148 Männer und Frauen mittleren Alters mit einer mindestens ein Jahr zuvor diagnostizierten Herzschwäche wurden über den Verlauf von drei Jahren im interdisziplinären Ansatz durch vier verschiedene Fachrichtungen – Neurologie, Psychologie, Neuroradiologie und Kardiologie – dreimal untersucht. Das Programm war umfangreich: von EKG und Herzultraschall, über neurologische Untersuchungen und neuropsychologische Tests bis hin zur Kernspintomographie (MRT). Das Kopf-MRT stellte eine besondere Herausforderung dar. „Da bei alleinig zu Studienzwecken durchgeführten MRTs keine Patienten mit metallischen Implantaten zugelassen sind, durften sie weder einen Herzschrittmacher oder Defibrillator haben, noch durfte die Gefahr bestehen, dass sie ein solches Implantat im Verlauf der Studiendauer benötigen werden. Diese Geräte sind bei vielen Herzschwächepatienten bereits implantiert, insbesondere bei fortgeschrittener Erkrankung. Wir untersuchten demnach eine vergleichsweise leichter betroffene Herzinsuffizienz-Kohorte“, berichtet die Studienleiterin Privatdozentin Dr. Anna Frey. „128 Patienten nahmen an der zweiten Untersuchung nach einem Jahr teil, 105 noch an der dritten nach drei Jahren.“
Stabiler klinischer Verlauf und Kognition unter optimierter Herzinsuffizienz-Therapie
Die Anzahl der Studienteilnehmer blieb bis zum Studienabschluss über den geplanten Erwartungen. Erfreulicherweise verstarben im Zeitraum von drei Jahren nur vier Patienten, und nur zehn Patienten mussten mindestens einmalig wegen Verschlechterung der Herzschwäche stationär behandelt werden. Die am Anfang der Studie vorhandenen kognitiven Einschränkungen waren im zeitlichen Verlauf im Mittel stabil. Teilweise fanden sich sogar geringfügige Verbesserungen. Lediglich die Defizite in der Aufmerksamkeit nahmen im Verlauf von drei Jahren etwas zu.
Prof. Dr. Stefan Störk, Leiter der Klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg erklärt diese Stabilität unter anderem mit den optimalen Studienbedingungen: „Mit einer optimierten Herzinsuffizienz-Therapie und der besonderen Unterstützung durch das Studienteam mit speziell ausgebildeten Herzinsuffizienz-Schwestern scheinen sich die zum Studienstart vorhandenen Defizite kaum zu verschlechtern.“ Das belegt einmal mehr die Notwendigkeit einer intensiven und individuellen Betreuung. Denn die durch die verminderte Herz- und Hirnleistung betroffenen Patienten befinden sich in einem Dilemma. Eine Herzinsuffizienz erfordert eine umfassende Therapie und exakte Medikamenteneinnahme. Demgegenüber stehen allerdings die Störungen des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit. Viele Patienten können aus diesem Grunde den Therapieplan nicht einhalten. Eine individuelle Betreuung durch eine Herzinsuffizienz-Schwester wirkt dem entgegen.
Verminderte Hirnleistung und verkleinerter Hippocampus bei schwachem Herzen
Es stellte sich unmittelbar die Frage, welche strukturellen Hirnveränderungen den kognitiven Leistungseinbußen zugrunde liegen. Die Basisuntersuchungen hatten bereits gezeigt, dass die Mehrzahl der Patienten mit Herzschwäche im Vergleich zu einer herzgesunden Kontrollgruppe der Grazer Universitätsklinik eine deutlicher ausgeprägte Atrophie des Hippocampus aufwiesen. Das heißt, genau die Hirnregion war verkleinert, die für unterschiedliche kognitive Funktionen, wie Gedächtnis, Erkennen und Verarbeiten von Inhalten, entscheidend ist. Der Gewebeschwund in dieser Hirnregion stand im Zusammenhang mit der kognitiven Beeinträchtigung der Studienteilnehmer: 41 Prozent der untersuchten Patienten zeigten Defizite in der Reaktionszeit, 46 Prozent im verbalen Gedächtnis und 25 Prozent im Arbeitsgedächtnis. Diese Ergebnisse aus der Studie „Cognition.Matters-HF“ wurden bereits im Jahr 2018 im Journal of the American College of Cardiology: Heart Failure veröffentlicht. Neu und bislang einzigartig ist die Analyse des Langzeitverlaufs von Kognition und bildmorphologischen Gehirnveränderungen, die jetzt im European Heart Journal publiziert wurde.
Automatisierte Auswertung der Kopf-MRTs
„Dabei kam eine computergestützte Analysetechnik der MRT-Gehirnbilder zum Einsatz die von Dr. György Homola im neuroradiologischen Team entwickelt wurde“, wie Prof. Dr. Mirko Pham, Leiter des Instituts für Neuroradiologie berichtet. „Dieses Auswerteprogramm erlaubt die auf Kubikmillimeter genaue Vermessung der Volumina einzelner Hirnregionen, wie dem Hippocampus. Damit kann vollautomatisiert ein objektiver Befund erhoben werden, der allerdings erheblichen Rechenaufwand erfordert. Mit Hilfe dieses Programms lassen sich dann feinste Veränderungen im zeitlichen Verlauf eindeutig bestimmen.“ Dabei bestätigte sich zunächst, dass Herzinsuffizienz-Patienten ein vermindertes Volumen des Hippocampus im Vergleich zu publizierten Normwerten aufweisen. Neu ist allerdings der Befund, dass der im Verlauf von drei Jahren zu beobachtende globale und lokale Verlust von Hirnsubstanz das Ausmaß des physiologischen Alterns nicht übersteigt. Die Schwere der Hippocampusatrophie korrelierte mit kognitiven Leistungseinbußen bei Studieneintritt, aber – eine beruhigende Nachricht für die Patienten – Betroffene zeigen keinen beschleunigten Abbau von Hirnsubstanz, zumindest solange das Ausmaß der Herzinsuffizienz stabil blieb.
Führt akutes Ereignis zu kognitiven Einschränkungen?
„Die Studienergebnisse legen die Hypothese nahe, dass wesentliche pathologische Prozesse in der Herz-Hirn-Interaktion, die zur umschriebenen Hirnatrophie und kognitiven Einschränkungen führen, vielleicht bereits weit vor der Entwicklung der Herzschwäche selbst im Rahmen der ursächlichen Grunderkrankungen, wie zum Beispiel einem akuten Myokardinfarkt entstehen“, vermutet Prof. Dr. Guido Stoll, leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Uniklinikum Würzburg. Dies ermutigt die Forscher zu weiteren interdisziplinären Untersuchungen, wie sie nur in einem Verbund unter dem Dach des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) möglich sind.
An der Studie waren federführend beteiligt: PD Dr. Anna Frey (Medizinische Klinik und Poliklinik I; DZHI), Prof. Dr. Stefan Störk (DZHI), Prof. Dr. Mirko Pham (Neuroradiologie) und Prof. Dr. Guido Stoll (Neurologie, DZHI). „Wir danken ganz herzlich unseren zahlreichen Mitarbeitern und natürlich unseren Patienten. Sie alle haben mit viel Kooperation und Einsatz die erfolgreiche Durchführung der Studie erst möglich gemacht“, so Anna Frey.
Die Arbeit ist am 26. Januar 2021 im European Heart Journal erschienen:
Anna Frey, György A Homola, Carsten Henneges, Larissa Mühlbauer, Roxane Sell, Peter Kraft, Maximilian Franke, Caroline Morbach, Marius Vogt, Wolfgang Müllges, Georg Ertl, László Solymosi, Lukas Pirpamer, Reinhold Schmidt, Mirko Pham, Stefan Störk, Guido Stoll, Temporal changes in total and hippocampal brain volume and cognitive function in patients with chronic heart failure—the COGNITION.MATTERS-HF cohort study, European Heart Journal, 2021;, ehab003, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab003
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