Am 21. September 2023, wenige Tage vor dem Brustkrebsmonat Oktober hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die obere Altersgrenze für die Teilnahme am Früherkennungsprogramm auf Brustkrebs um 5 Jahre erweitert. Zukünftig können alle Frauen im Alter von 50 bis 75 Jahren alle zwei Jahre am Mammographie-Screening teilnehmen. „Das war eine ganz wichtige Entscheidung“, sagt Dr. Stephanie Sauer, Oberärztin und Leiterin der Gynäkologischen Radiologie am Uniklinikum Würzburg. „Die Menschen, und damit unsere Patientinnen werden älter, die Therapien besser. Das heißt, auch ältere profitieren vom Mammographie-Screening-Programm, das zwischen 2005 und 2009 flächendeckend in Deutschland eingeführt wurde. Eine frühe Entdeckung geht in der Regel mit einer schonenderen Behandlung und besseren Heilungschance einher.“
Mammographie-Screening? Unbedingt!
Sollte jede Frau zwischen 50 und 75 die Früherkennung wahrnehmen? „Unbedingt!“, meint Stephanie Sauer. Den Bedenken, die einige noch der Früherkennung entgegenbringen, wie etwa eine sogenannte Überdiagnose - es wird Brustkrebs gefunden, der aber nicht Lebens-limitierend ist - und darauffolgende nicht zwingend notwendige Behandlungen oder belastende falsch-positive Befunde, die sich nach weiteren Untersuchungen oder Gewebeentfernungen als gutartig erweisen, entgegnet die Radiologin: „Jede Patientin ist anders und wir müssen natürlich hören, was sie möchte und ihre Bedenken berücksichtigen. Schließlich muss sie die Entscheidung über das weitere Vorgehen mittragen. Wir haben aber inzwischen eine sehr gute Datenlage und können gut beraten.“
UKW liefert zertifizierte Fallsammlung für deutschlandweite Weiterbildung
Damit das auch weiterhin fundiert möglich ist, wird großer Wert auf eine umfassende Ausbildung gelegt. Einen wichtigen Baustein mit nationaler Beachtung hat Stephanie Sauer jetzt gemeinsam mit Dr. Sara Christner und Dr. Philip Gruschwitz mit dem Programm „Blended Learning Mammadiagnostik“ gelegt. Das Team aus Würzburg hat ein digitales und interaktives Konzept entwickelt, mit dem sie anhand von 500 Fällen das gesamte Spektrum der Mammadiagnostik zeigen. Für ihre Fallsammlung wurden sie auf dem Röntgenkongress in Wiesbaden in diesem Jahr von der Deutsche Röntgengesellschaft e.V. (DRG) mit dem Eugenie-und-Felix-Wachsmann-Innovationspreis 2023 geehrt.
Die Idee ist aus einem hauseigenen Problem geboren. Angehende Radiologinnen und Radiologen müssen in der Mammadiagnostik 1.500 Fälle sehen, bevor sie die Facharztprüfung ablegen dürfen. Da viele Screening-Untersuchungen jedoch bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten stattfinden, und durch die gestiegene Zahl an Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie die Rotationszeiten verkürzt werden mussten, war es kaum möglich, diese hohe Fallzahl zu erfüllen. „Also haben wir eine Mischung aus 500 seltenen, häufigen, schwierigen und leichten Fällen zusammengestellt, diese didaktisch aufgearbeitet, sodass nun eine fundierte Ausbildung möglich ist“, erläutert Stephanie Sauer. Und das nicht nur am UKW, sondern in ganz Deutschland. „Da wir nicht die einzigen sind, die dieses Problem hatten, stellen wir unsere, übrigens von der DRG zertifizierten Fälle auf der digitalen Lernplattform conrad zur Verfügung.“
Prof. Dr. Thorsten Bley, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie*, schreibt die hohe Zahl der geforderten Untersuchungen in der Weiterbildung der Relevanz der Mammadiagnostik, aber noch mehr den spezifischen Anforderungen bei der Durchführung und Interpretation der Mammographien zu: „Radiologinnen und Radiologen müssen eine ganz besondere Sensitivität entwickeln, um die mikroskopisch kleinen Strukturen, den Mikrokalk, aufzuspüren sowie Überlagerungen im Weichgewebe der Brust von pathologischen Befunden unterscheiden zu können. Das erfordert eine immense Erfahrung, die durch Training anhand zahlreicher Untersuchungen erlangt werden kann.“
Radiologie: Dreh- und Angelpunkt im Brustzentrum - enger Austausch im Interdisziplinären Team
Mit Detektivarbeit vergleicht Stephanie Sauer ihren Arbeitsalltag. Die Radiologin hat die europäische Prüfung für Brustbildgebung der European Society of Radiology (ESR) absolviert und trägt den Titel EBBI (European Board of Breast Imaging), der ihre Kompetenz in den Bereichen Mammographie, Ultraschall, MRT sowie bei der Durchführung von Brusteingriffen bescheinigt. „Wir müssen immer ein bisschen puzzeln, um herauszufinden, wo das Problem liegt. Das ist unglaublich spannend und sehr schön, da wir dabei eng mit den anderen Fachdisziplinen wie Pathologie, Gynäkologie, Onkologie, Chirurgie und plastische Chirurgie zusammenarbeiten.“ Einmal pro Woche sitzen sie gemeinsam im Rahmen der interdisziplinären Brustkonferenz (IBK) an einem Tisch und beraten über etwa 20 bis 25 neue Fälle. Es wird geprüft, ob der pathologische Befund zum Bild passt, ob das, was bereits an Befunden erhoben wurde wirklich der Gesamtausdehnung entspricht, welche Therapiebausteine am besten zur Person und zum Krankheitsbild passen. Die Radiologie habe hier einen großen Anteil an der Entscheidung über die weiteren Schritte. Neben dem wöchentlichen Tumorboard hat Stephanie Sauer täglich mehrmals Kontakt zu ihren Kolleginnen und Kollegen im Brustzentrum, um sich kurzfristig zu besprechen. „Da unsere Mammadiagnostik im Gebäude der Frauenklinik ist, sind wir räumlich nah beieinander, wovon auch die Patientinnen und Patienten extrem profitieren, da sie fast alle Termine unter einem Dach haben.“ Das sei schon besonders.
Auch deshalb sei ihre Fachrichtung so schön und unterscheide sich von anderen radiologischen Bereichen: Sie hat stetigen Kontakt zu den Patientinnen und Patienten. Einige sieht sie, wenn sie mit einem Tastbefund oder einem unklaren Befund von niedergelassenen gynäkologischen oder radiologischen Praxen überwiesen werden, andere, wenn sie von der hausinternen Gynäkologie kommen, um deren Diagnostik zu ergänzen. „Wir bieten hier am UKW die komplette Palette der Diagnostik!“, so Sauer. „Und ich kann den gesamten Verlauf ihrer Erkrankung von Diagnosestellung bis Therapie und sogar noch der Nachsorge mitbegleiten.“
Prof. Dr. Achim Wöckel, Direktor der Frauenklinik am UKW ergänzt: „Die sehr enge und zukunftsweisende Kooperation zwischen Frauenklinik und der Radiologie unter dem gleichen Dach bringt enorme Vorteile für die Betroffenen. Enge Abstimmungen zwischen der Frauenklinik und der Radiologie optimieren die Versorgung der Patientinnen und führen zu einer deutlich höheren Qualität von der Diagnostik, über die multimodale präoperative Markierung bis hin zur individuellen Nachsorge. Es ist eine große Freude diesen Erfolg in einem hochmotivierten Team begleiten zu dürfen."
Mammasonographie – 2D- und 3D-Mammographie – Magnetresonanztomographie
Was beinhaltet die Mammadiagnostik? Die Ultraschalluntersuchung, auch Mammasonographie genannt, ist sehr breit verfügbar und vor allem bei dichtem Brustgewebe hilfreich. Die Mammographie hingegen ist nur in der Radiologie möglich. „Bei der Röntgenuntersuchung sehen wir Mikroverkalkungen, die wir sonst mit keiner anderen bildgebenden Modalität sehen“ erklärt Stephanie Sauer. In solchen Mikroverkalkungen können klassische Krebsvorstufen, ein so genanntes DCIS, stecken. Seit vielen Jahren gibt es im Brustzentrum ein Mammographiegerät mit integrierter Tomosynthesefunktion und seit letztem Jahr nun auch eine sehr gute Datenlage zum Einsatz der Tomosynthese in der Früherkennung. „Damit erhalten wir einen quasi 3D-Blick auf die Brust, was vor allem bei dichtem Brustgewebe hilfreich ist“, so Stephanie Sauer. Das dritte bildgebende Verfahren in der Mammadiagnostik ist die Magnetresonanztomographie (MRT). Dabei handelt es sich um eine funktionelle Bildgebung. „Ein Tumor der schnell wächst, hat einen hohen Energiebedarf und wird besonders gut durchblutet. Entsprechend gut nimmt er das Kontrastmittel auf, das wir dann auf den Bildern sehen“, erläutert Stephanie Sauer die Vorteile. Das MRT-Verfahren ist zur präoperativen Planung, aber speziell auch für Hochrisikopatientinnen nützlich, denen aufgrund einer familiären Häufung an Brustkrebserkrankungen oder besonderen Krebssubtypen ein intensiviertes Früherkennungsprogramm empfohlen wird. „Da man hier am allerschnellsten am allermeisten findet, erhalten diese Patientinnen bereits ab dem Alter von 25 oder 30 Jahren im jährlichen Rhythmus eine MR-Untersuchung“, so Stephanie Sauer, deren Forschungsschwerpunkt in einem Spezialbereich der MRT, der diffusionsgewichteten Bildgebung (DWI) liegt.
Biopsie zur Abklärung von Befunden
Wird in der Bildgebung eine Auffälligkeit entdeckt, steht häufig eine Biopsie an, also die Entnahme einer Gewebeprobe aus Knoten und Herdbefunden. Auch die hat sich in den letzten Jahren mit dem Upright-Biopsiesystem für die Mammographie weiterentwickelt. Die Patientinnen liegen nicht mehr bäuchlings auf einem Tisch, sondern können aufrecht am Mammographiegerät sitzen. „Dadurch kommen wir an Stellen, die vorher nicht erreichbar waren“, erklärt Stephanie Sauer. Die Bildqualität sei besser und das Verfahren wesentlich schneller und angenehmer für die Patientinnen. Darüber hinaus kann ultraschallgesteuert oder im MRT biopsiert werden, oder natürlich operativ der Befund histologisch gesichert werden. Vor der offenen Biopsie wird die verdächtige Stelle in der Radiologie mit einem dünnen Draht markiert; ein Verfahren, das auch bei bereits bekanntem Brustkrebs im Rahmen der operativen Therapie zum Einsatz kommt. Die feingewebliche Analyse und Ausdehnung bestimmen das weitere Vorgehen.
Wie wirkt sich das Mammographie-Screening aus? Laut Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert Koch Instituts konnte gezeigt werden, dass in der Screening-Altersgruppe zuletzt weniger Frauen an fortgeschrittenen Tumoren erkrankten als vor Einführung des Screenings. Seit Ende der 1990er Jahre gehen die Sterberaten an Brustkrebs kontinuierlich zurück, zuletzt am stärksten bei Frauen zwischen 55 und 69 Jahren.
*Interview mit Prof. Dr. Thorsten Bley zum Programm Blended Learning Mammadiagnostik