Verwirrt in der Klinik
Ein Delir ist meist vorübergehend, kann aber ernste Folgen haben. Das UKW setzt auf gezielte Prävention und Früherkennung.
Die wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung eines Delirs ist menschliche Zuwendung.
Wenn ältere Menschen während eines Krankenhausaufenthalts plötzlich konfus, teilnahmslos oder aggressiv werden, steckt oft ein Delir dahinter. Diese akute Störung der Hirnfunktion ist besonders häufig auf Intensivstationen und nach bestimmten Operationen, aber auch bei Patienten mit Vorerkrankungen wie etwa einer Demenz.
„Typisch für ein Delir sind Halluzinationen, fehlende Orientierung, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen“, erklärt der Neurologe und Intensivmediziner Dr. Philipp Capetian. Manche Patienten werden unruhig, aggressiv, verlaufen sich, schreien, reißen sich Kanülen heraus, was für die Betreuenden extrem herausfordernd ist. Andere werden apathisch und teilnahmslos. „Gerade diese hypoaktive Form des Delirs wird häufig nicht erkannt“, so Capetian. „Deshalb wird das Delir, obwohl es insgesamt häufig ist, noch immer zu oft übersehen“, so die Neuropsychologin, Psychoonkologin und Gerontologin Dr. Elisabeth Jentschke.
Das ist ein Problem. Denn obwohl das Delir grundsätzlich ein vorübergehender Zustand ist, bleibt bei jedem vierten Patienten auf Dauer eine kognitive Einschränkung zurück. Auch Sterberisiko, Komplikationsrate und Dauer des Krankenhausaufenthalts sind erhöht. Patienten, die vorher selbstständig waren, werden nach einem Delir öfter pflegebedürftig. Früher sprach man meist vom „Durchgangssyndrom“. Heute weiß man, dass der Begriff die Tragweite des Krankheitsbilds verkennt.
Liste der Ursachen ist lang
Was genau bei einem Delir im Gehirn passiert, ist weiterhin nicht im Detail verstanden. Allerdings kennt man zahlreiche Risikofaktoren, zum Beispiel Gehirnerkrankungen wie Demenz oder M. Parkinson, Mehrfacherkrankungen, hohes Alter oder bestimmte Medikamente. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von auslösenden Faktoren wie Infektionen, Sauerstoffmangel, lange Narkosen, Schmerzen oder auch ein veränderter Tag-Nacht-Rhythmus.
Damit das Delir möglichst früh erkannt und behandelt oder besser noch vermieden werden kann, hat Jentschke zusammen mit einer Projektgruppe am UKW einen Leitfaden entwickelt, eine sogenannte „standard operating procedure“ (SOP). Sie hilft Ärzten und Pflegekräften, bei der Diagnostik und Therapie die richtigen Prioritäten zu setzen. Auch die elektronische Patientenakte gibt bei einem erhöhten Risiko einen automatischen Warnhinweis. „Oft hilft aber schon ein etwas aufmerksamerer Blick in den Arztbrief“, so Jentschke. Ob ein Delir vorliegt, lässt sich am besten durch ein paar einfache Fragen ermitteln. Das geschieht anhand eines kurzen, ebenfalls standardisierten Fragebogens und dauert nur wenige Minuten.
Dr. Philipp Capetian
Dr. Elisabeth Jentschke
Vorbeugende Maßnahmen helfen oft
Oft lässt sich Schlimmeres vermeiden, wenn bei erhöhtem Delirrisiko vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden. „Viele davon sind auch für den Patientenkomfort zuträglich, einfach durchzuführen und sollten selbstverständlich sein“, findet Capetian. Etwa, dass der Patient seine Brille und sein Hörgerät trägt, Uhr und Kalender sichtbar aufgehängt sind, Angehörige möglichst früh mit einbezogen werden und nachts Ruhe herrscht. „Alles, was zu einer besseren Orientierung in der fremden Umgebung beiträgt, hilft“, so Jentschke. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf die Medikamentenliste gelegt werden: „Oft kann man vieles weglassen, wenn man sich die Mühe macht, kritisch zu überprüfen“, so Capetian.
Menschliche Zuwendung ist die wichtigste Maßnahme
Die wichtigste Maßnahme ist aber menschliche Zuwendung – und die kostet Zeit, die im Pflegealltag bekanntlich rar ist. „Diese Rahmenbedingungen sind nur schwer zu ändern“, weiß Jentschke. Sie ist aber überzeugt, dass es sich lohnt, Zeit zu investieren. Zudem helfe auch das Wissen über die Erkrankung. Denn dadurch ändere sich die Haltung gegenüber Patienten, die nicht Herr ihrer Sinne sind. „Eine einfühlsame Kommunikation bringt viel. Deshalb haben wir schon über 1000 Mitarbeiter geschult. Durch den demografischen Wandel und die zunehmend ambulante Versorgung kommen immer mehr alte und schwer kranke Menschen ins Krankenhaus. Auf diese Patienten müssen wir uns einstellen.“
Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter, Uniklinik
Medikamente im Alter
Ältere Patienten nehmen oft mehrere Medikamente gleichzeitig ein. Ein Problem dabei: „Mit der Zahl der Arzneimittel steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese sich gegenseitig beeinflussen“, sagt Uniklinik-Apothekerin Claudia Burger. Dazu kommt, dass Arzneimittel im Alter oft schlechter vertragen werden. Das liegt an veränderten Stoffwechselvorgängen oder auch eingeschränkten Organfunktionen. So verbleiben viele Arzneimittel länger im Körper, wenn die Niere nicht mehr voll arbeitet. Einige Medikamente sind für alte Menschen gar nicht geeignet.
Um den Ärzten des UKW die sichere und effiziente Medikamentenverordnung zu erleichtern, ist eine spezielle Software namens AiDKlinik im Einsatz. Sie beruht auf wissenschaftlichen Daten und ist in das klinikinterne SAP-System integriert. „Trägt ein Arzt ein Medikament ein, das für die Altersgruppe ungeeignet ist oder z.B. wegen eingeschränkter Nierenfunktion in der Dosis reduziert werden muss, bekommt er vom Programm einen entsprechenden Hinweis“, so Burger. In einer weiteren Liste kann er nachschauen, ob es eine geeignete Alternative gibt. Falls nicht: Der Arzt muss individuell abwägen, ob er das Medikament tatsächlich absetzt. Das ist nämlich nicht in allen Fällen sinnvoll.