Strahlende Medikamente gegen Krebs

Dank des Schlüssel-Schloss-Prinzips wirken Radiopharmaka hochspezifisch: Sie docken an Tumorzellen an und zerstören sie. Diese Präzisionsmedizin bietet Patienten eine maßgeschneiderte Therapie. In den Keller muss dafür am UKW aber keiner gehen.

Theranostik ist ein sogenanntes Kofferwort – eine Verbindung aus den Wörtern Therapie und Diagnostik. Krankheiten aufspüren und behandeln mit ein und demselben Prinzip – das macht sich die Nuklearmedizin für eine wachsende Zahl an Erkrankungen zunutze. Zum Beispiel beim Prostatakarzinom. Hat der Tumor einmal in die Knochen gestreut, ist meist keine Heilung mehr möglich. Helfen kann man aber sehr wohl. „Ich denke da zum Beispiel an einen Patienten, der durch viele Knochenmetastasen sehr eingeschränkt war“, erzählt der Nuklearmediziner PD Dr. Rudolf Werner. Im Acht-Wochen-Rhythmus bekam er über die Vene eine radioaktive Substanz verabreicht, die das bösartige Gewebe gezielt zerstörte. Schon nach drei Zyklen fühlte er sich deutlich fitter und mobiler, konnte endlich wieder seinem Hobby nachgehen und mit seinen Enkelkindern spielen. „Dieser Patient war unheimlich dankbar, das werde ich nicht vergessen“, so der leitende Oberarzt. Genauso wenig wie das Kind, das an dem aggressiven bösartigen Tumor Neuroblastom erkrankt war – und letztlich leider auch daran gestorben ist. „Die Eltern waren so froh um die Zeit und die Lebensqualität, die ihrem Kind durch die Behandlung ermöglicht wurde. Es konnte für einige Monate aktiv am Leben teilhaben. Das war für sie unendlich wertvoll.“ Hoch spezifische Bestrahlung von innen Das Prinzip der Theranostik gibt es bereits seit den 1940er-Jahren. Als Radiojodtherapie wird es mit gutem Erfolg unter anderem bei Schilddrüsenkrebs eingesetzt. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich hier viel getan. Auch viele andere Tumorarten können heute nuklearmedizinisch behandelt werden. Dafür braucht es immer zwei Komponenten: eine Trägersubstanz, die mit den Tumorzellen interagiert, und eine radioaktive Substanz, die einen strahlentherapeutischen Effekt hat. Beide Komponenten werden miteinander gekoppelt und bilden zusammen das Radiopharmakon, das über die Vene verabreicht wird. Dank Schlüssel-Schloss-Prinzip wirkt es hoch-spezifisch: Es dockt an die Tumorzelle an und zerstört sie. Auch Metastasen kann man so erreichen, egal wo im Körper sie sich befinden. Gesundes Gewebe wird weitestgehend geschont. Wirksamkeit lässt sich vorab überprüfen Bevor ein Patient das wirksame Medikament bekommt, wird ihm eine Spürdosis verabreicht. Dafür markiert man die Trägersubstanz zunächst mit einem nur schwach radioaktiven Stoff, der das Tumorgewebe in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) sichtbar macht. Bei einem positiven Befund kann man anschließend die gleiche Trägersubstanz mit einem stärker radioaktiven, therapeutischen Stoff koppeln. „Wir können visualisieren, ob die Tumorzellen für die Behandlung empfänglich sind oder nicht und die Patienten so extrem genau auswählen. Das macht die Therapie auch so wirksam“, erklärt Rudolf Werner. „Man kann hier wirklich von einer maßgeschneiderten Therapie und von Präzisionsmedizin sprechen.“ Da man mit der Schilddrüse bereits jahrzehntelange Erfahrungen hat, kommt die Radiojodtherapie hier auch bei gutartigen Erkrankungen zum Einsatz. Alle anderen Radionuklidtherapien sind noch relativ jung. Sie werden deshalb bisher nur bei Krebs in fortgeschrittenen Stadien eingesetzt. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Tumorarten, die nuklearmedizinisch behandelt werden können. „Zum Beispiel haben wir viele gute Erfahrungen bei der Linderung von metastasenbedingten Knochenschmerzen“, so Werner. Ein weiteres Einsatzgebiet sind neuroendokrine Tumoren, kurz NET. Das UKW ist ein Zentrum für die Behandlung dieser seltenen Tumoren, die meist im Magen-Darm-Trakt auftreten. Das gilt auch für das Multiple Myelom, eine seltene Lymphom-Form, die ebenfalls zu den Würzburger Spezialgebieten zählt. Sowohl für das Multiple Myelom als auch für NET kommen Patienten von weit her, teilweise sogar international. Die Nuklearmedizin arbeitet hier eng mit der Medizinischen Klinik II zusammen.

PD Dr. Rudolf Werner

Breites Spektrum auch dank eigener Herstellung Aber auch viele andere Tumoren – zum Beispiel der Hirnhaut, der Leber oder Nebenniere – lassen sich mit dem Prinzip der Theranostik behandeln. „Das Patientenspektrum ist unglaublich breit, es reicht vom Kind bis zum hochbetagten Patienten. Das macht das Gebiet komplex, aber auch sehr spannend“, sagt Werner. Dass das Spektrum so breit ist, ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Nuklearmedizin am UKW die Radiopharmaka selbst herstellt. Mehrere Substanzen, die heute mit Erfolg in Kliniken in ganz Franken eingesetzt werden, wurden in Würzburg entwickelt. Die örtliche Nähe zwischen Herstellung und Anwendung ist ebenfalls von Vorteil, da die Substanzen nur sehr kurz radioaktiv wirken und nicht gelagert werden können. Die Behandlung muss dennoch auf einer speziellen Station durchgeführt werden, denn die Patienten geben während der Behandlung eine geringe Strahlendosis ab. In vielen Kliniken sind diese Stationen im Keller untergebracht und haben kein Tageslicht, was bei manchen Patienten klaustrophobische Gefühle hervorruft. Werner: „Das ist bei uns zum Glück nicht so. Unsere Patienten können einen Wintergarten und sogar einen Garten nutzen. Das Gefühl des Gefangenseins kommt daher hier gar nicht auf.“ www.ukw.de/nuklearmedizin

Die Nuklearmedizin des UKW hat einen Garten.

Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter, Uniklinikum