paper place CCC MF – Studienzentrum

Bispezifische und multispezifische Antikörper in der Onkologie: Chancen und Herausforderungen

Seit der Zulassung des monoklonalen Antikörpers Blinatumomab zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit rezidivierter oder refraktärer B-lymphoblastischer Leukämie (B-ALL) im Jahr 2014 wurden zehn bispezifische Antikörper (bsAb) zugelassen, und mehr als 200 innovative bsAb befinden sich derzeit in der klinischen Entwicklung.

Bild: Dr. Marie Elisabeth Goebeler, Leiterin des Interdisziplinären Studienzentrums mit ECTU im Comprehensive Cancer Center Mainfranken © Daniel Peter

Bei der Mehrzahl handelt es sich um sogenannte "immune cell engagers", die Immuneffektorzellen in das Tumormikromilieu rekrutieren und die Wiederherstellung der natürlichen Antitumoraktivität ermöglichen. Entscheidend für die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines bsAb ist die Wahl des geeigneten Zielantigens, insbesondere bei der Behandlung von soliden Tumoren. In der klinischen Entwicklung befinden sich bispezifische Antikörper, die zwei Zielantigene auf einer Tumorzelle adressieren (dual targeting bsAbs), um eine on-target/off-tumor Toxizität zu reduzieren, oder Antigene auf Zellen des Tumormikromilieus. 

Darüber hinaus wurden in zahlreichen klinischen Studien Mitigierungsstrategien identifiziert, die das Risiko eines schweren Zytokinfreisetzungssyndroms (CRS), einer typischen Nebenwirkung von bsAbs, deutlich reduzieren. Dazu gehören eine Vorbehandlung mit Steroiden, eine schrittweise Erhöhung der Antikörperdosis (step-up dosing), eine subkutane Applikation, eine Modifikation der Bindungsaffinitäten für CD3ε sowie Prodrug-Konzepte. Die optimale klinische Anwendung von bsAbs, einschließlich der Sequenzierung der Behandlung und der Identifizierung möglicher Kombinationstherapien, ist Gegenstand intensiver und kontinuierlicher klinischer Forschung. 

Die in Nature Reviews Clinical Oncology erschienene Übersichtsarbeit von Maria-Elisabeth Goebeler, Leiterin des interdisziplinären Studienzentrums (ISZ) mit Early Clinical Trial Unit (ECTU), Gernot Stuhler und Ralf Bargou gibt einen Überblick über diese äußerst dynamischen und kreativen Forschungsaktivitäten.  

 

Maria-Elisabeth Goebeler, Gernot Stuhler, Ralf Bargou. Bispecific and multispecific antibodies in oncology: opportunities and challenges. Nature Reviews Clinical Oncology 21, 539–560 (2024). doi:10.1038/s41571-024-00905-y

Zur Publikation

Bild: Dr. Marie Elisabeth Goebeler, Leiterin des Interdisziplinären Studienzentrums mit ECTU im Comprehensive Cancer Center Mainfranken © Daniel Peter

Präzisionsmedizin bei fortgeschrittenem nicht-kleinzelligen Lungenkrebs in Deutschland

In den letzten zwei Jahrzehnten wurden wegweisende Fortschritte im Verständnis des nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) erzielt, wobei insbesondere mit der Entdeckung verschiedener sogenannter genetischer Treiber wichtige Überlebensmechanismen der Tumorzellen entschlüsselt werden konnten.

Dr. Horst-Dieter Hummel, Clinician Scientist am Interdisziplinären Studienzentrums mit ECTU im Comprehensive Cancer Center Mainfranken und Zentrumsmanager des Nationalen Netzwerks Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) am UKW. © Daniel Peter

Parallel dazu konnten Substanzen entwickelt werden, die die Überlebenssignale der entsprechenden Treiberveränderungen in den Tumorzellen hemmen. Diese Erkenntnisse führten zu einer paradigmatischen Weiterentwicklung zielgerichteter Therapieoptionen für Patientinnen und Patienten mit NSCLC, die sich bei Vorliegen der entsprechenden genetischen Veränderungen im Vergleich zur Chemotherapie als besser verträglich und wirksamer erwiesen. Um diesen Ansatz für möglichst viele Betroffene in Deutschland erfolgreich nutzen zu können, wurde vor einigen Jahren unter Federführung der Uniklinik Köln das Nationale Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) gegründet. Dieser Verbund führt eine umfassende, standardisierte und qualitätskontrollierte Markerdiagnostik durch und ermöglicht einen effizienteren Austausch über die neuesten Behandlungsmöglichkeiten auch unter Berücksichtigung vielversprechender klinischer Studien. Die hier vorgestellte Arbeit, an der Horst Dieter Hummel vom UKW beteiligt war, untersuchte das Überleben von AOK-Versicherten mit NSCLC. Dazu wurden die Therapieergebnisse von Patientinnen und Patienten, die im nNGM diagnostiziert und behandelt wurden, beschrieben und mit einer entsprechenden Gruppe von Personen verglichen, die nicht im nNGM betreut wurden. Obwohl allen grundsätzlich die gleichen Therapieoptionen zur Verfügung standen, zeigte sich ein signifikanter Vorteil im medianen Gesamtüberleben von 10,5 Monaten gegenüber 8,7 Monaten für die nNGM-Gruppe. Die Analyse und Interpretation der Daten führte zu der Schlussfolgerung, dass am ehesten die systematische Markerdiagnostik und der konsequente Einsatz geeigneter zielgerichteter Therapien für diesen bemerkenswerten Unterschied verantwortlich sind.

 

Anika Kästner, Anna Kron, Neeltje van den Berg, Kilson Moon, Matthias Scheffler, Gerhard Schillinger, Natalie Pelusi, Nils Hartmann, Damian Tobias Rieke, Susann Stephan-Falkenau, Martin Schuler, Martin Wermke, Wilko Weichert, Frederick Klauschen, Florian Haller, Horst-Dieter Hummel, Martin Sebastian, Stefan Gattenlöhner, Carsten Bokemeyer, Irene Esposito, Florian Jakobs, Christof von Kalle, Reinhard Büttner, Jürgen Wolf und Wolfgang Hoffmann. Evaluation of the effectiveness of a nationwide precision medicine program for patients with advanced non-small cell lung cancer in Germany: a historical cohort analysis. The Lancet Regional Health - Europe, Volume 36, 2024. doi:10.1016/j.lanepe.2023.100788

Zur Publikation

Dr. Horst-Dieter Hummel, Clinician Scientist am Interdisziplinären Studienzentrums mit ECTU im Comprehensive Cancer Center Mainfranken und Zentrumsmanager des Nationalen Netzwerks Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) am UKW. © Daniel Peter