
Wenn der Geist zu altern beginnt
Ältere Menschen beklagen häufig eine schwindende Konzentration und wachsende Vergesslichkeit. Doch was steckt dahinter? Was ist eine reguläre, altersbedingte Entwicklung und wann liegt eine Erkrankung etwa in Form einer Demenz vor? Denn nicht immer ist eine nachlassende Konzentration krankheitsbedingt: Manchmal ist es einfach zu viel Stress und es steht am Ende der An-amnese nicht die Diagnose Demenz, sondern Burn-out. Klarheit kann hier eine umfassende medizinische Untersuchung schaffen.
Daher hat es sich die Uniklinik Würzburg zur Aufgabe gemacht, geriatrische Patienten nicht nur bei somatischen, also körperlichen Erkrankungen auf höchstem Niveau interdisziplinär zu versorgen, sondern auch bei psychischen und neurologischen Erkrankungen. Ein notwendiger Schritt, denn: „Man geht davon aus, dass 25 bis 30 Prozent der älteren Menschen an einer psychischen Erkrankung leiden, sodass, wenn die Zahl der alten Menschen in der Gesellschaft zunimmt, auch der Anteil der älteren Patientinnen und Patienten wachsen wird“, sagt Dr. Michael Schwab, Geriater und Leiter des geriatrischen Konsildienstes der Medizinischen Klinik I.
Wie die Depression zum Muskelabbau führt
Um eine optimale medizinische Versorgung geriatrischer Patienten zu gewährleisten, spielt die enge Vernetzung der verschiedenen Fachabteilungen eine besondere Rolle. „Die Medizin muss gezielt geriatrische, also altersspezifische Syndrome behandeln, um die Gesundheit zu fördern. Dabei geht es nicht nur um die Betrachtung einer spezifischen Erkrankung. Es würde zu kurz greifen, wenn nur eine Fachdisziplin den geriatrischen Patienten in den Blick nehmen würde. Deswegen ist dieser interdisziplinäre Ansatz so wertvoll und zielführend“, erklärt Dr. Alexandra Herr, Oberärztin der Neurogerontopsychiatrischen Tagesklinik und Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Geriatrie.

Am Anfang steht eine umfangreiche Diagnostik.
„Die Neurogeriatrie ist die Antwort auf die besonderen Behandlungsbedürfnisse älterer und polymorbider, also mehrfach erkrankter Patientinnen und Patienten mit einer neuropsychiatrischen Hauptdiagnose.“

Prof. Dr. Jens Volkmann
Klinikdirektor der Neurologie
Ein Beispiel: Eine Depression als psychische Erkrankung führe häufig zu einer Antriebsstörung, zu Appetitmangel und somit zu einer verminderten Nahrungsaufnahme. Dies wiederum verstärke einerseits die Immobilität und damit den Muskelabbau, anderseits zeige sich auch ein zunehmendes Rückzugsverhalten, also soziale Isolation. In diesem Teufelskreis gebe es ein Wechselspiel zwischen der psychischen Erkrankung Depression und dem körperlichen Muskelabbau. „Um das optimal zu therapieren, braucht es ein multiprofessionelles Team und die interdisziplinäre Zusammenarbeit“, so Herr.
Doch wie kann dies konkret in der Praxis umgesetzt werden? Das zeigt die altersmedizinische Versorgung am UKW, die sich entsprechend breit aufstellt, um Menschen in den verschiedenen Stationen ihrer Diagnosen interdisziplinär zu behandeln. Ob Erkrankte erste Anzeichen einer kognitiven Beeinträchtigung aufweisen oder eine fortgeschrittene Parkinson-Krankheit – in den verschiedenen Einrichtungen für psychische und neurologische Erkrankungen gibt es spezifisch ausgerichtete Angebote.
Wenn die kognitive Leistung sinkt
So dient etwa die Gedächtnisambulanz in der Psychiatrischen Poliklinik als Anlaufstelle für Menschen, deren kognitive Leistung auffallend abbaut. In speziellen Sprechstunden werden die Ursachen für die nachlassenden kognitiven Leistungen herausgearbeitet, um so frühzeitig reagieren zu können. „Ressourcenverlust ist ein normaler Schritt des Alterns und zunächst nichts Dramatisches. Nur wenn die geistigen Verluste zu einer Beeinträchtigung in den Alltagsaktivitäten führen, sprechen wir von einer kognitiven Störung, die einer genauen Abklärung bedarf“, erklärt PD Dr. Martin Lauer, geschäftsführender Oberarzt sowie Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie. Die Untersuchung beinhaltet ein sehr umfangreiches ärztliches Gespräch, unterstützt durch Fragebogen für Angehörige, Laboruntersuchungen und mitgebrachte kernspintomografische Untersuchungen des Gehirns, um so eine genaue Diagnose und Therapie sicherzustellen. In manchen Fällen passt die allgemeine Verfassung nicht zum beschriebenen Verhalten. Insbesondere bei Verhaltensauffälligkeiten und Sprachstörungen wird dann eine weitergehende stationäre Diagnostik mit Nervenwasseruntersuchung und PET-Untersuchung vorgeschlagen. Mit dieser umfassenden Untersuchung kann ausgeschlossen werden, dass etwa ein Tumor das Gehirn belastet und Ursache für den Leistungsabbau ist. „In anderen Fällen sind diese kognitiven Beeinträchtigungen reversibel, also umkehrbar“, erklärt Dr. Lauer. So kann es manchmal der Verlust des Ehepartners, akuter Stress, eine Schilddrüsenfehlfunktion oder ein Vitaminmangel sein, die zu einer Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten führen. Solche Ursachen seien sehr gut behandelbar.
„Der interdisziplinäre Ansatz ist deshalb so wertvoll und zielführend, weil man sowohl Körper als auch Psyche medizinisch optimal adressieren und so die Heilung fördern kann. Das ist ein wichtiger Punkt gerade bei psychischen Erkrankungen.“

Dr. Alexandra Herr
Oberärztin Neurogerontopsychiatrische Tagesklinik, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Geriatrie
Eine in Würzburg einzigartige Möglichkeit für Patienten mit einer entsprechenden Diagnose bietet die Neurogerontopsychiatrische Tagesklinik. Die gemeinsame Einrichtung der Kliniken für Neurologie und Psychiatrie des UKW wird in Kooperation mit dem Bürgerspital in dessen Räumlichkeiten in der Semmelstraße betrieben, um ein innenstadtnahes Angebot für geriatrische Patienten zu ermöglichen. Bereits seit 2011 gibt es diese Einrichtung. Das Besondere: die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche unter einem Dach. So können geriatrische Patienten mit verschiedenen psychischen und neurologischen Erkrankungen zentral behandelt werden und dabei weiterhin zu Hause wohnen bleiben. Die Behandlung in der Neurogerontopsychiatrischen Tagesklinik richtet sich an eine spezifische Gruppe geriatrischer Patienten, nämlich jene, die noch mobil sind, die selbstständig leben können und deren Krankheitsverlauf nicht zu schwer ist.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit als Schlüssel zum Erfolg
Anders als in der Abteilung der Neurologischen Akutgeriatrie. Die Ärzte dort behandeln Menschen, die an der geriatrietypischen Multimorbidität, also an verschiedenen alterstypischen Erkrankungen, vor allem aber an einer neuropsychiatrischen Erkrankung leiden. Dabei richtet sich die Neurologische Akutgeriatrie vor allem an Menschen, die so schwer erkrankt sind, dass eine stationäre Behandlung erforderlich ist. „Typische Krankheitsbilder sind der Schlaganfall, das Delir oder die allgemeine Verschlechterung einer vorbestehenden neurodegenerativen Erkrankung wie Parkinson oder Alzheimer etwa infolge einer Operation“, erklärt Prof. Dr. Jens Volkmann, Klinikdirektor der Neurologie.
„Die Behandlung umfasst eine multimodale Therapie, die neben der akuten Krankheitsbehandlung auch umfangreiche rehabilitative Maßnahmen beinhaltet“, erläutert Prof. Volkmann den ganzheitlichen Ansatz. Durch die geriatrische Komplextherapie soll eine stationäre Pflegebedürftigkeit vermieden und eine Rückkehr in die häusliche Umgebung ermöglicht werden.
Hier fügen sich die Puzzleteile des interdisziplinären Behandlungskonzepts an der Uniklinik zusammen. „Die Neurogerontopsychiatrische Tagesklinik hat ein ausgewähltes Therapieangebot für noch mobile Patienten. Es können nach der Genesung und der Rückkehr in die häusliche Umgebung auch Patientinnen und Patienten aus der Neurologischen Akutgeriatrie dort weiterbehandelt werden“, erläutert Prof. Volkmann die Zusammenarbeit.

Ansprechpersonen sind vor Ort: Dr. Schwab im Gespräch mit einem Patienten.
„Zusammen mit dem ZAM wollen wir unseren Seniorinnen und Senioren mehr gesunde Lebensjahre schenken – mehr Zeit, in der sie körperlich und geistig fit sind. Wir wollen ein rüstiges Älterwerden mit hoher Lebensqualität ermöglichen.“

PD Dr. Martin Lauer
Leiter der Gedächtnisambulanz im ZEP, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie
Prävention von psychischen Erkrankungen
Dazu gehört jedoch nicht nur die Behandlung im Akutfall, sondern auch die Prävention. „Mit präventiven Maßnahmen ist bei psychischen und neurologischen Erkrankungen vieles möglich“, sagt Dr. Schwab. Eine ausgewogene Ernährung, ein bewusster Lebensstil und ausreichend Bewegung gehören hier ebenso dazu wie das Reduzieren von psychosozialen Stressfaktoren, die dann auslösend wirken können, oder, etwa im Falle einer Depression, eine medikamentöse Therapie, die das Ausbrechen der Krankheit verhindert.
Die medizinische Betreuung in der Tagesklinik bietet für geriatrische Patienten, die aus einer stationären Behandlung entlassen wurden, einen weiteren Vorteil: Der Übergang in den Alltag wird einfacher. Der Tag bleibt weiter strukturiert, medizinische Betreuung ist gewährleistet, Ansprechpersonen sind vor Ort – die Liste der Vorteile ließe sich mühelos fortsetzen. Und am Ende des Tages können die Patienten in ihre eigenen vier Wände zurückkehren.
Gerade diese gewohnten Strukturen, aber auch das soziale Umfeld sind es, die vielen Menschen Sicherheit geben. Ein Verlust könnte im Einzelfall die Erkrankung zusätzlich verstärken. „Tagesklinik bedeutet, dass die Menschen jeden Abend wieder in ihr Zuhause zurückkehren können. Sie müssen ihren Partner, ihren Hund oder ihr Wohnzimmer nicht zurücklassen. Für viele ist der Schritt so leichter“, erklärt Dr. Herr. „Gleichzeitig können wir direkt beurteilen, ob die Therapie auch im häuslichen Umfeld Erfolge bringt und sich eine Besserung einstellt.”
Die Rückkehr in das eigene Zuhause ist auch bei psychischen und neurologischen Diagnosen das zentrale Ziel – ebenso wie bei körperlichen Erkrankungen. Daher betont Dr. Schwab, Leiter des geriatrischen Konsildienstes der Medizinischen Klinik I: „Unsere Leitlinie in der Behandlung ist es, die Autonomie zu fördern und den älteren Menschen wieder in die Selbstständigkeit zu entlassen.“

Ausreichend Bewegung kann psychischen Erkrankungen im Alter vorbeugen.
Mit dem neuen Zentrum für Altersmedizin verbessert das UKW die Versorgung für die geriatrischen Patienten in Unterfranken dauerhaft. Ziel der frühzeitig einsetzenden geriatrischen Komplexbehandlung ist es, dass viele der Patientinnen und Patienten wieder aktiv am Alltagsleben teilhaben können. Genau hier setzt das neue Versorgungsangebot des UKW an.

Prof. Dr. Tim J. von Oertzen,
Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKW