Wieso Uhren und Kalender auf vielen Stationen immer wichtiger werden
Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Elisabeth Jentschke unterstützt das UKW auf dem Weg zum altersfreundlichen Krankenhaus.

„Es ist entscheidend, dass die Behandelnden nicht nur um altersspezifische Themen wie Herzinsuffizienz und die Multimorbidität wissen, sondern auch über ein Wissen bezüglich der kognitiven und der psychischen Einschränkung verfügen.“

Dr. Elisabeth Jentschke,
leitende Psychoonkologin, leitende Neuropsychologin und Gerontologin
Es kann sich immer nur der Gesunde an den Kranken anpassen, nicht umgekehrt“, sagt Dr. Elisabeth Jentschke. Sie ist an der Uniklinik als leitende Psychoonkologin, leitende Neuropsychologin sowie Gerontologin, also Alterswissenschaftlerin, tätig und hat zudem einen Lehrauftrag für Gerontologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2016 treibt sie die Entwicklung der Würzburger Uniklinik als altersfreundliches Krankenhaus voran. Im Interview erklärt sie, was hinter diesem Konzept steckt und welche Schritte bereits umgesetzt wurden.
Was zeichnet ein altersfreundliches Krankenhaus aus?
Ein altersfreundliches Krankenhaus zeichnet sich durch zwei zentrale Aspekte aus: zum einen durch eine entsprechende Gestaltung der räumlichen Umgebung, zum anderen durch die gezielte Sensibilisierung des Personals. Welches Wissen ist in der Klinik über den Umgang mit älteren Patientinnen und Patienten vorhanden? Wie gut sind Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie andere Behandelnde über typische altersbedingte Herausforderungen informiert? Dazu gehören beispielsweise das Erkennen und der Umgang mit einer beginnenden oder fortschreitenden Demenz. Ebenso entscheidend ist das Wissen über ein Delir, also eine akute Verwirrtheit, die unter anderem nach einer Narkose auftreten kann – aber auch durch Infektionen, Flüssigkeitsmangel, bestimmte Medikamente oder die ungewohnte Umgebung eines Krankenhauses begünstigt wird.
Wie sind Sie an die beiden Aspekte herangegangen?
Ich konnte entsprechende Schulungsinhalte zu zentralen Themen wie dem Umgang mit akuter Verwirrtheit, Depression im Alter oder einer beginnenden Demenz etablieren. Bereits 2018 wurde eine entsprechende Pflichtschulung für 1500 Mitarbeitende durchgeführt – von den Pflegekräften bis hin zu den Servicemitarbeitenden. In unserer Klinik sind viele Patientinnen und Patienten weit über 60 Jahre alt, mit Ausnahme der Pädiatrie. Daher ist es entscheidend, dass das medizinische Personal nicht nur über altersspezifische Erkrankungen wie Herzinsuffizienz Bescheid weiß. Ebenso wichtig ist fundiertes Wissen über kognitive und psychische Einschränkungen, um ältere Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen.
Und wie sieht es bei dem zweiten Aspekt aus, der räumlichen Gestaltung?
Zu Beginn wurden fünf Pilotstationen speziell eingerichtet, um älteren Patientinnen und Patienten eine bessere Orientierung und Sicherheit zu bieten. Die Räume wurden mit Orientierungshilfen wie großen Uhren und Kalendern ausgestattet. Zusätzlich kamen technische Hilfsmittel wie eine Klingelmatte zum Einsatz, die das Personal alarmiert, sobald ein verwirrter Patient aufsteht. Darüber hinaus wurde ein Café geschaffen, in dem sich die Älteren mit ihren Angehörigen treffen können. Auch für das Personal wurden Maßnahmen mit Blick auf die Selbstfürsorge etabliert, um den anspruchsvollen Arbeitsalltag besser bewältigen zu können.
In den konkreten Situationen?
Ja, auf den Pilotstationen hatten die Pflegekräfte jederzeit die Möglichkeit, die Demenzbeauftragte zur Unterstützung hinzuzuziehen. Zusätzlich wurden spezielle Schulungsinhalte angeboten – beispielsweise zu der Frage: Wie kann ich mich selbst schützen, wenn ein Patient oder eine Patientin übergriffig wird? Diese Schulungen waren essenziell, um das Personal auf herausfordernde Situationen im Umgang mit verwirrten oder aggressiven Patientinnen und Patienten vorzubereiten und gleichzeitig eine einfühlsame Versorgung zu gewährleisten.

Große Kalender dienen der Orientierung.

Bilder und Symbole ermöglichen es den Betroffenen, sich selbstständig zurechtzufinden.
Gehen wir noch einmal zurück zum Patienten. Ganz konkret: Wie sieht in einem altersfreundlichen Krankenhaus die Versorgung einer 85-jährigen Patientin mit einem Knochenbruch aus?
Das beginnt schon in der Notaufnahme: Wird eine 85-jährige Patientin mit einem Oberschenkelbruch eingeliefert, müssen die Mitarbeitenden berücksichtigen, dass sie möglicherweise sensorisch und kognitiv eingeschränkt sein kann – sie könnte schlechter sehen oder hören. Deshalb ist eine angepasste Kommunikation essenziell. Für ältere Menschen besteht zudem häufiger das Risiko, nach der Narkose in ein Delir zu fallen, also akut verwirrt zu sein. Darauf sollte das medizinische Personal vorbereitet sein und Maßnahmen ergreifen, um dieses Risiko zu reduzieren: Wenn möglich, vorher die Angehörigen informieren, vielleicht können sie in den Aufwachraum kommen? Ein vertrautes Gesicht hilft, sich nach der Narkose wieder zurecht- zufinden. Ebenso sollte die Brille oder das Hörgerät zurecht- bzw. angelegt werden. Auch Reize, etwa Licht oder Lärm, sollten minimiert werden. All das sind Punkte, die das Risiko einer Verwirrtheit reduzieren können. Ebenso dass die Angehörigen bei der Rückverlegung auf die Normalstation bleiben dürfen, wenn nötig auch über Nacht. Grundsätzlich gilt: Es kann sich immer nur der Gesunde an den Kranken anpassen, nicht umgekehrt.
Dies betrifft nun die Akutsituation. Wie können die Maßnahmen auf den Stationen aussehen?
Da helfen die angesprochenen Maßnahmen zur Orientierung wie große Kalender, große Uhren und natürlich auch hier wieder, wenn möglich, eine vertraute Person.
Ist es vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sinnvoll, medizinische Stationen grundsätzlich nach dem Konzept eines altersfreundlichen Krankenhauses auszustatten?
Ja, unbedingt. Das Ziel ist nicht nur, geriatrische Stationen entsprechend auszustatten, sondern auch weitere Abteilungen altersfreundlich zu gestalten. Da bekannt ist, welche Herausforderungen im Alter besonders relevant sind, sollen diese Konzepte beispielsweise auch im ZAM umgesetzt und etabliert werden. So kann eine bestmögliche Versorgung für ältere Patientinnen und Patienten gewährleistet werden – unabhängig davon, auf welcher Station sie behandelt werden.
Lassen Sie uns mal zehn Jahre in die Zukunft blicken: Wie sieht das altersfreundliche Krankenhaus 2035 aus?
Im Jahr 2035 wird ein älterer Patient in der Uniklinik mit der gleichen Würde und Aufmerksamkeit behandelt wie ein jüngerer. Die Behandelnden verfügen über fundiertes Wissen zu altersspezifischen Herausforderungen wie Depression, Demenz und Verwirrtheit und können gezielt darauf eingehen. Mein Wunsch ist, dass ältere Menschen bis zum Ende ihres Lebens gut und selbstbestimmt leben können – und dass wir als Uniklinik aktiv dazu beitragen. Und dort, wo aufgrund kognitiver Einschränkungen keine Selbstbestimmung mehr möglich ist, braucht es eine besondere Aufmerksamkeit, um die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen und ihre Würde zu wahren.