Seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland im Frühjahr dieses Jahres sind Präsenzveranstaltungen am Uniklinikum Würzburg (UKW) nur mit deutlichen Einschränkungen möglich. „Dies stellt gerade auch die studentische Lehre vor große Herausforderung“, berichtet Prof. Dr. Dr. h.c. Rudolf Hagen. Der Direktor der HNO-Klinik des UKW nahm dies zum Anlass, mit seinem Team ein neues Konzept für eine „hybride Lehre“ zu entwickeln. Die Idee dabei ist, Präsenzveranstaltungen mit kleinerer Teilnehmerzahl so aufzubereiten, dass den Humanmedizin-Studierenden die Lehrinhalte auch per Fernzugriff vermittelt werden können – und zwar simultan und interaktiv. „Wir sind der Meinung, dass ‚asynchrone‘ Formate, wie zum Beispiel Videoaufzeichnungen, dem Anspruch von Präsenzveranstaltungen nicht gerecht werden können, da die Möglichkeit zur so wichtigen Interaktion zwischen den Dozenten und dem Auditorium fehlt“, erläutert Prof. Hagen.
Bisher Erfahrungen mit hausinternen Übertragungen
Bei der Suche nach einer Lösung konnte das HNO-Team auf seine schon seit dem Jahr 2006 gesammelten Erfahrungen mit der 3D-HDTV-Übertragungs-Technik zurückgreifen. Mit der entsprechenden klinikeigenen Anlage ist es möglich, sowohl makroskopische, als auch mikroskopische oder endoskopische Live-Bilder während der Operationen in den Hörsaal zu übertragen sowie über eine Audio-Anbindung mit dem Operateur synchron Rücksprache zu halten. Die bislang hausintern arbeitende Technologie wird seither sowohl für die studentische Lehre, als auch bei Operationskursen und Kongressen eingesetzt. „Unser Ziel war es, ein ähnliches Konzept mit einer Anbindung über das Internet zu entwerfen“, schildert Dr. Johannes Völker, Facharzt der Würzburger HNO-Universitätsklinik.
Neu: Produktion eines Broadcast-fähigen Live-Streams
Eine der Herausforderungen hierbei war es, die diversen Inhalte einer Vorlesung digital so aufzubereiten, dass sie Streaming-tauglich sind und ein annäherndes Präsenz-Erlebnis am digitalen Endgerät zu Hause bieten. Das dazu zur Verfügung stehende Bild- und Tonmaterial ist vielfältig: Aus dem Operationssaal lassen sich mehr als zehn verschiedene Videokanäle von Mikroskopen, Endoskopen und Makro-Kameras übertragen. Hinzu kommen Aufnahmen von Hörsaalkameras zur Interaktion mit dem Referenten und die Vorlesungsfolien vom Präsentations-Rechner. „Um daraus eine ausgewogene, informative ‚Sendung‘ zu generieren, installierten wir in einem bereits bestehenden Raum am Kopf des Hörsaals ein System mit einem Audio- und einem Videomischpult. Es entstand eine Art kleines Fernsehstudio“, berichtet Privatdozent Dr. Kristen Rak, Oberarzt der HNO-Klinik. Am Ende steht ein Broadcast-fähiger Stream, der über etablierte Videokonferenz- oder Streaming-Plattformen live übertragen werden kann. Zur Kommunikation in die Gegenrichtung – also von den online zuschauenden Studierenden zum Dozenten – dient die Chat-Funktion der Streaming-Plattformen.
Damit die Live-Sendungen gelingen können, müssen die Veranstaltungen hochpräzise vorbereitet werden. Und auch der personelle Aufwand für die Produktion eines Streams ist beträchtlich. Als Audioregisseur fungiert der Informationselektroniker Michael Grünewald. Sein Pendant im Videobereich – auch als Kameramann im Hörsaal – ist der Foto- und Videotechniker Michael Bogár. Beide Fachkräfte sind Mitarbeiter der HNO-Klinik. Für die Moderation wird jeweils einer der Ober- oder Fachärzte der Klinik eingesetzt. Sie nehmen die Fragen aus dem Live-Chat entgegen und stellen sie im Auditorium zur Diskussion. Das Videomischen und den eigentlichen Broadcasting-Prozess leistet Dr. Völker oder ein*e Mitarbeiter*in aus dem Pool der Vorlesungsassistent*innen.
Ergänzende Neugestaltung des Vorlesungsablaufs
Für das neue Konzept gestaltete das HNO-Team auch die Vorlesungsform um: Für jede Vorlesung im Laufe des Semesters wurden spezifische Lernziele vorbereitet, die über das interaktive System erreicht werden sollten. Zur Vorbereitung wurde das grundlegende Wissen als asynchrone Vorbereitungsvorlesung online eingestellt und den Studierenden kurz vor den Veranstaltungen spezifische Fachfragen übermittelt. Die gestreamten Live-Veranstaltungen präsentieren vornehmlich hierzu passende chirurgische Eingriffe inklusive einer Kommunikationsmöglichkeit mit dem Operateur. Desweiteren werden die Lernziele und zuvor gestellte Fragen vom Referenten mit entsprechenden Folien beantwortet. Für einen vorab im Rahmen eines Online-Quiz bestimmten, kleineren Anteils an Studierenden ist es weiterhin möglich, die Vorlesung auch direkt im Hörsaal zu besuchen. „Mit diesem Hybridkonzept können wir flexibel auf die aktuelle Situation der Pandemie reagieren, entsprechende Hygieneabstände und -vorschriften einhalten sowie zu gegebener Zeit auch wieder mehr vor Ort anwesende Teilnehmerinnen und Teilnehmer integrieren“, verdeutlicht Dr. Völker.
Seit November erfolgreich im Einsatz
Das neue Konzept wird seit Beginn des Wintersemesters 2020/21 für die Lehre der Humanmedizin-Studierenden regelmäßig eingesetzt und mit einem Online-Publikum von jeweils 80 bis 100 Teilnehmer*innen sehr gut angenommen. Das bisherige Feedback war laut Dr. Rak durchgehend positiv.
„Es zeigt sich, dass unser Konzept für hybrid ausgerichtete Präsenzveranstaltungen zukunftsfähig ist. Deshalb planen wir, das Broadcast-System des HNO-Hörsaals kontinuierlich auszubauen und den technischen Neuerungen anzupassen. Außerdem wollen wir künftig noch mehr Videokanäle und noch höhere Auflösungen der Live-Operationen online anbieten“, kündigt Prof. Hagen an.
Auch im Operationskurs- und Kongressprogramm nutzbar
Mit der gefundenen Lösung können nicht nur weiterhin qualitativ hochwertige Lehrinhalte für die studentische Lehre angeboten werden – auch für das Operationskurs- und Kongressprogramm der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik lässt sich das Broadcast-System nutzen. So wird im März 2021 der 33. englischsprachige Kurs zur Mikrochirurgie des Mittelohrs und der auditorischen Implantate ebenfalls als Hybridveranstaltung ausgerichtet werden. „Wir gehen davon aus, dass wir mit dem interaktiven Broadcast ein noch größeres internationales Publikum erreichen“, nennt Prof. Hagen einen der sich abzeichnenden Vorteile der Neuerung. „Gerade unter den Aspekten der Nachhaltigkeit und des Ressourcenschutzes ist es sinnvoll, eine Option zur Teilnahme an derartigen Veranstaltungen ohne hohe Reiseaufwendungen anzubieten“, betont der Klinikdirektor. Unter dem Strich waren die initialen Ideen für eine vorübergehende Überbrückung der Pandemiezeit nach seinen Worten ein weitgreifender Anstoß zur sinnvollen Digitalisierung von Lehre und wissenschaftlichem Austausch.
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