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Potenzial von Künstlicher Intelligenz zur Analyse kritischer Vorfälle in der Gesundheitsversorgung

Kritische Vorfälle in der Gesundheitsversorgung werden häufig zu wenig gemeldet, was die Patientensicherheit beeinträchtigt. In unserer Studie haben wir untersucht, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Analyse und Kategorisierung von Meldungen in Critical Incident Reporting Systemen (CIRS) optimieren kann.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass KI-generierte Analysen in Bezug auf sprachliche Qualität, logische Ableitbarkeit und Fachkompetenz mit den Expertenanalysen vergleichbar sind. Die KI konnte zudem Meldungen eigenständig in thematisch relevante Kategorien einordnen, was eine systematische Analyse und Strukturierung der Vorfälle ermöglicht. Dieses automatisierte Feedback könnte die Akzeptanz und Nutzung von CIRS erheblich fördern, indem es Gesundheitsfachkräften zeitnah wertvolle Informationen liefert.

Diese Studie verdeutlicht das transformative Potenzial von KI-gestützten Ansätzen im Bereich der Patientensicherheit. Sie bietet einen Ansatz für die Weiterentwicklung von CIRS und eröffnet neue Perspektiven für den Einsatz von KI in der Gesundheitsversorgung. 

 

Carlos Hölzing, Sebastian Rumpf, Stephan Huber, Nathalie Papenfuß, Patrick Meybohm, Oliver Happel. The Potential of Using Generative AI/NLP to Identify and Analyse Critical Incidents in a Critical Incident Reporting System (CIRS): A Feasibility Case-Control Study. Healthcare (Basel). 2024 Oct 2;12(19):1964. doi: 10.3390/healthcare12191964. PMID: 39408144; PMCID: PMC11475821.

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Wissenschaftliche Auswertung der Würzburger Anschläge nach Entwicklung einer standardisierten Analysemethode

Terroranschläge stellen eine akute Bedrohung dar und die Bewältigung eines solchen Einsatzes ist eine große Herausforderung für Rettungskräfte und Krankenhäuser.

Karte der Terroranschläge 2016 und 2021 in Würzburg mit Einzeichnung der Rettungseinsätze und Krankenhäuser
Würzburg war 2016 Schauplatz eines Terroranschlags, bei dem vier Menschen mit einer Axt und einem Messer schwer verletzt wurden (Abb. 1). Der Rettungseinsatz wurde anhand spezieller Qualitätskriterien analysiert, es wurden Lehren gezogen und die Einsatzpläne wurden angepasst, um die Notfallvorsorge zu verbessern. Zwei wichtige Änderungen seit 2016 sind die geänderte Einsatztaktik (sofortiges Aufklären des Tatorts) und die erweiterte medizinische Ausrüstung für Terroranschläge. Fünf Jahre später (2021) kam es in Würzburg erneut zu einem Amoklauf mit einem Messer, bei dem drei Menschen getötet und neun Personen schwer verletzt wurden (Abb. 2). Quelle: Sci Rep. 2024 Oct 23;14:25087. doi: 10.1038/s41598-024-76267-3

Um entsprechende Einsatzkonzepte zu erstellen, weiterzuentwickeln und an neue Gegebenheiten anzupassen ist die Auswertung realer Einsätze und die Umsetzung der Erkenntnisse essentiell. Für die Analyse des Terroranschlages in Würzburg 2016 wurde von Forschenden der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie eine strukturierte Matrix entwickelt, die eine standardisierte Beschreibung der Einsätze und eine daraus abgeleitete, wissenschaftlich fundierte Formulierung der ‚lessons identified‘ ermöglicht. Mit dem Messerattentat von 2021 bestand nun die Möglichkeit, diesen aktuellen Einsatz nach der gleichen Methode auszuwerten und die beiden Einsätze direkt zu vergleichen. Die Auswertung erfolgte in einer interprofessionellen Arbeitsgruppe.

Von den 10 wichtigsten Erkenntnissen aus 2016 wurden sieben in die aktuellen Einsatzkonzepte integriert und im Einsatz erfolgreich umgesetzt. Drei der Erkenntnisse aus 2016 wurden nicht umgesetzt und lieferten wichtige Ansatzpunkte für weitere Verbesserungen.

Fazit: Die am UKW entwickelte Auswertemethode ist gut auf Einsätze bei Terroranschlägen oder Amoklagen anwendbar. Es konnte gezeigt werden, dass auf Basis dieser Arbeit substantielle Verbesserungen der Einsatzkonzepte erreicht werden können.

 

Thomas Wurmb, Sebastian Kurz, Gerhard Schwarzmann, Herbert Trautner, Uwe Kinstle, Ulrich Wagenhäuser, Florian Koch, Markus Münch, Patrick Meybohm, Maximilian Kippnich. Application of quality indicators and critical lessons learned assessment as a research approach for the evaluation of rescue missions during terrorist attacks. Sci Rep. 2024 Oct 23;14(1):25087. doi: 10.1038/s41598-024-76267-3. PMID: 39443574; PMCID: PMC11499877.

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Karte der Terroranschläge 2016 und 2021 in Würzburg mit Einzeichnung der Rettungseinsätze und Krankenhäuser
Würzburg war 2016 Schauplatz eines Terroranschlags, bei dem vier Menschen mit einer Axt und einem Messer schwer verletzt wurden (Abb. 1). Der Rettungseinsatz wurde anhand spezieller Qualitätskriterien analysiert, es wurden Lehren gezogen und die Einsatzpläne wurden angepasst, um die Notfallvorsorge zu verbessern. Zwei wichtige Änderungen seit 2016 sind die geänderte Einsatztaktik (sofortiges Aufklären des Tatorts) und die erweiterte medizinische Ausrüstung für Terroranschläge. Fünf Jahre später (2021) kam es in Würzburg erneut zu einem Amoklauf mit einem Messer, bei dem drei Menschen getötet und neun Personen schwer verletzt wurden (Abb. 2). Quelle: Sci Rep. 2024 Oct 23;14:25087. doi: 10.1038/s41598-024-76267-3
Maschinelle Autotransfusion in der Geburtshilfe – Hintergrund und praktische Umsetzung

Postpartale Hämorrhagien, also übermäßige Blutungen nach der Geburt eines Kindes, sind mit einem hohen Transfusionsbedarf verbunden und zählen zu den häufigsten Ursachen mütterlicher Mortalität weltweit.

Ablaufschema der Übersicht der notwendigen Schritte vor einer ersten MAT-Anwendung, , das perioperative Vorgehen und Möglichkeiten der Projektweiterentwicklung
Übersicht der notwendigen Schritte vor einer ersten MAT-Anwendung, das perioperative Vorgehen und Möglichkeiten der Projektweiterentwicklung. MAT maschinelle Autotransfusion, PBM Patient Blood Management, QS-Maßnahmen Qualitätssicherungsmaßnahmen © CC BY 4.0; http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

Die sogenannte maschinelle Autotransfusion (MAT), als integraler Bestandteil des Patient Blood Managements, ermöglicht es, das Wundblut der Patientin zu sammeln, aufzubereiten und an die Patientin zurückzugeben. Der MAT-Einsatz kann den Transfusionsbedarf wertvoller, allogener Erythrozytenkonzentrate während Kaiserschnitten reduzieren und zur Sicherheit und Genesung Gebärender beitragen. Trotz steigender Evidenz, die die Sicherheit und Effizienz der MAT belegt, wird die MAT bislang leidglich bei 0,07 % aller Geburten mit peripartalen Hämorrhagien in Deutschland angewandt. Der nachfolgende Artikel beleuchtet die aktuelle Evidenzlage sowie organisatorische und praktische Schritte, um die MAT in der geburtshilflichen Praxis sicher und erfolgreich zu implementieren.

 

Mischa J. Kotlyar, Vanessa Neef, Florian Rumpf, Patrick Meybohm, Kai Zacharowski, Peter Kranke. Maschinelle Autotransfusion in der Geburtshilfe – Hintergrund und praktische Umsetzung. Anaesthesiologie 73, 843–851 (2024).

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Ablaufschema der Übersicht der notwendigen Schritte vor einer ersten MAT-Anwendung, , das perioperative Vorgehen und Möglichkeiten der Projektweiterentwicklung
Übersicht der notwendigen Schritte vor einer ersten MAT-Anwendung, das perioperative Vorgehen und Möglichkeiten der Projektweiterentwicklung. MAT maschinelle Autotransfusion, PBM Patient Blood Management, QS-Maßnahmen Qualitätssicherungsmaßnahmen © CC BY 4.0; http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de
Vermeidungs- und Ausdauerreaktionen auf Schmerzen vor und mit fortgeschrittener Chronifizierung

Nach dem Avoidance-Endurance-Modell (Vermeidungs-Ausdauer-Modell) spielen neben Schmerzangst und Vermeidungsverhalten insbesondere Gedankenunterdrückung und Durchhaltereaktionen eine vermittelnde Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen.

Forscherinnen der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie untersuchten mögliche Unterschiede in Angst-Vermeidungsverhalten und Durchhalte-Tendenzen bei Patientinnen und Patienten in verschiedenen Schmerzstadien. Verglichen wurden zwei Gruppen: Eine mit wochenlangen Schmerzen und Risikofaktoren für Chronifizierung und eine mit bereits chronischen Schmerzen. Die Würzburger Stichprobe zeigte eine geringere Chronifizierung. Die Ausprägungen erfassten die Forscherinnen mit dem internationalen Avoidance-Endurance Fragebogen. 
Fazit: Menschen mit Risikofaktoren für eine Chronifizierung sind ähnlich belastet wie Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen. Vermeidungs- und Durchhaltereaktionen hängen nicht vom Stadium der Chronifizierung ab. Dies könnte mit der hohen schmerzbedingten Beeinträchtigung zusammenhängen und einen Risikofaktor für eine weitere Schmerzchronifizierung darstellen.

 

Karolin Teichmüller, Andrea Kübler, Heike L. Rittner, Gudrun-Karin Kindl. Avoidance and Endurance Responses to Pain Before and with Advanced Chronification: Preliminary Results from a Questionnaire Survey in Adult Patients with Non-Cancer Pain Conditions. J Pain Res 17: 2473-2481 (2024). doi:10.2147/JPR.S464509

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Post-hoc-Analyse der SUSTAIN CSX-Studie: Kann hochdosiertes Selen die postoperative Erholung nach kardiogenem Schock und mechanischer Kreislaufunterstützung verbessern?

Für Patientinnen und Patienten mit kardiogenem Schock nach herzchirurgischen Eingriffen ist eine vorübergehende mechanische Herz-Kreislauf-Unterstützung häufig notwendig und potenziell lebensrettend.

Sie ist aber auch mit einem hohen Risiko für Komplikationen wie Blutungen und Thrombosen sowie einer ausgeprägten systemischen Entzündungsreaktion verbunden. In der Folge kommt es zu endothelialer Dysfunktion und Schädigung anderer lebenswichtiger Organe, was zu einer verlängerten Verweildauer auf der Intensivstation und einer erhöhten Mortalität führt.
In einer Post-hoc-Analyse der SUSTAIN CSX-Studie wurde nun untersucht, ob eine hochdosierte perioperative Gabe von Selen als Antioxidans im Vergleich zu Placebo die Organdysfunktion und postoperative Erholung von Patientinnen und Patienten mit kardiogenem Schock nach herzchirurgischen Eingriffen mit mechanischer Herz-Kreislauf-Unterstützung verbessern kann. Relevante Effekte konnten nicht nachgewiesen werden, so dass weitere Studien erforderlich sind, um potenzielle antiinflammatorische Strategien zur Verbesserung der Erholung einer wachsenden Zahl von Patientinnen und Patienten unter mechanischer Herz-Kreislauf-Unterstützung zu evaluieren.

 

Sascha Ott, Ellen Dresen, Zheng Yii Lee, Lukas M. Müller-Wirtz, Livia Procopiuc, Elyad Ekrami, Leonard Pitts, Nicolas Hellner, Daniel Catena, Georg Daniel Duerr, Maria Wittmann, Reiner M. Waeschle, Gunnar Elke, Benjamin O'Brien, Daren K. Heyland, Christian Stoppe. The effect of high-dose selenium on mortality and postoperative organ dysfunction in post-cardiotomy cardiogenic shock patients supported with mechanical circulatory support - A post-hoc analysis of the SUSTAIN CSX trial. J Crit Care. Jul 1;83:154853 (2024). doi:10.1016/j.jcrc.2024.154853

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Meta-Analyse zur Antikoagulation bei COVID-19-Patienten

Eine relevante Komplikation bei COVID-19-Patientinnen und -Patienten waren und sind thromboembolische Ereignisse, so dass eine medikamentöse Hemmung der Blutgerinnung, in der Fachsprache Antikoagulation genannt, sinnvoll sein könnte.

Bisherige Studien zeigen hierzu widersprüchliche Ergebnisse. Im Rahmen der letzten Aktualisierung der S3-Leitlinie zur Therapie von COVID-19 konnte die Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des UKW zum Thema Antikoagulation 14 neue und insgesamt 27 randomisierte kontrollierte Studien mit 16.789 Personen in einer systematischen Übersichtsarbeit mit Metaanalyse aufarbeiten. Während stationäre Patientinnen und Patienten mit moderater Erkrankung von einer Antikoagulation in semi-therapeutischer oder therapeutischer Dosierung profitieren können, scheint dies bei schwer Erkrankten nicht der Fall zu sein. Für ambulante und poststationäre Patientinnen und Patienten zeigt sich kein klarer Vorteil einer Antikoagulation. Unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung muss immer das Blutungsrisiko einer Antikoagulation mitberücksichtigt werden.

 

Stefanie Reis, Amon Faske, Ina Monsef, Florian Langer, Oliver J Müller, Peter Kranke, Patrick Meybohm, Stephanie Weibel. Anticoagulation in COVID-19 patients - An updated systematic review and meta-analysis. Thrombosis Research, 238:141-150 (2024). doi:10.1016/j.thromres.2024.04.007

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Veränderte Thrombozyten unter ECMO erhöhen Sterberisiko - Neue Ansätze zur Blutungsprävention

Für Patientinnen und Patienten mit akutem Lungenversagen, kurz ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome), kann die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) die letzte Therapiemöglichkeit und damit lebensrettend sein.

Bild ECMO: Die Thrombozyten wurden mittels spezieller hochauflösender Mikroskopieverfahren (Konfokale Mikroskopie, Whole-Mount Transmissionselektronenmikroskopie) dargestellt. Die Daten zeigen, dass es unter ECMO-Therapie zu einem Verlust der δ-Granula (dargestellt in cyan in Abbildung A) und roter Pfeil, Abbildung B) kommt. © AG Schulze / Institut für Experimentelle Biomedizin / UKW

Das intensivmedizinische Verfahren, bei dem zuvor entnommenes Blut mit Sauerstoff angereichert und wieder zurückgeführt wird, kann jedoch zu erheblichen Veränderungen der Blutgerinnung führen und das Blutungsrisiko erhöhen. In einem translationalen Forschungsprojekt konnten die Forschenden einerseits zeigen, dass die ECMO-Therapie zu einer Entleerung zellulärer Speicher (δ-Granula) in den Blutplättchen, den so genannten Thrombozyten, führt, wodurch die Blutungszeit verlängert wird. Andererseits fanden sie Hinweise auf eine Reduktion des Glykoprotein-V-Rezeptors auf der Oberfläche der Thrombozyten, was das Sterberisiko erhöht. Diese Ergebnisse bauen auf Würzburger Vorarbeiten auf, in denen dem Glykoprotein-V-Rezeptor eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung und damit ein möglicher neuer Angriffspunkt zur Verhinderung von Blutungsereignissen unter ECMO-Therapie zugeschrieben werden konnte.

 

Johannes Herrmann, Lukas J. Weiss, Bastian Just, Kristina Mott, Maria Drayss, Judith Kleiss, Jonathan Riesner, Quirin Notz, Daniel Röder, Rainer Leyh, Sarah Beck, Dirk Weismann, Bernhard Nieswandt, Christopher Lotz, Patrick Meybohm, Harald Schulze. ECMO aggravates platelet GPV shedding and δ-granule deficiency in COVID-19-associated acute respiratory distress syndrome. Journal of Thrombosis and Haemostasis, ISSN 1538-7836 (2024). doi:10.1016/j.jtha.2024.05.008

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Die Studie wurde gefördert von der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des SFB 1525.