Würzburg. Morbus Fabry ist eine seltene Stoffwechselerkrankung mit unterschiedlich ausgeprägten Symptomen, die sich im Laufe des Lebens verstärken. Zu den ersten, bereits in der Kindheit auftretenden Beschwerden zählen starke Schmerzen an Füßen und Händen. Im weiteren Verlauf kommt es bei den Betroffenen zudem zu einer gestörten Wahrnehmung von Temperaturreizen. Schuld daran ist die Störung kleinster Nervenfasern, so genannte small fibers, die mit ihren Enden in die Haut einwachsen. Die zugehörigen Nervenzellkörper befinden sich in Nervenknoten entlang der Wirbelsäule, den Spinalganglien. Informationen wie Schmerz und Temperatur werden über die Nervenfasern zu den Spinalganglien und von dort zum Rückenmark geleitet, bevor sie schließlich im Gehirn verarbeitet und interpretiert werden.
Fettverbindungen lagern sich in den Zellen ab
Bei Morbus Fabry ist diese Signalübertragung durch einen Gendefekt gestört. Bei den Betroffenen funktioniert das lebenswichtige lyosomale Enzym Alpha-Galaktosidase A nur noch teilweise oder gar nicht mehr. Dadurch können bestimmte Abfallprodukte in den Zellen nicht ausreichend abgebaut und entsorgt werden. Die Folge ist, dass sich vor allem Fettverbindungen, so genannte Sphingolipide, in den Nervenzellen, aber auch in anderen Zellen im ganzen Körper anreichern. Neben dem Nervensystem werden vor allem Organe wie Herz und Nieren geschädigt.
Molekulare und funktionelle Erkenntnisse
Eine, die sich seit vielen Jahren mit Schmerzen bei Morbus Fabry und der mit der Erkrankung verbundenen Kleinfaserneuropathie beschäftigt, ist Prof. Dr. Nurcan Üçeyler, leitende Oberärztin in der Neurologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) und Professorin für „Translationale Somatosensorik“. Sie ist zudem langjährig als Neurologin und Neurowissenschaftlerin aktives Mitglied des Würzburger Fabry-Zentrums für interdisziplinäre Therapie (FAZiT). Das FAZiT ist seit seiner Gründung im Jahr 2001 kontinuierlich zum größten Fabry-Zentrum in Deutschland gewachsen. Gemeinsam mit klinischen und wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen hat Nurcan Üçeyler nun neue molekulare und funktionelle Erkenntnisse gewonnen, die erste Hinweise auf die den Schmerzen und Gefühlsstörungen zugrundeliegenden Mechanismen geben.
Aus Hautzellen werden Stammzellen und schließlich Nervenzellen
„In unserer Studie ist es uns erstmals gelungen, aus Hautzellen von Patienten mit Morbus Fabry induzierte pluripotente Stammzellen herzustellen, die wir in der Petrischale zu sensiblen Nervenzellen umwandeln konnten. Anhand dieser patienteneigenen Nervenzellen konnten wir zeigen, dass die Ablagerungen zu einer veränderten Aktivität der Nervenzellen führen und möglicherweise auch den Energiehaushalt in den Nervenfasern stören, was zu Schmerzen beitragen kann“, berichtet Nurcan Üçeyler. Dr. Julia Grüner, Ko-Erstautorin der Studie, fügt hinzu: „Für eine funktionierende Weiterleitung von Reizen benötigen die Nervenzellen bestimmte Kanäle, die sich öffnen sobald ein Signal die Zelle erreicht. Wir konnten in Nervenzellen von Morbus Fabry-Patienten zeigen, dass die Aktivität dieser Kanäle bei erhöhter Temperatur beeinträchtig ist. Dies könnte zu den typischen, bei Fieber einsetzenden Schmerzen und zur gestörten Temperaturwahrnehmung der Betroffenen beitragen.“
Die neurowissenschaftliche Arbeit, die nach fast neun Jahren intensiver Forschung jetzt in der Fachzeitschrift Brain Communications veröffentlicht wurde, steht auch für die besonders enge interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit am FAZiT, insbesondere mit dem internistischen Fachbereich. Und sie rundet das wissenschaftliche Spektrum am FAZiT ab. „Neben der anspruchsvollen klinischen und tierexperimentellen Forschung haben wir nun auch die stammzellbasierte Forschung im Portfolio, was im Bereich Neurologie und Morbus Fabry durchaus Alleinstellungscharakter hat“, so Üçeyler, die bis 2023 eine Heisenberg-Forschungsprofessur innehatte.
Für die Neurologin und ihr Team bietet die Multisystemerkrankung Morbus Fabry zahlreiche wissenschaftliche Fragestellungen und Antworten, die sich auch auf andere neurologische Erkrankungen übertragen lassen. So könnten die hier gewonnenen Erkenntnisse Hinweise darauf geben, wie diese Mechanismen möglicherweise auch bei anderen Schmerz- und Neuropathiesyndromen ablaufen.
Wie hängen Nervenfasern und Hautzellen zusammen?
Wie geht es weiter? Die Methoden sollen weiter verfeinert werden, um ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Nervenfasern und Hautzellen zu erlangen. Zudem wollen die Forschenden die Schnittstelle zwischen dem peripheren und dem zentralen Nervensystem bei Morbus Fabry auf der Ebene des Rückenmarks untersuchen, dies ebenfalls in vollständig humanen Zellkultursystemen.
Förderung
Die Studie wurde unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sowie vom Interdisziplinären Zentrum für klinische Forschung (IZKF) der Medizinischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).
Kollaborationspartnerinnen und -partner (alphabetisch):
- Jan Dudek, Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (UKW)
- Frank Edenhofer, ehemals Institut für Anatomie und Zellbiologie (JMU), aktuell Institut für Molekularbiologie (Universität Innsbruck)
- Julian Fink, Institut für Organische Chemie (JMU)
- Kevin Gauss, Medizinische Biophysik, Institut für Physiologie und Pathophysiologie (Universität Heidelberg)
- Eva Klopocki, Institut für Humangenetik (JMU)
- Christoph Maack, Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (UKW)
- Rebecca Mease, Medizinische Biophysik, Institut für Physiologie und Pathophysiologie (Universität Heidelberg)
- Sebastian Reinhard, Lehrstuhl für Biotechnologie und Biophysik (JMU)
- Markus Sauer, Lehrstuhl für Biotechnologie und Biophysik (JMU)
- Jan Schlegel, ehemals Lehrstuhl für Biotechnologie und Biophysik (JMU), aktuell Department of Women’s and Children’s Health (Karolinska Institutet, Stockholm)
- Tamara Schneider, ehemals Institut für Humangenetik (JMU), aktuell Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (Universität Oldenburg)
- Jürgen Seibel, Institut für Organische Chemie (JMU)
- Erhard Wischmeyer, ehemals Physiologisches Institut (JMU), aktuell Zelluläre Neurophysiologie (Medizinische Fakultät Ostwestfalen-Lippe)
Publikation:
Thomas Klein, Julia Grüner, Maximilian Breyer, Jan Schlegel, Nicole Michelle Schottmann, Lukas Hofmann, Kevin Gauss, Rebecca Mease, Christoph Erbacher, Laura Finke, Alexandra Klein, Katharina Klug, Franziska Karl-Schöller, Bettina Vignolo, Sebastian Reinhard, Tamara Schneider, Katharina Günther, Julian Fink, Jan Dudek, Christoph Maack, Eva Klopocki, Jürgen Seibel, Frank Edenhofer, Erhard Wischmeyer, Markus Sauer, Nurcan Üçeyler, Small fibre neuropathy in Fabry disease: a human-derived neuronal in vitro disease model and pilot data, Brain Communications, Volume 6, Issue 2, 2024, fcae095, doi.org/10.1093/braincomms/fcae095
Über das Würzburger Fabry-Zentrum für interdisziplinäre Therapie FAZiT
Die X-chromosomal vererbte Multisystemerkrankung Morbus Fabry erfordert einen interdisziplinären und interprofessionellen Ansatz, der in Würzburg seit mehr als 20 Jahren intensiv gelebt wird. Neben Nephrologie, Kardiologie und Neurologie stehen im FAZiT zahlreiche weitere Fachabteilungen vom UKW wie der Kinderklinik, kardiovaskulären Genetik, Neuroradiologie, HNO sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie aber auch aus den Instituten für Humangenetik und Pathologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) für die Forschung und Behandlung zur Verfügung. FAZiT ist das größte Fabry-Zentrum in Deutschland. In seiner Spezialambulanz werden aktuell über 300 Erwachsene und Kinder betreut. Viele der Patientinnen und Patienten nehmen an Studien teil. Die krankheitsbezogenen Daten fließen sowohl in die interne Datenbank als auch in internationale Register wie etwa das weltweite Fabry Registry, welches von Würzburg aus mitgeleitet wird. So werden bei dieser sehr seltenen Erkrankung Informationen zusammengetragen, die verlässliche Aussagen über den Krankheitsverlauf der Krankheit und den Erfolg der Behandlungen ermöglichen.