Von der Histologie und Pathologie der Nebenniere, also den spezifischen Funktionen des Gewebes und krankhaften Veränderungen dieser wichtigen Hormondrüsen, hatte die Wissenschaft bereits ein recht gutes Bild. Doch eine Übersicht über die einzelnen Zellen gab es bislang noch nicht. Somit waren die komplizierten molekularen Mechanismen, die der Selbsterneuerung der Nebenniere bei Erwachsenen zugrunde liegen, bisher kaum geklärt.
Schoeller-Junkmann-Preis der DGE für Zellatlas
Durch die Kombination von Einzelzelltechnologien, dem sogenannten Single Cell RNA Sequencing, und Transkriptom-Analysen, der Analyse aller zu einem Zeitpunkt in einer Zelle transkribierten Gene, hat Barbara Altieri vom Uniklinikum Würzburg gemeinsam mit Alim Kerim Secener vom Max Delbrück Center for Molecular Medicine in Berlin, nun einen umfassenden Zellatlas der gesunden Nebenniere erstellt.
„Damit konnten wir zum einen das bestätigen, was bereits bekannt war, zum anderen aber auch Neues entdecken“, berichtet Barbara Altieri. „Wir haben unter anderem zwei neue bislang unbekannte Zelltypen identifiziert.“ Die eine Stammzelle wandelt sich später zu adrenalinproduzierenden Zellen im Nebennierenmark um, die andere ist der Vorgänger von hormonproduzierenden Zellen in der Nebennierenrinde.
Allein die Entwicklung dieses weltweit ersten umfassenden Zellatlas für die Nebenniere war der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) eine Auszeichnung wert. Bei der diesjährigen Jahrestagung verlieh die DGE den traditionsreichen und mit 12.000 Euro dotierten Schoeller-Junkmann-Preis an Barbara Altieri und Ali Kerim Secener. Molekulare
Heterogenität der gutartigen Nebennierenrindenkarzinome
Ein weiteres Projekt folgte: Der Zellatlas ermöglicht nicht nur ein besseres Verständnis der Selbsterneuerung der Nebenniere - die Nebenniere muss sich permanent selbst erneuern um die wichtigen Steroidhormone zu produzieren wie etwa das Stresshormon Cortisol, das Geschlechtshormon Androstendion oder Aldosteron, welches den Salz- und Wasserhaushalt reguliert. Der Zellatlas gibt auch Einblicke in die molekularen Mechanismen, die der Tumorentstehung in der Nebennierenrinde zugrunde liegen und hilft bei der Charakterisierung der Tumorzellen. Barbara Altieri hat das Transkriptionsprofil von gesunden Nebennieren mit denen von Nebennieren mit gutartigen Tumoren verglichen. „Der Vergleich hat eine deutlich größere Heterogenität dieser Tumorentität offenbart, als man bisher angenommen hatte. Es haben sich verschiedene spezifische Zellpopulationen gezeigt, die je nach Hormonproduktion und Mutationsstatus des Tumors unterschiedlich verteilt sind“, schildert Barbara Altieri ihre Entdeckung. Das bedeutet, dass uns nun weitere Charakteristika zur Verfügung stehen, um das Risiko einer Tumorerkrankung besser einzuschätzen, gegebenenfalls engmaschiger zu kontrollieren und gezielter behandeln zu können“, erläutert Barbara Altieri.
Auszeichnungen durch die European Society of Endocrinology
Eine ausgezeichnete Entdeckung befand die European Society of Endocrinology (ESE) und verlieh Barbara Altieri für ihre neuen Erkenntnisse über die molekulare Pathogenese von gutartigen Nebennierentumore anhand des Zellatlas Ende Mai auf dem European Congress of Endocrinology in Mailand (Italien) den Young Investigator Award. Zeitgleich wurde die gebürtige Italienerin und Wahl-Würzburgerin ins ESE Young Endocrinologists & Scientists (EYES) Committee gewählt. Die 37-Jährige vertritt nun vier Jahre lang als ein Mitglied von insgesamt sechs europäischen NachwuchswissenschaftlerInnen Deutschland. „Eine große Ehre!“, sagt sie. Die engagierte Ärztin hatte bereits während ihrer Facharztausbildung und Doktorarbeit längere Forschungsaufenthalte am Uniklinikum Würzburg, wo sie seit drei Jahren fest als PostDoc am Lehrstuhl für Endokrinologie und Diabetologie tätig ist.
Im nächsten Schritt will sie mit ihrem Team die Methoden für die Untersuchung von bösartigen Nebenrindenkarzinomen einsetzen und deren Transkriptomprofil mit dem von normalen Nebennieren und gutartigen so genannten adrenokortikalen Tumoren vergleichen.
„Ich freue mich sehr über die Auszeichnungen dieser großartigen Arbeit. Unser Zellatlas der Nebenniere stellt eine einzigartige Quelle für die Untersuchung von Nebennierenerkrankungen dar“, kommentiert Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter der Endokrinologie am Uniklinikum Würzburg.
Projektbeschreibungen:
Die Projekte sind Teil eines großen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts, das unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Fassnacht und Privatdozentin Dr. Cristina Ronchi aus Würzburg sowie Dr.Sascha Sauer vom Max Delbrück Center for Molecular Medicine in Berlin steht. Titel: Aufklärung der molekularen Pathogenese von Nebennierenrindentumoren durch funktionelle Genomik (Projektnummer 405560224). gepris.dfg.de/gepris/projekt/405560224;
Ein Teil der Forschungen fand zudem im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Transregio 205 „Nebenniere“ statt.
Abstract Young Investigator Award ESE 2022: Single-nuclei transcriptome of adult human adrenal glands reveals novel insights into molecular mechanisms intrinsic to adrenocortical tumourigenesis and cortisol secretion. Barbara Altieri , Ali Kerim Secener , Somesh Sai , Cornelius Fischer , Silviu Sbiera , Panagiota Arampatzi , Sarah Vitcetz , Caroline Braeuning , Sascha Sauer , Martin Fassnacht & Cristina Ronchi - www.endocrine-abstracts.org/ea/0081/ea0081yi2