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Korrektur des gestörten Wachstums von axonalen Fortsätzen motorischer Nervenzellen bei spinaler Muskelatrophie

Die proximale spinale Muskelatrophie ist die häufigste Form einer Motoneuron-Erkrankung bei Kindern. Ein fehlendes Protein namens SMN führt zu Problemen in Nervenzellen, die Muskeln steuern. Ohne SMN können die Nerven in den Axonen – den „Verbindungen“ zu den Muskeln – wichtige RNA-Moleküle nicht richtig transportieren und nutzen. Dies stört das Wachstum der Axone, schädigt die Verbindung zu den Muskeln und lässt Nervenzellen absterben.

Das Bild zeigt die Atrophie von axonalen Wachstumskegeln (3. Bild von links) bei Motoneuronen aus einem Mausmodell für spinale Muskelatrophie (Smn-/-;SMN2tg/tg), und wie die Expression von Ptbp2 diese Atrophie aufhebt (4. Bild von links) und die Struktur auf ähnliches Niveau wie bei Motoneuronen aus gesunden Mäusen wiederherstellt (1. Bild links). Quelle: Saeede et. Al. Front Mol Neurosci. 2024. doi: 10.3389/fnmol.2024.1393779

Trotz neuer Therapieentwicklungen, zu denen auch das Institut für Klinische Neurobiologie beigetragen hat, sind die Mechanismen, die für die Degeneration der axonalen Fortsätze und für die Denervation der Muskelfasern verantwortlich sind, noch weitgehend unbekannt.

In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass in einem Mausmodell für spinale Muskelatrophie die Expression des RNA-bindenden Proteins Ptbp2 in den axonalen Fortsätzen von Motoneuronen reduziert ist. Dieses Protein ist wichtig für das Wachstum und die Funktion dieser „Verbindungen“ zwischen Nervenzellen und Muskeln. Wird Ptbp2 wieder zugeführt, können die gestörten Prozesse repariert werden: Die Axone wachsen wieder normal in die Länge, und auch die fehlerhafte Entwicklung der Kontaktstellen, an denen die Nervenzellen Signale weiterleiten, wird verbessert.

Die Ergebnisse zeigen, dass SMN und Ptbp2 gemeinsam die Produktion von Proteinen in den Axonen steuern, die für die Funktion der Nervenzellen entscheidend sind. Daraus könnten sich neue Ansätze für die Behandlung der spinalen Muskelatrophie ergeben.

Publikation:
Salehi Saeede, Zare Abdolhossein, Gandhi Gayatri, Sendtner Michael, Briese Michael. Ptbp2 re-expression rescues axon growth defects in Smn-deficient motoneurons. Front Mol Neurosci. 2024 Aug 23;17:1393779. doi: 10.3389/fnmol.2024.1393779. PMID: 39246602; PMCID: PMC11377325.

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BDNF steuert Anpassungsfähigkeit in neuronalen Netzwerken der Motorik

Neurotrophine, insbesondere der aus dem Gehirn stammende neurotrophe Faktor (BDNF für brain derived neurotrophic factor), sind wichtige Moleküle, die das Wachstum, das Überleben und die Anpassungsfähigkeit von Nervenzellen fördern. BDNF spielt eine entscheidende Rolle in Bereichen des Gehirns, die mit der Bewegung und Koordination zu tun haben, insbesondere im Striatum und in der Substantia nigra – beides Hirnstrukturen, die für die Parkinson-Krankheit von Bedeutung sind.

Das Bild zeigt die Verteilung von TrkB (Tropomyosin-Rezeptor-Kinase B), dem Rezeptor von BDNF, der in striatalen Neuronen im Gehirn eines Patienten mit M. Parkinson (unten) nicht an die Zelloberfläche gelangt, im Gegensatz zu einem Patienten mit ungestörter Motorik (oben). Die Aktivierung des TrkB durch BDNF ist notwendig, damit das Gehirn neue Verbindungen zwischen Nervenzellen stärken kann. Quelle: Biomedicines 2024, 12(8), 1761; https://doi.org/10.3390/biomedicines12081761

Ist zu wenig BDNF vorhanden, kann das Striatum degenerieren und die Verzweigungen der Nervenzellen werden geschädigt. BDNF hilft auch, die Kommunikation zwischen den Nervenzellen zu verstärken, was für Lernprozesse und das Gedächtnis wichtig ist, insbesondere im Zusammenhang mit Bewegung. Bei der Parkinson-Krankheit sterben bestimmte Nervenzellen ab, die Signale von der Substantia nigra zum Striatum übertragen. Durch dieses Absterben wird die Anpassungsfähigkeit des Striatums gestört, was zu Problemen bei Bewegungen führt. Denn das Gleichgewicht in den Nervenbahnen, die Bewegungen steuern, ist gestört. Da BDNF Nervenzellen schützt und dafür sorgt, dass sie miteinander gut zusammenarbeiten, könnte es eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten wie Parkinson spielen, bei denen Nervenzellen geschädigt werden.

Eine Arbeitsgruppe am Institut für Klinische Neurobiologie konnte zeigen, dass die Oberflächenexpressions des Rezeptors für BDNF in striatalen Nervenzellen stark von Dopamin aus der Substantia nigra abhängt. Auf diese Weise beeinflusst Dopamin, wie empfindlich diese Nervenzellen auf BDNF reagieren, das von kortikalen Neuronen freigesetzt wird. Diese Steuerung könnte erklären, wie die elektrische Tiefenhirnstimulation – eine Therapie, die bei Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Krankheit eingesetzt wird – diese motorischen Netzwerke im Gehirn beeinflusst und verbessert.

Publikation:
Daniel Wolf, Maurilyn Ayon-Olivas, Michael Sendtner. BDNF-Regulated Modulation of Striatal Circuits and Implications for Parkinson's Disease and Dystonia. Biomedicines. 2024 Aug 5;12(8):1761. doi: 10.3390/biomedicines12081761. PMID: 39200225; PMCID: PMC11351984.

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Das Bild zeigt die Verteilung von TrkB (Tropomyosin-Rezeptor-Kinase B), dem Rezeptor von BDNF, der in striatalen Neuronen im Gehirn eines Patienten mit M. Parkinson (unten) nicht an die Zelloberfläche gelangt, im Gegensatz zu einem Patienten mit ungestörter Motorik (oben). Die Aktivierung des TrkB durch BDNF ist notwendig, damit das Gehirn neue Verbindungen zwischen Nervenzellen stärken kann. Quelle: Biomedicines 2024, 12(8), 1761; https://doi.org/10.3390/biomedicines12081761
Unkonventioneller Mechanismus, um mutierte Proteine aus Nervenzellen auszuschleusen

Bei der familiären Form der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) spielen fehlgefaltete Proteine wie die mutierte Form des Enzyms Superoxid-Dismutase 1 (SOD1) eine zentrale Rolle. Diese Fehlfaltung führt zu einer Kette pathologischer Prozesse, die die Nervenzellen schädigen.

Das Bild zeigt die Anreicherung des mutierten Sod1 Proteins in Nervenzellfortsätzen von Motoneuronen, in denen das Plekhg5 Protein fehlt. Quelle: Hutchings, AJ., Hambrecht, B., Veh, A. et al. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun 15, 8622 (2024).

In einer kürzlich in Nature Communications veröffentlichten Studie konnte ein Team des Instituts für Klinische Neurobiologie zeigen, dass SOD1 in axonalen Fortsätzen, also in den langen Ausläufern von Nervenzellen, über einen unkonventionellen Mechanismus aus der Zelle ausgeschleust werden. Verantwortlich dafür ist das Protein Plekhg5. Das SOD1 Protein wird zunächst in Autophagosomen angereichert, und dann in Abhängigkeit von Plekhg5 aus der Zelle ausgeschleust. Autophagie ist ein Prozess, bei dem Zellen Abfall oder beschädigte Teile verpacken und abbauen. Ohne Plekhg5 sammelt sich Sod1 in den Nervenzellen an, vor allem an den Kontaktstellen zwischen den Zellen (Synapsen).

Interessanterweise zeigten Mäuse ohne Plekhg5 einerseits früher Krankheitssymptome, überlebten aber andererseits länger, weil weniger des mutierten, toxischen Sod1 freigesetzt wurde und dadurch das Immunsystem weniger aktiviert wurde. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass zwei Proteine, die mit Erkrankungen des Motoneurons in Verbindung stehen, auf unerwartete Weise zusammenarbeiten und dass eine Veränderung dieses Mechanismus den Krankheitsverlauf beeinflussen kann.

Publikation
Hutchings AJ, Hambrecht B, Veh A, Giridhar NJ, Zare A, Angerer C, Ohnesorge T, Schenke M, Selvaraj BT, Chandran S, Sterneckert J, Petri S, Seeger B, Briese M, Stigloher C, Bischler T, Hermann A, Damme M, Sendtner M, Lüningschrör P. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun. 2024 Oct 4;15(1):8622. doi: 10.1038/s41467-024-52875-5. PMID: 39366938; PMCID: PMC11452647.

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Das Bild zeigt die Anreicherung des mutierten Sod1 Proteins in Nervenzellfortsätzen von Motoneuronen, in denen das Plekhg5 Protein fehlt. Quelle: Hutchings, AJ., Hambrecht, B., Veh, A. et al. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun 15, 8622 (2024).