Immunologisches Feuer auf kindliche Tumore
Für den Kinderonkologen Paul-Gerhardt Schlegel ist es ein wahrgewordener Traum, zu erleben, wie Grundlagenforschung lebensrettende Therapien ermöglicht. Dafür kommen Patienten aus ganz Deutschland an die Würzburger Uniklinik.
Etwa 100 Kinder mit Krebs werden pro Jahr in der Kinderonkologie neu aufgenommen. 20 bis 25 Prozent von ihnen haben ein Rezidiv. Der Krebs ist also nach erfolgreicher Behandlung zurückgekommen. Die Behandlung von Rezidiven ist besonders anspruchsvoll – und Würzburg ist auf diese Fälle spezialisiert. Die Patienten kommen deshalb längst nicht nur aus der Region Mainfranken, sondern auch aus Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen und zum Teil sogar aus ganz Deutschland sowie dem europäischen Ausland. Neben Leukämien und Lymphomen haben die Kinderonkologen in Würzburg auch sehr viel Erfahrung mit Hirntumoren, die sie in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Kinderneurochirurgie betreuen. 75 bis 80 Prozent der Kinder können dauerhaft geheilt werden „Eine Frage, die Eltern oft umtreibt, ist: Weshalb bekommt mein Kind Krebs?“, sagt Professor Paul-Gerhardt Schlegel, Leiter der Abteilung für Kinder-onkologie. Seine Antwort: „Die Körperabwehr, die faszinierend ausgestattet ist, versagt bei der Entstehung von Krebs. Die Gründe dafür sind nur teilweise bekannt.“ In den 70er Jahren konnte man nur zehn Prozent aller Kinder mit Krebs heilen. Heute sind es 75 bis 80 Prozent. „Die Medizinergeneration vor uns hat hier Unglaubliches geleistet“, so Schlegel. Doch auch wenn einem sehr großen Teil der Kinder heute geholfen werden kann: Bei jedem vierten bis fünften Kind kommt der Krebs irgendwann zurück. „Hier kommen wir mit unseren Konzepten an Grenzen. Mit den konventionellen Methoden können wir nicht alle Kinder dauerhaft heilen“, so der Kinderonkologe. Unglaubliche Revolution durch Immuntherapien Gefragt sind daher neue Therapieansätze. „In den letzten zehn Jahren ist auf dem Gebiet der Immuntherapien eine unglaubliche Revolution passiert“, ist Schlegel überzeugt. Wie „sieht“ das Immunsystem? Mit welchen „Teleskopen“ nimmt es seine Feinde ins Visier? „Die Wissenschaft hat hier viele bahnbrechende Entdeckungen gemacht“, so Schlegel. „Es ist jetzt Wirklichkeit geworden, was ich mir als Mediziner immer erhofft habe: Wir erleben heute, dass wir diese Entdeckungen in Form von Immuntherapien gezielt als Werkzeuge zum Wohl der Kinder und Jugendlichen einsetzen können.“
Eine der neuesten und gleichzeitig vielversprechendsten Errungenschaften auf dem Gebiet der Immuntherapien sind CAR-T-Zellen. T-Zellen sind Immunzellen, die z. B. Viren und andere Erreger erkennen können. Im Falle einer Krebserkrankung können diese T-Zellen die Tumorzellen jedoch nicht erkennen. „Man baut diesen T-Zellen nun gentechnisch ein ‚zweites Auge‘ ein: ein Antikörper-Konstrukt, das genau auf die ‚Hausnummer‘ einer Leukämie-Zelle passt“, erklärt Schlegel. Dockt eine solche „aufgerüstete“ CAR-T-Zelle nun an eine Tumorzelle an, wird ein Zerstörungsmechanismus aktiviert – und das fünf bis sieben Mal pro CAR-T-Zelle. „Bei mehreren Millionen verabreichter CAR-T-Zellen, die sich im Patienten auch vermehren können, bedeutet das ein immunologisches Feuer auf den Tumor. Das ist extrem wirksam, auch bei Patienten, die ansonsten als unheilbar galten.“
Prof. Dr. Matthias Eyrich
Dr. Ignazio Caruana
CAR-T-Zellen gegen solide Tumoren aufrüsten Viel schwieriger als bei Leukämien gestaltet sich die CAR-T-Zell-Therapie jedoch bei soliden Tumoren. Diese haben nämlich viele Verteidigungswälle und Strategien, um sich gegen das Immunsystem zu wehren. Zum Beispiel werden CAR-T-Zellen durch den Tumor herunterreguliert. Das Team um den Wissenschaftler Dr. Ignazio Caruana ist daher auf der Suche nach Technologien, die dabei helfen sollen, CAR-T-Zellen auch bei Kindern mit soliden Tumoren einsetzen zu können. „Wir erhoffen uns davon eine Perspektive bei Tumorrezidiven, für die es keine anderen Behandlungsmöglichkeiten mehr gibt – z. B. beim Neuroblastom oder bei bestimmten Gehirntumoren.“ Finanziert wird das auf zwei Jahre angelegte Forschungsprojekt durch Spenden der Aktion Regenbogen Main-Tauber e. V. sowie der Elterninitiative leukämie-und tumorkranker Kinder Würzburg e. V.. Neue Ansätze schneller zu den Patienten bringen Aus der Überzeugung, dass das Jahrzehnt der Immuntherapien angebrochen ist, wurde in der Folge das Zentrum für zelluläre Immuntherapie (ZenITh) gegründet. Es beschäftigt sich nicht nur mit CAR-T-Zellen, sondern auch mit anderen Therapieansätzen wie z. B. einer Tumorimpfung mit dendritischen Zellen, den Wächterzellen des Immunsystems. Zu dem Zentrum gehört unter anderem ein Zelllabor, das 16 verschiedene Zellprodukte unter hohen Qualitätsstandards herstellt. „Mit ZenITh wollen wir eine Plattform schaffen, die die Aktivitäten des gesamten Universitätsklinikums auf dem Gebiet der zellulären Immuntherapien bündelt und so dabei hilft, neue Ansätze schneller in die Patientenversorgung zu bringen“, so der Kinderarzt Prof. Matthias Eyrich, der gemeinsam mit Prof. Michael Hudecek aus der Medizinischen Klinik als Sprecher das ZenITh leitet. Immunsystem braucht Netzwerke Da Krebserkrankungen bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen generell selten sind, braucht es zudem Netzwerke, in denen sich die Spezialisten austauschen können. Im Netzwerk KIONET haben sich die kinderonkologischen Abteilungen der sechs bayerischen Universitätsklinika mit ihren jeweiligen Schwerpunkten zusammengeschlossen und weisen sich gegenseitig Patienten für spezialisierte Behandlungen zu. Die Vision: Kinder mit dem Rückfall einer Krebserkrankung in Bayern flächendeckend mit den neuesten Methoden zu behandeln.
Ein weiteres Netzwerk ist das internationale MAGIC-Konsortium, das sich mit einer schwierigen Komplikation bei Stammzell-Transplantationen beschäftigt. Hier ist Prof. Matthias Wölfl, Oberarzt der Kindertransplantationsstation, als einer von zwei deutschen pädiatrischen Experten in dem Netzwerk aktiv. Durch die gemeinsamen Forschungsanstrengungen von MAGIC kann man diese Transplantat-gegen-Empfänger-Reaktionen heute früher erkennen und dadurch gezielter eingreifen.
Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter