Berlin, Würzburg: In Deutschland kämpft fast jeder zweite Erwachsene mit Übergewicht. Beinahe jeder vierte Erwachsene leidet unter Adipositas, wobei die Tendenz weiter steigt. Adipositas ist eine chronische Krankheit, die mit erheblichen gesundheitlichen und funktionellen Einschränkungen einhergeht. Betroffene tragen ein erhöhtes Risiko für Diabetes, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkprobleme und Krebs. Zusätzlich sind sie häufig Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt, was die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Bei schwerer Adipositas führen herkömmliche konservative Therapien oft nicht zu ausreichendem und langfristigem Gewichtsverlust, was die Notwendigkeit von bariatrisch-metabolischen Operationen (Adipositas-Operationen) verdeutlicht.
ACHT steht für Adipositas Care & Health Therapy
„Um den Erfolg dieser Operationen sicherzustellen, bedarf es einer langfristigen Betreuung der Patientinnen und Patienten. Ambulante Versorgungsstandards und -angebote fehlen bislang, obwohl die Leitlinien klare Richtlinien für die Nachsorge vorgeben“, erklärt Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Würzburg und medizinischer Leiter des Projekts ACHT (Adipositas Care & Health Therapy). Da aktuell weiterhin die Vergütung dieser Nachsorge durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte nicht geklärt ist, versuchen Adipositaszentren in Krankenhäusern diese Lücke mit begrenzten Ressourcen zu schließen, stoßen jedoch bereits seit längerem an ihre Grenzen. Angesichts der steigenden Operationszahlen und des langfristigen Betreuungsbedarfs nach solchen Eingriffen wird das Problem von Jahr zu Jahr größer.
Strukturierte, sektorenübergreifende Versorgung nach chirurgischer Adipositasbehandlung
Das Projekt ACHT hat es sich unter der Konsortialführung der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke und der medizinischen Leitung des Universitätsklinikums Würzburg zum Ziel gesetzt, den Erfolg von Adipositas-Operationen langfristig zu sichern und ambulante Vertragsärztinnen und -ärzte in den Versorgungsprozess einzubeziehen. Dies erfolgt durch ein digitales, sektorenübergreifendes und standortnahes Versorgungsprogramm, koordiniert von Adipositas-Lotsinnen und -Lotsen, die die Therapieziele der Patientinnen und Patienten im Auge behalten.
Im Rahmen eines vom Gemeinsamen Bundesausschuss geförderten Innovationsfondsprojekts wurde das ACHT-Versorgungsprogramm in Bayern implementiert und seine Wirksamkeit wissenschaftlich evaluiert. Die zentralen Ergebnisse wurden auf der Abschlussveranstaltung Ende Oktober in Berlin vorgestellt.
„Die Ergebnisse unserer Evaluation zeigen, dass der gesundheitliche Zustand der Patientinnen und Patienten nach 18 Monaten mindestens vergleichbar und in vielen Aspekten besser ist als bei Patientinnen und Patienten in der aktuellen Versorgungsrealität. Das ACHT-Programm hatte insbesondere positive Auswirkungen auf die Lebensqualität“, berichtet Prof. Dr. Michael Laxy von der Technischen Universität München und Evaluator von ACHT.
Schulungen und die Integration der ambulanten Vertragsärzte und -ärztinnen in das Programm stärkten die ambulanten Strukturen und gewährleisteten eine hochwertige Versorgung von Patientinnen und Patienten nach einer Adipositas-Operation. „Die Patientinnen und Patienten zeigten zudem eine hohe Zufriedenheit mit dem Programm, insbesondere hinsichtlich der regelmäßigen Termine bei den ACHT-Schwerpunktpraxen und Ernährungstherapeutinnen und -therapeuten sowie der Betreuung durch die Lotsinnen und Lotsen“, weiß auch Dr. Ann-Cathrin Koschker zu berichten, die als Co-Leiterin des Würzburger Adipositaszentrums viele ACHT-Patientinnen und -Patienten mit betreut hat.
Gesundheit, Lebensqualität und soziale Integration stehen im Vordergrund
"Die Ergebnisse aus ACHT zeigen, dass eine kontinuierliche, digital unterstützte und sektorenübergreifende Betreuung nach Adipositas-Operationen den Patientinnen und Patienten tatsächlich helfen kann. Das Programm stellt nicht nur die Gesundheit der Patientinnen und Patienten in den Vordergrund, sondern auch ihre Lebensqualität und soziale Integration", so Dr. Bettina Zippel-Schultz, Deutsche Stiftung für chronisch Kranke und ACHT-Konsortialführung. ACHT ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer besseren Versorgung für Menschen mit Adipositas. Das Innovationsfondsprojekt ACHT steht beispielhaft für den Fortschritt im Gesundheitswesen und zeigt, wie innovative Ansätze dazu beitragen können, das Leben von Menschen mit Adipositas zu verbessern.
ACHT konnte bereits während der Durchführung überzeugen. Die AOK Bayern bietet seit dem 01. Juli 2023 gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und den an ACHT beteiligten Adipositaszentren einen Selektivvertrag für betroffene Patientinnen und Patienten in Bayern an.
Die ACHT Bausteine des Versorgungsprogramms auf einen Blick:
• Strukturierte, wohnortnahe Nachsorge in speziell geschulten ACHT-Nachsorgepraxen
• Adipositas-Lotsin und -Lotse
• Adipositas-App
• Digitale Fallakte zur sektorenübergreifenden Kooperation aller Therapeutinnen und Therapeuten
• Regelmäßige, wohnortnahe Ernährungsberatungen
• Individualisierte Bewegungsziel-Definition durch Sportmedizin
• Psychologische Stabilisierung der Patientinnen und Patienten
• Vernetzung mit der Qualitätssicherungsmaßnahme StuDoQ
Weitere Informationen und Details zu ACHT liefert die Webseite.