Falsche Bescheidenheit ist fehl am Platz
Professorin Claudia Sommer steht heute an der Spitze der Internationalen Schmerzgesellschaft. Doch bis dahin war es für sie als Frau in der Medizin ein steiniger Weg.
In Ordnung ist die Welt noch nicht, doch ist es heute schon einfacher, als Frau in der Medizin Karriere zu machen. Wie schwer das in den 90er Jahren war, hat Claudia Sommer am eigenen Leib erfahren. Nie wird die Würzburger Professorin für Neurologie jenen Oberarzt vergessen, der eines Abends zu ihr, der jungen Assistenzärztin, kam, ihr beim Forschen über die Schulter schaute und fragte: „Warum machen Sie das überhaupt?“
Frauenförderung spielte zu jener Zeit noch keine Rolle, im Gegenteil. „Männliche Kollegen, die weit weniger Erfahrung hatten als ich, wurden vor mir Oberarzt“, schildert Claudia Sommer. Noch um die Jahrtausendwende, als sich die heute 62-Jährige um eine Professur bewarb, musste sie kämpfen. „Das ist heute völlig anders“, sagt die Schmerzforscherin, die seit Herbst an der Spitze der Internationalen Schmerzgesellschaft steht. Gute Frauen seien in der Medizin aktuell gesucht. Leider gebe es sie in manchen Fächern, etwa in der Radiologie oder in der Chirurgie, immer noch viel zu selten. Junge Kolleginnen fördern Falsche Bescheidenheit auf dem Weg nach oben ist bekanntlich fehl am Platz. Das, sagt Sommer, muss jungen Frauen in der Medizin noch immer vermittelt werden. Denn auch im 21. Jahrhundert neigen angehende Ärztinnen sehr viel stärker als ihre männlichen Kollegen dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Claudia Sommer macht ihren jungen Kolleginnen Mut zur Karriere. Zwischen Forschung, Klinik und Engagement in der internationalen Schmerzgesellschaft zwackt sie sich immer wieder Zeit für Gespräche ab. „Junge Kolleginnen zu fördern, liegt mir sehr am Herzen“, sagt die Medizinerin. Das tut sie auch äußerst erfolgreich: Viele ihrer Mentees haben inzwischen selbst eine Professur.
An der Uniklinik Würzburg konnte Claudia Sommer so manches Projekt initiieren, das die Versorgung schmerzgeplagter Patienten nachhaltig verbessert hat. Besonders stolz ist die Medizinerin, dass es ihr in enger Zusammenarbeit mit Frau Prof. Heike Rittner aus der Anästhesiologie zusammen mit mehreren Kolleginnen und Kollegen nach fünfjähriger Vorbereitungszeit gelungen ist, vergangenes Jahr eine Förderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu erhalten. „ResolvePain“ heißt die neue Forschungsgruppe. Die beteiligten Wissenschaftler wollen Menschen helfen, die z. B. nach einer Operation oder einer Nervenverletzung oder -Erkrankung noch lange unter Schmerzen leiden. Dafür untersuchen sie, wie jene Patienten „gestrickt“ sind, die sehr bald danach keine Schmerzen mehr haben.
Prof. Dr. Sommer und Prof. Dr. Rittner moderieren ein Treffen der Forschungsgruppe „ResolvePain“ in einem Hörsaal am Uniklinikum – unter Corona-Bedingungen als Hybrid-Veranstaltung.
Wo es weh tun kann Wohl kaum jemand wird von sich sagen können, dass er noch nie im Leben unter Schmerzen gelitten hätte. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Zahnschmerzen – immer wieder mal tut es irgendwo weh. Wobei es Schmerzen gibt, vor denen Ärzte ratlos stehen. Das betrifft zum Beispiel Patienten mit Fibromyalgiesyndrom. Typischerweise tritt dieses Syndrom bei Frauen mittleren Alters auf. „Es schmerzt überall!“, äußern Betroffene in der Sprechstunde. Fast genauso oft bekommen sie zu hören: „Da ist nichts!“ Alles nur Einbildung? Nein, betont Claudia Sommer, die Patientinnen bilden sich nichts ein: „Wir konnten durch viele Untersuchungen zeigen, dass es dieses Syndrom gibt.“
Für Claudia Sommer ist es seit langem eine Ehrensache, sich über ihre hauptberufliche Arbeit hinaus für ihr Interessensgebiet zu engagieren. Die Internationale Schmerzgesellschaft, sagt sie, habe ihr für ihre Forschungsarbeit immer sehr gute Impulse gegeben: „Jetzt gebe ich etwas zurück.“ Ihr Ehrenamt als Präsidentin der Internationalen Schmerzgesellschaft ist dabei äußerst anspruchsvoll. Zum einen muss Claudia Sommer die Situation der Schmerzversorgung auf der ganzen Welt im Blick haben. Meetings stehen wegen der Zeitverschiebung oft am späten Abend an, schließlich wollen sich auch Kollegen aus den USA oder Australien zuschalten können. Weltweite Zusammenarbeit Fragt sich, worum es konkret geht, wenn Schmerzforscher auf der ganzen Welt spätabends miteinander konferieren. „Das ist womöglich etwas langweilig“, sagt Claudia Sommer zögernd und schmunzelt. Ist sie es doch gewohnt, dass man etwas Greifbares erwartet. Doch so „langweilig“ ist gar nicht, was sie und die anderen Wissenschaftler zum Beispiel unlängst erreicht haben: Schmerzkrankheiten, die bisher quasi unsichtbar waren, werden dank ihrer Initiative in den neuen, internationalen Katalog der Krankheiten aufgenommen. Für Mediziner ist das sehr wichtig. Denn nur was in den „ICDs“ enthalten ist, existiert medizinisch. Und kann abgerechnet werden.
Ja, es ist eine Doppelbelastung, Medizinerin an einer Uniklinik und Präsidentin einer weltweiten Fachgesellschaft zu sein. Daraus macht Claudia Sommer keinen Hehl. Die Neurologin arbeitet sehr oft, wenn andere Freizeit haben. Doch sie tut es nicht, um Meriten einzuheimsen: „Ich möchte etwas bewirken, allein aus diesem Grund war es mir auf meinem Karriereweg auch wichtig gewesen, bestimmte Positionen zu erreichen.“ Hat sie etwas mit auf den Weg gebracht und sieht sie, dass alles läuft wie geplant, macht das die Ärztin sehr glücklich. Im Moment zum Beispiel profitieren Menschen in Myanmar von dem, wofür sich Claudia Sommer im Verein mit anderen Schmerzforschern weltweit engagiert: „Wir haben in Myanmar sogenannte ‚Pain camps‘ nach dem Prinzip des ‚Train the trainer‘ organisiert.“ Krankenschwestern und Pfleger werden in diesen Camps geschult, wie sie die Kenntnisse über eine gute Schmerztherapie weitergeben können.
Text: Pat Christ, Fotos: Daniel Peter