Wenn Kinder ständig Fieber haben
Das Immunsystem muss gefährliche Erreger abwehren, aber auch im richtigen Moment wegschauen können. Funktioniert eines von beiden nicht, hat das schwerwiegende Folgen.
Die Eltern sind verzweifelt: Ihr vierjähriges Kind hat Fieber und eine Halsentzündung. So weit, so gewöhnlich. Doch das Fieber tritt immer wieder auf und scheint sich dabei strikt an einen vierwöchigen Rhythmus zu halten: „Wir müssen nur in den Kalender schauen, dann wissen wir: Nächste Woche geht es wieder los.“ Sogar in den Sommerferien und trotz Lockdown liegt ihr Kind fiebernd im Bett, obwohl definitiv keine Infekte herumgehen. „Die Leute halten uns schon für verrückt“, so die Eltern.
Solche und ähnliche Fälle sehen Kinderärzte immer wieder, berichtet PD Dr. Henner Morbach von der Kinderklinik. Fiebersyndrome nennt die Fachwelt das. Im Fall des vierjährigen Kindes wurde die Diagnose PFAPA gestellt – ein Akronym, das auf die typischen Symptome periodisches Fieber, Aphthen im Mund, Halsentzündung und Lymphknotenschwellung verweist. PFAPA ist das häufigste aus einer Gruppe allesamt seltener Krankheitsbilder, die man Autoinflammations-Syndrome nennt.
Privatdozent Dr. Henner Morbach
Viel diskutiert: Das Phänomen Autoinflammation „Das Phänomen der Autoinflammation wurde in den letzten Jahren in der Fachwelt viel diskutiert“, berichtet Morbach. Die genauen Ursachen kennt man noch nicht. Und ob die Krankheiten tatsächlich häufiger auftreten als früher, ist ebenfalls nicht ganz geklärt. „Es scheint eher so zu sein, dass die Awareness für autoinflammatorische Erkrankungen gestiegen ist und sie deshalb häufiger erkannt werden“, so der Kinderarzt.
Neben PFAPA kennt man noch eine ganze Reihe weiterer Autoinflammations-Syndrome wie das Familiäre Mittelmeerfieber (FMF), CAPS, TRAPS oder HIDS. Charakteristisch sind vor allem wiederkehrende Fieberschübe, aber auch Ausschläge, Gelenk-, Augen-, Ohrenentzündungen und Abgeschlagenheit. Die meisten Autoinflammations-Syndrome sind angeborene Erkrankungen, zum Teil kann aber auch eine Prägung des Immunsystems in der frühen Kindheit eine Rolle spielen. Immunsystem aktiviert sich selbst Was passiert bei einer Autoinflammation? Das angeborene, unspezifische Immunsystem aktiviert sich quasi selbst („auto“), ohne dass ein Infekt zugrunde liegt. Bestimmten Botenstoffen, sogenannten Interleukinen, kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Oft hat das genetische Ursachen, aber auch Umwelteinflüsse können mit hineinspielen.
„Früher lag der Fokus der Klinischen Immunologie vor allem auf Immundefekten, die sich durch eine hohe Infektanfälligkeit mit wiederkehrenden und besonders schweren, teils lebensbedrohlichen Infektionen bemerkbar machen“, erläutert Morbach. Das Immunsystem funktioniert also nicht einwandfrei, die Folge sind ständige Infekte. „Inzwischen hat die Wissenschaft erkannt, dass Immundefekte und autoinflammatorische Erkrankungen zwei Pole mit fließenden Übergängen sind und auch in der klinischen Versorgung zusammengehören.“
Im immunologischen Labor der Uni-Kinderklinik wird spezialisierte Diagnostik zur Erkennung von Erkrankungen des Immunsystems durchgeführt.
Im immunologischen Forschungslabor werden Ursachen für seltene Erkrankungen des Immunsystems mit neuesten wissenschaftlichen Methoden untersucht.
Immundefekte werden heute früher erkannt Ähnlich wie bei der Autoinflammation sind auch klassische Immundefekte meist genetisch bedingt. Und auch bei diesen Erkrankungen hat sich die Sichtweise in den letzten Jahren verschoben: Während man früher vor allem auf die häufig wiederkehrenden Infekte schaute, werden die Ärzte heute auch bei einmalig auftretenden, aber dafür ungewöhnlich schweren Infekten hellhörig. Zum Beispiel wird eine ungewöhnlich verlaufende Lungenentzündung oder eine Herpes-Infektion des Gehirns als Warnzeichen für einen Immundefekt gesehen.
Verbessert haben sich außerdem die Möglichkeiten der Frühdiagnose schwerer Immundefekte. Dank des Neugeborenen-Screenings können schon in den ersten Lebenstagen schwerwiegende Stoffwechsel- und Hormonstörungen festgestellt werden. Seit 2019 wird außerdem auf den besonders schweren Immundefekt SCID hin untersucht. Bei dieser Erkrankung sind Teile des Immunsystems nicht entwickelt. Helfen kann den Patienten nur eine Stammzelltransplantation oder Gentherapie und die spricht besser an, wenn die Kinder vorher noch nie eine schwere Infektion hatten. Anlaufstelle für betroffene Familien Die Uni-Kinderklinik bietet in ihrem immunologischen Labor eine spezialisierte Diagnostik an, die so nur wenige Zentren in Deutschland im Portfolio haben. Auch das gesamte Spektrum der verfügbaren Therapien bis hin zu Stammzelltherapien werden in der Klinik durchgeführt. Die Kinderklinik ist deshalb als eines der zehn Zentren in Deutschland benannt worden, die Patienten mit einem schweren Immundefekt behandeln. Zusammen mit anderen Einrichtungen des UKW und der Universität Würzburg hat die Kinderklinik unter dem Dach des ZESE das interdisziplinäre Zentrum für Primäre Immundefekte und Autoinflammatorische Erkrankungen (ZIDA) – eine Anlaufstelle für Familien im Raum Nordbayern.
Inzwischen gibt es für einige Immundefekte und Autoinflammations-Syndrome sehr gute, zielgerichtete Medikamente. Da es sich um seltene Erkrankungen handelt, ist auch das Zusammenführen der wissenschaftlichen Daten in großen Registern wichtig. „Das Immunsystem muss lernen, die richtigen Erreger zu bekämpfen und andere Erreger nicht zu beachten. Dabei muss es auch altersgerecht unterschiedlich reagieren können. Diese Mechanismen versuchen wir mit unserer Forschung weiter zu entschlüsseln“, so Morbach. Und eine weitere Sache liegt Morbach besonders am Herzen: die betroffenen Familien noch besser unterstützen, da sie auch psychisch extrem belastet sind.
Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter, Matthias Emmert