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Erste Ergebnisse von INTEGRATE-ADHD zum Vergleich administrativer, epidemiologischer und klinischer Diagnosedaten zur ADHS bei Kindern und Jugendlichen

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters mit potenziell lebenslangen individuellen, familiären und sozialen Auswirkungen und hoher Public-Health-Relevanz. Doch wie viele Kinder und Jugendliche sind eigentlich in Deutschland betroffen? Die Prävalenzschätzungen diagnostizierter ADHS unterscheiden sich. Die administrativen Zahlen basierend auf Basis von Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen unterscheiden sich von epidemiologischen Daten auf Basis von elternberichteten, ärztlich oder psychologisch gestellten Diagnosen aus der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI). Inwieweit beide Diagnosedaten mit klinischen Untersuchungsdaten übereinstimmen ist zudem unklar.

Im Projekt INTEGRATE-ADHD vergleicht das RKI in Zusammenarbeit mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des UKW und dem Institut für klinische Epidemiologie und Biometrie der JMU Würzburg sowie weiteren Konsortialpartnern die administrativen und epidemiologischen ADHS-Diagnosedaten mit denjenigen eines klinischen Assessments. Es wurden Eltern von knapp 6.000 Kindern und Jugendlichen mit administrativer ADHS-Diagnose mit den Fragebögen der KiGGS-Studie u.a. nach der ADHS-Diagnose des Kindes gefragt, eine Unterstichprobe von über 200 Kindern und Jugendlichen online mit einer leitliniengerechten Diagnostik klinisch untersucht und die Diagnosedaten anschließend auf Personenebene verknüpft. Durch die Integration dieser drei Datenquellen sollen mögliche Ursachen für die bisherigen Diskrepanzen gefunden werden. Im Projekt werden auch gesundheitsökonomische Aspekte der ADHS untersucht sowie die Lebensqualität und Versorgungszufriedenheit ADHS-betroffener Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien. 

Erste Ergebnisse des Konsortialprojekts INTEGRATE-ADHD wurden in einem Themenheft des Journal of Health Monitoring “ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Eine gesellschaftliche Herausforderung mit hoher Public-Health-Relevanz” in der dritten Quartalsausgabe 2024 veröffentlicht.

Ein Editorial von Robert Schlack (RKI) und Marcel Romanos (UKW) ordnet das Thema ein:
RKI - Journal of Health Monitoring - ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Eine gesellschaftliche Herausforderung mit hoher Public-Health-Relevanz

Zwei methodische Beiträge aus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie beschreiben die Durchführung einer leitliniengerechten ADHS-Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen sowie die Gütekriterien eines online durchgeführten diagnostischen ADHS-Interviews:

ADHS im Kindes- und Jugendalter: Leitliniengerechte Online-Diagnostik im Konsortialprojekt INTEGRATE-ADHD
Leila Hetzke, Annalena Berner, Sophia Weyrich, Marcel Romanos, Ann-Kristin Beyer, Robert Schlack, Ulrike Ravens-Sieberer, Anne Kaman, Julian Witte, Cornelia Fiessler, Anna Grau, Anna Horn, Peter Heuschmann, Cordula Riederer, die INTEGRATE-ADHD Study Group, Thomas Jans.
https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/ConceptsMethods/JHealthMonit_2024_03_Online_Diagnostik_ADHS.html

Gütekriterien des Interview-Leitfadens für Externale Störungen (ILF-EXTERNAL) im Online-Setting – Ergebnisse aus dem Konsortialprojekt INTEGRATE-ADHD
Sophia Weyrich, Vanessa Scholz, Leila Hetzke, Sanna Ulsamer, Chantal Wallau, Diana Mager, Julia Geißler, Marcel Romanos, Ann-Kristin Beyer, Robert Schlack, Anne Kaman, Ulrike Ravens-Sieberer, Julian Witte, Anna Grau, Anna Horn, Peter Heuschmann, Cordula Riederer, die INTEGRATE-ADHD Study Group, Thomas Jans
https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/Focus/JHealthMonit_2024_03_Guetekriterien_ADHS.html

In vier weiteren Beiträgen der Konsortialpartner werden Korrelate der Übereinstimmung zwischen administrativer und elternberichteter ADHS-Diagnose, Daten zur Determinanten der Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mit ADHS und zu Gesundheitskosten der ADHS berichtet:
https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/JoHM/2024/JHealthMonit_Inhalt_24_Ausgabe_3.html

Das Konsortialprojekt „ADHS in Deutschland - Vergleich und Integration administrativer und epidemiologischer ADHS-Diagnosedaten durch ein klinisches Assessment“ (INTEGRATE-ADHD) wird gefördert mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss (01VSF19014).

„Entscheidungsrauschen“ ist kein Messfehler

Bisherige Studien haben inkonsistente Entscheidungen oft ignoriert und als Messfehler abgetan. Die Arbeitsgruppe “Kognitive Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie“ hat sich aber die Rauschkomponenten, die sich aus fast allen Verhaltensexperimenten extrahieren lassen, genauer angeschaut und ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift PLOS Biology veröffentlicht.

Lorenz Deserno und Vanessa Scholz vor alten Torbogen des Zentrums für Psychische Gesundheit.
Dr. Vanessa Scholz und Prof. Dr. Lorenz Deserno, Leiter der Arbeitsgruppe “Kognitive Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie" an der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), zeigen in ihrer neuesten Studie, dass die Zunahme der Komplexität von Prozessen und die Abnahme des Entscheidungsrauschens proportional zusammenhängen. © Kirstin Linkamp / UKW
Kinder und Jugendliche treffen oft impulsive und inkonsistente Entscheidungen, zum Beispiel bei der Auswahl einer Eissorte. Erwachsene hingegen entscheiden überlegter. Die Arbeitsgruppe “Kognitive Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie“ des Universitätsklinikums Würzburg fand heraus, dass die Fähigkeit zu überlegtem Entscheiden im Jugendalter zunimmt und impulsive Entscheidungen abnehmen. Diese Entwicklung könnte wichtig für komplexere kognitive Prozesse sein, wie in ihrer Studie in PLOS Biology beschrieben. © UKW

In ihrer Studie stellten Vanessa Scholz und Lorenz Deserno erstmals die Entwicklung verrauschter Entscheidungen der Entwicklung spezifischer kognitiver Prozesse gegenüber. Es zeigte sich, dass eine altersabhängige Zunahme spezifischer und komplexer kognitiver Prozesse nicht nur mit einer Abnahme „verrauschter“ inkonsistenter Entscheidungen einhergeht, sondern sogar von dieser Abnahme abhängt.

Weitere Informationen zum Projekt und Team finden Sie in der Pressemeldung

 

Vanessa Scholz, Maria Waltmann, Nadine Herzog, Annette Horstmann, Lorenz Deserno (2024) Decrease in decision noise from adolescence into adulthood mediates an increase in more sophisticated choice behaviors and performance gain. PLoS Biol 22(11): e3002877. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3002877

Zur Publikation

Lorenz Deserno und Vanessa Scholz vor alten Torbogen des Zentrums für Psychische Gesundheit.
Dr. Vanessa Scholz und Prof. Dr. Lorenz Deserno, Leiter der Arbeitsgruppe “Kognitive Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie" an der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), zeigen in ihrer neuesten Studie, dass die Zunahme der Komplexität von Prozessen und die Abnahme des Entscheidungsrauschens proportional zusammenhängen. © Kirstin Linkamp / UKW
Kinder und Jugendliche treffen oft impulsive und inkonsistente Entscheidungen, zum Beispiel bei der Auswahl einer Eissorte. Erwachsene hingegen entscheiden überlegter. Die Arbeitsgruppe “Kognitive Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie“ des Universitätsklinikums Würzburg fand heraus, dass die Fähigkeit zu überlegtem Entscheiden im Jugendalter zunimmt und impulsive Entscheidungen abnehmen. Diese Entwicklung könnte wichtig für komplexere kognitive Prozesse sein, wie in ihrer Studie in PLOS Biology beschrieben. © UKW