Prägung fürs Leben
In den ersten Lebensmonaten werden die Weichen für ein gesundes Immunsystem gestellt. Wie man dies insbesondere bei anfälligen Säuglingen unterstützen kann, wird an der Kinderklinik erforscht.
Im Moment haben viele Menschen große Sorge sich anzustecken. In dieser Situation sind vulnerable Frühgeborene jeden Tag“, sagt Kinderklinikdirektor Prof. Christoph Härtel. Weil das Immunsystem zu früh geborener Säuglinge noch nicht in der Lage ist, sich gegen viele Krankheitserreger zu wehren, müssen sie ganz besonders geschützt werden. Denn sie haben ein hohes Risiko für schwere Infektionen und Entzündungsreaktionen mit langfristigen Folgen für ihre Gesundheit. „Wir treten mit unserer Forschung dafür an, die vorbeugenden und therapeutischen Möglichkeiten für diese Kinder zu verbessern“, so Härtel.
Mikrobiom spielt wichtige Rolle Neben der Vermeidung und Behandlung von Infektionen geht es aber auch darum, die Reifung des Immunsystems besser zu verstehen – sowohl bei gesunden Neugeborenen als auch bei Frühgeborenen. Dabei spielt die frühe Besiedlung des Darms mit Bakterien eine wichtige Rolle: Ist sie gestört, kann das die Immunabwehr schwächen und zu langfristigen Gesundheitsprowblemen führen. Frühgeborene Babys sind besonders anfällig für solche Fehlbesiedlungen, weil sie häufig per Kaiserschnitt zur Welt kommen und mit Antibiotika behandelt werden müssen.
Als Mikrobiom bezeichnet man die Gesamtheit der Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten, die z. B. als Bewohner unseres Darms oder unserer Haut friedlich mit uns zusammenleben. „Kinder, die auf natürlichem Wege geboren werden, haben ein ganz anderes Mikrobiom als Kinder, die per Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden“, so Härtel. Das hängt damit zusammen, dass Babys, die den Geburtskanal passieren, zuerst mit der Vaginalflora der Mutter in Kontakt kommen. Die dort ansässigen Bakterienarten siedeln sich als erstes in ihrem – bis zu diesem Zeitpunkt noch keimfreien – Darm an. Kaiserschnitt-Kindern fehlt dieser wichtige Erstkontakt. Das sogenannte Vaginal Seeding, bei dem man das Neugeborene mit dem Vaginalsekret seiner Mutter einreibt, um den Effekt zu imitieren, hat sich in Deutschland bisher nicht durchgesetzt, weil bestätigende Studien zum Nutzen fehlen und nicht ausgeschlossen werden kann, dass man auch krankmachende Keime überträgt. Antibiotika im Säuglingsalter Aber auch Antibiotika im Säuglingsalter können die Mikrobiom-Entwicklung entscheidend beeinflussen: Studien haben gezeigt, dass Diversität und Stabilität der Darmflora langfristig darunter leiden. Ist die Zusammensetzung des Mikrobioms gestört, hat das unter Umständen Folgen für die spätere Gesundheit: Nicht nur krankmachende Darmkeime haben es dann leichter. Auch Allergien, Asthma, Diabetes, Übergewicht und chronische Darmerkrankungen werden mit einem Mikrobiom-Ungleichgewicht in Verbindung gebracht. 20 bis 30 Prozent aller Geburten sind Kaiserschnittgeburten und 10 Prozent aller Kinder kommen zu früh zur Welt. „Wir versuchen wissenschaftlich zu ergründen, wie man das individuelle Risiko für ein Mikrobiom-Ungleichgewicht dieser Kinder senken kann“, so der Kinderarzt.
Körperkontakt macht Kinder weniger stressanfällig und stärkt das Immunsystem.
Was macht Muttermilch so gesund? Ein wichtiger Ansatzpunkt ist dabei die Muttermilch. Dass Stillen einen stark positiven Effekt hat, ist bekannt. Doch was sind die schützenden Faktoren in der Muttermilch? Welche Inhaltsstoffe sind entscheidend? Und lassen sie sich womöglich imitieren, wenn die Milch der eigenen Mutter nicht zur Verfügung steht? Ob Ersatznahrung mit „gesunden Bakterien“ (Probiotika) einen Effekt hat, ist bislang fragwürdig.
Auch die Möglichkeit, sehr anfälligen Frühgeborenen gespendete Frauenmilch zu füttern, ist wissenschaftlich bislang nicht hinreichend untersucht . Im Perinatalzentrum des UKW ist es ein großes Anliegen, Mütter zum Stillen zu ermuntern und entsprechende Tipps zu geben, ohne zu viel Druck zu erzeugen.
Aber Stillen ist nicht nur Nahrungsaufnahme. Das Kuscheln ist ein ganz wichtiger Aspekt: Stillen bedeutet auch Körperkontakt und soziale Interaktion mit dem Kind. Dadurch sind die Kinder weniger stressanfällig, was sich wiederum positiv auf die gesunde Entwicklung von Mikrobiom und Immunsystem auswirkt. Das Stillen bzw. Kuscheln mit Hautkontakt bereits in der ersten Lebensstunde hat hier eine besondere Bedeutung. „Es ist wichtig, die Infrastruktur im Perinatalzentrum vorzuhalten, damit Eltern jederzeit bei ihrem Kind sein können und eine familienzentrierte Versorgung höchste Priorität hat“, sagt Härtel. Zudem gilt es, potenziell schädigende Einflüsse für das sich entwickelnde Immunsystem, wie beispielsweise unkritische Antibiotikagaben und Passivrauchen, zu vermeiden.
Insgesamt ist die Reifung des Immunsystems noch ein relativ neues Forschungsgebiet. „Man geht aber von einem engen Wechselspiel mit vielen anderen Körpervorgängen aus“, erklärt Härtel. „Wenn wir diese Zusammenhänge ergründen, verstehen wir auch besser, wie man Gesundheit von Geburt an fördern kann.“
Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter, Getty Images