Aktuelle Pressemitteilungen

Aktuelle Aspekte zum Multiplen Myelom

Am Donnerstag, den 4. Juli 2024, lädt das Uniklinikum Würzburg alle Interessierten zum 23. Myelom-Forum ein. Der Informationstag beleuchtet erneut aktuelle Aspekte aus der Erforschung, Diagnostik und Therapie der Blutkrebserkrankung.

Das 23. Myelom-Forum des Uniklinikums Würzburg findet am 4. Juli 2024 im Zentrum für Innere Medizin statt.
Das 23. Myelom-Forum des Uniklinikums Würzburg findet am 4. Juli 2024 im Zentrum für Innere Medizin statt. © Thomas Pieruschek / UKW

Würzburg. Am Donnerstag, den 4. Juli 2024 veranstaltet die Medizinische Klinik II des Uniklinikums Würzburg (UKW) ihr 23. Myelom-Forum. Der langjährig etablierte Infotag richtet sich erneut an von der bösartigen Krebserkrankung des Knochenmarks Betroffene, deren Angehörige sowie alle sonstig Interessierte. Im Hörsaal 1 des Zentrums für Innere Medizin (ZIM) an der Oberdürrbacher Straße greifen sechs laienverständliche Vorträge Themen aus Forschung, Diagnostik und Therapie auf.

Aussichtsreiche Therapiewaffen

„Mit in Deutschland jährlich 5000 bis 6000 Neuerkrankungen ist das Myelom nach der Leukämie die zweithäufigste Blutkrebserkrankung“, berichtet Prof. Dr. Hermann Einsele. Der Direktor der „Med II“ und Myelom-Experte fährt fort: „Glücklicherweise hat die Behandlung hier in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht.“ Zu den aussichtsreichen Therapiewaffen zählen nach seinen Angaben Immuntherapien mit Antikörpern oder Gen-manipulierten T-Zellen, den so genannten CAR-T-Zellen. Mit dem europaweit größten Myelom-Programm spielt das UKW bei der Erforschung, Anwendung und Ausweitung dieses neuen Arzneimittelprinzips eine international bedeutende Rolle. Einer der Forumsvorträge wird verdeutlichen, wie Patientinnen und Patienten von den vielen am UKW angebotenen klinischen Studien profitieren können. 

Besseres Verständnis der Krankheit

„Auch das Wissen über die grundsätzlichen Eigenschaften der Erkrankung wächst kontinuierlich. Beim Forum werden die Zuhörerinnen und Zuhörer zum Beispiel mehr über die individuellen Ausprägungen des Myeloms erfahren“, kündigt Prof. Einsele an. Die hier in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse sind nach seinen Worten für noch zielführendere Therapien höchst relevant. 

Lebensqualität zurückgewinnen

Es steht außer Frage, dass die Symptome der schweren Erkrankung selbst, aber auch die Nebenwirkungen in deren Therapie die Psyche der Betroffenen stark belasten und die Lebensqualität einschränken können. Ein Experte der Psychoonkologie wird beim Forum ganz lebenspraktisch aufzeigen, was die Patientinnen und Patienten in dieser fordernden Situation selbst für ihr Wohlbefinden tun können. 

Bitte rechtzeitig anmelden

Die Veranstaltung startet um 15:00 Uhr. Nach jedem Vortrag haben die Teilnehmenden Gelegenheit, Fragen zu stellen. Die Teilnahme am Forum ist kostenlos, eine Spende von 10 Euro an die Stiftung „Forschung hilft“ wird jedoch gerne entgegengenommen. Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl ist eine Anmeldung bis 26. Juni 2024 wichtig bei Gabriele Nelkenstock, der Selbsthilfebeauftragten des UKW, unter E-Mail: selbsthilfe@ukw.de.

Das genaue Programm findet sich im Veranstaltungskalender unter www.ukw.de/medizinische-klinik-ii


Über das Multiple Myelom

Das Multiple Myelom ist eine Untergruppe des Lymphknotenkrebses. Dabei entarten im Knochenmark bestimmte Immunzellen. Sie überfluten den Körper mit fehlerhaft produzierten Antikörpern, unterdrücken durch ihr aggressives Wachstum die Blutbildung und schädigen durch verstärkten Knochenabbau das Skelett.

 

Text: Pressestelle / UKW

Das 23. Myelom-Forum des Uniklinikums Würzburg findet am 4. Juli 2024 im Zentrum für Innere Medizin statt.
Das 23. Myelom-Forum des Uniklinikums Würzburg findet am 4. Juli 2024 im Zentrum für Innere Medizin statt. © Thomas Pieruschek / UKW

Optimale Therapie für Intensivpatienten

Neuartiges Videokonferenzsystem ermöglicht telemedizinische Verbindung zu Zentren der medizinischen Maximalversorgung

Die mobilen Visitenwagen erlauben die gemeinsame Beurteilung von Patienten mit einem Facharzt eines intensivmedizinischen Zentrums
Die mobilen Visitenwagen erlauben die gemeinsame Beurteilung von Patienten mit einem Facharzt eines intensivmedizinischen Zentrums: Dr. med. Nora Schorscher (links), Leiterin des Pilotprojekts Tele-Intensivmedizin am Universitätsklinikum Würzburg, bei der Übergabe des Systems an das Team der Intensivstation der Klinik Dinkelsbühl. Auch die kaufmännische Direktorin der Kliniken Dinkelsbühl und Rothenburg, Amelie Becher, sowie Marcel Fleig (rechts), Bereichsleitung Strategie und Kommunikation am Klinikum Nürnberg, verfolgten dort die Einführung des Systems. Foto: ANregiomed/Tyler Larkin
Auch auf der Intensivstation der Klinik Rothenburg ist ein mobiler Visitenwagen im Einsatz.
Auch auf der Intensivstation der Klinik Rothenburg ist ein mobiler Visitenwagen im Einsatz. Projektleiterin Dr. Nora Schorscher (2. v. r.) übergab das System dort an Anästhesie-Chefarzt Dr. Mathias Kilian (Mitte). Neben der kaufmännischen Direktorin Amelie Becher begleitete auch Dr. Ralph Schulze, Leitender Oberarzt der Inneren Medizin, als einer der zukünftigen Hauptnutzer die Installation der neuen Technologie. Foto: ANregiomed/Rainer Seeger

Die ANregiomed-Kliniken Dinkelsbühl und Rothenburg sind ab sofort Partner im „Netzwerk Teleintensivmedizin Bayern“ (NETIB). Im Rahmen eines Projekts des Uniklinikums Würzburg (UKW) sollen Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung besser an die Strukturen großer Kliniken angebunden werden, um schwer erkrankten Patienten auch außerhalb von Zentren der medizinischen Maximalversorgung eine optimale Therapie anzubieten. Über mobile Terminals, die auf den Intensivstationen bereitstehen, können Patienten telemedizinisch vorgestellt und die weitere Behandlung besprochen werden.

Per E-Mail wird zunächst ein webbasierter Fragebogen übermittelt, der in wenigen Sätzen Patientendaten, Vorerkrankungen und bisherigen Krankheitsverlauf beschreibt. Damit wird der Patient bei der teleintensivmedizinischen Zentrale am UKW angemeldet. Der Kontakt mit einem erfahrenen Facharzt mit Weiterbildung Intensivmedizin erfolgt unmittelbar danach per Videocall.

„Unsere mobilen Visitenwagen erlauben einen umfangreichen Datenaustausch aller wichtigen Parameter“, erklärt Dr. med. Nora Schorscher, Fachärztin für Anästhesiologie mit der Zusatzbezeichnung Intensivmedizin und Leiterin des Pilotprojekts Tele-Intensivmedizin am UKW. Das eingebaute Videokonferenzsystem ermöglicht den Kontakt zwischen den behandelnden Medizinern und über eine zusätzliche Kamera auch die Beurteilung des Patienten mit Bild und Ton. Auch ein Dokumentenscanner ist Teil des Systems, über den Befunde und andere gedruckte Informationen direkt übertragen werden können.

„Die telemedizinische Vernetzung mit einem spezialisierten Zentrum ermöglicht die Unterstützung bei der Beurteilung schwerstkranker Intensivpatienten“, so Dr. Schorscher weiter. „Wir bieten den Kolleginnen und Kollegen vor Ort ein umfangreiches intensivmedizinisches Konsil. Gemeinsam wird dann entschieden, wie die Therapie optimal fortgesetzt werden kann. Falls notwendig, kann auch frühzeitig die Verlegung in ein Zentrum organisiert werden, etwa zur ECMO-Therapie bei schwersten Schädigungen von Herz und Lunge, wenn andere Verfahren nicht die notwendige Besserung versprechen.“

Technisch läuft das System über „Zoom On-Premise“, eine spezielle Variante des bekannten Videokonferenzsystems. Die Übertragung der Inhalte erfolgt allerdings – anders als bei den gängigen Zoom-Meetings und -Webinaren – nicht über wechselnde internationale Server, sondern über das streng abgesicherte Netzwerk der Uniklinik Würzburg, wo alle Kontakte auch zentral dokumentiert werden. Auf diese Weise ist höchstmögliche Sicherheit und eine hohe Stabilität des Konferenzsystems gewährleistet.

Während das Klinikum Ansbach bereits als regionaler Kooperationspartner am Pilotprojekt teilgenommen hat, zählen nun auch die Kliniken Dinkelsbühl und Rothenburg zu den ersten zehn bayerischen Häusern, die an das System angebunden sind. Bis zum Jahresende soll bayernweit eine Bereitstellung in der Fläche möglich sein. Dazu stehen als weitere Partner die Universitätskliniken Augsburg, Erlangen und Regensburg, die LMU München, das Klinikum Rechts der Isar und jüngst auch das Klinikum Nürnberg zur Unterstützung bereit.

 

Medieninformation ANregiomed Ansbach vom 17. Juni 2024

Die mobilen Visitenwagen erlauben die gemeinsame Beurteilung von Patienten mit einem Facharzt eines intensivmedizinischen Zentrums
Die mobilen Visitenwagen erlauben die gemeinsame Beurteilung von Patienten mit einem Facharzt eines intensivmedizinischen Zentrums: Dr. med. Nora Schorscher (links), Leiterin des Pilotprojekts Tele-Intensivmedizin am Universitätsklinikum Würzburg, bei der Übergabe des Systems an das Team der Intensivstation der Klinik Dinkelsbühl. Auch die kaufmännische Direktorin der Kliniken Dinkelsbühl und Rothenburg, Amelie Becher, sowie Marcel Fleig (rechts), Bereichsleitung Strategie und Kommunikation am Klinikum Nürnberg, verfolgten dort die Einführung des Systems. Foto: ANregiomed/Tyler Larkin
Auch auf der Intensivstation der Klinik Rothenburg ist ein mobiler Visitenwagen im Einsatz.
Auch auf der Intensivstation der Klinik Rothenburg ist ein mobiler Visitenwagen im Einsatz. Projektleiterin Dr. Nora Schorscher (2. v. r.) übergab das System dort an Anästhesie-Chefarzt Dr. Mathias Kilian (Mitte). Neben der kaufmännischen Direktorin Amelie Becher begleitete auch Dr. Ralph Schulze, Leitender Oberarzt der Inneren Medizin, als einer der zukünftigen Hauptnutzer die Installation der neuen Technologie. Foto: ANregiomed/Rainer Seeger

Veränderte Thrombozyten unter ECMO erhöhen Sterberisiko - Neue Ansätze zur Blutungsprävention

Universitätsmedizin Würzburg identifiziert GPV-Rezeptor als Ziel gegen Blutungsereignisse bei ECMO

Neue Studie vom UKW zeigt, dass die ECMO-Behandlung zu Veränderungen in Thrombozyten führt, was mit einer erhöhten Blutungsneigung einhergeht. Der GPV-Rezeptor auf den Blutplättchen wurde als mögliches Ziel zur Vermeidung von Blutungen identifiziert.

 

Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO)
Mit einer künstlichen Lunge kann im ARDS/ECMO-Zentrum der Würzburger Anästhesiologie das akute Lungenversagen behandelt werden. Die Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) basiert auf einer pumpenunterstützten Blutumleitung, bei der über eine Membrane das Kohlendioxid entfernt und gleichzeitig das Blut mit Sauerstoff angereichert wird. © UKW
Die Thrombozyten wurden mittels speziellem, hochauflösenden Mikroskopieverfahren (Konfokale Mikroskopie, Whole-Mount Transmissionselektronenmikroskopie) dargestellt. Die Daten zeigen, dass es unter ECMO-Therapie zu einem Verlust der δ-Granula (dargestellt in cyan in Abbildung A) und δ-Granula (roter Pfeil, Abbildung B) kommt. © AG Schulze / Institut für Experimentelle Biomedizin / UKW

Würzburg. Für Patientinnen und Patienten mit akutem Lungenversagen, kurz ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome), kann die veno-venöse extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) die letzte Therapiemöglichkeit und damit lebensrettend sein. Das intensivmedizinische Verfahren, bei dem zuvor entnommenes Blut mit Sauerstoff angereichert und wieder zurückgeführt wird, ist jedoch mit potenziellen Komplikationen verbunden. Insbesondere Blutungsereignisse schränken den Erfolg der Therapie ein. Auch die Gabe von Antikoagulanzien kann die Bildung von Blutgerinnseln nicht vollständig verhindern, zudem erhöhen Blutverdünner das Blutungsrisiko. Bei diesen Blutungsereignissen spielen die Blutplättchen eine entscheidende Rolle. Die so genannten Thrombozyten können sowohl Blutungen stillen als auch Infarkte auslösen und Entzündungsprozesse in Gang setzen.

In einem interdisziplinären Projekt am Universitätsklinikum Würzburg haben Forschende der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Experimentelle Biomedizin und der Medizinischen Klinik und Poliklinik I die Thrombozyten im Blut von ARDS-Patientinnen und -Patienten mit und ohne ECMO-Therapie systematisch untersucht. Die Ergebnisse wurden in der weltweit renommierten Thrombose-Fachzeitschrift Journal of Thrombosis and Haemostasis (JTH) veröffentlicht.

Reduzierter GPV-Rezeptor auf Thrombozyten erhöht Sterberisiko 

Dr. Johannes Herrmann, zusammen mit Dr. Lukas Weiß Erstautor der Studie, erläutert die Beobachtungen: „Unter der ECMO-Behandlung stellten wir Veränderungen an den Oberflächenrezeptoren der Thrombozyten fest. Besonders auffällig war eine Reduktion des Glykoprotein-V-Rezeptors. Diese Untereinheit des GPIb/IX/V-Rezeptorkomplexes spielt eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung und wurde bereits in Würzburger Vorarbeiten als möglicher Angriffspunkt zur Verhinderung von Blutungen identifiziert. Und tatsächlich: Eine geringere Anzahl von GPV-Rezeptoren war mit einer geringeren Überlebensrate der Patientinnen und Patienten verbunden“.
Zudem beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der ECMO-Therapie eine verminderte Thrombozytenfunktion und eine Entleerung der zellulären Speicher (δ-Granula) in den Thrombozyten. „Dies führte zu einer gestörten Blutgerinnselbildung und einer verlängerten Blutungszeit, ähnlich wie bei Patientinnen und Patienten mit einem Speicherdefekt, dem sogenannten Storage Pool Defect, bei denen es ebenfalls häufig zu Blutungen kommt“, berichtet Lukas Weiß. Interessanterweise normalisierte sich die Thrombozytenfunktion innerhalb von 48 Stunden nach Ende der ECMO-Behandlung deutlich. 

Mit neuen In-vitro-Modellen präklinische Daten für therapeutische Interventionen gewinnen

„Diese grundlegenden Erkenntnisse über Thrombozyten bei der ECMO-Therapie können in Zukunft dazu beitragen, die Therapie und Behandlung kritisch kranker Patientinnen und Patienten zu verbessern. Indem wir die Ursachen von Blutungsereignissen besser verstehen, können wir nun kausal therapieren“, fasst Prof. Dr. Patrick Meybohm zusammen. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie ist gemeinsam mit Prof. Dr. Harald Schulze vom Institut für Experimentelle Biomedizin Letztautor der Studie.

In den nächsten Schritten will das Team neue In-vitro-Modelle etablieren, um die Effekte mechanistisch detaillierter zu untersuchen und präklinische Daten für therapeutische Interventionen zu gewinnen.


Förderung: 
Die Studie wurde gefördert von der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des SFB 1525.

Publikation: 
Johannes Herrmann, Lukas J. Weiss, Bastian Just, Kristina Mott, Maria Drayss, Judith Kleiss, Jonathan Riesner, Quirin Notz, Daniel Röder, Rainer Leyh, Sarah Beck, Dirk Weismann, Bernhard Nieswandt, Christopher Lotz, Patrick Meybohm, Harald Schulze, ECMO aggravates platelet GPV shedding and δ-granule deficiency in COVID-19-associated acute respiratory distress syndrome, Journal of Thrombosis and Haemostasis, 2024, ISSN 1538-7836, https://doi.org/10.1016/j.jtha.2024.05.008.
 

Text: Kirstin Linkamp / UKW

Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO)
Mit einer künstlichen Lunge kann im ARDS/ECMO-Zentrum der Würzburger Anästhesiologie das akute Lungenversagen behandelt werden. Die Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) basiert auf einer pumpenunterstützten Blutumleitung, bei der über eine Membrane das Kohlendioxid entfernt und gleichzeitig das Blut mit Sauerstoff angereichert wird. © UKW
Die Thrombozyten wurden mittels speziellem, hochauflösenden Mikroskopieverfahren (Konfokale Mikroskopie, Whole-Mount Transmissionselektronenmikroskopie) dargestellt. Die Daten zeigen, dass es unter ECMO-Therapie zu einem Verlust der δ-Granula (dargestellt in cyan in Abbildung A) und δ-Granula (roter Pfeil, Abbildung B) kommt. © AG Schulze / Institut für Experimentelle Biomedizin / UKW

Stress lass nach! Wie ein Trauma entsteht und wieder geht

Neue Erkenntnisse zur Entstehung und Entwicklung stressbedingter Erkrankungen wie Trauma oder Depression eröffnen neue Wege in der Diagnose und individuellen Behandlung

Heike Weber vor dem Massenspektrometer
Privatdozentin Dr. Heike Weber leitet am Zentrum für Psychische Gesundheit das Labor für funktionelle Genomik. Für die PTBS-Studien hat die Biologin am Massenspektrometer die Hochdurchsatz-Genotypisierungen durchgeführt. © Kirstin Linkamp / UKW
Inge Reck pipettiert im Labor von Heike Weber
Die medizinische technische Assistentin Inge Reck (vorn) aus dem Team von Heike Weber (hinten) pipettiert hier eine PCR (Polymerase-Kettenreaktion). Bei der PCR werden kurze genau definierte Genregionen vermehrt. Das PCR-Produkt wird dann in den Massenspektrometer gelegt, auf einen Chip gespottet, mittels Laser ionisiert und in einem elektrischen Feld beschleunigt. Der Genotyp wird über die Masse anhand der Fluggeschwindigkeit bestimmt. © Kirstin Linkamp / UKW

Würzburg. Das Erleben oder Beobachten eines traumatischen Ereignisses wie etwa ein schwerer Unfall, eine Naturkatastrophe, der Verlust eines geliebten Menschen oder Krieg und Gewalt kann der Seele eine große Verletzung zufügen. Die Symptome dieser sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, können unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis auftreten oder erst Monate oder sogar Jahre später beginnen und das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen. Im Lauf ihres Lebens erkranken knapp acht Prozent aller Menschen an einer PTBS, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Es gibt jedoch gute Aussichten auf Heilung. „Je eher eine PTBS professionell psychotherapeutisch behandelt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Alltag wieder normal gestalten zu können“, sagt Prof. Dr. Jürgen Deckert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg (UKW), die einen ihrer Schwerpunkte auf die Erforschung und Behandlung von PTBS gelegt hat. Erst kürzlich war Jürgen Deckert mit seinem Team an der Veröffentlichung neuer Erkenntnisse beteiligt, die das Verständnis der biologischen Grundlagen von PTBS verbessern und neue Wege für zukünftige Forschungsprojekte und neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. 

95 genetische Bereiche entdeckt, die mit PTBS in Verbindung stehen 

In einer im Journal Nature Genetics veröffentlichten Studie analysierte das Psychiatric Genomic Konsortium, zu dem auch Mitglieder des Würzburger Zentrums für Psychische Gesundheit (ZEP) und ihre Kooperationspartner aus dem ehemaligen Jugoslawien gehören, die genetischen Merkmale von PTBS. „Veranlagungsfaktoren können die Menschen resilienter oder vulnerabler gegenüber Extremerfahrungen machen“, erläutert Jürgen Deckert. „Nicht alle entwickeln nach einem traumatischen Ereignis eine Posttraumatische Belastungsstörung.“ 

Insgesamt wurden die Daten von mehr als 1,2 Millionen Menschen unterschiedlicher Herkunft analysiert. Von den 95 entdeckten genetischen Bereichen, die mit PTBS in Verbindung stehen, waren 80 zuvor unbekannt. „Bei der genaueren Untersuchung dieser genetischen Bereiche haben wir 43 Gene identifiziert die das Risiko erhöhen, nach einem Trauma eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln“, berichtet Privatdozentin Dr. Heike Weber. Die Biologin leitet am ZEP das Labor für funktionelle Genomik und hatte in einer früheren, im Journal of Neural Transmission veröffentlichten Studie in einer Kohorte aus Kriegsgebieten in Südosteuropa (SEE-PTBS-Kohorte) den relativen Beitrag genetischer Faktoren im Vergleich zur Schwere des Trauma und Bewältigungsstrategien untersucht. Heike Weber zufolge sind diese 43 neu identifizierten Gene hauptsächlich für die Regulation von Nervenzellen und Synapsen, die Entwicklung des Gehirns, die Struktur und Funktion von Synapsen sowie für hormonelle und immunologische Prozesse zuständig. Weitere wichtige Gene beeinflussen Stress- und Angst- und Bedrohungsprozesse, von denen man annimmt, dass sie der Neurobiologie der PTBS zugrunde liegen.

Systembiologische Untersuchung von PTBS und Depression in verschiedenen Gehirnregionen, Zelltypen und Blut

Eine weitere Studie, die auf dem Vorläufermanuskript der Nature Genetics-Publikation aufbaut und an der das UKW beteiligt ist, wurde jetzt im renommierten Fachjournal Science veröffentlicht. Konkret ging es hier um die molekularen Ursachen sowohl von PTBS als auch von Depressionen. Beide stressbedingten Störungen entstehen durch das Zusammenspiel von genetischer Anfälligkeit und Stressbelastung, welche nach und nach zu Veränderungen im menschlichen Genom führen, die die Expression von Genen und Proteinen beeinflussen. Um eine integrierte Systemperspektive von PTBS und Depression zu erlangen, hat das internationale Team die Daten aus Untersuchungen von verschiedenen Gehirnregionen mit Analysen der Einzelkern-RNA-Sequenzierung, der Genetik und der Proteomik des Blutplasmas ergänzt. Die Forschenden fanden die meisten Krankheitssignale im medialen präfrontalen Kortex (mPFC). Diese betreffen das Immunsystem, die Regulierung von Nervenzellen und von Stresshormonen betreffen.
Fazit: Die Ergebnisse zeigen gemeinsame und unterschiedliche molekulare Störungen im Gehirn bei PTBS und Depression, sie klären die Beteiligung spezifischer Zelltypen auf, ebnen den Weg für die Entwicklung blutbasierter Biomarker und unterscheiden zwischen Risiko- und Krankheitsprozessen. Das heißt: Die Erkenntnisse weisen auf stressbedingte Signalwege hin und liefern Hinweise auf neue therapeutische Ansätze in Ergänzung der bisherigen psychotherapeutischen Interventionen.

Publikationen: 
Nikolaos P. Daskalakis et al. Systems biology dissection of PTSD and MDD across brain regions, cell types, and blood.Science384,eadh3707(2024). DOI: 10.1126/science.adh3707

Nievergelt, C.M., Maihofer, A.X., Atkinson, E.G. et al. Genome-wide association analyses identify 95 risk loci and provide insights into the neurobiology of post-traumatic stress disorder. Nat Genet 56, 792–808 (2024). https://doi.org/10.1038/s41588-024-01707-9

Weber, H., Maihofer, A.X., Jaksic, N. et al. Association of polygenic risk scores, traumatic life events and coping strategies with war-related PTSD diagnosis and symptom severity in the South Eastern Europe (SEE)-PTSD cohort. J Neural Transm 129, 661–674 (2022). https://doi.org/10.1007/s00702-021-02446-5

Text: Kirstin Linkamp / UKW

Heike Weber vor dem Massenspektrometer
Privatdozentin Dr. Heike Weber leitet am Zentrum für Psychische Gesundheit das Labor für funktionelle Genomik. Für die PTBS-Studien hat die Biologin am Massenspektrometer die Hochdurchsatz-Genotypisierungen durchgeführt. © Kirstin Linkamp / UKW
Inge Reck pipettiert im Labor von Heike Weber
Die medizinische technische Assistentin Inge Reck (vorn) aus dem Team von Heike Weber (hinten) pipettiert hier eine PCR (Polymerase-Kettenreaktion). Bei der PCR werden kurze genau definierte Genregionen vermehrt. Das PCR-Produkt wird dann in den Massenspektrometer gelegt, auf einen Chip gespottet, mittels Laser ionisiert und in einem elektrischen Feld beschleunigt. Der Genotyp wird über die Masse anhand der Fluggeschwindigkeit bestimmt. © Kirstin Linkamp / UKW

Vitamin B6: Neuer Wirkstoff verzögert den Abbau

Ein niedriger Vitamin-B6-Spiegel wirkt sich negativ auf die Gehirnleistung aus. Jetzt hat ein Forschungsteam der Würzburger Universitätsmedizin einen Weg gefunden, den Abbau des Vitamins zu verzögern.

Der Inhibitor 7,8-Dihydroxyflavon (violett) gebunden an Pyridoxal-Phosphatase (grün).
Der Inhibitor 7,8-Dihydroxyflavon (violett) gebunden an Pyridoxal-Phosphatase (grün). (Bild: Marian Brenner / JMU)

Vitamin B6 ist wichtig für den Stoffwechsel im Gehirn. Dementsprechend ist ein niedriger Vitamin-B6-Spiegel bei verschiedenen psychischen Erkrankungen mit zahlreichen Störungen assoziiert – beispielsweise mit einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses und des Lernvermögens, aber auch mit depressiven Verstimmungen bis hin zu einer echten Depression. Bei älteren Menschen sind niedrige Vitamin B6-Spiegel mit Gedächtnisverlust und Demenz verbunden.

Obwohl diese Beobachtungen zum Teil bereits vor Jahrzehnten gemacht wurden, ist die genaue Rolle von Vitamin B6 bei psychischen Erkrankungen noch weitgehend unklar. Klar ist jedoch: Eine verstärkte Aufnahme von Vitamin B6 allein, beispielsweise in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, scheint nicht auszureichen, um Störungen der Gehirnfunktion zu verhindern oder zu behandeln.

Publikation in eLife

Ein Forschungsteam der Würzburger Universitätsmedizin hat jetzt einen anderen Weg entdeckt, über den der Vitamin-B6-Spiegel in Zellen effektiver erhöht werden kann: nämlich über die gezielte Hemmung seines intrazellulären Abbaus. Verantwortlich dafür ist Antje Gohla, Professorin für Biochemische Pharmakologie am Lehrstuhl für Pharmakologie und Toxikologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).

Weitere Beteiligte kommen vom Rudolf-Virchow-Zentrum für integratives und translationales Bioimaging der JMU, dem Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie-FMP Berlin und vom Institut für Klinische Neurobiologie des Würzburger Universitätsklinikums. In der Fachzeitschrift eLife hat das Team jetzt die Ergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlicht.

Enzymblockade verbessert Lernvermögen

„Wir konnten bereits in früheren Arbeiten zeigen, dass das gentechnische Ausschalten des Vitamin-B6-abbauenden Enzyms Pyridoxal-Phosphatase in der Maus das räumliche Lern- und Erinnerungsvermögen der Tiere verbessert“, erklärt Antje Gohla. Um zu untersuchen, ob derartige Effekte auch durch pharmakologische Wirkstoffe erzielt werden können, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun nach Substanzen gesucht, die Pyridoxal-Phosphatase binden und hemmen.

Mit Erfolg: „Wir haben in unseren Experimenten einen Naturstoff identifiziert, der die Phosphatase hemmen und damit den Abbau von Vitamin B6 verlangsamen kann“, erklärt die Pharmakologin. Tatsächlich konnte die Arbeitsgruppe damit die Vitamin-B6-Spiegel in Nervenzellen erhöhen, die an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt sind. Der Name dieses Naturstoffes: 7,8-Dihydroxyflavon.

Neuer Ansatz für eine medikamentöse Therapie

7,8-Dihydroxyflavon wurde schon in zahlreichen anderen wissenschaftlichen Arbeiten als ein Molekül beschrieben, das Lern- und Merkprozesse in Krankheitsmodellen für psychische Störungen verbessern kann. Mit dem neuen Wissen um seine Wirkung als Hemmstoff der Pyridoxal-Phosphatase eröffnen sich nun neue Erklärungsansätze für die Wirksamkeit dieser Substanz. Dies könnte das mechanistische Verständnis psychischer Störungen verbessern und einen neuen medikamentösen Ansatz für die Behandlung von Erkrankungen des Gehirns darstellen, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Studie.

Dass es überhaupt erstmals gelungen ist, mit 7,8-Dihydroxyflavon einen Inhibitor der Pyridoxal-Phosphatase zu identifizieren, wertet das Team darüber hinaus als großen Erfolg – schließlich gelte diese Klasse von Enzymen als ganz besonders herausfordernd für die Wirkstoffentwicklung.

Ein weiter Weg bis zum Medikament

Wann werden Menschen von dieser Entdeckung profitieren? „Das lässt sich jetzt noch nicht sagen“, erklärt Marian Brenner, ein Erstautor der Studie. Allerdings spreche viel dafür, dass es vorteilhaft sein könnte, Vitamin B6 bei verschiedenen psychischen Störungen und neurodegenerativen Erkrankungen in Kombination mit Hemmstoffen der Pyridoxal-Phosphatase einzusetzen.

Dafür wollen Gohla und ihr Team nun in einem nächsten Schritt verbesserte Substanzen entwickeln, die dieses Enzym präzise und hochwirksam inhibieren.  Mit solchen Hemmstoffen könne dann gezielt getestet werden, ob die Erhöhung zellulärer Vitamin-B6-Spiegel bei psychischen oder neurodegenerativen Erkrankungen hilfreich ist.

Publikation

7,8-Dihydroxyflavone is a direct inhibitor of human and murine pyridoxal phosphatase. Marian Brenner, Christoph Zink, Linda Witzinger, Angelika Keller, Kerstin Hadamek, Sebastian Bothe, Martin Neuenschwander, Carmen Villmann, Jens Peter von Kries, Hermann Schindelin, Elisabeth Jeanclos, and Antje Gohla. eLife, https://doi.org/10.7554/eLife.93094.3 

Kontakt

Prof. Dr. Antje Gohla, Lehrstuhl für Pharmakologie und Toxikologie, T: +49 931 31-80099, antje.gohla@ uni-wuerzburg.de

 

Pressemitteilung der Universität Würzburg vom 13.06.2024

Der Inhibitor 7,8-Dihydroxyflavon (violett) gebunden an Pyridoxal-Phosphatase (grün).
Der Inhibitor 7,8-Dihydroxyflavon (violett) gebunden an Pyridoxal-Phosphatase (grün). (Bild: Marian Brenner / JMU)

Zweiter Platz beim Klimaretter-Award

Das Uniklinikum Würzburg wurde für sein Engagement beim bundesweiten Projekt „Klimaretter – Lebensretter“ ausgezeichnet: In der Kategorie „Große Unternehmen“ erzielte es den zweiten Platz.

Julia Weimert von der Stabsstelle Nachhaltigkeit nahm für das Uniklinikum Würzburg den Klimaretter-Award 2024 entgegen.
Julia Weimert von der Stabsstelle Nachhaltigkeit nahm für das Uniklinikum Würzburg den Klimaretter-Award 2024 entgegen. © Pronova bkk, Stiftung viamedica

Würzburg / Leverkusen. Die gemeinnützige Stiftung viamedica vergab am 11. Juni 2024 in Leverkusen zum sechsten Mal die Klimaretter-Awards in sechs Kategorien. Die Trophäen erhielten die bundesweit besten Unternehmen, Teams und Einzelpersonen für ihr Engagement im Projekt „Klimaretter – Lebensretter“, das sich speziell an die Beschäftigten des Gesundheitssektors richtet. In der Kategorie „Große Unternehmen“ mit über 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erzielte das Uniklinikum Würzburg (UKW) den zweiten Platz. Julia Weimert von der Stabsstelle Nachhaltigkeit des UKW nahm den Preis entgegen.

Beim Projekt „Klimaretter – Lebensretter“ werden Beschäftige aus dem Gesundheitswesen motiviert, mit einfachen Klimaschutzaktionen am Arbeitsplatz Energie und Ressourcen einzusparen: Treppe statt Aufzug, Standby vermeiden oder richtig lüften. Im online verfügbaren Klimaretter-Tool wählen sie aus 26 vorgegebenen Aktionen ihre individuellen Maßnahmen aus den Bereichen Energie, Mobilität und Konsum aus und setzen diese in einem frei wählbaren Zeitraum um. Die Umrechnung in vermiedene Kohlendoxid-Emissionen macht den jeweiligen Beitrag zum Klimaschutz direkt sichtbar. Das UKW beteiligt sich seit Juli 2023 an dem Projekt.
https://projekt.klimaretter-lebensretter.de 

Text: Pressestelle / UKW

Julia Weimert von der Stabsstelle Nachhaltigkeit nahm für das Uniklinikum Würzburg den Klimaretter-Award 2024 entgegen.
Julia Weimert von der Stabsstelle Nachhaltigkeit nahm für das Uniklinikum Würzburg den Klimaretter-Award 2024 entgegen. © Pronova bkk, Stiftung viamedica

G-BA empfiehlt duale Lotsenstruktur bei unklarer Diagnose

Fachärztinnen und Fachärzte für psychische Gesundheit verbessern diagnostischen Prozess in Zentren für Seltene Erkrankungen

Fallbesprechung des Teams im Büro von Helge Hebestreit
Prof. Dr. Helge Hebestreit (zweiter von links) hat in einer multizentrischen Studie gezeigt, dass die Beurteilung einer Seltenen Erkrankung mit der Einbeziehung einer Expertin oder eines Experten für psychische Gesundheit in sämtliche Aspekte der Diagnostik – von der Bewertung der Krankenakten über Klinikbesuche, telemedizinische Versorgung bis hin zu Fallkonferenzen – besser gelingt. © Kirstin Linkamp / UKW

Würzburg. ZSE-DUO ist eine vom Uniklinikum Würzburg geleitete multizentrische Studie, in der eine neue Versorgungsform zur besseren Betreuung von Menschen mit unklaren und komplexen Beschwerden und Verdacht auf eine Seltene Erkrankung umgesetzt und untersucht wurde. Kern des Projekts war eine duale Lotsenstruktur an insgesamt elf deutschen Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSE), bei der die Patientinnen und Patienten von Anfang an eine kombinierte Betreuung durch somatische und psychiatrisch-psychosomatische Fachärztinnen und Fachärzte erhielten. 

Aufnahme der dualen Betreuung in die Regelversorgung 

Die im EClinicalMedical publizierte Evaluation zeigt, dass die Einbeziehung einer Fachärztin beziehungsweise eines Facharztes aus dem Bereich Psychiatrie oder Psychosomatik die Diagnosefindung verbessert und beschleunigt, mehr Patientinnen und Patienten in die Regelversorgung überführt werden können, und die Zufriedenheit bei einer dualen Betreuung steigt. Nun hat auch der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zum Projekt ZSE-DUO einen äußerst positiven Beschluss veröffentlicht. Er empfiehlt den relevanten Entscheidungsträgern eine Integration der neuen Versorgungsform in bestehende Vertrags- und Gesetzesregelungen zu prüfen. 

Anteil der Diagnosen in Interventionsgruppe mehr als doppelt so hoch 

Insgesamt erhielten Patientinnen und Patienten mit dualer Betreuung ihre Diagnose schneller und wurden häufiger zur Weiterbehandlung überwiesen als die Personen mit Standardversorgung. Der Anteil der Patientinnen und Patienten, die innerhalb von zwölf Monaten eine Diagnose erhielten, die ihre Symptome vollständig erklärte, war mit der innovativen dualen Versorgung mit 42 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der Standardversorgung durch nur einen somatischen Facharzt mit 19 Prozent. Die Zahl der Erkrankten, die erfolgreich in die Regelversorgung überführt wurden, verdoppelte sich von 12,3 auf 27,5 Prozent. Während der Anteil der Seltenen Erkrankungen in beiden Gruppen ähnlich war, wurden in der Interventionsgruppe signifikant mehr psychische Störungen und nicht-seltene somatische Erkrankungen diagnostiziert. Und trotz der zusätzlichen Termine durch die psychiatrisch-psychosomatische Betreuung war die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten aus der Interventionsgruppe höher.

Psychische Symptome bis hin zu psychischen Erkrankungen

Weltweit sind schätzungsweise 300 Millionen Menschen von einer der rund 7.000 bis 10.000 Seltenen Erkrankungen betroffen. Aufgrund der unspezifischen Symptome und der Auswirkungen auf mehrere Organsysteme gleicht der Weg zur Diagnose oft einer Odyssee. Die komplexe Symptomatik umfasst häufig auch psychische Symptome bis hin zu psychischen Erkrankungen. Manchmal entwickeln sich die Symptome erst im Laufe der langwierigen Diagnostik, manchmal treten sie unabhängig von der Seltenen Erkrankung auf oder imitieren diese sogar. Aber: eine Seltene Erkrankung kann auch als psychische Erkrankung fehldiagnostiziert werden. 

„Die Ergebnisse unserer Studie sind eindeutig und legen eine interdisziplinäre Herangehensweise nahe. Die frühzeitige Einbeziehung einer Spezialistin oder eines Spezialisten für psychische Gesundheit sollte ein integraler Bestandteil der Diagnostik und Behandlung von Personen mit einer vermuteten Seltenen Krankheit sein“, sagt Prof. Dr. Helge Hebestreit, Direktor des Zentrums für Seltene Erkrankungen (ZESE) am UKW. 

Der Ergebnis- und Evaluationsbericht sowie der Beschluss des G-BA zum Projekt ZSE-DUO können hier eingesehen werden.


Eine ausführliche Pressemitteilung zur Publikation im EClinicalMedical (https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2023.102260) gibt es hier

Beteiligte Einrichtungen: 
Für die Studie wurden Patientinnen und Patienten in den Zentren für Seltene Erkrankungen an den (Universitäts-)Klinika in Aachen, Bochum, Frankfurt/Main, Hannover, Magdeburg/Halle, Mainz, Münster, Regensburg, Tübingen Ulm und Würzburg rekrutiert. An der Datenanalyse waren Einrichtungen des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der Medizinische Hochschule Hannover und der Universität Würzburg beteiligt. Weitere Konsortialpartner waren ACHSE e.V., die Techniker Krankenkasse; IKK gesund plus. Die AOK Hessen war als Kooperationspartner dabei. 

Die Studie wurde durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses in Deutschland finanziert, Förderkennzeichen 01NVF17031.

Kontakt: Prof. Dr. Helge Hebestreit: zese@ukw.de, Telefon: +49 931 201-29029 


Text: Kirstin Linkamp / UKW

 

Fallbesprechung des Teams im Büro von Helge Hebestreit
Prof. Dr. Helge Hebestreit (zweiter von links) hat in einer multizentrischen Studie gezeigt, dass die Beurteilung einer Seltenen Erkrankung mit der Einbeziehung einer Expertin oder eines Experten für psychische Gesundheit in sämtliche Aspekte der Diagnostik – von der Bewertung der Krankenakten über Klinikbesuche, telemedizinische Versorgung bis hin zu Fallkonferenzen – besser gelingt. © Kirstin Linkamp / UKW