Erfolgsstory Blinatumomab
Von der ersten Idee bis zur Zulassung eines Krebsmedikaments.
Blinatumomab setzt das Immunsystem des Menschen gegen die Tumorzellen ein.
Verschiedene Krebstherapien entwickeln sich weiter und machen zum Teil erhebliche Fortschritte. Dabei sind vor allem jene Ansätze vielversprechend, die das Immunsystem des Menschen gegen Tumorzellen einsetzen. Neben der CAR-T-Zelltherapie hat sich mit Blinatumomab eine weitere Entwicklung aus der Uniklinik Würzburg (UKW) als Erfolgsstory herausgestellt. „Im Unterschied zur CAR-T-Zelltherapie, bei der dem Körper Zellen entnommen, diese gentechnisch verändert, vermehrt und dem Körper wieder zugeführt werden, findet Blinatumomab nach der Infusion die T-Zellen von selbst und vernichtet Krebszellen“, wie Prof. Ralf Bargou, Leiter des Comprehensive Cancer Center am Uniklinikum, erklärt. Das Medikament dockt zunächst an der T-Zelle und dann an der Leukämiezelle an – jetzt können die Krebszellen vernichtet werden. Blinatumomab ist das erste Immuntherapeutikum aus der der Klasse der sogenannten BiTE Antikörper (Bispecific T cell Engager) und kann zur Behandlung bestimmter Krebserkrankungen des blutbildenden Systems eingesetzt werden.
Der weite Weg zur Zulassung
Rund 20 Jahre sind von der ersten Idee 1995, sogenannte bispezifische Antikörper zur Krebsbekämpfung zu entwickeln, bis zur klinischen Umsetzung vergangen. In der Folgezeit wurden von den beiden Haupterfindern von Blinatumomab, Prof. Bargou und Prof. Kufer aus München, umfangreiche Labortets durchgeführt, die drei Jahre später, 1998, erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Im Jahr 1999 erfolgte die Patentanmeldung, gefolgt von der ersten wissenschaftlichen Veröffentlichung im Jahr 2000. Dies war auch der Zeitpunkt, eine Kooperation mit Geldgebern einzugehen, da der weitere Verlauf der klinischen Medikamenten-Entwicklung größere Summen an Geld erforderte, die mit universitären Forschungsgeldern in der Regel nicht finanzierbar sind. Mit dem Startup Unternehmen „Micromet“, einer akademischen Ausgründung, initiiert von Prof. Riethmüller aus München, war dies möglich geworden.
Die klinischen Phasen und der Behördenweg
2004 testete Prof. Bargou, damals noch an der Berliner Charité tätig, das Medikament erstmals erfolgreich an Patienten mit ausbehandeltem Non-Hodgkin-Lymphom. Diese werden ausführlich über Art und Umfang solcher Tests aufgeklärt und müssen mit einer solchen Behandlung auch einverstanden sein. In dieser klinischen Phase I Studie ging es darum, sich an eine bestimmte Dosis heranzuarbeiten und um die Beobachtung möglicher Nebenwirkungen – also die Erstellung eines Nebenwirkungsprofils, um so die optimale Dosierung des neuen Medikamentes zu finden.
In Phase-II-Studien wurden größere Patientenkollektive getestet. Wie wirkt das neue Medikament bei welchen Patienten? Kann das Mittel tatsächlich den Krebs eindeutig beweisbar zurückdrängen? Diese Fragen müssen erst geklärt werden, bevor die Phase III beginnt. Diese befasst sich vornehmlich mit Fragen, ob die neue Methode besser ist als der bisherige Standard und ob die behandelten Patienten auch wirklich länger leben. Die gesamte Datenauswertung ist sehr aufwendig und kann mehrere Jahre beanspruchen.
Prof. Ralf Bargou, Leiter des Comprehensive Cancer Center am Uniklinikum.
Herausforderungen
Bei der Entwicklung von Blinatumomab mussten viele Hürden überwunden werden. So galt es, den Wirkstoff so klein zu bauen, dass er auch in das Tumorgewebe gelangt, an den Zellen andocken kann und man technisch in der Lage war, eine ausreichende Menge in sehr hoher Reinheit zu produzieren. Die größten Herausforderungen lagen allerdings in bürokratischen Hindernissen, wie Prof. Bargou erklärt: „So warteten Studien vor der klinischen Phase I teilweise über 1 Jahr lang auf eine abschließende Prüfung. Dies liegt unter anderem an der rasch steigenden Zahl neu entwickelter Medikamente und daran, dass Prüfungsinstitutionen zu wenig Personal bereithalten.“ Damit und auch durch behördliche Überregulierung weist Deutschland einen erheblichen Standortnachteil auf, und es dauert zum Teil sehr lange, bis neue Medikamente entwickelt und in klinischen Studien geprüft werden können.
Ausblick
Dennoch hat die Forschung zu Blinatumomab dazu beigetragen, dass sich Würzburg zu einem Zentrum für Immun-Onkologie entwickelt hat. Das ist nach Ansicht von Prof. Bargou einzigartig und hat auch andere Entwicklungen auf dem Gebiet der Krebstherapie angestoßen und wäre ohne die durch das CCC aufgebauten Strukturen, und die Zusammenarbeit mit hoch qualifizierten Krebsspezialisten an der Uniklinik Würzburg, wie Dr. Marie-Elisabeth Goebeler, Prof. Max Topp und Prof. Hermann Einsele, Direktor der Medizinischen Klinik II, nicht denkbar gewesen.
Text: Dr. Bernhard Rauh, Fotos: Patty Varasano, Gettyimages