Der Mann, der die Würzburger Nephrologie auf die Weltbühne gebracht hat

Christoph Wanner geht in den Ruhestand, zumindest was die Leitung der Nephrologie in der Medizinischen Klinik I am Uniklinikum betrifft. Er wird in Zukunft als Seniorprofessor in Teilzeit am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz sowie an der University of Oxford tätig sein.

Würzburg. Ein großer Schrank, ein Schreibtisch, ein paar Grünpflanzen und ein Laptop. So beschrieb eine regionale Tageszeitung vor 29 Jahren das Arbeitszimmer, das Prof. Dr. Christoph Wanner im Oktober 1994 als neuer Leiter der Nephrologie am Uniklinikum Würzburg bezogen hatte. Sein Büro war damals noch auf dem alten Medizincampus in Gebäude D20, sein Laptop eine Sensation, der den Generationenwechsel symbolisierte. Mit 37 Jahren war Wanner der jüngste von allen Bewerbern. Heute mistet der Nephrologe stapelweise Papiere und Aktenordner im Zentrum für Innere Medizin aus und macht Platz für seinen Nachfolger, einem externen Nephrologen, mit dem der Vorstand des Uniklinikums gerade noch verhandelt. Christoph Wanner geht in den Unruhestand. Ab dem 1. April wird er je zur Hälfte als Seniorprofessor im Department für Klinische Forschung und Epidemiologie von Prof. Stefan Störk am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) und an der Clinical Trial Service Unit der University of Oxford tätig sein, wo er eine neue Studie mit rund 11.000 Patienten organisieren wird.

„Ich war ein begeisterter patientennaher Arzt, der gern auf Visite gegangen ist“

Der gebürtige Bad Mergentheimer blickt mit einem lachenden und weinenden Auge auf die vergangenen drei Jahrzehnte in der Universitätsmedizin. Dass heute oftmals viel weniger Zeit für die Visiten zur Verfügung steht, macht ihn zum Beispiel traurig. Dabei sie die Visite Teil der Behandlung. „Früher wurde sie zelebriert, inzwischen bleibt dafür immer weniger Zeit“, so Wanner. Dabei sei das Gespräch mit dem Patienten so wichtig, man müsse doch ein Gefühl für ihre Ängste und Bedürfnisse bekommen. Gerade die Patientengeschichten motivieren. Er habe viele Patienten von der Diagnose bis hin zur Dialyse oder Transplantation begleitet, gesehen, wie sie trotz ihres Leidens Familien gegründet und Kinder großgezogen haben. Das führe den Wert der eigenen Arbeit noch einmal vor Augen.

Zeit gefunden, um die Rolle des Clinician Scientist ausbauen

Auf der anderen Seite freut es ihn, dass er in der klinischen Routine nicht untergegangen ist, Freiheiten für die Forschung bewahren konnte, um die Position als Clinician Scientist weiter auszubauen und zu hoher Exzellenz zu bringen. Er hat sich anfangs mit der Vorbeugung von kardiovaskulären Erkrankungen bei Dialysepatienten beschäftigt, was heute immer noch ein Thema ist, legte aber später seinen Forschungsfokus in die frühen Stadien der Nierenerkrankung und die Prävention der Progression.

„Christoph Wanner hat es geschafft, die Forschung der Würzburger Nephrologie auf die Weltbühne zu tragen“, sagt Prof. Dr. Jens Maschmann, Ärztlicher Direktor des Uniklinikum Würzburg. Die erste Studie, die ihn berühmt gemacht hat war „Die Deutsche Diabetes Dialyse-Studie“ (4D-Studie), an der deutschlandweit 1.266 Dialysepatienten mit Diabetes teilgenommen haben. Die Erkenntnis, dass Statine bei Dialysepatienten das kardiovaskuläre Risiko nicht reduzierten, wurde im Jahr 2005 im New England Journal veröffentlicht. „Und dann hatte ich großes Glück, dass ich von der kardiovaskulären Protektion mit einem Statin zur renokardialen Protektion mit SGLT-2-Hemmer hineingerutscht bin“, erzählt Wanner

„4.000 Menschen haben applaudiert als wir die Ergebnisse verkündet haben“

Als Sternstunde seiner Forschung bezeichnet er zehn Jahre später, im Herbst 2015, die Präsentation der EMPA-REG OUTCOME-Studie beim 51. EASD (European Association for the Study of Diabetes)-Kongress in Stockholm. „Die 4.000 Menschen im Publikum haben applaudiert als wir, die Mitglieder des Steuerungskomitees die Ergebnisse verkündet haben. Das erlebt man nicht oft.“ Die Studie hat gezeigt, dass der SGLT-2-Hemmer Empagliflozin bei Typ-2-Diabetikern mit hoher kardiovaskulärer Vorbelastung einen signifikanten Überlebensvorteil bringt. Mit einem Vorteil für Nierenpatienten hat niemand gerechnet. „Bei Niere sei nicht viel drin, meinten die Kooperationspartner. Doch ich habe Signale gesehen und gedacht, da müssen wir dranbleiben. Man überließ mir die Daten, und ich machte was draus, was wiederum das New England Journal aufnahm.“ Wanner war einer der ersten, der das Potenzial von SGLT2-Hemmern in der Behandlung von Diabetes, Herz-Kreislauf- UND Nierenerkrankungen erkannt hat. Aus dem Signal ist heute, acht Jahre später, der Hoffnungsträger schlechthin für alle Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung geworden.

Neues Therapieprinzip entwickelt mit dramatischen Vorteilen für Nierenpatienten

Die Effizienz des Wirkstoffs Empagliflozin wurde in der multizentrischen EMPA-KIDNEY-Studie, die Christoph Wanner daraufhin mit der University Oxford ins Leben gerufen hat, eindrucksvoll bewiesen. Die tägliche Einnahme einer Empagliflozin-Tablette senkt nicht nur den Blutzucker, sondern kann auch eine Verschlechterung der Nierenfunktion oder den Tod infolge einer Herzerkrankung bei Patientinnen und Patienten mit einer Nierenerkrankung verhindern, unabhängig davon, ob die Betroffenen einen Diabetes Typ 2 haben. Wir haben ein Therapieprinzip entwickelt, das für jeden Nierenkranken dramatische Vorteile hat, denn es wird ihn Jahre von der Dialyse fernhalten.

Ein kleiner Diamant – die Fabry-Kohorte

Was ihn noch mit Stolz erfüllt ist FAZiT – das Fabry-Zentrum für interdisziplinäre Therapie, das er im Jahr 2001 gegründet hat. „Ich hatte eigentlich nie etwas vor mit dieser Erkrankung, die man nur sehr selten sieht. Aber als ich eine neue Therapie kennen gelernt habe und immer mehr Betroffene nach Würzburg kamen, hat mich das sehr bewegt. Ich habe angefangen eine kleine Ambulanz aufzubauen und von jedem Patienten ein Protokoll im selben Muster anzulegen. Da die lyosomale Speichererkrankung Zellen im gesamten Körper angreift und neben der Niere auch das Herz und das Gehirn schädigt, kamen die Fachdisziplinen Kardiologie und Neurologie hinzu. „Heute, mehr als 20 Jahre später, haben wir die weltgrößte Fabry-Ambulanz und einen unschätzbaren Datenschatz von mehr als 400 Patienten. Allein das Beobachtungsregister hat zu 150 wissenschaftlichen Arbeiten aus Würzburg geführt.“ Die Fabry-Kohorte sei ein kleiner Diamant. „Wenn mich heute ein junger Mensch fragt: Was soll ich denn tun? Dann sage ich: Sammeln sie strukturiert Patientendaten und bauen sie sich eine Kohorte auf! Als ich jung war, habe ich während eines Forschungsaufenthalts in den USA eine Kohorte ausgewertet und dazu zwei internationale Arbeiten geschrieben, die haben mich letztendlich nach Würzburg gebracht.“

Hochrangiges Amt des ERA-Präsidenten

Ein weiterer Höhepunkt seiner Laufbahn und gewissermaßen die Krönung für sein jahrzehntelanges Netzwerken war im Sommer 2020 die Ernennung zum Präsidenten der Europäischen Gesellschaft für Nephrologie ERA (European Renal Association). Sichtbarkeit erlange man Wanner zufolge nicht nur über die Arbeit und publizierten Studien – Wanner hat einen beachtlichen h-index von 103 (web of science), sondern vor allem über das Mitarbeiten in Gesellschaften und Netzwerken. Die ERA und deren Geschäftsstelle kennt er zum Beispiel als langjähriges Vorstandsmitglied, Mitglied der Leitlinienkommission und ehemaliger Leiter des Europäischen Dialyseregisters. Eine weitere „Säule des Tempels“ seien die Tätigkeiten als akademischer Reviewer, Associated Editor und Editor. „Als Editor bekommt man pro Tag zwei bis drei Arbeiten, die man jeweils an drei Reviewer weitergeben muss, die zu diesem Thema forschen. Das heißt, sie kennen nach wenigen Jahren tausende Nephrologen und sind weltweit verflochten.

„Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an die Arbeit denke.“

Das alles müsse man natürlich 24/7 machen. „Aber das macht ja auch Spaß“, fügt er hinzu. Was sagt die Familie dazu? „Meine Frau macht das alles mit und verfolgt natürlich auch ihre eigenen Interessen. Aber wir verreisen viel, treiben Sport und gehen aus“, sagt der leidenschaftliche Radrennfahrer und Vater von drei Söhnen. Ins Theater nehme sie ihn allerdings nicht mehr mit. Das sei herausgeschmissenes Geld, schlafen könne er daheim. „Und beim Essen hagelt es manchmal Kritik, wenn ich auf dem Smartphone daddele. Bei uns gilt nämlich die Devise: Beim Essen wird das Handy abgegeben!“

Zur Person Christoph Wanner:

Christoph Wanner wurde in Bad Mergentheim geboren, hat in Berlin, Ferrara (Italien) und Würzburg studiert. An der Universität von Singapur und der Universität Zürich hat er ein praktisches Jahr absolviert und an den National Institutes of Health in Bethesda (Maryland, USA) geforscht. Bevor er im Oktober 1994 die Leitung der Nephrologie in Würzburg übernahm hat er am Universitätsklinikum Freiburg gearbeitet und dort bereits ein großes Forschungslabor geleitet. Am Uniklinikum hat er sich neben der Patientenversorgung auf die klinische Forschung konzentriert und die vergleichsweise kleine nephrologische Abteilung mit neun Ärzten, zwei Oberärzten und ihm als einzige Fakultätsprofessur auf der Weltbühne vertreten. 

Das Bild zeigt Christoph Wanner im Hörsaal vor der Tafel.
Prof. Dr. Christoph Wanner war fast 30 Jahre lang als Leiter der Nephrologie in der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am Universitätsklinikum Würzburg in der Behandlung, Forschung und Lehre rund um die Niere beschäftigt. © Daniel Peter / UKW

Prof. Dr. Christoph Wanner war fast 30 Jahre lang als Leiter der Nephrologie in der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am Universitätsklinikum Würzburg in der Behandlung, Forschung und Lehre rund um die Niere beschäftigt. © Daniel Peter / UKW

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