathologische Mechanismen abspielen, die einen entscheidenden Einfluss auf das Absterben von Hirngewebe, also das Voranschreiten des Hirninfarkts haben“, erklärt Dr. Alexander Kollikowski vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Uniklinikums Würzburg. Prof. Dr. Mirko Pham, der Direktor des Instituts, fährt fort: „Zum Beispiel weiß man aus Ver­suchen mit Mäusen, dass im Verlauf der Verschlusssituation eine biochemische Signalkaskade startet, die eine schädliche Entzündungsreaktion auslöst.“ Dieser Effekt ließ sich bislang beim Menschen weder direkt bestätigen noch widerlegen. Als Hürde erwies sich bisher, dass für eine entsprechende Beweisführung „ungestörte“ Blutproben aus dem abgeriegelten Infarktbereich benötigt werden, also bevor die Neuroradiologen das Gerinnsel entfernen und das wiedereinströmende Blut die Situation vor Ort massiv verändert. Mikrokatheterverfahren und Laboranalytik als Schlüssel Diese Hürde wurde von einer interdisziplinären Forschergruppe des UKW unter Beteiligung der beiden oben ­genannten Experten der Neuro­radiologie, der Neurologie (Dr. Michael Schuhmann, Prof. Dr. Wolfgang Müllges, Prof. Dr. Guido Stoll) und dem Institut für Experimentelle Biomedizin (Prof. Dr. Bernhard Nieswandt) genommen. „Hierfür haben wir ein zugelassenes Mikrokatheterverfahren so modifiziert, dass wir kurz vor der Gerinnselentfernung eine winzige Blutprobe aus dem abgeriegelten Kompartiment direkt hinter dem Gerinnsel gewinnen können“, schildert Dr. Kollikowski. Die Probenahme erfolgt also während des zur Entfernung des Gerinnsels ohnehin nötigen minimal-invasiven operativen Eingriffs ohne diesen zu verlängern. Dabei wird ein extrem feiner Katheter – der Durchmesser seiner Öffnung liegt in der Größenordnung eines dicken Haares – durch den Embolus geschoben und saugt auf der anderen Seite eine winzige Blutmenge an.

Die an der Studie beteiligten Forscher im Angiographie-Operations­saal der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Würzburg (von links): Prof. Dr. Bernhard Nieswandt, Prof. Dr. Mirko Pham, Dr. Alexander Kollikowski, Prof. Dr. Guido Stoll, Prof. Dr. Wolfgang Müllges und Dr. Michael Schuhmann.

Entzündungssofortreaktion während des Schlaganfalls Für das Forschungsvorhaben wurde ein aufwändiges Protokoll entwickelt, um winzige Gehirnblutproben standardisiert gewinnen zu können und diese direkt danach sehr nah am Angiographie-OP im Neuroimmunologischen Labor der Neurologischen Klinik des UKW zu analysieren. Damit gelang es zu belegen, dass auch im Menschen eine sofortige massive Entzündungsreaktion im Gehirn stattfindet, die den Tiermodellen sehr ähnlich ist. Die Wissenschaftler konnten erstmals im Menschen Botenstoffe der Entzündung und vor allem eine Invasion der abgeriegelten Zone durch Immunzellen, insbesondere Granulozyten und Lymphozyten, nachweisen. Laut dem Forscherteam ermöglicht die von ihm etablierte Probenahmetechnik das Studium weiterer zentraler Entzündungsmediatoren, die am Infarktwachstum beteiligt sind. Es sei realistisch, dass sich mit diesen Erkenntnissen der Fokus in der Therapie­forschung und klinischen Testung auf eine bestimmte­ ­Me­dikamentenklasse richten werde: die Gruppe entzündungshemmender Substanzen. Eine Strategie für die Schlaganfalltherapie Dadurch zeichnet sich eine Strategie für die Schlaganfalltherapie der Zukunft ab. Ein entzündungshemmendes Medikament wird dem Schlaganfallpatienten möglichst frühzeitig verabreicht, idealerweise schon durch den Notarzt vor Eintreffen im Krankenhaus, um das Absterben des Gehirns zu bremsen bis der Blutfluss durch die operative Wiedereröffnung des Gehirngefäßes wiederhergestellt wird. Zum Wirkungsort innerhalb des abgeriegelten Areals kann das Präparat über Umgehungskreisläufe, die sogenannten Kollateralwege gelangen, mit denen der Körper für eine Restdurchblutung sorgt, bevor die Nervenzellen endgültig absterben. In ihrer Studie untersuchten die Würzburger Wissenschaftler im Zeitraum von August 2018 bis Juli 2019 Proben von 151 Patienten. Bei 40 davon waren alle Parameter so, dass die Forscher einen exakten Vergleich mit dem Mausmodell hatten. Die Ergebnisse der Arbeit wurden im Januar 2020 in Annals of Neurology, einer der international führenden Fachzeitschriften für Schlaganfallforschung und Neurowissenschaften, veröffentlicht.

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