Zum Weltgesundheitstag 2024: Gesundheit als globale gesamtgesellschaftliche Aufgabe anerkennen

Anlässlich des Gründungsdatums der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1948 findet jährlich am 7. April der Weltgesundheitstag statt. Das Motto für 2024 lautet „Recht auf Gesundheit“. Hierzu im Folgenden einige Gedanken von Prof. Dr. August Stich. Der Leiter des Schwerpunkts Infektiologie am Uniklinikum Würzburg gilt als renommierter Tropenmediziner und beschäftigt sich unter anderem mit dem Konzept der Globalen Gesundheit.

Auch wenn den Regierungen der einzelnen Staaten die Hauptverantwortung zukommt, muss Gesundheit als globale gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden. Die Chancen, einen frühzeitigen Tod abzuwenden oder gravierende Krankheitsfolgen zu verringern, dürfen nicht von der Einkommenshöhe der Betroffenen, ihren persönlichen Beziehungen oder der Einsichtsfähigkeit ihrer Regierungen abhängen. 

Deutschland muss zu Verbesserung der Gesundheit in benachteiligten Weltregionen beitragen


Die Industrienationen müssen ihre eigene Verantwortung im Hinblick auf Krankheitsursachen, die in der kolonialen und neokolonialen Ausbeutung wurzeln, erkennen. Deshalb müssen wirtschaftlich privilegierte Staaten wie Deutschland einen Beitrag für die Verbesserung der Gesundheitssituation der benachteiligten Teile der Menschheit leisten. Dazu gehört sowohl die angemessene Beteiligung an der Finanzierung der Gesundheitssysteme und der gesundheitsfördernden Maßnahmen, als auch die Mitarbeit an der Überwindung von krankmachenden, ja oft todbringenden Lebensverhältnissen. Nur mit einem konsequent auf diese Grundwerte ausgerichteten Zugang kann es gelingen, den Weg heraus zu finden aus der fatalen Spirale von fehlenden Lebensperspektiven, Umweltzerstörung, sozialen Gegensätzen und gewalttätigen Konflikten, die inzwischen die Zukunft aller bedrohen.

Die Abwehr von Migrantinnen und Migranten ist die schlechteste Reaktion


Gerade auch die Hinwendung zu den Menschen, die auf der Flucht vor Gewalt und Unterdrückung ihre gesamten Existenzgrundlagen verloren haben und durch grausame Erlebnisse traumatisiert wurden, stellt ein ethisches Gebot und eine besondere Herausforderung dar. Aber auch den Menschen, die durch Abwanderung der Elendsfalle in ihrer Heimat zu entkommen suchen, müssen wir mit Verständnis und Menschlichkeit begegnen. Abwehr ist die schlechteste Reaktion, denn sie führt zwangsläufig zur Entmenschlichung der eigenen Gesellschaft und potenziert zukünftige Konflikte.

Erfolge und Defizite der globalen Gesundheitspolitik


Die Verabschiedung der Millenniums-Erklärung und der daraus abgeleiteten Millenniums-Entwicklungsziele hat die Weltgemeinschaft zu deutlich verstärkten Bemühungen angespornt, um die inhumansten Formen der Armut und die verheerendsten Gesundheitsprobleme zu vermindern. Insgesamt wurden in Entwicklungs- und Schwellenländern beeindruckende Fortschritte erzielt, auch wenn gerade die am stärksten benachteiligten Regionen und Bevölkerungsgruppen daran nur unzureichend teilhaben konnten.
Nach über zwei Jahren internationaler Konsultationen und Verhandlungen einigten sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen am 2. August 2015 auf die sogenannte Agenda für nachhaltige Entwicklung. Das Dokument wurde im gleichen Jahr verabschiedet. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) sollen bis zum Jahr 2030 die Entwicklungsbemühungen aller Länder einschließlich der Industriestaaten leiten. Der neue Handlungsrahmen zur „Umwandlung unserer Welt“ enthält durchaus wichtige Einsichten, richtige Prinzipien und ehrgeizige Einzelziele. Diese hängen aber in der Luft, weil zahlreiche Regierungen konkrete Verpflichtungen verweigert haben, um die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen und einen gebotenen Politikwechsel einzuleiten.

Die unzureichende Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele und aktuelle Kriege geben Grund zu Besorgnis


Die unzureichende Umsetzung von Bestrebungen zu „Mehr Gesundheit in der Einen Welt“ sehe ich mit großer Besorgnis, gerade mit dem Blick auf alle benachteiligten Menschen, die ihre Hoffnungen auf ein besseres und gesünderes Leben in das Zustandekommen und die Umsetzung einer wirklich zukunftsweisenden Agenda gesetzt haben. Hinzu kommen jetzt noch zusätzlich die aktuellen politischen Entwicklungen, insbesondere die anhaltenden furchtbaren kriegerischen Konflikte in viel zu vielen Regionen der Welt.

Erfolge in der Weltgesundheit haben einen ökologischen Preis


Doch die Erfolge bei der Bekämpfung von Kinder- und Müttersterblichkeit, die Steigerung der Impfquoten und die Verbesserung der Basisgesundheitsversorgung, generell jede Entwicklung – alles hat seinen Preis, gerade im Hinblick auf das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten. Das neue Feld „Planetare Gesundheit“ steht für das Wohlergehen der menschlichen Zivilisation und der Systeme, von denen sie abhängt. Mehr noch als früher müssen wir uns der Verantwortung für zukünftige Generationen bewusst sein.
Gesundheit als solche kann nicht nachhaltig sein, schließlich werden wir alle sterben! Doch andererseits haben alle Menschen einen Anspruch auf eine adäquate medizinische Versorgung. Dies ist ein Menschenrecht und sollte überall auf der Welt einklagbar sein.
 

Prof. Dr. August Stich vom Uniklinikum Würzburg sitz am Computer
Prof. Dr. August Stich vom Uniklinikum Würzburg beschäftigt sich unter anderem mit dem vergleichsweise neuen Themenfeld Globale Gesundheit (Global Health).
Prof. Dr. August Stich vom Uniklinikum Würzburg sitz am Computer

Prof. Dr. August Stich vom Uniklinikum Würzburg beschäftigt sich unter anderem mit dem vergleichsweise neuen Themenfeld Globale Gesundheit (Global Health).