Würzburg. Vor gut 22 Jahren entschied Tobias, das Sticker-Sammeln aufzugeben. Der damals Zwölfjährige hätte das bunte Aufkleber-Konvolut einfach entsorgt. Zu schade, wie seine Mutter Katja Ziegler fand. Stattdessen nahm die onkologische Fachkraft die vielen Abzieh-Blätter mit Smilies, Herzen, Tieren und Blüten mit an ihren Arbeitsplatz in der Chemotherapie-Ambulanz der Würzburger Universitäts-Frauenklinik. Dort begann sie aus einer spontanen Idee heraus, mit den fröhlichen Blickfängen die Therapiepässe der Krebspatientinnen zu verzieren. „Unsere Frauen erhalten dieses Dokument zu Beginn ihrer Behandlung. In das Heft werden die Diagnose sowie fortlaufend die Therapien, Laborwerte und Behandlungstermine notiert“, erläutert die erfahrene Pflegekraft. Nach ihren Worten hilft der Therapiepass sowohl den Patientinnen als auch den Ärztinnen und Ärzten der Frauenklinik und der Hausarztpraxen, einen guten Überblick zu behalten. Auch über lange Zeiträume, schließlich können sich die oft in Zyklen aufgeteilten Chemotherapien zum Teil über viele Monate erstecken.
Pro Ambulanzbesuch ein neuer Sticker
Trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieses ernsten Hintergrunds kam die „Verschönerungsmaßnahme“ bei den Patientinnen vom Start weg sehr gut an. Bei jeder Vorlage des Therapiepasses in der Anmeldung der Ambulanz wurde jeweils ein neuer Sticker platziert – so lange, bis die Sammlung von Tobias aufgebraucht war. „Als es dann plötzlich keine Aufkleber mehr gab, regnete es enttäuschte Nachfragen, so dass wir zuerst aus unserer Kaffeekasse neue Sticker nachkauften“, erinnert sich Katja Ziegler. Allerdings etablierte sich schnell und quasi ‚von selbst‘ der Brauch, dass manche Patientinnen von Zeit zu Zeit neue Aufkleber mitbringen. „Im Moment ist unsere Sticker-Schublade gut gefüllt“, versichert Schwester Katja augenzwinkernd.
Viele nette Reaktionen und kleine Anekdoten
Aus den über zwei Jahrzehnten, in denen diese Praxis nun schon gelebt wird, gibt es jede Menge kleine Geschichten und positive Reaktionen. Für Christina W. wird der Therapiepass durch die wachsende Bildersammlung „zu einer Art Poesiealbum“, während eine Mitpatientin berichtet, dass die Sprechstundenhelferinnen in der Hausarztpraxis immer ganz neugierig sind, welche neuen Motive es zu entdecken gibt.
Aktuell versüßt der Ehemann von Christina W. jede ihrer Chemotherapie-Sitzungen mit einem neuen Schmuckelement für ein Sammelarmband. Ob Schmetterling, Blüte oder Igel – bei der Motivwahl orientiert er sich am aktuellen Aufkleber im Therapiepass.
„Erstmal schlucken mussten wir, als wir von der vierjährigen Tochter einer Patientin erfuhren, die sich wünschte, auch krank zu sein, um auch so schöne Sticker zu bekommen“, berichtet Katja Ziegler und fährt fort: „Wir haben ihr dann zu ihrer großen Freude über ihre Mutter eine Aufkleberserie mit der ‚Eisprinzessin‘ nach Hause geschickt.“
Prof. Dr. Achim Wöckel, der Direktor der Frauenklinik, freut sich über die jahrelang gepflegte, „informelle“ Praxis: „Ganzheitliche Betreuung ist ein großes Wort. An diesem Beispiel zeigt sich, wie gut selbst ganz kleine Formen von freundlicher Zuwendung bei unseren Patientinnen ankommen können.“