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Eine Perspektive der sozialen Informationsverarbeitung auf soziale Eingebundenheit

Soziale Eingebundenheit ist einer der wichtigsten Prädiktoren für mentale und physische Gesundheit und daher von hoher klinischer Relevanz. Bislang fehlt es jedoch an Ansätzen, die individuelle Unterschiede in sozialer Eingebundenheit erklären und zielgerichtete Interventionen motivieren können.

Illustration eines Verarbeitungsmodells für soziale Informationen in einer zweigliedrigen Interaktion. Das Modell basiert auf einem Aktions-Wahrnehmungs-Zyklus mit separaten, aber miteinander verbundenen Phasen für soziale Wahrnehmung und Mentalisierung, soziale Motivation und soziale Aktion. Diese Kreisläufe sind in sozialen Begegnungen miteinander verwoben, so dass die Handlung des einen Individuums der Wahrnehmungsinput des anderen ist. All diese Prozesse werden durch verschiedene Faktoren beeinflusst, darunter Bindungsstile und Mechanismen wie Selbstkategorisierungsprozesse und die Konstruktion einer gemeinsamen Realität. Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945
Gehirnregionen, die bei der Verarbeitung sozialer Informationen eine Rolle spielen. Warme Farben spiegeln signifikante Aktivierungen wider, die aus einer automatisierten Meta-Analyse mit Neurosynth extrahiert wurden (Yarkoni et al., 2011; Stichwort „social“, Daten extrahiert aus 1302 Studien am 18. Oktober 2024). Amy = Amygdala, aPFC = anteriorer präfrontaler Kortex, dlPFC = dorsolateraler präfrontaler Kortex, FFA = fusiforme Gesichtsregion, OFC = orbitofrontaler Kortex, Prec = Precuneus, TP = temporaler Pol, TPJ = temporoparietale Verbindung, vlPFC = ventrolateraler präfrontaler Kortex, vmPFC = ventromedialer präfrontaler Kortex. Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945
Das Informationsverarbeitungsmodell sozialer Verbundenheit geht von unterschiedlichen Beiträgen der sozialen Wahrnehmung und des Mentalisierens, der sozialen Motivation und des sozialen Handelns zu strukturellen, qualitativen und funktionalen Komponenten sozialer Verbundenheit aus. Ein solches Muster von teilweise kombinierten Einflüssen mehrerer Stufen der sozialen Informationsverarbeitung kann auch moderate Korrelationen zwischen Teilkomponenten der sozialen Verbundenheit erklären. Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945
Prozesse des sozialen Austauschs und der sozialen Verbundenheit wurden typischerweise aus der sogenannten „Ich-Perspektive“ untersucht. So wurde eine Person identifiziert und anhand ihrer Verbindungen zu anderen Personen charakterisiert (siehe linke Seite). Bei diesem Ansatz werden wahrscheinlich wichtige indirekte Effekte übersehen, an denen Personen beteiligt sind, die nicht direkt mit der untersuchten Person verbunden sind. Daher könnte es notwendig sein, größere Netzwerke von Personen einschließlich ihrer bidirektionalen Verbindungen zu modellieren (siehe rechte Seite). Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945

In diesem Perspektiven-Artikel entwickelt das Team um Grit Hein ein neues testbares Modell, welches Unterschiede in sozialer Eingebundenheit mit Unterschieden in der sozialen Informationsverarbeitung erklärt und somit neue Wege für Interventionen aufzeigt.

 

Grit Hein, Lynn Huestegge, Anne Böckler-Raettig, Lorenz Deserno, Andreas B. Eder, Johannes Hewig, Andreas Hotho, Sarah Kittel-Schneider, Anna Linda Leutritz, Andrea M.F. Reiter, Johannes Rodrigues, Matthias Gamer. A social information processing perspective on social connectedness. Neuroscience & Biobehavioral Reviews. Volume 167, 2024, 105945, ISSN 0149-7634, https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945

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Illustration eines Verarbeitungsmodells für soziale Informationen in einer zweigliedrigen Interaktion. Das Modell basiert auf einem Aktions-Wahrnehmungs-Zyklus mit separaten, aber miteinander verbundenen Phasen für soziale Wahrnehmung und Mentalisierung, soziale Motivation und soziale Aktion. Diese Kreisläufe sind in sozialen Begegnungen miteinander verwoben, so dass die Handlung des einen Individuums der Wahrnehmungsinput des anderen ist. All diese Prozesse werden durch verschiedene Faktoren beeinflusst, darunter Bindungsstile und Mechanismen wie Selbstkategorisierungsprozesse und die Konstruktion einer gemeinsamen Realität. Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945
Gehirnregionen, die bei der Verarbeitung sozialer Informationen eine Rolle spielen. Warme Farben spiegeln signifikante Aktivierungen wider, die aus einer automatisierten Meta-Analyse mit Neurosynth extrahiert wurden (Yarkoni et al., 2011; Stichwort „social“, Daten extrahiert aus 1302 Studien am 18. Oktober 2024). Amy = Amygdala, aPFC = anteriorer präfrontaler Kortex, dlPFC = dorsolateraler präfrontaler Kortex, FFA = fusiforme Gesichtsregion, OFC = orbitofrontaler Kortex, Prec = Precuneus, TP = temporaler Pol, TPJ = temporoparietale Verbindung, vlPFC = ventrolateraler präfrontaler Kortex, vmPFC = ventromedialer präfrontaler Kortex. Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945
Das Informationsverarbeitungsmodell sozialer Verbundenheit geht von unterschiedlichen Beiträgen der sozialen Wahrnehmung und des Mentalisierens, der sozialen Motivation und des sozialen Handelns zu strukturellen, qualitativen und funktionalen Komponenten sozialer Verbundenheit aus. Ein solches Muster von teilweise kombinierten Einflüssen mehrerer Stufen der sozialen Informationsverarbeitung kann auch moderate Korrelationen zwischen Teilkomponenten der sozialen Verbundenheit erklären. Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945
Prozesse des sozialen Austauschs und der sozialen Verbundenheit wurden typischerweise aus der sogenannten „Ich-Perspektive“ untersucht. So wurde eine Person identifiziert und anhand ihrer Verbindungen zu anderen Personen charakterisiert (siehe linke Seite). Bei diesem Ansatz werden wahrscheinlich wichtige indirekte Effekte übersehen, an denen Personen beteiligt sind, die nicht direkt mit der untersuchten Person verbunden sind. Daher könnte es notwendig sein, größere Netzwerke von Personen einschließlich ihrer bidirektionalen Verbindungen zu modellieren (siehe rechte Seite). Quelle: https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105945

Neue Biomarker könnten Vorhersage des kognitiven Rückgangs bei älteren Menschen verbessern

Die Ergebnisse der Würzburger Längsschnittstudie zur Frühdiagnostik von Gedächtniserkrankungen, kurz „Vogel-Studie“ genannt, wurden nun veröffentlicht. Seit 2010 untersuchte die Studie an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des UKW die Veränderung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei 604 älteren Personen.

Die Ergebnisse zeigen, dass genetische Risikofaktoren, Gedächtnisprobleme, eine veränderte Hirnaktivierung, eine verlängerte Latenz von Vagus somatosensorisch evozierten Potentialen sowie eine eingeschränkte Riechfunktion zu Beginn der Studie die Entwicklung kognitiver Einschränkungen im Alter vorhersagen können. Obwohl die Ergebnisse der Studie wichtige Einblicke in die Vorhersage kognitiver Einschränkungen liefern, eignen sie sich bislang nicht für eine Einzelfalldiagnostik und erfordern weitere Forschung, um in der Praxis angewendet zu werden.

 

Martin J. Herrmann, Andrea Wuttke, Linda Breuninger, Judith Eff, Sophia Ettlinger, Matthias Fischer, Andrea Götzelmann, Annika Gram, Laura D. Pomper, Evelyn Schneider, Lisa Schwitalla, Niklas Siminski, Fabian Spielmann, Erik Weinmann, Viona Weyel, Julia B. M. Zeller JBM, Martin Lauer, Jürgen Deckert, Thomas Polak. 
Functional near-infrared spectroscopy and vagus somatosensory evoked potentials add to the power of established parameters such as poor cognitive performance, dsyosmia and APOe genotype to predict cognitive decline over 8 years in the elderly. J Neural Transm (Vienna). 2024 Nov 13. doi: 10.1007/s00702-024-02859-y. Epub ahead of print. PMID: 39535568.

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Psychomotorische Verlangsamung bei Schizophrenie steht in Zusammenhang mit abweichender Haltungskontrolle

Menschen mit Schizophrenie können sich ungewöhnlich langsam bewegen. In dieser Studie sollte untersucht werden, ob die Haltungsstabilität bei Schizophrenie verändert ist. Dazu stellte das Studienteam Menschen mit Schizophrenie mit und ohne psychomotorische Verlangsamung sowie gesunde Kontrollpersonen auf eine Plattform, die kleinste Bewegungen beim Stehen misst.

Skizze einer Person, die auf der Kistler-Plattform steht. Die Pfeile zeigen die Richtungen der Schwankungsachsen an. Das Schwanken von links nach rechts wird als medio-lateral und das Schwanken von vorne nach hinten als antero-posterior bezeichnet. Der dritte vertikale Pfeil misst die vertikale Reaktionskraft. Quelle: https://www.nature.com/articles/s41537-024-00534-5

Neben der Standfestigkeit bei offenen Augen wurden auch komplexe Situation wie geschlossene Augen oder nach oben gerichtete Augen getestet wodurch die Standkontrolle erschwert wird. Schon in der einfachsten Aufgabe schwanken Patienten mit Verlangsamung deutlich mehr als die anderen Gruppen, wobei die Unterschiede mit schwierigeren Aufgaben noch klarer werden. Psychomotorische Verlangsamung scheint zusätzlich zur Schizophrenie-Erkrankung zu schlechterer Haltungsstabilität zu führen, was auf Veränderungen im Kleinhirn bei diesen Patienten hinweist.

 

Melanie G. Nuoffer, Anika Schindel, Stephanie Lefebvre, Florian Wüthrich, Niluja Nadesalingam, Alexandra Kyrou, Hassen Kerkeni, Roger Kalla, Jessica Bernard & Sebastian Walther. Psychomotor slowing in schizophrenia is associated with aberrant postural control. Schizophr 10, 118 (2024). https://doi.org/10.1038/s41537-024-00534-5

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Skizze einer Person, die auf der Kistler-Plattform steht. Die Pfeile zeigen die Richtungen der Schwankungsachsen an. Das Schwanken von links nach rechts wird als medio-lateral und das Schwanken von vorne nach hinten als antero-posterior bezeichnet. Der dritte vertikale Pfeil misst die vertikale Reaktionskraft. Quelle: https://www.nature.com/articles/s41537-024-00534-5
Soziale Übertragung von Empathie für Schmerz

Grit Hein liefert mit ihren in PNAS publizierten Ergebnissen einen mathematischen und neuronalen Mechanismus für die soziale Übertragung von Empathie. Dieser Mechanismus erklärt die Veränderung individueller empathischer Reaktionen in empathischen und nicht-empathischen sozialen Umgebungen.

Prof. Dr. Grit Hein erforscht am Zentrum für Psychische Gesundheit des Uniklinikums Würzburg (UKW) Translationale Soziale Neurowissenschaften. © Cordula Buschulte

Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften am Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP), 
hat gewissermaßen formalisiert, wie Empathie übertragen wird. Mit mathematischen Modellen, dem so genannten Computational Modeling, hat sie das komplexe soziale Phänomen erfasst und mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) im erwachsenen Gehirn plastisch dargestellt. Ihr Fazit: Nicht nur Kinder können empathische Reaktionen zusätzlich zu ihren genetischen Anlagen von engen Bezugspersonen übernehmen, auch Erwachsene sind formbar und können durch Beobachtung anderer lernen, mehr oder weniger mitfühlend zu sein. 

 

Yuqing Zhou, Shihui Han, Pyungwon Kang, Philippe N. Tobler, Grit Hein. The social transmission of empathy relies on observational reinforcement learning. PNAS Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America – Psychological and cognitive sciences (2024). doi:10.1073/pnas.2313073121

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Neue Erkenntnisse zur Entstehung und Entwicklung stressbedingter Erkrankungen wie Trauma oder Depression

Ein Schwerpunkt des ZEP ist die Erforschung und Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen, kurz PTBS. Die Ergebnisse zweier neuer Studien, an denen das ZEP beteiligt war, verbessern das Verständnis der biologischen Grundlagen von PTBS und eröffnen neue Wege für zukünftige Forschungsprojekte und neue Behandlungsmöglichkeiten. 

Privatdozentin Dr. Heike Weber leitet am Zentrum für Psychische Gesundheit das Labor für funktionelle Genomik. Für die PTBS-Studien hat die Biologin am Massenspektrometer die Hochdurchsatz-Genotypisierungen durchgeführt. © Kirstin Linkamp / UKW

 

Nievergelt, C.M., Maihofer, A.X., Atkinson, E.G. et al. Genome-wide association analyses identify 95 risk loci and provide insights into the neurobiology of post-traumatic stress disorder. Nat Genet 56, 792–808 (2024). doi:10.1038/s41588-024-01707-9

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In der Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlicht wurde, analysierte das Psychiatric Genomics Consortium die genetischen Merkmale von PTBS. Von den 95 entdeckten Genregionen, die mit PTBS in Verbindung stehen, waren 80 bisher unbekannt. Bei der genaueren Untersuchung dieser Genregionen wurden 43 Gene identifiziert, die das Risiko erhöhen, nach einem Trauma eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Diese 43 neu identifizierten Gene sind vor allem für die Regulation von Nervenzellen und Synapsen, die Entwicklung des Gehirns, die Struktur und Funktion von Synapsen sowie für hormonelle und immunologische Prozesse verantwortlich. Weitere wichtige Gene beeinflussen Stress-, Angst- und Bedrohungsprozesse, von denen man annimmt, dass sie der Neurobiologie der PTBS zugrunde liegen.

 

Nikolaos P. Daskalakis et al. Systems biology dissection of PTSD and MDD across brain regions, cell types, and blood. Science384 (2024). doi:10.1126/science.adh3707

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Die molekularen Ursachen sowohl von PTBS als auch von Depressionen behandelt die im Fachjournal Science publizierte Studie. Beide stressbedingten Störungen entstehen durch das Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und Stresseinwirkung, die schrittweise zu Veränderungen im menschlichen Genom führen, welche die Expression von Genen und Proteinen beeinflussen. Um eine integrierte Systemperspektive von PTBS und Depression zu erhalten, ergänzte das internationale Team die Daten aus Untersuchungen verschiedener Hirnregionen mit Analysen der Einzelkern-RNA-Sequenzierung, der Genetik und der Proteomik des Blutplasmas. Die Forschenden fanden die meisten Krankheitssignale im medialen präfrontalen Kortex (mPFC). Diese betreffen das Immunsystem, die Regulation von Nervenzellen und Stresshormonen. 

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