Aktuelle Pressemitteilungen

Die Welt der Leitlinienimplementierung vor, während und nach der Pandemie

Eine am DZHI Würzburg durchgeführte Untersuchung beschreibt die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und den Einfluss der neuen europäischen Herzinsuffizienz-Leitlinien auf die Medikamentenverordnung im Versorgungsalltag. Diese Analyse von Apothekendaten deutet darauf hin, dass evidenzbasiertes klinisches Wissen in der realen Herzinsuffizienz-Versorgung in Deutschland zunehmend besser angenommen wird. Dies scheint durch die neuen ESC-Leitlinien gefördert, aber durch die COVID-19-Pandemie gebremst worden zu sein.

Hi-Nurse überreicht Dose mit Medikamenten
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gingen die Konsultationen in kardiologischen und allgemeinmedizinischen Praxen um rund 40 Prozent zurück. Das hat sich auch auf die Herzinsuffizienz-Versorgung ausgewirkt. Die Verschreibungszahlen von wichtigen Arzneimitteln brachen ein. © R. Kochanowski / DZHI

Würzburg. Herzinsuffizienz ist in Deutschland die häufigste Einzeldiagnose bei Klinikaufnahmen und hat eine ernste Prognose: nur jede zweite Person mit Neudiagnose Herzinsuffizienz wird die folgenden fünf Jahre überleben. Eine frühzeitige, medizinische Therapie kann jedoch stationäre Aufenthalte reduzieren, Lebensqualität verbessern und die Überlebenswahrscheinlichkeit nachweislich erhöhen. Vor allem die Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF: heart failure with reduced ejection fraction) lässt sich inzwischen gut medikamentös behandeln. Die European Society of Cardiology (ESC) empfiehlt mit höchstem Nachdruck in ihren Leitlinien die Therapie mit vier Wirkstoffgruppen inklusive der beiden neuen Substanzklassen ARNI und SGLT2-Hemmer*, deren zusätzlicher Nutzen in mehreren Studien demonstriert wurde. 

Doch wie gut und schnell wird die neue Evidenz für diese neuartigen medikamentösen Therapien gemäß Leitlinien eigentlich in die tägliche Praxis umgesetzt? Und wie hat sich COVID-19-Pandemie auf die Verordnungsraten in der Herzinsuffizienz-Versorgung ausgewirkt? Ein Team namhafter Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Störk vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) am Uniklinikum Würzburg (UKW) hat sich die Verschreibungspraxis im Zeitraum 2016 bis 2023 genauer angeschaut und ihre Analysen jetzt im Fachjournal THE LANCET Regional Health Europe veröffentlicht. Im Fokus standen dabei die beiden neuen Wirkstoffklassen ARNI und SGLT2-Inhibitor. ARNI ist die Kombination aus dem Neprilysin-Inhibitor Sacubitril und dem Angiotensin-Rezeptor-Blocker Valsartan, das die europäischen Arzneimittelbehörde EMA im November 2015 zugelassen hat. SGLT2-Inhibitoren sind seit August 2021 in den Leitlinien empfohlen.** 

Verschreibungszahlen brachen zu Beginn der Covid-19-Pandemie ein

Konkret untersucht wurden Apothekendaten aus der Verschreibungsdatenbank IQVIA. Die Anzahl der Menschen, die mit Sacubitril/Valsartan behandelt wurden, stieg kontinuierlich an, von 5.260 im ersten Quartal 2016 auf 351.262 im zweiten Quartal 2023. Zeitgleich mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie verlangsamte sich das vierteljährliche Wachstum jedoch erheblich, um etwa 50 Prozent von 16.507 im ersten Quartal 2020 auf 8.804 im darauffolgenden Quartal. 

Ähnlich verhielt es sich bei den Neuverschreibungen. Diese stiegen zwar insgesamt von 5.238 im ersten Quartal 2016 auf 53.534 Verordnungen bis zum zweiten Quartal 2023. Zu Beginn der Pandemie, im Übergang vom ersten zum zweiten Quartal 2020 gingen die Verschreibungen von Sacubitril/Valsartan jedoch um 17,5 Prozent zurück (von 26.855 in Q1/2020 auf 22.145 in Q2/2020). Erst ein knappes Jahr später, im ersten Quartal 2021, wurde mit 27.197 Neuverschreibungen das Niveau vor der Pandemie erreicht. „In den klinischen Studien zu diesem Präparat haben wir gelernt, dass selbst stabile Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz von der Therapie mit Sacubitril/Valsartan im ersten Jahr deutlich profitiert haben. Der um ein Jahr verzögerte oder ausgesetzte Beginn dieser wichtigen Arzneimitteltherapie ist also für die Alltagsversorgung sehr relevant“, kommentiert Prof. Dr. Stefan Störk.

50.000 weniger kardiologische Konsultationen in einer Woche

Die vorliegende Analyse bestätigt die Ergebnisse einer umfassenden Übersichtsarbeit, die 81 Studien aus 20 Ländern berücksichtigt und einen pandemiebedingten Rückgang der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems insgesamt um 37 Prozent und für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 29 Prozent aufzeigt. Das passt auch zum Trendreport des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Demnach sanken in Deutschland die Behandlungsfälle in kardiologischen Praxen in der letzten Märzwoche 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent, was 50.000 weniger Konsultationen in einer Woche bedeutet, und in allgemeinmedizinischen Praxen um 39 Prozent, was 500.000 weniger Konsultationen entspricht. 

Resilienz der Gesundheitssysteme bei Pandemien und anderen Krisen stärken 

„Unsere Daten verdeutlichen die negativen Folgen der Pandemie, einschließlich der Lockdown-Maßnahmen, und legen nahe, dass wir die Resilienz, also die Widerstandskraft unseres Gesundheitssystems stärken müssen, um uns für zukünftige Gesundheitskrisen zu wappnen. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten sowie zur Gesundheitsversorgung insgesamt für Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen sicherzustellen. Das betrifft zukünftige Pandemien, kann aber prinzipiell auch auf andere Krisen der öffentlichen Gesundheit, wie beispielsweise Extremwetterereignisse beziehungsweise Überschwemmungen übertragen werden,“ fasst Dr. Fabian Kerwagen zusammen. Der angehende Kardiologe spezialisiert sich im DZHI auf die Versorgungsforschung und ist als Erstautor der Publikation „Impact of the COVID-19 pandemic on implementation of novel guideline-directed medical therapies for heart failure“.

Neue Leitlinien finden relativ schnell den Weg in die Praxis

Als äußerst positiv bewerten die Autoren die schnelle Umsetzung der neuen Leitlinien-Empfehlungen. „Wir haben gesehen, dass sowohl Sacubitril/Valsartan als auch die SGLT2-Hemmer nach Zulassung und Leitlinienempfehlung zunehmend rascher in der Versorgungsrealität ankommen und verschrieben werden“, stellt Fabian Kerwagen zufrieden fest. 

So konnte das Studienteam direkt nach der Zulassung des ersten SGLT2-Inhibitors für HFrEF Ende 2020 einen Anstieg der gemeinsamen Verschreibung von SGLT2-Inhibitor mit Sacubitril/Valsartan nachweisen. Dieser Trend beschleunigte sich mit den neuen ESC-Leitlinien zur Herzinsuffizienz. Das vierteljährliche Wachstum für die Kombinationstherapie verdoppelte sich nahezu von 11.929 im dritten Quartal 2021 auf 22.033 im darauffolgenden Quartal und nahm danach weiter kontinuierlich zu. Zuletzt, im zweiten Quartal 2023, wurde die Kombinationstherapie (S/V und SGLT2-Inhibitor) 80.926 mal verordnet. Allerdings: Frauen und Patienten im Alter von über 80 Jahren wurden seltener mit einer Kombinationstherapie behandelt als Männer und jüngere Patienten. 

„Obwohl klinische Leitlinien zu einem immer besser angenommenen Eckpfeiler der klinischen Versorgung geworden sind, bestehen nach wie vor große Lücken zwischen der Evidenz aus den entscheidenden randomisierten Ergebnisstudien und der Akzeptanz der leitliniengerechten medikamentösen Therapie in der täglichen Praxis. Letztendlich sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich, um zu verstehen, wie evidenzbasiertes klinisches Wissen effektiver in die Praxis umgesetzt und genutzt werden kann“, fasst Stefan Störk zusammen. 

*Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI), Natrium-Glukose-Co-Transporter-2-Inhibitoren (SGLT2-Hemmer)

** Im Juni 2021 hatte Empagliflozin nach Dapagliflozin als zweiter SGLT-2-Hemmer die Zulassungserweiterung für HFrEF erhalten.

 

Publikation: 
Fabian Kerwagen, Uwe Riemer, Rolf Wachter, Stephan von Haehling, Amr Abdin, Michael Böhm, Martin Schulz, Stefan Störk. Impact of the COVID-19 pandemic on implementation of novel guideline-directed medical therapies for heart failure in Germany: a nationwide retrospective analysis. The Lancet Regional Health - Europe, Volume 35, 2023, 100778,
ISSN 2666-7762, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2023.100778.

 


WHO / Europe ruft zu #Preparedness2.0 auf 


Parallel zur Veröffentlichung der Studie fand in Istanbul die dritte Tagung der Fachberatungsgruppe (TAG für Technical Advisory Group) zur Entwicklung der Strategie und des Aktionsplans #Preparedness2.0 für gesundheitliche Notfallvorsorge, Reaktionsfähigkeit und Resilienz in der Europäischen Region der WHO statt. 

Die Mitglieder der TAG, die die Vielfalt der Region sowie Geschlecht, Alter und disziplinäre Hintergründe widerspiegeln, wurden vom WHO-Regionaldirektor für Europa, Dr. Hans Henri P. Kluge, im Juni 2023 ernannt, nachdem von März bis Mai 2023 eine Reihe offener Aufforderungen zur Einreichung von Expertenvorschlägen veröffentlicht worden waren.

Für die Zukunft wird die „pandemic preparedness“ von entscheidender Bedeutung sein. Wie in den jüngsten gesundheitspolitischen Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgehoben wird, muss die Gesundheitspolitik angemessene Maßnahmen ergreifen, um bei künftigen Krisen Unterbrechungen der Versorgungskontinuität von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen zu verhindern oder abzumildern und letztlich die Resilienz der Gesundheitssysteme zu stärken.
 

Hi-Nurse überreicht Dose mit Medikamenten
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gingen die Konsultationen in kardiologischen und allgemeinmedizinischen Praxen um rund 40 Prozent zurück. Das hat sich auch auf die Herzinsuffizienz-Versorgung ausgewirkt. Die Verschreibungszahlen von wichtigen Arzneimitteln brachen ein. © R. Kochanowski / DZHI

Ein potenzielles Ziel für neue Wirkstoffe gegen Krebs

Bei vielen Krebsarten spielen MYC-Proteine eine wichtige Rolle. Einem Forschungsteam der Universität Würzburg ist es jetzt gelungen, diese Proteine indirekt zu beeinflussen – mit deutlichen Folgen für den Tumor.

Gene aus der MYC-Familie sind für den menschlichen Organismus essenziell.  Nach derzeitigen Erkenntnissen regulieren sie die Expression der meisten zellulären Gene. Eine Fehlsteuerung von MYC-Proteinen trägt wesentlich zur Entstehung vieler Arten von Krebs bei.  Kein Wunder, dass MYC-Proteine im Fokus der Krebsforschung weltweit stehen. Aus Sicht der Wissenschaft könnten sie das ideale Ziel für neue Wirkstoffe im Kampf gegen Krebs sein.

Tatsächlich ist die Bedeutung von MYC für die Entwicklung von Krebszellen seit Langem bekannt. Die Struktur der MYC-Proteine und ihre molekulare Funktion haben es allerdings bisher verhindert, das Protein direkt pharmakologisch anzugreifen. Bei der Suche nach einer Lösung für dieses Problem ist einem Forschungsteam der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) jetzt möglicherweise ein wichtiger Schritt geglückt: Über einen Kooperationspartner von MYC konnte es im Tierversuch die Entstehung und Entwicklung der Krebstumoren deutlich bremsen.

Publikation in „Life Science Alliance”

Beteiligt an der Studie waren zwei Arbeitsgruppen am Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie der JMU von Wolf Elmar, Professor für Tumorsystembiologie, und von Dr. Peter Gallant sowie die Gruppe von Thomas Raabe, Professor für Molekulare Genetik. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Life Science Alliance“ veröffentlicht.

„Weil es so schwierig ist, MYC-Proteine direkt anzugreifen, haben wir nach Partnern von MYC gesucht und dabei ein Protein namens SPT5 gefunden“, schildert Elmar Wolf die Vorarbeiten zu dieser Studie. SPT5 stellte sich in der Zellkultur als unverzichtbar für die MYC-abhängige Gen-Transkription in menschlichen Krebszellen heraus. Unklar blieb allerdings, wie wichtig die Interaktion von MYC- und SPT5-Proteinen für das Verhalten von normalen Zellen im Körper ist und ob sich über sie die Entwicklung von Krebszellen würde beeinflussen lassen.

Forschung an der Fruchtfliege

Antworten liefert die jetzt veröffentlichte Studie. „Wir haben mit der Fruchtfliege Drosophila melanogaster gearbeitet – einem bekannten und bewährten Modellsystem der tierischen Entwicklung“, erklärt Peter Gallant. Genauso wie Wirbeltiere – und somit auch der Mensch – besitzen Fruchtfliegen ebenfalls MYC- und SPT5-Proteine. 

In ihren Experimenten konnten die Wissenschaftler in einem ersten Schritt nachweisen, dass MYC- und SPT5-Proteine auch im Organismus der Fruchtfliege funktionell zusammenarbeiten. So wurde beispielsweise eine moderate Veränderung der MYC- oder der SPT5-Menge von den Fliegen gut toleriert. Veränderte das Team jedoch sowohl MYC- als auch SPT5-Mengen gleichzeitig, traten bei den Tieren deutliche Defekte auf. „Diese Beobachtungen unterstreichen die Wichtigkeit der MYC-SPT5-Interaktion während der normalen Entwicklung des Organismus“, sagt Thomas Raabe.

Drastische Reduktion des Tumorgewebes

Im nächsten Schritt ging das Forschungsteam der Frage nach, welche Rolle SPT5 bei der Entstehung und Entwicklung von Tumoren einnimmt. Zum Einsatz kamen dafür gentechnisch veränderte Fruchtfliegen, die MYC-abhängige Hirntumoren entwickeln. Im Experiment konnten diese Fliegen zwar schlüpfen, starben aber innerhalb von weniger als zehn Tagen, wohingegen die meisten Kontrolltiere nach zwei Monaten noch am Leben waren. 

„Wenn wir jedoch bei diesen Exemplaren die Menge an SPT5 in den Hirntumoren experimentell reduzierten, verdreifachte sich ihre Lebenszeit“, schildert Peter Gallant das zentrale Ergebnis der Studie. Dies ging einher mit einer dramatischen Abnahme der Tumormasse, die allerdings nur vorübergehend war. Die Lebenszeit verlängerte sich auch dann, wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die SPT5-Menge nicht nur im Gewebe der Hirntumoren reduzierten, sondern im gesamten Organismus der Fliege. Analoge Manipulationen der SPT5-Menge in gesunden Kontrolltieren hatten nur vernachlässigbare Auswirkungen auf die Gehirnstruktur und das Überleben der Tiere. 

Nach Aussicht der Würzburger Arbeitsgruppen zeigen diese Resultate, dass SPT5 eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von MYC-abhängigen Tumoren spielt. Ihre Experimente lassen auch den Schluss zu, dass eine moderate Reduktion von SPT5 in gesundem Gewebe gut toleriert wird, aber zu einer deutlichen Rückbildung von Tumoren führen kann. Damit erweise sich SPT5 als ein mögliches Zielprotein für die Entwicklung von pharmakologischen Hemmstoffen für die Krebsbekämpfung.

Originalpublikation

Spt5 interacts genetically with Myc and is limiting for brain tumor growth in Drosophila. Julia Hofstetter, Ayoola Ogunleye, André Kutschke, Lisa Marie Buchholz, Elmar Wolf, Thomas Raabe, Peter Gallant. Life Science Alliance Vol 7, Issue 1; doi: 10.26508/lsa.202302130.

Kontakt

Dr. Peter Gallant, Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie, peter.gallant@uni-wuerzburg.de 

 

Pressemeldung der Universität Würzburg vom 07.11.2023

 

Zufahrt zur Zahnklinik über Koellikerstraße gesperrt

Ab 13.11.2023 wird in der Koellikerstraße die Zufahrt zur Zahnklinik gesperrt. Die Zu- und Ausfahrt zur Zahnklinik kann dann nur noch über die Schranke an der Pleichertorstraße erfolgen.

Dies wird aufgrund der Leitungsverlegung der Fernwärme notwendig. Die Durchführung erfolgt bis Ende des Jahres 2023. Über Änderungen in der Verkehrsführung und Informationen zu weiteren Bauabschnitten wird rechtzeitig sowohl über die Presse als auch über den Geostadtplan der Stadt Würzburg (www.wuerzburg.de/baustellen) informiert.

 

Pressemitteilung der Stadt Würzburg vom 9. November 2023
 

Harmloser Harnwegsinfekt – Wärmflasche oder Antibiotikum?

Die unnötige oder dem Erregerspektrum nicht entsprechende Verordnung von Antibiotika führt zu zunehmenden Resistenzen. Um die Therapie und Medikamentenverordnung beim unkomplizierten Harnwegsinfekt in den allgemeinmedizinischen Praxen zu optimieren, wurden im Rahmen der RedAres-Studie unter der Leitung des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg die Auswirkungen eines Interventionsprogramm geprüft. Fazit: Multimodale Intervention verbessert Verschreibungsverhalten in allgemeinmedizinischen Praxen.

 

Frau hält Wärmflasche auf Unterbauch
Die Studie RedAres hat gezeigt, dass ein multimodales Interventionsprogramm das Verschreibungsverhalten beim unkomplizierten Harnwegsinfekt verbessern kann. Es wurden häufiger die in der Leitlinie empfohlenen Antibiotika verschrieben und weniger. Bis zu zwei Drittel der unkomplizierten Harnwegsinfekte heilen mit Wärme, Ruhe und viel Trinken aus. © Christoph Müller

Fast jede Frau macht es mindestens einmal im Leben durch: Brennen beim Wasserlassen und ständiger Harndrang. Die typischen Symptome eines Harnwegsinfekts. Sie gehören zu den häufigsten Anlässen für eine hausärztliche Konsultation. Die meisten dieser bakteriellen Blasenentzündungen sind harmlos. Bis zu zwei Drittel der so genannten unkomplizierten Harnwegsinfekte können mit Wärme, Ruhe und viel Trinken nach einer Woche ausheilen. In manchen Fällen muss ein Antibiotikum gegeben werden. Doch hier kommt es auf das richtige Antibiotikum an. 

Mit leitliniengerechter Verschreibung Wirksamkeit von Antibiotika erhalten

Es sollte immer erst ein in den Leitlinien* festgelegtes Mittel der ersten Wahl angewendet werden. Dieses geht die Erreger gezielt an und hat weniger Nebenwirkungen als ein sogenanntes Reserveantibiotikum, das zwar eine breite Palette an Bakterien bekämpft, aber entsprechend Resistenzen hervorruft. Dadurch besteht die Gefahr, dass Reservemittel bei schweren Infekten nicht mehr wirksam sind. „Doch trotz ausdrücklicher Empfehlungen für Erstlinien-Antibiotika machen Breitband-Antibiotika wie Fluorchinolone immer noch einen großen Anteil der verordneten Antibiotika für Frauen mit Harnwegsinfektionen in Deutschland aus“, mahnt Alexandra Greser. Die Allgemeinärztin hat unter der Leitung von Prof. Ildikó Gágyor am Institut für Allgemeinmedizin des Uniklinikums Würzburg das Projekt RedAres - Reduktion von Antibiotikaresistenzen - koordiniert. Mit einem multimodalen Interventionsprogramm sollten Hausärztinnen und Hausärzte bei der Behandlung von Patientinnen mit unkompliziertem Harnwegsinfekt unterstützt werden. Die zwölfmonatige Intervention hatte Erfolg: Es wurden häufiger die in der Leitlinie empfohlenen Antibiotika verschrieben. Und: Insgesamt wurden weniger Antibiotika verordnet. Die Ergebnisse hat das Studienteam gerade im renommierten British Medical Journal (BMJ) veröffentlicht. 

Regionale Resistenzdaten, komprimiertes Informationsmaterial, individuelles Feedback und Benchmarking 

Das Interventionsprogramm bestand aus drei Komponenten. Zunächst erhielten die Interventionspraxen regionale Resistenzdaten von den wichtigsten Keimen. „Darauf sind wir besonders stolz“, sagt Ildikó Gágyor. „Das Robert Koch Institut (RKI) hat als Teilprojekt regionale Resistenzdaten** ermittelt, sodass die teilnehmenden Praxen in den verschiedenen Bundesländern auf einen Blick sehen konnten, welche Antibiotika, die in den Leitlinien empfohlen werden, eine geringe Resistenzrate haben. Das Besondere: In die Resistenzprüfung des RKI wurden ausschließlich Urinproben von unkomplizierten Blasenentzündungen einbezogen. Bisher gab es immer nur Mischbilder, in denen auch komplizierte Harnwegsinfekte bis hin zu Nierenbeckenentzündungen berücksichtig wurden.“ Neben den Resistenzdaten wurde den Interventionspraxen als zweite Komponente komprimiertes Informationsmaterial sowie Flyer für Patientinnen in fünf verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt. Das dritte Modul umfasste individuelles Feedback zur Verordnungspraxis nach jedem Quartal, Telefonberatungen und ein Benchmarking, also der regelmäßige Vergleich der individuellen Verordnungsdaten mit denen anderer Praxen. 

MFA aus 128 Praxen haben insgesamt 10.323 Fälle anonymisiert aggregiert erhoben 

An der durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderten Studie RedAres beteiligten sich insgesamt 128 Praxen aus fünf Regionen Deutschlands, nämlich Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg und Thüringen. Neben dem Uniklinikum Würzburg, das mit 43 aufgenommenen Studienpraxen den größten Anteil hatte, rekrutierten die Institute für Allgemeinmedizin der Unikliniken in Freiburg und Jena sowie die Charité in Berlin. Die Universität Bremen war ebenfalls ein wichtiger Projektpartner und zeichnete für die Pilotierung verantwortlich. In die finale Analyse, die vom Institut für klinische Epidemiologie und Biometrie der Universität Würzburg durchgeführt wurde, flossen die Daten von 110 Praxen ein. Davon nahmen 57 Praxen an der Intervention teil, 53 Praxen waren in der Kontrollgruppe. Insgesamt konnten 10.323 Fälle in anonymisierter Form aggregiert werden.

„Hier gilt ein großer Dank den Medizinischen Fachangestellten, die für uns per Hand die Daten erhoben haben“, lobt Ildikó Gágyor. „Ohne sie wäre die Studie in diesem Ausmaß gar nicht möglich gewesen, geschweige denn unser Erkenntnisgewinn.“ 

Reduktion von Zweitwahl-Antibiotika um 10%-Punkte absolut in 12 Monaten übertroffen

Die Auswertung hat gezeigt, dass eine komplexe Intervention die Verordnung von Zweitwahl-Antibiotika beim unkomplizierten Harnwegsinfekt um 13 Prozentpunkte reduziert. „Damit haben wir unseren anfangs formulierten Endpunkt um 3 Prozentpunkte übertroffen“, kommentiert Ildikó Gágyor. Zudem haben wir weniger wiederkehrende Harnwegsinfektionen in der Interventionsgruppe verzeichnet als in der Kontrollgruppe, in der möglicherweise aufgrund einer erhöhten Verschreibung von Breitbandantibiotika mehr Resistenzen und entsprechend mehr Rezidive entstanden sind.“ 

Interventionsmodule nutzbar und in der täglichen Routine anwendbar

Was bedeuten die Ergebnisse für die Routineversorgung? Eine einfache Intervention ließe sich gut in die tägliche Routine integrieren, zum Beispiel indem die regionalen Resistenzdaten bei der Antibiotika-Verordnung einbezogen werden, meint Alexandra Greser. Oder die Behandelnden erhalten jedes Quartal eine automatisierte Auswertung der Verschreibungsdaten. „Wir haben in der Studie gelernt, dass die Ärztinnen und Ärzte es durchaus hilfreich fanden, regelmäßig Rückmeldungen zum Verordnungsverhalten zu erhalten, so Prof. Dr. Jutta Bleidorn vom Uniklinikum Jena. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Feedback zum eigenen Verordnungsverhalten relevant ist, um Verordnungsverhalten zu verändern oder positiv zu bestätigen. Im Rahmen der Prozessevaluation schätzten die beteiligten Hausärztinnen und Hausärzte die Interventionsmodule mehrheitlich als nützlich und in der täglichen Routine anwendbar ein. Schlussendlich gilt es auch die Patientinnen zu informieren und zu sensibilisieren, was symptomatische Behandlungsmöglichkeiten mit ausreichend Trinken und gegebenenfalls mit Schmerzmitteln oder pflanzlichen Mitteln betrifft, aber auch welche Antibiotika der ersten Wahl für sie in Frage kommen. 

Studienwebseite: www.redares.de 


Publikation: 
Schmiemann G, Greser A, Maun A, Bleidorn J, Schuster A, Miljukov O et al. Effects of a multimodal intervention in primary care to reduce second line antibiotic prescriptions for urinary tract infections in women: parallel, cluster randomised, controlled trial BMJ 2023; 383 :e076305 doi:10.1136/bmj-2023-076305


*Für den Harnwegsinfekt gibt es zwei relevante nahezu identische S3-Leitlinien: die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) „Brennen beim Wasserlassen” sowie die „S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten” der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). 

**Die regionalen Resistenzdaten des Robert Koch-Instituts sind offen für alle Bundesländer und können hier abgerufen werden: 

 

Frau hält Wärmflasche auf Unterbauch
Die Studie RedAres hat gezeigt, dass ein multimodales Interventionsprogramm das Verschreibungsverhalten beim unkomplizierten Harnwegsinfekt verbessern kann. Es wurden häufiger die in der Leitlinie empfohlenen Antibiotika verschrieben und weniger. Bis zu zwei Drittel der unkomplizierten Harnwegsinfekte heilen mit Wärme, Ruhe und viel Trinken aus. © Christoph Müller

Innovationspreis für Kabel-Klammer-Implantate bei Beckenverletzungen

Für die Entwicklung von innovativen Kabel-Klammer-Implantaten zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings nach Hochrasanztrauma erhielt Privatdozent Dr. Martin Jordan vom Uniklinikum Würzburg den mit 10.000 Euro dotierten Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Zeitgleich wurde der Unfallchirurg in die Exzellenz-Akademie des Konvents der Universitätsprofessuren für Orthopädie und Unfallchirurgie (KUOU) aufgenommen.

Der Preisträger Martin Jordan präsentiert beim DKOU die Urkunde des Innovationspreises auf der Bühne.
Preisverleihung auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie am 27.10.2023; v.l.n.r.: Benjamin Lehnen, Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz (Kongresspräsident), PD Dr. Martin Jordan (UKW) und Prof. Dr. Dietmar Pennig (stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie). © Intercongress
Neuartiges Kabel-Klammer-Implantat bei Open-Book-Verletzungen
Unfallchirurgen des Uniklinikums Würzburg haben mit internen und externen Partnern aus der Region innovative Kabel-Klammer-Implantate zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings entwickelt. © UKW
Die Titan-Klammern mit einer Führungsstruktur für das geflochtene Stahlseil werden fest am Knochen mit zwei Schrauben fixiert. Da sie fest im Implantat fassen und nicht im Knochen, können sie nicht ausbrechen. © UKW

Vor wenigen Monaten wurde die Proof-of-concept-Studie der neuartigen mittels 3D-Druck entwickelten Kabel-Klammer-Implantate im Fachjournal Nature Communications Medicine publiziert. Mit dem Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) für seine vielversprechende Stabilisations-Alternative bei Verletzungen des vorderen Beckenrings hat Privatdozent Dr. Martin Jordan nun einen neuen Meilenstein erreicht. Der geschäftsführende Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie am Uniklinikum Würzburg hat die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung Ende Oktober beim Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie 2023 in Berlin stellvertretend für das gesamte interdisziplinäre Team entgegengenommen, die an der Entwicklung der Kabel-Klammer-Implantate beteiligt waren. 
Was ist das Besondere an dem Implantat, das künftig bei so genannten Symphysenrupturen zum Einsatz kommen könnte. Der Autor der Studie erklärt die Problematik dieser Open-Book-Verletzungen, bei denen das Becken wie ein geöffnetes Buch aufklappt, und chirurgisch versorgt werden müssten: „In vielen Fällen kommen Stahlplatten und Schrauben zum Einsatz, die zwar gut geeignet sind zur Knochenbruchbehandlung aber Nachteile bei der Versorgung der Symphyse aufweisen, welche eigentlich eine flexible Faserknorpelverbindung ist. Das heißt: Wir stabilisieren derzeit die eigentlich flexible Symphyse mit einer rigiden Stahlplatte und Schrauben. Da es in diesem knorpeligen Teil des Beckens jedoch keine knöcherne Heilung gibt, sondern nur eine Vernarbung, sind kontinuierliche Mikrobewegungen nicht zu vermeiden. Es kommt zu Lockerungen der Schrauben und bei einer reduzierten Knochenqualität droht ein Implantatversagen.“

Titan-Klammern und Stahlseil stabilisieren flexible Faserknorpelverbindung im vorderen Beckenring

Gemeinsam mit Headmade Materials, einem regionalem Deep Tech-Unternehmen in den Bereichen 3D-Druck und Pulvermetallurgie, entwickelte Martin Jordan komplexe Kabel-Klammer-Implantate, bei denen ein geflochtenes Stahlseil die Schambeinäste zusammenhält. Damit das Seil nicht einschneidet wird es von fest verankerten Titan-Klammern geführt. Bei der Testung im Biomechanik-Labor der Unfallchirurgie wiesen die Kabel-Klammer-Implantate eine äquivalente Stabilität zu herkömmlichen Verfahren auf. „Sie sind nicht schlechter und bisher nicht wesentlich besser als die Platten, aber wir haben hier nicht das Risiko des frühzeitigen Implantatversagens“, erläutert Martin Jordan. Die Passgenauigkeit der Kabel-Klammer-Implantate hat Prof. Thorsten Bley mit seinem Team im Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am UKW im neuen hochmodernen Photonenzählenden Computertomografen (CT) ausgewertet. In den nächsten Schritten sollen die Implantate modifiziert und in weiteren Studien getestet werden. 

„Und da die Möglichkeit eines klinischen Nutzens durchaus besteht, was der Innovationspreis noch einmal unterstreicht, haben wir bereits eine internationale Patentanmeldung (PCT) mit Unterstützung des Servicezentrums Forschung und Technologietransfer und der Bayerischen Patentallianz eingeleitet“, erläutert Martin Jordan. 

Aufnahme in Exzellenz-Akademie der KUOU

Seine Leistung haben auch den Konvent der Universitätsprofessuren für Orthopädie und Unfallchirurgie (KUOU) überzeugt. Im Rahmen des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin hat der Konvent Martin Jordan in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Qualifikation und akademischen Eignung in die Exzellenz-Akademie aufgenommen. Ziel der Exzellenz-Akademie ist es, klinisch und wissenschaftlich engagierte Kolleginnen und Kollegen mit hohem Potenzial für die Besetzung von universitätsklinischen Leitungspositionen zu identifizieren und frühzeitig zu fördern.

Link zur Pressemitteilung anlässlich der Publikation inklusive Film zum Kabel-Klammer-Implantat.

 

Der Preisträger Martin Jordan präsentiert beim DKOU die Urkunde des Innovationspreises auf der Bühne.
Preisverleihung auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie am 27.10.2023; v.l.n.r.: Benjamin Lehnen, Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz (Kongresspräsident), PD Dr. Martin Jordan (UKW) und Prof. Dr. Dietmar Pennig (stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie). © Intercongress
Neuartiges Kabel-Klammer-Implantat bei Open-Book-Verletzungen
Unfallchirurgen des Uniklinikums Würzburg haben mit internen und externen Partnern aus der Region innovative Kabel-Klammer-Implantate zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings entwickelt. © UKW
Die Titan-Klammern mit einer Führungsstruktur für das geflochtene Stahlseil werden fest am Knochen mit zwei Schrauben fixiert. Da sie fest im Implantat fassen und nicht im Knochen, können sie nicht ausbrechen. © UKW

ACHT: Wegweisendes Versorgungsprogramm nach Adipositas-Operation

Das innovative Versorgungsprogramm ACHT belegt Nutzen einer strukturierten, sektorenübergreifenden Versorgung von Patientinnen und Patienten nach Adipositas-Operation in Bayern – Abschlussveranstaltung des Innovationsfondsprojekts in Berlin

Vertreter des Projekts positionieren sich in Berlin auf einer Wendeltreppe
Am 27. Oktober fand die Abschlussveranstaltung des Innovationsfondsprojekts ACHT statt, an der Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Selbsthilfe und Praxis teilgenommen haben. Während der Veranstaltung wurden zentrale Ergebnisse des Projekts präsentiert, das unter der Konsortialführung der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke und der medizinischen Leitung des Universitätsklinikums Würzburg durchgeführt wurde. © Deutsche Stiftung für chronisch Kranke

Berlin, Würzburg: In Deutschland kämpft fast jeder zweite Erwachsene mit Übergewicht. Beinahe jeder vierte Erwachsene leidet unter Adipositas, wobei die Tendenz weiter steigt. Adipositas ist eine chronische Krankheit, die mit erheblichen gesundheitlichen und funktionellen Einschränkungen einhergeht. Betroffene tragen ein erhöhtes Risiko für Diabetes, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkprobleme und Krebs. Zusätzlich sind sie häufig Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt, was die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Bei schwerer Adipositas führen herkömmliche konservative Therapien oft nicht zu ausreichendem und langfristigem Gewichtsverlust, was die Notwendigkeit von bariatrisch-metabolischen Operationen (Adipositas-Operationen) verdeutlicht. 

ACHT steht für Adipositas Care & Health Therapy

„Um den Erfolg dieser Operationen sicherzustellen, bedarf es einer langfristigen Betreuung der Patientinnen und Patienten. Ambulante Versorgungsstandards und -angebote fehlen bislang, obwohl die Leitlinien klare Richtlinien für die Nachsorge vorgeben“, erklärt Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Würzburg und medizinischer Leiter des Projekts ACHT (Adipositas Care & Health Therapy). Da aktuell weiterhin die Vergütung dieser Nachsorge durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte nicht geklärt ist, versuchen Adipositaszentren in Krankenhäusern diese Lücke mit begrenzten Ressourcen zu schließen, stoßen jedoch bereits seit längerem an ihre Grenzen. Angesichts der steigenden Operationszahlen und des langfristigen Betreuungsbedarfs nach solchen Eingriffen wird das Problem von Jahr zu Jahr größer.

Strukturierte, sektorenübergreifende Versorgung nach chirurgischer Adipositasbehandlung

Das Projekt ACHT hat es sich unter der Konsortialführung der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke und der medizinischen Leitung des Universitätsklinikums Würzburg zum Ziel gesetzt, den Erfolg von Adipositas-Operationen langfristig zu sichern und ambulante Vertragsärztinnen und -ärzte in den Versorgungsprozess einzubeziehen. Dies erfolgt durch ein digitales, sektorenübergreifendes und standortnahes Versorgungsprogramm, koordiniert von Adipositas-Lotsinnen und -Lotsen, die die Therapieziele der Patientinnen und Patienten im Auge behalten.

Im Rahmen eines vom Gemeinsamen Bundesausschuss geförderten Innovationsfondsprojekts wurde das ACHT-Versorgungsprogramm in Bayern implementiert und seine Wirksamkeit wissenschaftlich evaluiert. Die zentralen Ergebnisse wurden auf der Abschlussveranstaltung Ende Oktober in Berlin vorgestellt. 

„Die Ergebnisse unserer Evaluation zeigen, dass der gesundheitliche Zustand der Patientinnen und Patienten nach 18 Monaten mindestens vergleichbar und in vielen Aspekten besser ist als bei Patientinnen und Patienten in der aktuellen Versorgungsrealität. Das ACHT-Programm hatte insbesondere positive Auswirkungen auf die Lebensqualität“, berichtet Prof. Dr. Michael Laxy von der Technischen Universität München und Evaluator von ACHT. 

Schulungen und die Integration der ambulanten Vertragsärzte und -ärztinnen in das Programm stärkten die ambulanten Strukturen und gewährleisteten eine hochwertige Versorgung von Patientinnen und Patienten nach einer Adipositas-Operation. „Die Patientinnen und Patienten zeigten zudem eine hohe Zufriedenheit mit dem Programm, insbesondere hinsichtlich der regelmäßigen Termine bei den ACHT-Schwerpunktpraxen und Ernährungstherapeutinnen und -therapeuten sowie der Betreuung durch die Lotsinnen und Lotsen“, weiß auch Dr. Ann-Cathrin Koschker zu berichten, die als Co-Leiterin des Würzburger Adipositaszentrums viele ACHT-Patientinnen und -Patienten mit betreut hat.

Gesundheit, Lebensqualität und soziale Integration stehen im Vordergrund 

"Die Ergebnisse aus ACHT zeigen, dass eine kontinuierliche, digital unterstützte und sektorenübergreifende Betreuung nach Adipositas-Operationen den Patientinnen und Patienten tatsächlich helfen kann. Das Programm stellt nicht nur die Gesundheit der Patientinnen und Patienten in den Vordergrund, sondern auch ihre Lebensqualität und soziale Integration", so Dr. Bettina Zippel-Schultz, Deutsche Stiftung für chronisch Kranke und ACHT-Konsortialführung. ACHT ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer besseren Versorgung für Menschen mit Adipositas. Das Innovationsfondsprojekt ACHT steht beispielhaft für den Fortschritt im Gesundheitswesen und zeigt, wie innovative Ansätze dazu beitragen können, das Leben von Menschen mit Adipositas zu verbessern. 

ACHT konnte bereits während der Durchführung überzeugen. Die AOK Bayern bietet seit dem 01. Juli 2023 gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und den an ACHT beteiligten Adipositaszentren einen Selektivvertrag für betroffene Patientinnen und Patienten in Bayern an.

Die ACHT Bausteine des Versorgungsprogramms auf einen Blick: 

•    Strukturierte, wohnortnahe Nachsorge in speziell geschulten ACHT-Nachsorgepraxen
•    Adipositas-Lotsin und -Lotse
•    Adipositas-App
•    Digitale Fallakte zur sektorenübergreifenden Kooperation aller Therapeutinnen und Therapeuten
•    Regelmäßige, wohnortnahe Ernährungsberatungen
•    Individualisierte Bewegungsziel-Definition durch Sportmedizin
•    Psychologische Stabilisierung der Patientinnen und Patienten 
•    Vernetzung mit der Qualitätssicherungsmaßnahme StuDoQ

Weitere Informationen und Details zu ACHT liefert die Webseite

Vertreter des Projekts positionieren sich in Berlin auf einer Wendeltreppe
Am 27. Oktober fand die Abschlussveranstaltung des Innovationsfondsprojekts ACHT statt, an der Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Selbsthilfe und Praxis teilgenommen haben. Während der Veranstaltung wurden zentrale Ergebnisse des Projekts präsentiert, das unter der Konsortialführung der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke und der medizinischen Leitung des Universitätsklinikums Würzburg durchgeführt wurde. © Deutsche Stiftung für chronisch Kranke

Jahresbericht 2022 des Uniklinikums Würzburg erschienen

Der Jahresbericht 2022 des Uniklinikums Würzburg liefert nicht nur zentrale Kennzahlen, sondern zeichnet mit Artikeln und Meldungen ein anschauliches Bild von den letztjährigen Ereignissen und Leistungen am unterfränkischen Krankenhaus der Maximalversorgung.

Der Jahresbericht 2022 des UKW
Die Gestaltung der Titelseite des Jahresberichts 2022 nimmt Bezug auf die Vielfalt der am Uniklinikum Würzburg möglichen Ausbildungswege. Bild: UKW

Würzburg. Steigende Behandlungszahlen, positive personelle Entwicklungen sowie national und international sichtbare Forschungsergebnisse, Auszeichnungen und Zertifikate – am Uniklinikum Würzburg (UKW) war auch das Jahr 2022 von vielen Erfolgen geprägt. Der jetzt erschienene Jahresbericht gibt hierzu einen umfassenden Überblick. Reich bebilderte Meldungen und Artikel veranschaulichen die Themenvielfalt attraktiv und laienverständlich. So arbeitet zum Beispiel das Top-Thema die Bedeutung des Klinikums als ausbildende Institution heraus: Rund 680 Auszubildende haben hier die Chance, einen von mehr als 20 Berufen zu erlernen. 
Außerdem veröffentlicht die 64-seitige Publikation die wesentlichen Kennzahlen des Großkrankenhauses. Beispielsweise versorgten im vergangenen Jahr die über 7.600 Beschäftigten des UKW mehr als 281.000 ambulante sowie weit über 72.000 voll- und teilstationäre Patientinnen und Patienten nach höchsten medizinischen Standards. 
Ein PDF des Jahresberichts kann abgerufen werden unter www.ukw.de, Rubrik „Über das UKW“.
 

Der Jahresbericht 2022 des UKW
Die Gestaltung der Titelseite des Jahresberichts 2022 nimmt Bezug auf die Vielfalt der am Uniklinikum Würzburg möglichen Ausbildungswege. Bild: UKW