Wenn das Schreiben per Hand, Aufschließen der Haustür oder das Führen der Teetasse zum Mund zu einer Zitterpartie wird, kann die Ursache ein so genannter Essentieller Tremor sein. Ein Prozent der Bevölkerung ist von dem unkontrollierten Zittern betroffen, das sich meistens auf Arme und Hände, aber auch auf Beine und Kopf auswirken kann. „Der Essentielle Tremor kann schon in jungen Jahren auftreten und die Betroffenen das ganze Leben lang begleiten beziehungsweise ihren Alltag massiv einschränken“, berichtet Dr. Dr. Sebastian Schreglmann, Neurologe und Neurowissenschaftler am Uniklinikum Würzburg. Häufig werde das Syndrom, das keine Verbindung zu Parkinson hat, vererbt. „Wir wissen aber, dass nicht nur ein Gen dafür verantwortlich ist. Wahrscheinlich kommen mehrere Phänomene zusammen, die noch weitestgehend unverstanden sind.“ Nur etwa die Hälfte der Patientinnen und Patienten erreichen langfristig eine gute Symptomkontrolle mittels medikamentöser Therapie. Für schwere Fälle bietet die Tiefe Hirnstimulation mittels eines implantierten Hirnschrittmachers Abhilfe, viele Patienten scheuen aber die notwendige OP. Sebastian Schreglmann hat mit Kooperationspartnern eine Methode entwickelt, bei der auf das Zittern der Hände abgestimmte Elektroimpulse über Klebeelektroden auf der Kopfhaut das Zittern erfolgreich reduzieren können. Für die im Fachmagazin Nature Communications publizierte Studie wurde er jetzt auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V. in Hamburg ausgezeichnet. Den mit insgesamt 4.500 Euro dotierten Nachwuchsförderpreis Klinische Neurophysiologie teilt sich der Wissenschaftler mit zwei weiteren Preisträgern.
Ziel: Therapieansätze bei Essentiellen Tremor und anderen Erkrankungen mit abnormen Oszillationen
Die Jury begründet die Auszeichnung mit dem innovativen Ansatz und einem hohen Nutzen für die Therapie. DGKN-Präsident Prof. Dr Christian Grefkes-Hermann: „Die Einbindung von Echtzeit-Analysen krankhafter Netzwerkmuster in Stimulationsprotokolle ist hoch innovativ und ein vielversprechender Schritt in Richtung einer personalisierten Therapie von Bewegungsstörungen.“
„Die Daten unserer Pilotstudie, in der wir zunächst einmal die prinzipielle Machbarkeit einer nicht-invasiven Stimulation mit Oberflächenelektroden bei Patienten mit Essentiellem Tremor bewiesen haben, sind so gut, dass wir in Folgestudien mittel- und langfristig Effekte der Stimulation untersuchen werden. Ziel ist es, hieraus eine weniger invasive und besser verträgliche klinische Therapie für Menschen mit Tremor zu entwickeln,“ kommentiert Sebastian Schreglmann. Noch in diesem Frühjahr soll in Würzburg nach umfangreichen Vorarbeiten eine entsprechende klinische Folgestudie starten. Parallel hierzu arbeitet Sebastian Schreglmann mit seinem Team an der optimalen Auswahl von Zielpunkt und Stimulationsform und führt zur präklinischen Erprobung in Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen an der Berliner Charité komplexe Computersimulationen durch, die es auch erlauben Effekte auf andere Hirnareale abzuschätzen. „Denn die Anwendung des Prinzips der phasen-spezifischen Neurostimulation erscheint prinzipiell auch bei anderen Erkrankungen, die auf fehlgeleitete rhythmische Aktivität im Gehirn basieren, vorstellbar“, so Schreglmann.
Optimale Stimulations-Phase ist für jeden Patienten individuell unterschiedlich
Entscheidend für den Effekt, also für die Reduktion des Zitterns, sei die Phase der Stimulation. „Die Stimulation der Hirnaktivität ist nur wirksam, wenn sie an die Schwingungsphase des Zitterns in Echtzeit angepasst wird“, erklärt der forschende Oberarzt. Daher gilt die DGKN-Auszeichnung auch dem gesamten Studienteam, ohne dem diese Studie nicht möglich gewesen wäre. So hat zum Beispiel Dr. Nir Grossmann aus London für die exakte, angepasste Ansteuerung des Stimulators einen neuartigen mathematischen Algorithmus entwickelt. Die Herausforderung dabei war die Überwindung des Gibbs’schen Phänomens, das die Berechnung der exakten Phase einer Schwingung in Echtzeit bis dato unmöglich gemacht hatte. Die komplexe statistische Signal-Auswertung hat der Mathematiker Dr. Robert Peach mittels maschinellen Lernens ermöglicht. Durch diese Analysen kann vorhergesagt werden, welche Form von Zittern die Stimulation beeinflussen kann, also welcher Patient darauf anspricht, und der zugrundeliegende Mechanismus einer erfolgreichen Stimulation kann ergründet werden.
Bei der Mehrzahl ging das Zittern zurück oder hörte ganz auf
Zum Studienablauf: Um die Bewegungen der zitternden Hand zu messen wurde den Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern zunächst ein Sensor um den Mittelfinger gelegt. In Abhängigkeit von diesen Messungen wurde das Gehirn über Klebeelektroden, die an der Stirn und über dem Kleinhirn platziert wurden, mit minimalem Wechselstrom 30 Sekunden lang stimuliert. Bei der Mehrzahl der Patientinnen und Patienten ging das Zittern während der randomisiert wiederholten Stimulation zurück oder hörte sogar gänzlich auf. Die Experimente wurden nach dreieinhalb Jahren wiederholt, und auch hier konnten die gleichen Resultate beobachte werden. Ein Video zeigt eindrucksvoll das Nachlassen des Zitterns während der Stimulation (Link zum Video).
„Wir haben damit zwar nicht die Ursache der abnormen Schwingungen gelöst, aber wir haben sie wieder in den Tritt gebracht“, resümiert Schreglmann und wagt einen Blick in die Zukunft: „Der schlussendlich gefundene Algorithmus ist so elegant, dass für seine Anwendung nur eine vergleichsweise geringe Rechenleistung nötig ist. Für die Vision eines nicht-invasiven Hirnschrittmachers ist dies ein wesentlicher Punkt. Denn dadurch könnte ein kleiner, zum Beispiel am Gürtel zu tragender Controller zur Steuerung ausreichen, um phasen-spezifisch zu stimulieren und so das Signalverhalten involvierter Neuronengruppen zu modulieren und letztlich Symptome zu lindern.“