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Neuroradiologie: „Die Musik spielt nicht nur im Kopf, sondern auch im peripheren Nervensystem“

Magnus Schindehütte und seinem interdisziplinären Team aus der Neuroradiologie des UKW – unter der Leitung von Prof. Dr. Mirko Pham – sowie dem Biozentrum der Universität Würzburg ist es erstmals gelungen, mithilfe von Deep Learning Algorithmen ein neuronales Netz zu trainieren, das Spinalganglien in MRT-Bildern automatisch segmentiert. Spinalganglien sind Ansammlungen sensorischer Nervenzellkörper im peripheren Nervensystem. Diese kombinierte MRT- und KI-basierte Methode ist ein erster Schritt, um künftig neuronale Aktivität in vivo sichtbar zu machen, zum Beispiel über bildgebende Marker elektrischer Erregung. Die in der renommierten Fachzeitschrift NeuroImage veröffentlichte Studie ist insbesondere für die Schmerzforschung von Bedeutung. Durch die standardisierte Analyse können Nervenstrukturen von Patienten künftig besser auf krankhafte Veränderungen untersucht werden.

Porträt von Magnus Schindehütte in weißer Arztkluft vor Grünpflanze
Dem angehenden Facharzt für Neuroradiologie und Clinician Scientist, Magnus Schindehütte, und seinem Team ist es erstmals gelungen, mithilfe von Deep Learning Algorithmen ein neuronales Netz zu trainieren, das Spinalganglien in MRT-Bildern automatisch segmentiert. © IZKF
Die Grafik zeigt auf drei Bildern, wo die lumbosakralen Spinalganglien liegen und wie sie aussehen.
A) Schematischer Überblick über die lumbosakralen Spinalganglien (dorsal root ganglia, DRG) der Wirbelkörperhöhen L5 und S1. B) Darstellung der lumbosakralen DRG im MRT. C) 3D Rendering der DRG (gelb), der angrenzenden Nervenstrukturen (grau) und des Durasacks (weiß). © Aliya C. Nauroth-Kreß et al, Automated segmentation of the dorsal root ganglia in MRI, NeuroImage, 2025, https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2025.121189
Eine Hand zeichnet mit einem Stift auf einer MRT-Aufnahme des lumbosakralen Rückenmarkssegments S1 die Spinalganglien grün und gelb ein.
Um das KI-Modell zu trainieren, wurden die Spinalganglien auf den MRT-Aufnahmen vorher manuell annotiert. Dazu ordneten drei Experten unabhängig voneinander auf einem Grafiktablett die sogenannten Voxel den Nervenstrukturen zu. © Kirstin Linkamp

Würzburg. Wenn Magnus Schindehütte auf neuroradiologischen Kongressen seine Forschungsergebnisse vorstellt, ist es immer wieder eine Überraschung, welcher Sektion die Beiträge zugeordnet werden. Denn noch ist sein Forschungsgebiet eine Nische. Die neuroradiologische Forschung der letzten Jahrzehnte habe sich insbesondere auf den Kopf bzw. das zentrale Nervensystem konzentriert, sagt Schindehütte. Er dagegen interessiert sich für die Bildgebung im peripheren Nervensystem, insbesondere der Spinalganglien – kurz DRG für dorsal root ganglia. Das sind Ansammlungen von sensorischen Nervenzellkörpern, die sich an der hinteren (dorsalen) Nervenwurzel befinden, kurz bevor diese in das Rückenmark eintritt. Die Neuronen der DRGs empfangen Reize über ihre peripheren Fortsätze und leiten sie über zentrale Axone an das Rückenmark weiter. Die DRGs spielen also eine zentrale Rolle bei der Weiterleitung von Schmerzsignalen vom peripheren zum zentralen Nervensystem, über das Rückenmark bis ins Gehirn. „Das DRG ist die erste Station im Nervensystem, an der Schmerzreize verarbeitet und weitergeleitet werden – eine Schlüsselstelle für das Verständnis, die Diagnose und die Therapie von Schmerzerkrankungen“, betont Magnus Schindehütte.

Der Clinician Scientist in der Neuroradiologie des Uniklinikums Würzburg (UKW) hat mit einem interdisziplinären Team als Seniorautor eine methodische Studie in der renommierten Fachzeitschrift NeuroImage veröffentlicht. Darin stellen die Forscher ein KI-basiertes Modell zur automatischen Erkennung und Segmentierung von Spinalganglien in MRT-Bildern vor. Diese Innovation erleichtert die Beurteilung der Spinalganglien erheblich und eröffnet neue diagnostische Möglichkeiten, insbesondere in der Schmerzmedizin.

Deep Learning Algorithmus segmentiert die Region of Interest (ROI) robust, schnell und frei von menschlichem Bias

Die Studie konzentrierte sich auf die Spinalganglien der lumbosakralen Rückenmarkssegmente L5 und S1, die im unteren Abschnitt der Wirbelsäule liegen und an der Weiterleitung sensorischer Signale aus den unteren Extremitäten beteiligt sind.
„Was früher oft als unscheinbare Knubbel an der Wirbelsäule abgetan wurde, rückt heute – dank großer Fortschritte in der Bildgebung – immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Die DRGs sind zwar immer noch schwer zu erfassen, weil sie sich mit jeder Atembewegung leicht verschieben, aber die Aufnahmen sind inzwischen so hochauflösend, dass man die Strukturen viel klarer abgrenzen kann“, erklärt Schindehütte.

Die MRT-Aufnahmen seines Teams erreichen eine isotrope Auflösung von 1 × 1 × 1 mm – jedes sogenannte Voxel, also ein dreidimensionaler Bildpunkt, entspricht dabei einem Würfel mit jeweils einem Millimeter Kantenlänge. Um das KI-Modell zu trainieren, markierten Schindehütte und sein Team die Voxel, die sie den Nervenstrukturen zuordneten, manuell mit einem Grafiktablett – eine aufwendige, aber notwendige Vorarbeit für den Deep Learning Algorithmus.

Es sei gar nicht so einfach, die Spinalganglien – die Schaltzentralen der sensorischen Nervenbahnen – von der „Autobahn“ der vorbeiziehenden Nervenfasern abzugrenzen, erklärt Schindehütte. Die so genannte Region of Interest (ROI) sieht bei jedem Menschen etwas anders aus, was die Segmentierung zusätzlich erschwert. Jedes Bild wurde deshalb von drei Experten manuell annotiert. Aus ihren Bewertungen entstand eine Referenz, eine sogenannte Ground Truth, mit der das neuronale Netz trainiert wurde – immer und immer wieder.

Mit Erfolg: Inzwischen erkennt und segmentiert der Deep Learning Algorithmus (nnU-Net) nicht nur die ursprünglichen Trainingsdaten, sondern auch neue MRT-Bilder - und zwar sowohl von gesunden als auch von erkrankten Personen. Dabei arbeitet das System robust, schnell und weitgehend standardisiert – eine wichtige Grundlage für eine objektive und reproduzierbare Diagnostik.

Segmentierung ermöglicht Volumen- und Signalauswertung der DRGs

Ein wichtiger diagnostischer Aspekt ist die Signalintensität der Spinalganglien – also wie hell oder dunkel sie in bestimmten MRT-Sequenzen erscheinen. Bei der Multisystemerkrankung Morbus Fabry zum Beispiel zeigen die DRGs in flüssigkeitssensitiven, sogenannten T2-gewichteten Aufnahmen eine erhöhte Signalintensität – ein Muster, das der KI-Algorithmus zuverlässig erkannte.
Eine mögliche Hypothese: Abbauprodukte, die sich bei Fabry-Patienten im Gewebe anreichern, lagern sich auch in den DRGs ab. Im Zellmodell konnten solche Ablagerungen bereits nachgewiesen werden.

Darüber hinaus können auch Volumenveränderungen – etwa Atrophien – die Spinalganglien betreffen. In einer weiteren Arbeit zeigte Magnus Schindehütte gemeinsam mit einem Team vom Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzforschung (ZIS), dass das Spinalganglion, das die Zellkörper jener Nerven enthält, die die Leistenregion versorgen, bei chronischen postoperativen Leistenschmerzen deutlich schrumpft.

Clinician Scientist in KFO5001 ResolvePAIN

Gerade für die Schmerzforschung sind Fortschritte in der Bildgebung der Spinalganglien und deren automatisierte Auswertung von großer Bedeutung. Daher wird Magnus Schindehütte im Rahmen des Clinician Scientist Programms vom Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) gefördert. Diese Förderung ist in seinem Fall eingebettet in die Klinische Forschungsgruppe KFO5001 ResolvePAIN am UKW, die von Prof. Dr. Heike Rittner und Prof. Dr. Claudia Sommer geleitet wird.

Diese Förderung ermöglicht es ihm, neben seiner Facharztausbildung kontinuierlich an seiner Forschung zu arbeiten. Nachdem er sich zunächst mit morphologischen Parametern wie Größe und Signalintensität beschäftigt hat, interessieren ihn nun zunehmend funktionelle Fragestellungen: Wie verarbeiten die DRGs Schmerzreize? Was passiert bei der Schmerzentstehung – und was bei der Linderung?
„Schmerz ist immer subjektiv. Wir versuchen, ihn bildgebend zu erfassen und damit einen Surrogatmarker für die Schmerzverarbeitung zu identifizieren. Wenn wir verstehen, was physiologisch im DRG passiert, können wir künftig gezielter über therapeutische Ansätze nachdenken“, erklärt Magnus Schindehütte.

Als Seniorautor der Studie lieferte er gemeinsam mit dem Team der Neuroradiologie die klinische und bildgebende Expertise. Für die technische Umsetzung sorgte das Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Center for Computational and Theoretical Biology, CCTB) – allen voran Dr. Philip Kollmannsberger und Aliya C. Nauroth-Kreß als Erstautorin.

Erste Schritte zu einer breiteren Anwendung

„Unser Methodenpapier zeigt, dass es einen wissenschaftlichen Bedarf für eine objektive Auswertung der Spinalganglien gibt“, sagt Magnus Schindehütte. „Unser trainiertes Netz ist frei zugänglich und kann anderen Zentren helfen, standardisierte Auswertungen durchzuführen – auch international. Damit schaffen wir die Grundlage für eine verlässliche Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Einrichtungen und Studien – und einen weiteren Beleg dafür, dass in der Neuroradiologie die Musik nicht nur im Kopf, sondern auch im peripheren Nervensystem spielt.“

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

Publikation:
Aliya C. Nauroth-Kreß, Simon Weiner, Lea Hölzli, Thomas Kampf, György A. Homola, Mirko Pham, Philip Kollmannsberger, Magnus Schindehütte. Automated segmentation of the dorsal root ganglia in MRI. NeuroImage, Volume 311, 2025, 121189. ISSN: 1053-8119. doi.org/10.1016/j.neuroimage.2025.121189
 

Porträt von Magnus Schindehütte in weißer Arztkluft vor Grünpflanze
Dem angehenden Facharzt für Neuroradiologie und Clinician Scientist, Magnus Schindehütte, und seinem Team ist es erstmals gelungen, mithilfe von Deep Learning Algorithmen ein neuronales Netz zu trainieren, das Spinalganglien in MRT-Bildern automatisch segmentiert. © IZKF
Die Grafik zeigt auf drei Bildern, wo die lumbosakralen Spinalganglien liegen und wie sie aussehen.
A) Schematischer Überblick über die lumbosakralen Spinalganglien (dorsal root ganglia, DRG) der Wirbelkörperhöhen L5 und S1. B) Darstellung der lumbosakralen DRG im MRT. C) 3D Rendering der DRG (gelb), der angrenzenden Nervenstrukturen (grau) und des Durasacks (weiß). © Aliya C. Nauroth-Kreß et al, Automated segmentation of the dorsal root ganglia in MRI, NeuroImage, 2025, https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2025.121189
Eine Hand zeichnet mit einem Stift auf einer MRT-Aufnahme des lumbosakralen Rückenmarkssegments S1 die Spinalganglien grün und gelb ein.
Um das KI-Modell zu trainieren, wurden die Spinalganglien auf den MRT-Aufnahmen vorher manuell annotiert. Dazu ordneten drei Experten unabhängig voneinander auf einem Grafiktablett die sogenannten Voxel den Nervenstrukturen zu. © Kirstin Linkamp

Würzburger Beiträge bereichern die Diskussion zur Fibromyalgie-Forschung: Ein Rückblick auf den 7. Internationalen Fibromyalgie-Kongress in Wien

„Kontroversen bei Fibromyalgie“ – der Titel des internationalen Kongresses, der vom 3. bis 4. März 2025 in Wien stattfand, legt es nahe: wichtige Aspekte dieser chronischen Schmerzerkrankung werden in der Forschung nach wie vor intensiv und breit diskutiert.

Zwar hat sich das Wissen um das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) in den letzten Jahren rapide erweitert, dennoch bleiben grundlegende Fragen zu Ursache, Diagnose und Behandlung offen. 

KFO-Leitung in Wien

Bereichert wurde das Programm des 7. Fibromyalgie-Kongresses in diesem Jahr auch durch Beiträge aus Würzburg. Univ.-Prof. Dr. med. Heike Rittner, wissenschaftliche Leiterin der KFO-Forschungsgruppe ResolvePain und Leiterin des Interdisziplinären Schmerzzentrums des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) sprach über „Neuroimmunologische Wechselwirkungen: Eine neue Perspektive in der Fibromyalgieforschung“. Univ.-Prof. Dr. med. Claudia Sommer, Leitende Oberärztin an der Neurologischen Klinik und Sprecherin der KFO-Forschungsgruppe, diskutierte in ihrem Beitrag „Was passiert mit kleinen Nervenzellen bei Fibromyalgie?“ neueste Erkenntnisse zum Nachweis dieser schwer zu diagnostizierenden Erkrankung. 

Neue Perspektiven in der Forschung

In Würzburg wird seit Jahren zu Fibromyalgie geforscht. Wiederholt trugen die beiden Schmerzforscherinnen mit ihren Teams zu neuem Wissen über das Fibromyalgie-Syndrom bei. Jüngste Erkenntnisse aus Sommers Arbeitsgruppe legen den Schluss nahe, dass die Erkrankung womöglich durch eine falsche Reaktion des Immunsystems hervorgerufen wird. Heike Rittner vergleicht die Fibromyalgie mit dem „Komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS)“ und gewinnt aus diesem Vergleich ein besseres Verständnis für die Mechanismen und Behandlungsmöglichkeiten beider Erkrankungen. In der zweiten Förderperiode der Klinischen Forschungsgruppe 5001 wird dies ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sein.

Vortrag von Prof. Dr. Luda Diatchenko zur Rolle der NF-κB-Signalübertragung in Neutrophilen bei Fibromyalgie-Patienten

Die Klinische Forschungsgruppe 5001 (KFO 5001) freut sich sehr, die Schmerzforscherin Prof. Dr. Luda Diatchenko von der kanadischen McGill Universität am 12. Februar 2025 in Würzburg begrüßen zu können.

Prof. Dr. Luda Diatchenko © Human Pain Genetics Lab source: www.humanpaingenetics.ca/diatchenko

In ihrem Vortrag untersucht Prof. Diatchenko die Rolle der NF-κB-Signalübertragung in Neutrophilen und ihren Beitrag zur Persistenz der Fibromyalgie. Sie erörtert, wie die Hemmung von NF-κB in den Neutrophilen, einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die Krankheitsmechanismen der Fibromyalgie beeinflusst und möglicherweise chronische Schmerzen und Entzündungen aufrechterhält. Einblicke in neue Therapieansätze zur Unterbrechung dieses Kreislaufs runden den Vortrag ab.

Prof. Diatchenko ist Mitglied der Fakultät für Zahnmedizin und Mundgesundheitswissenschaften und der Abteilung für Anästhesie an der Fakultät für Medizin und Gesundheitswissenschaften der McGill University, Kanada.

Ihre Arbeit zielt darauf ab, neue Wirkstoffe zu identifizieren, das Ansprechen auf Analgetika vorherzusagen und die Diagnostik zu verbessern. 

Prof. Diatchenko erwarb ihren MD und PhD im Bereich der Molekularbiologie an der Russischen Staatlichen Medizinischen Universität. Ihre Karriere begann sie in der Industrie als Leiterin der RNA Expressionsgruppe bei Clontech, Inc. und war später als Direktorin für Genentdeckung bei Attagene, Inc. tätig.
In dieser Zeit trug sie zur Entwicklung von weit verbreiteten molekularen Werkzeugen zur Analyse der Genexpression und -regulation bei.
Ihre akademische Laufbahn begann Dr. Diatchenko im Jahr 2000 am Zentrum für neurosensorische Störungen, Universität von North Carolina. Seitdem fokussiert sich ihre Forschung auf die Aufdeckung zellulärer und molekularer Mechanismen, durch die funktionelle genetische Variationen die Schmerzwahrnehmung und das Risiko der Entwicklung chronischer Schmerzzustände beeinflussen.

Detailliertere Informationen wie Ort und Uhrzeit des Vortrags finden Sie im Flyer (in englisch).

Prof. Dr. Luda Diatchenko © Human Pain Genetics Lab source: www.humanpaingenetics.ca/diatchenko

Podcast: Das Neueste gegen Schmerz

In einem halbstündigen Podcast des Bayerischen Rundfunks äußern sich namhafte Schmerzexpertinnen und -experten – darunter Univ.-Prof. Dr. med. Heike Rittner – über neueste Erkenntnisse und Strategien zur Bekämpfung chronischer Schmerzen.

Über 14 Millionen Bundesbürger leiden an chronischem Schmerz, einem Schmerz, der definitionsgemäß über drei Monate anhält oder immer wieder auftritt und zum eigenständigen Krankheitsbild wird. Wie lässt sich dessen Entwicklung im Anfangsstadium verhindern? Welche physiologischen Prozesse tragen zur Entstehung bei?  Und vor allem – wie kann man eine Rückbildung unterstützen und die Therapien verbessern?

KI, VR-Reality und Hirnelektroden 

Im Zeitalter innovativer Technologien stehen inzwischen neue Möglichkeiten zur Verfügung, darunter Künstliche Intelligenz, Virtual-Reality-Brillen mit speziellen interdisziplinären Programmen, Sensoren und sogar implantierbare Hirnelektroden. Damit eröffnen sich neue Perspektiven für Diagnose, Therapie und Forschung. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der gezielten Beeinflussung des Gehirns, etwa durch Illusionen, Ablenkung oder Konditionierung. In Folge stimuliert es die körpereigenen Schmerzabwehrmechanismen und mildert die Schmerzreize.

Nach wie vor sind jedoch auch noch die vielen bewährten Module einer Schmerztherapie wie Entspannungstechniken, Bewegung oder Biofeedback, aber auch komplementäre Therapie essenziell und werden individuell angepasst.

Ein wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Therapie ist jedoch – und da sind sich alle einig –  die  Unterstützung durch ein spezialisiertes Team, das individuell auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingeht und interdisziplinär zusammenarbeitet.

Der Podcast „IQ – Wissenschaft und Forschung“ vom 17. Dezember 2024 beleuchtet die gegenwärtige Situation zur Therapie und Erforschung chronischer Schmerzen anschaulich und mit praxisnahen Beispielen.

Zum Podcast

„IQ – Wissenschaft und Forschung“, ein Format des Bayerischen Rundfunks (BR), berichtet regelmäßig über neueste Entwicklungen und Kontroversen aus Bereichen wie Medizin, Klimaforschung, Astronomie, Technik und Gesellschaft.

In der Folge vom 17. Dezember 2024 kamen renommierte Schmerzexpertinnen und -experten zu Wort:

- Prof. Dr. med. Ulrike Bingel, Leiterin der Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Essen

- Prof. Dr. med. Dominik Irnich, Leiter der interdisziplinären Schmerzambulanz der LMU München

- Prof. Dr. med. Heike Rittner, Lehrstuhl für Schmerzmedizin an der Universität Würzburg, Leiterin der Klinischen Forschungsgruppe 5001 ResolvePain
 
- Prof. Prasad Shirvalkar, Schmerzmediziner an der University of California San Francisco, USA

Anhaltender Rückenwind für die Schmerzforschung

DFG VERLÄNGERT FÖRDERUNG DER KLINISCHEN FORSCHUNGSGRUPPE RESOLVEPAIN (KFO 5001) AM UNIKLINIKUM WÜRZBURG (UKW)

Bereits seit vier Jahren erforscht die Klinische Forschungsgruppe (KFO 5001) ResolvePAIN die peripheren Mechanismen des Schmerzes und seiner Rückbildung - zur vollsten Zufriedenheit der Gutachterinnen und Gutachter. Nun unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Forscherinnen und Forscher in einer zweiten Förderperiode mit insgesamt über 8 Millionen Euro für weitere vier Jahre. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), die mit der Universität Leipzig, der Charité Universitätsmedizin Berlin und dem Mercator Fellow in Rochester New York kooperiert, wird von Professorin Dr. Heike Lydia Rittner geleitet, Sprecherin ist Professorin Dr. Claudia Sommer.

Das Bild zeigt Claudia Sommer und Heike Rittner freudestrahlend nach der Begutachtung, mit Blumen und Sektglas in den Händen.
Die Sprecherin von ResolvePAIN, Professorin Dr. Claudia Sommer (links) und die wissenschaftliche Leiterin der Forschungsgruppe, Professorin Dr. Heike Lydia Rittner freuen sich über die Finanzierung der zweiten Förderperiode durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). © Prof. Alexander Brack / UKW

Würzburg. Eine so enge Verknüpfung von klinischer und Grundlagenforschung in der Schmerzmedizin mit einer innovativen Fragestellung gebe es nirgendwo sonst in Europa, war eine der zahlreichen Rückmeldungen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) berufenen Gutachter, nachdem sie sich zum Ende der ersten Förderperiode ein Bild von der Klinischen Forschungsgruppe (KFO 5001) ResolvePAIN gemacht hatten. Schmerzen auflösen, der Name ist Programm. Konkret will die Forschungsgruppe verstehen, wie Schmerzen nach einer Nervenschädigung wieder abklingen. „Solche Nervenschäden können verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel eine Chemotherapie, die Operation eines Narbenbruchs, ein komplexes regionales Schmerzsyndrom oder Erkrankungen des Immunsystems, die die Nerven angreifen. Wir untersuchen sowohl die zugrundeliegenden biologischen Prozesse, die zur Schmerzlinderung beitragen, als auch Faktoren, die vorhersagen können, ob und wie schnell sich der Schmerz zurückbildet“, sagt Professorin Dr. Heike Rittner, Inhaberin des Lehrstuhls für Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Würzburg und wissenschaftliche Leiterin der Forschungsgruppe. Sprecherin von ResolvePAIN ist die leitende Oberärztin der Neurologie, Professorin Dr. Claudia Sommer.

Interdisziplinäres Team aus Würzburg, Leipzig, Berlin und New York

21 Forscherinnen und Forscher aus Wissenschaft und Klinik widmen sich bei ResolvePAIN in neun Arbeitsgruppen und einem zentralen Serviceprojekt interdisziplinär und mit differenzierten Fragestellungen den Mechanismen des Schmerzes und seiner Rückbildung. Aus Würzburg sind der Lehrstuhl Schmerzmedizin sowie die Kliniken beziehungsweise Institute für Anästhesiologie, Neurologie, Chirurgie, Innere Medizin, Neuroradiologie, Psychiatrie und Klinische Neurobiologie beteiligt.
Als Kooperationspartner konnten das Institut für Biologie, Tier- und Verhaltensphysiologie der Universität Leipzig, das Institut für Klinische Physiologie - Ernährungsmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin sowie das Department of Psychiatry des University of Rochester Medical Center in New York gewonnen werden. Als so genannter Mercator Fellow unterstützt Prof. Paul Geha aus den USA für zwei Monate im Jahr die Forschungsgruppe bei der Suche nach im funktionellen MRT sichtbaren Korrelaten chronischer Schmerzen und deren Rückbildung im Gehirn.

Brücken zwischen Grundlagenforschung und klinischer Forschung 

Derzeit laufen verschiedene klinische Studien zu Nervenschädigungen durch Chemotherapien, Narbenhernienoperationen, dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom oder Autoimmunneuropathien. Ergänzend wird intensive Grundlagenforschung betrieben: Sie reicht von Untersuchungen an der Fruchtfliege zu Mechanismen im Rückenmark über Zell- und Gewebemodelle wie Neuronen aus IPS-Zellen, 3D-Modelle der Spinalganglien und Barrieremodelle bis hin zu präklinischen Studien zur Nervenschädigung, zum Beispiel bei Barrieren oder der Bortezomib-induzierten Polyneuropathie. Weitere Schwerpunkte sind neuroimmune Mechanismen sowie zentrale Prozesse und die Interaktion zwischen peripherem und zentralem Nervensystem, die mit Methoden wie fMRI, sozialen Interventionen, 7-Tesla-MRT und Mikroneurographie untersucht werden. 

Ärztinnen und Ärzte, die sich neben ihrer klinischen Tätigkeit auch wissenschaftlich engagieren wollen, erhalten in den Clinician and Advanced Clinician Scientist Programmen Freiräume für ihre Forschung. „Durch die Ausbildung forschungsorientierter Ärztinnen und Ärzte können wir langfristig Brücken zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung schlagen”, sagt Heike Rittner. Sie ist stolz auf ihre engagierten und gemischten Teams. Bis auf eine Ausnahme ist bei jedem Projekt auch eine Frau in der Projektleitung. 

8 Millionen Euro für weitere 4 Jahre 

Die bisherigen Strukturen, Projekte und Ergebnisse haben die Jury überzeugt. Die DFG unterstützt die Forscherinnen und Forscher in einer zweiten Förderperiode mit über acht Millionen Euro für weitere vier Jahre. 
„Das ist eine einmalige Chance, in dem großen Team der Kliniker:innen und Wissenschaftler:innen die Schmerzforschung sowohl mechanistisch als auch diagnostisch voranzubringen, so dass am Ende den Patientinnen und Patienten mit diesen Erkrankungen passgenau besser geholfen werden kann. Das wird die Universitätsmedizin Würzburg und das Zentrum für interdisziplinäre Schmerzforschung national und international weit sichtbar machen“, freut sich Claudia Sommer. 

Forschungsgruppen der DFG

Mit der Förderung von Forschungsgruppen ermöglicht die DFG Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sich aktuellen und drängenden Fragen ihres Faches zu widmen und innovative Arbeitsrichtungen zu etablieren. Sie werden bis zu acht Jahre gefördert. Von den derzeit über 200 geförderten Forschungsgruppen sind zwölf Klinische Forschungsgruppen (KFO), die sich durch eine enge Verzahnung von wissenschaftlicher und klinischer Arbeit auszeichnen. Im Dezember hat der Hauptausschuss der DFG beschlossen, acht neue Forschungsgruppen einzurichten und die Förderung von zwei weiteren Forschungsgruppen sowie einer KFO zu verlängern (Pressemeldung der DFG).

Link zur Klinischen Forschungsgruppe (KFO5001).
Zu den Porträts von Heike Rittner und Claudia Sommer in der Serie #WomenInScience.

Text: Kirstin Linkamp / UKW
 

Das Bild zeigt Claudia Sommer und Heike Rittner freudestrahlend nach der Begutachtung, mit Blumen und Sektglas in den Händen.
Die Sprecherin von ResolvePAIN, Professorin Dr. Claudia Sommer (links) und die wissenschaftliche Leiterin der Forschungsgruppe, Professorin Dr. Heike Lydia Rittner freuen sich über die Finanzierung der zweiten Förderperiode durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). © Prof. Alexander Brack / UKW

DFG vergibt Fördermittel für neues Graduiertenkolleg: NeuroTune

Prof. Dr. Robert Kittel, einer der Projektleiter der Klinischen Forschungsgruppe ResolvePAIN, hat zusammen mit Kollegen der Universität Leipzig den Zuschlag für ein neues Graduiertenkolleg erhalten: NeuroTune. Die Fördermittel kommen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die Initiative untersucht die Mechanismen, die der Informationsverarbeitung im Nervensystem zugrunde liegen. Sie wendet dabei innovative Forschungsstrategien an und fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Das Projekt ist ein Meilenstein für die Forschungsgemeinschaft und verspricht, unser Verständnis komplexer neuronaler Funktionen zu verbessern.

Welche Mechanismen liegen der neuronalen Kommunikation zugrunde?

Das Graduiertenkolleg unter der Leitung von Prof. Kittel konzentriert sich auf das Verständnis der Informationsverarbeitung im Nervensystem durch die Kommunikation zwischen Neuronen und ihren Partnerzellen. Ein spezielles Hauptmerkmal kennzeichnet diese Kommunikation: Anpassungsfähigkeit. Sie ermöglicht die Regulation der Signalübertragung als Reaktion auf veränderte physiologische Anforderungen. 

Das Graduiertenkolleg „Molekulare Abstimmung neuronaler Kommunikation - NeuroTune“ untersucht allgemeine strukturelle und funktionelle Prinzipien sowie molekulare Anpassungen, die spezifisch für bestimmte Zelltypen oder Signalwege sind. Ziel ist es, die komplexen Mechanismen aufzudecken, die der neuronalen Kommunikation zugrunde liegen, und neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie das Nervensystem auf verschiedene interne und externe Stimuli reagiert und sich anpasst.

Prof. Kittels Rolle als Sprecher des Graduiertenkollegs NeuroTune ist ein wichtiger Meilenstein sowohl für unser Konsortium als auch für die Neurowissenschaften und die Schmerzforschung im Allgemeinen. Die Expertise des NeuroTune-Teams wird die nächste Generation von Doktoranden anleiten und ein Umfeld der Zusammenarbeit und interdisziplinären Ausbildung fördern.

Über die DFG-Förderung für neue Graduiertenkollegs

Am 18. November 2024 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Einrichtung von zwölf neuen Graduiertenkollegs zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses bekannt gegeben. Diese Graduiertenkollegs, darunter auch NeuroTune, werden ab Oktober 2025 für fünf Jahre mit insgesamt rund 82 Millionen Euro gefördert. Graduiertenkollegs bieten Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit, ihre Promotion im Rahmen eines strukturierten Forschungs- und Qualifizierungsprogramms auf höchstem fachlichen Niveau abzuschließen. Derzeit fördert die DFG insgesamt 216 Graduiertenkollegs.

Weitere Informationen:

Förderpreis für Schmerzforschung ging an Julia Grüner

Der Naturwissenschaftlerin aus der Würzburger Neurologie gelang es erstmalig, mit dem Team der AG Üçeyler aus Hautzellen von Fabry-Patienten Stammzellen zu erzeugen, die in Nervenzellen umgewandelt werden können. In der Petrischale konnte das Team beobachten, wie die Fettablagerungen die Nervenzellen beeinflussen. Diese Veränderungen könnten den Energiehaushalt der Zellen stören und so die für Fabry typischen Schmerzen verursachen.

Die Preisträgerin Julia Grüner mit Urkunde und umringt von ihrem Team.
Julia Grüner (4. v. l.) erhielt den diesjährigen Förderpreis für Schmerzforschung der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. Aus der Arbeitsgruppe von Nurcan Üçeyler (rechts) freuen sich mit ihr Franka Kunik, Aljosha Lang und Luisa Kreß (v. l.) © Luisa Kreß

Würzburg. Glückwunsch an Dr. rer. nat. Julia Grüner aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Nurcan Üçeyler, leitende Oberärztin in der Neurologie des Uniklinikums Würzburg. Sie erhielt am 17. Oktober 2024 beim Deutschen Schmerzkongresses in Mannheim den Förderpreis für Schmerzforschung. In der Kategorie ‚Klinische Forschung‘ wurde ihre Arbeit „Small fibre neuropathy in Fabry disease: a human-derived neuronal in vitro disease mod-el and pilot data“ mit dem zweiten Platz gewürdigt. Der Stifter des Preises, die Grünenthal GmbH, hat in diesem Jahr gleich zwei zweite Plätze vergeben, sodass sich Julia Grüner das Preisgeld von 3.500 Euro teilt. 

In ihrem Projekt geht es um die seltene Erbkankheit Morbus Fabry, die sich schleichend entwickelt und das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Bei Morbus Fabry verhindern Gendefekte dass das Enzym Alpha-Galaktosidase A richtig arbeitet. Dadurch sammeln sich Fettverbindungen, sogenannte Sphingolipide, in den Zellen an, unter anderem in Nervenzellen, aber auch in Organen wie Herz und Nieren. Erste Symptome wie brennende Schmerzen in Händen und Füßen treten oft schon in der Kindheit auf. Mit der Zeit verschlechtert sich zudem die Wahrnehmung von Temperatur. 

In der ausgezeichneten Arbeit gelang es erstmalig, aus Hautzellen von Fabry-Patienten Stammzellen zu erzeugen, die in Nervenzellen umgewandelt werden können. In der Petrischale konnte das Team beobachten, wie die Fettablagerungen die Nervenzellen beeinflussen. Diese Veränderungen könnten den Energiehaushalt der Zellen stören und so die für Fabry typischen Schmerzen verursachen. Eine besonders interessante Entdeckung war, dass bei erhöhten Temperaturen eine veränderte Aktivität der Nervenzellen vorliegt. Das könnte erklären, warum Betroffene oft besonders bei Fieber stärkere Schmerzen und eine gestörte Temperaturwahrnehmung haben. Diese Entdeckungen eröffnen neue Ansätze, die Mechanismen der Erkrankung besser zu verstehen und zukünftig gezielter behandeln zu können.

Mehr zur Studie, die bereits in Brain Communications (2024) veröffentlicht wurde, lesen Sie in der Pressemitteilung