„Der Zusammenhang von genetischen Faktoren und Depressionen ist mittlerweile unbestritten“, sagt Prof. Dr. Manuel Mattheisen. Der Leiter der Arbeitsgruppe für Psychiatrische Genetik und Epigenetik an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikums Würzburg fährt fort: „Da die Erkrankung klinisch und genetisch sehr komplex ist, müssen für jeden weiteren Wissensgewinn möglichst vielen Personen untersucht werden. Voraussetzung dafür sind neben nationalen Bemühungen die Zusammenarbeit in großen, internationalen Forschungskonsortien.“
Ein solches Konsortium unter Beteiligung von Prof. Dr. Manuel Mattheisen untersuchte die Gene von fast 500.000 Menschen – 135.000 Patienten mit Depressionen und mehr als 344.000 Kontroll-Personen. Die Ergebnisse der Studie wurden im April dieses Jahres in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Nature Genetics publiziert. „Es gelang uns, 44 Genorte zu identifizieren, die mit schweren Depressionen im Zusammenhang stehen“, berichtet Prof. Mattheisen, einer der Erstautoren der Studie. Mit Genort wird die genaue Lage eines bestimmten Gens oder eines genetischen Markers auf einem Chromosom bezeichnet. Von den identifizierten Genorten wurden 30 erstmals beschrieben, während 14 schon in früheren Studien entdeckt worden waren.
Die Tür zu den biologischen Ursachen aufstoßen
Die neuen Erkenntnisse sind die direkte Folge einer beispiellosen globalen Anstrengung von über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im internationalen Psychiatric Genomics Consortium (PGC) zusammenarbeiten. „Menschen, die eine höhere Zahl an genetischen Risikofaktoren in sich vereinen, tragen auch ein erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken. Wir wissen, dass viele weitere (Umwelt-) Faktoren eine Rolle spielen, aber die Identifikation dieser genetischen Zusammenhänge kann die Tür zu den biologischen Ursachen aufstoßen“, unterstreicht Dr. Naomi Wray von der University of Queensland in Australien, die zusammen mit Dr. Patrick F. Sullivan, Direktor des Zentrums für Psychiatrische Genomik an der University of North Carolina School of Medicine (USA), und einem Team von weiteren Autoren die Studie leitete. „Mit weiteren zukünftigen Forschungsbemühungen sollten wir in der Lage sein, Instrumente zu entwickeln, die für die Behandlung von schweren Depressionen wichtig sind“, sagt Dr. Sullivan.
In Zukunft bessere Prognosen zum Therapieerfolg möglich
Prof. Mattheisen ergänzt: „Im Bereich der Pharmakogenetik eröffnen die publizierten Befunde in der Zukunft neue Möglichkeiten, das Ansprechen von Therapien mit Antidepressiva vorherzusagen.“
Finanziert wurden die Metaanalyse und die darin enthaltenen Primärstudien vom US-amerikanischen nationalen Institut für psychische Gesundheit und dem nationalen Institut für Drogenmissbrauch, der niederländischen Wissenschaftsorganisation, der Dutch Brain Foundation und der VU Universität Amsterdam, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (Deutschland), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem National Health und Medical Research Council (Australien).
Über Depressionen
Eine deutlich verminderte Lebensqualität, Arbeitsunfähigkeit, stationäre Behandlungen und Frühverrentung sind nur einige der Komplikationen im Zusammenhang mit Depressionen. Sie sind die Folge von typischen Merkmalen wie Antriebshemmung, Gedankenschleifen und vermindertem Selbstwertgefühl, die im Extremfall zu Todesgedanken und Suizid führen können. Die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie bemüht sich durch Angebote wie Schwerpunktstationen und im Rahmen des Würzburger Bündnisses gegen Depression (Sprecher: Privatdozent Dr. Andreas Menke) zu einer besseren Therapie und Vorbeugung von Depressionen beizutragen. Dennoch: „Das persönliche Leid der Betroffenen und ihres Umfelds, wie Familie und Freunde, ist dramatisch und die volkswirtschaftlichen Folgen sind erheblich“, sagt Prof. Dr. Jürgen Deckert, Direktor des Zentrums für Psychische Gesundheit am Uniklinikum Würzburg, und fährt fort: „Die vorhandenen Therapien und Medikamente helfen nach wie vor nicht bei allen Patienten und der Forschungsbedarf ist deshalb immer noch groß.“
Literatur:
Nat Genet. 2018 Apr 26. doi: 10.1038/s41588-018-0090-3.
Genome-wide association analyses identify 44 risk variants and refine the genetic architecture of major depression.