Virtueller Zwilling soll Behandlung mit Krebsimmuntherapien verbessern

Ein internationales Team mit Würzburger Beteiligung hat im Dezember 2023 das Forschungsprojekt CERTAINTY gestartet. Gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und dem Gesundheitswesen will das Projektteam unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie IZI einen virtuellen Zwilling entwickeln, der zukünftig die Behandlung mit personalisierten Krebsimmuntherapien verbessern soll.

Mit den Krebsimmuntherapien hat sich in den vergangenen Jahren neben den klassischen Behandlungsoptionen (Chirurgie, Strahlen- & Chemotherapie) eine weitere Säule in der medizinischen Onkologie etabliert. Zu den Vorteilen personalisierter Behandlungsansätze wie der CAR-T-Zelltherapie gehört auch eine präzisere Phänotypisierung der individuellen Patientinnen und Patienten.

Digitales Abbild von molekularen und zellulären Merkmalen und klinischen Verlaufsdaten jedes Betroffenen

Für Diagnose, Therapieentscheidung und Verlaufskontrolle werden zahlreiche klinische, bildgebende, molekulare und zellanalytische Daten pro Patientin und Patient erhoben und verarbeitet. In der Gesamtheit aller Daten innerhalb eines Krankheitsbildes verbirgt sich ein enormes Potenzial, um Diagnose und Therapie für zukünftige Patientinnen und Patienten zu verbessern. Ein Ansatz zur Verwirklichung dieses Potenzials ist das Konzept des virtuellen Zwillings. Dabei werden bestimmte molekulare und zelluläre Merkmale einer Person sowie deren klinische Verlaufsdaten zu einem digitalen Abbild zusammengeführt und dieses anhand einer Reihe von Datenvariablen regelmäßig aktualisiert. Anhand von Vergleichsdaten von Krebskranken mit ähnlichen Merkmalen können durch den virtuellen Zwilling dann Prognosen zum Krankheitsverlauf oder zu verschiedenen Therapieoptionen simuliert werden.

Virtueller Zwilling für Behandlung des Multiplen Myeloms mit CAR-T-Zell-Therapien

Entsprechende Konzepte zum virtuellen Zwilling und erste, vielversprechende Modelle existieren bereits im Bereich der Herz-Kreislauferkrankungen. Im EU-Projekt CERTAINTY sollen nun Module für einen entsprechenden virtuellen Zwilling für die Behandlung von Krebskranken mit CAR-T-Zell-Therapien entwickelt werden. Dieses soll Ärztinnen und Ärzten zukünftig bei der Auswahl der bestmöglichen Therapie unterstützen und zudem das Gesundheitssystem durch den effizienteren Einsatz kostenintensiver Medikamente entlasten.

Der virtuelle Zwilling wird zunächst beispielhaft für das Multiple Myelom (MM), eine bösartige Erkrankung des Knochenmarkes, entwickelt. Vorgesehen ist, dass dieser die individuelle Pathophysiologie von Patientinnen und Patienten, die für zelluläre Immuntherapien in Frage kommen oder sich diesen unterziehen, umfassend wiedergibt und regelmäßig aktualisiert wird. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Integration molekularer Muster in die digitalen Berechnungsmodelle. Weitere Schlüsseltechnologien sind die Erhebung und Verarbeitung großer Datenmengen (Big Data Processing), maschinelles Lernen, personalisierte in vitro Modelle und softwaregestützte mechanistische Modelle. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung von Schnittstellen, die den Datenzugriff bzw. die Interaktion zwischen verschiedenen physischen und digitalen Systemen stets unter Berücksichtigung des Datenschutzes gewährleisten.  Weitere Aspekte, die im Projekt Berücksichtigung erfahren, sind die Einbindung sozioökonomischer Faktoren, die den Krankheitsverlauf beeinflussen können, sowie zukünftige Anwendungen für Patientinnen und Patienten.

UKW wird das “Virtual Twin” Konzept bei der CAR-T-Zell Therapie beim Multiplen Myelom einsetzen

Das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) ist in Europa als führende Institution in der Entwicklung und klinischen Anwendung innovativer Immuntherapien mit CAR-T-Zellen und T-Zell-aktivierenden Antikörpern anerkannt. Im Projekt CERTAINTY wird das UKW seine fundierte Expertise in der präklinischen, translationalen und klinischen Entwicklung von CAR-T-Zell-Therapien zur Behandlung des Multiplen Myeloms einbringen. Darüber hinaus wird das UKW seine Erfahrungen in der Entwicklung von KI-unterstützten Herstellungs- und Therapie-Modellen beisteuern. Ein zentrales Projektziel für das UKW in CERTAINTY ist es, das “Virtual Twin”-Konzept in präklinischen Modellen der CAR-T-Zell-Therapie zu verfeinern und perspektivisch auch in klinischen Studien zu evaluieren. Das UKW Projektteam in CERTAINTY wird von Dr. Miriam Alb am Lehrstuhl für Zelluläre Immuntherapie (Professor Michael Hudecek) an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II (Professor Hermann Einsele) geleitet. Das Team des Lehrstuhls für Zelluläre Immuntherapie koordiniert zahlreiche nationale und internationale Forschungsprojekte im Bereich der CAR-T-Zell-Therapie und des Multiplen Myeloms und verfügt über ein dichtes und lebendiges Netzwerk, das die Projektarbeit in CERTAINTY unterstützen und verstärken wird. 

Projektleitung: Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie

Das Fraunhofer IZI bringt neben der Projektleitung seine Expertise im Bereich der personalisierten Medizin und molekularen Diagnostik ein. Im Rahmen des Projektes wird das Institut digitale Berechnungsmodelle entwickeln, anhand derer individuelle Krankheitsverläufe mittels molekularer bzw. genetischer Muster von Patientinnen und Patienten oder CAR-T-Zellen identifiziert werden können.
Projektkoordinatorin Dr. Kristin Reiche, Leiterin der Arbeitsgruppe Bioinformatik am Fraunhofer IZI, erläutert: "Für CERTAINTY werden wir auf bestehende computergestützte Modelle der menschlichen Biologie aufbauen. Wir möchten diese mit neuartigen Modellen für genetisch modifizierte Immunzellen wie den CAR-T-Zellen kombinieren, um den individuellen Krankheits- bzw. Therapieverlauf für Patientinnen und Patienten zu modellieren."


Das EU Konsortium »CERTAINTY – A cellular immunotherapy virtual twin for personalized cancer treatment« wird von der Europäischen Union mit knapp 10 Millionen EUR über die nächsten 4,5 Jahre gefördert.

PARTNER
Fraunhofer-Gesellschaft, Deutschland
· Fraunhofer IZI (Projektkoordination)
· Fraunhofer SCAI
· Fraunhofer IMW
Universitätsmedizin Leipzig, Deutschland
Singleron Biotechnologies GmbH, Deutschland
Collaborate Project Management, Deutschland
Myeloma Patients Europe AISBL, Belgien
TriNetX Oncology GmbH, Deutschland
Masaryk University, Tschechische Republik
Information Technology for Translational Medicine, Luxemburg
Universitätsklinikum Würzburg, Deutschland
Institut Curie, Frankreich
University of Namur, Belgien
Universitair Medisch Centrum (UMC) Utrecht, Niederlande
Charité - Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT), Niederlande
HealthTree Foundation, USA
Roche Pharma AG, Schweiz

Myelom-Zellpräparat eines Patienten mit violetten Plasmazellen
Bei gesunden Menschen sollte höchstens jede zwanzigste Zelle des Knochenmarks eine Plasmazelle sein. In diesem Knochenmarkausstrich eines Myelompatienten sind deutlich mehr violette Plasmazellen zu sehen. © UKW

Bei gesunden Menschen sollte höchstens jede zwanzigste Zelle des Knochenmarks eine Plasmazelle sein. In diesem Knochenmarkausstrich eines Myelompatienten sind deutlich mehr violette Plasmazellen zu sehen. © UKW