Tobias Mühling testet mit einer Studentin die Simulation einer Notfallsituation mittels einer VR-Brille. Diese Übung ist Teil eines Kooperationsprojektes des Medizinlehre-Instituts und der Gastroenterologie (Leitung Prof. Alexander Meining).
Virtual Reality und Zähne aus dem Drucker
Wie kann die Ausbildung in der Medizin modernisiert und noch weiter verbessert werden? Das erforscht Professorin Sarah König.
Virtual Reality und Zähne aus dem Drucker
Wie kann die Ausbildung in der Medizin modernisiert und noch weiter verbessert werden? Das erforscht Professorin Sarah König.
Tobias Mühling testet mit einer Studentin die Simulation einer Notfallsituation mittels einer VR-Brille. Diese Übung ist Teil eines Kooperationsprojektes des Medizinlehre-Instituts und der Gastroenterologie (Leitung Prof. Alexander Meining).
Ärztinnen und Ärzte werden in Deutschland sehr gut auf ihren Beruf vorbereitet“, sagt die gelernte Chirurgin Prof. Sarah König. „Aber verbessern kann man immer.“ Die Leiterin des Instituts für Medizinische Lehre und Ausbildungsforschung bringt deshalb Lehrenden bei, wie sie ihre Unterrichtsmethoden optimieren können. Und sie begleitet innovative Projekte in den Studiengängen Human- und Zahnmedizin: Zum Beispiel mit VR-Brillen, mit denen der ärztliche Nachwuchs brenzlige Situationen in der Notaufnahme durchspielen kann. Oder mit Zähnen aus dem 3-D-Drucker, an denen die angehenden Zahnärzte Wurzelkanalbehandlungen üben.
Mit virtueller Realität Notfälle üben Humanmediziner müssen in Stresssituationen sehr schnell umfangreiches Wissen abgreifen können. Wie schwer das für Anfänger sein kann, weiß Dr. Tobias Mühling, Assistenzarzt der Medizinischen Klinik II, Schwerpunkt Gastroenterologie, aus eigener Erfahrung: „Die meisten internistischen Notfälle sind sehr komplex und lassen sich nicht ausreichend mit Dummies oder Schauspielpatienten simulieren.“ Auf die Idee, zu diesem Zweck VR-Brillen einzusetzen, kam er durch seinen Bruder, der mit seinem Unternehmen Virtual-Reality-Simulationen unter anderem für Möbelhäuser oder Fluglotsen entwickelt. Zusammen mit Programmierern und Grafikern entwarf er ein Computerprogramm (STEP-VR - Simulation-based Training of Medical Emergencies for Physicians using Virtual Reality), das eine virtuelle Notaufnahme zum Leben erweckt. Hier kann man alles machen, was man in einer echten Notaufnahme auch macht: Blutdruck messen, Ultraschall, Röntgen, EKG und Laboruntersuchungen. Auch auf die Behandlungsmaßnahmen reagiert der virtuelle Patient realistisch. Blutdruck und Puls steigen nach einer virtuellen Adrenalinspritze, und die Blutwerte verbessern sich, wenn Blutkonserven verabreicht wurden. Bisher hat das Programm fünf fiktive Fälle im Repertoire: Fieber, Magenblutung, Bauchschmerzen, Brustschmerzen und chronischer Husten. Ab dem Sommersemester soll das virtuelle Notfalltraining im Medizinstudium eingesetzt werden. Ob es tatsächlich mehr bringt als konventionelle Lehrmaßnahmen, wird voraussichtlich ab Herbst 2020 im Rahmen einer Vergleichsstudie gemessen. Aber Mühling ist zuversichtlich: „Mit dem Notfalltraining füllen wir eine Lücke. Denn die Kompetenzen, die wir dabei für spätere Notfallsituationen vermitteln, können bisher wegen fehlender Alternativen eigentlich gar nicht gelehrt werden.“
Wurzelkanälchen aus dem 3-D-Drucker Bei einer Wurzelkanalbehandlung muss der Zahnarzt mit filigranen Instrumenten einen winzigen Kanal im Zahn aufbereiten. Das erfordert Fingerspitzengefühl – und Übung. Studierende lernen die Technik üblicherweise zuerst an Plexiglasblöcken und später an echten gezogenen Zähnen. Die Plexiglasvariante ist aber relativ weit weg von der Realität. Geeignete echte Zähne dagegen sind schwer zu beschaffen und sehr variabel. „Manche Zähne haben nur einen Wurzelkanal, andere mehrere bzw. zusätzliche Seitenkanäle“, erklärt Markus Kolling, Zahnmediziner und wissenschaftlicher Mitarbeiter an Prof. Königs Institut. Er testet deshalb Zähne, die mithilfe eines speziellen 3-D-Druckers aus Kunststoff gefertigt werden – standardisiert, aber in verschiedenen Formen und mit unterschiedlich angelegten Wurzelkanälen. Die 3-D-gedruckten Zähne werden in einen gedruckten Kieferknochen und schließlich in eine Phantomeinheit eingesetzt – eine Simulationseinheit für werdende Zahnmediziner. Im Rahmen des „Phantomkurses“ wurden die Zähne aus dem Drucker bereits von Studierenden in der Zahnklinik getestet: „Wir wollten herausfinden, ob die Studierenden mit den 3-D-gedruckten Zähnen besser zurechtkommen als mit den konventionellen Varianten“, so Kolling. Das Fazit des gemeinsamen Projekts des Medizinlehre-Instituts und der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie unter Leitung von Prof. Gabriel Krastl: Die 3-D-gedruckten Zähne werden auf jeden Fall weiterentwickelt und könnten in Zukunft einen festen Platz in der Lehre bekommen.
Zahnmediziner Markus Kolling zeigt ein Modell mit Zähnen aus dem 3-D-Drucker.
Lehren, wie man Patienten versorgt, während man Patienten versorgt Da Ärzte nicht nur Faktenwissen, sondern eine Vielzahl von praktischen Kompetenzen erwerben müssen, braucht es besondere Lehrmethoden. „Das Bewusstsein, dass Studierende ganz speziell auf die Patientenversorgung vorbereitet werden müssen, hat sich schon deutlich gewandelt“, sagt König. Dozierende in den Gesundheitsberufen können bei ihr im Rahmen eines Trainingsprogramms lernen, wie sie ihr Wissen noch besser an den Nachwuchs weitergeben können und wie sie dies am besten in ihren Berufsalltag integrieren. Schließlich müssen Ärzte, Zahnärzte, Pflegende und Therapeuten lehren, wie man Patienten versorgt, während sie selbst Patienten versorgen. Auch dafür braucht es didaktisches Handwerkszeug: „Der Schulterblick alleine genügt nämlich nicht“, so König. Außerdem überprüft das Institut laufend, wie die Lehrmethoden bei den Studierenden ankommen, meist mit Fragebögen. Auch das Messen und Auswerten der Prüfungsergebnisse gehört zu den Aufgaben des Instituts – genauso wie Weiterentwicklung der Prüfungsmethoden selbst. So wurden beispielsweise Tablet-Prüfungen eingeführt, die nicht nur bei den Studierenden beliebt sind. Sie sind außerdem schneller durchführbar, eindeutiger und besser auszuwerten. Und sie ermöglichen intelligentere Prüfungsformate wie etwa das Einbinden von Bildmaterial und Patientenfälle.
Soft Skills und Teamarbeit Dass künftige Mediziner nicht nur Fachwissen, sondern auch Soft Skills erlernen, liegt König besonders am Herzen. „Wir sehen, dass das absolut notwendig ist, und dass es viel bringt.“ Deshalb hat sie unter anderem ein Lehrprojekt etabliert, bei dem künftige Ärztinnen und Ärzte zusammen mit Auszubildenden in den Pflegeberufen unterrichtet werden. König: „Die Idee dahinter ist, dass diese Berufsgruppen, die sich in der Ausbildung eher beiläufig begegnen, sich kennenlernen, Vorurteile abbauen, die eigene Rolle reflektieren und künftig besser zusammenarbeiten. Und das funktioniert ziemlich gut.“
Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter