Die im Journal eBioMedicine veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen, dass die Sensitivität der Antigenschnelltests über die Pandemie hinweg rückläufig war. Nicht nur die Viruslast im Rachenraum, sondern auch die COVID-19-Symptomatik der getesteten Person wie Fieber oder Husten beeinflusste die Testleistung. Da bei geimpften Personen seltener Symptome auftraten, war bei ihnen die Testempfindlichkeit geringer. Trotz dieser Einschränkungen erweisen sich Antigenschnelltests nach wie vor als nützliches Instrument zur schnellen Erkennung einer SARS-CoV-2-Infektionen bei symptomatischen Personen und eine wichtige Ergänzung zu PCR-Tests.
Ein Interview mit der Erstautorin der Studie Isabell Wagenhäuser und dem Letztautor PD Dr. Manuel Krone aus der Zentralen Einrichtung für Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship des Universitätsklinikums Würzburgs (UKW).
Wann ist ein Antigenschnelltest sinnvoll?
Manuel Krone: Wenn man Symptome einer Atemwegsinfektion hat, also Husten, Halsschmerzen, Schnupfen oder Fieber, und wissen möchte, ob man SARS-CoV-2 hat, dann funktionieren die Schnelltests unabhängig von Impfstoff und SARS-CoV-2-Variante recht gut. Letztlich stellt sich aber natürlich die Frage: Was hat man davon, wenn man weiß, ob man COVID-19 hat oder eine durch ein anderes Virus ausgelöste Infektion?
Wenn man weiß, dass man Corona hat, ist man vielleicht vorsichtiger, setzt bei der Arbeit oder beim Einkaufen einen Mundschutz auf, um sein Umfeld zu schützen.
Manuel Krone: COVID-19 ist leichter übertragbar als eine Grippe oder andere Atemwegsinfektionen. Trotzdem sollte man generell immer einen Mundschutz tragen, wenn man erkältet ist und mit gefährdeten Menschen in Kontakt kommt. In der Klinik propagieren wir keine Tests mehr, aber wir sagen ganz klar: Wer Atemwegssymptome hat und sich arbeitsfähig fühlt, sollte mit Maske arbeiten.
Sie haben eine der größten, wenn nicht sogar die größte Studie zu Antigenschnelltests durchgeführt. Was ist das Besondere daran?
Isabell Wagenhäuser: Es gibt einzelne Studien, die mehr Tests umfassen als unsere, aber sie haben andere Fragestellungen und einen kürzeren Erhebungszeitraum. Mit unserer Studie wurde als bisher einzige Studie die gesamte Pandemie betrachtet, vor allem auch wie sich die Testperformance der Antigenschnelltests unter welchen, auch neu auftretenden Einflussfaktoren wie die COVID-19-Impfung entwickelt haben.
Konkret haben verschiedene Kliniken des Uniklinikums Würzburg zusammen mit den Instituten für Hygiene und Mikrobiologie sowie für Virologie und Immunbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg von November 2020 bis Juni 2023 insgesamt 78.000 valide Antigenschnelltests an Patienten, deren Begleitpersonen oder an Mitarbeitenden durchgeführt. Gemeinsam mit jedem Antigenschnelltest wurde auch ein Abstrich für die PCR-Diagnostik als vergleichende Referenz entnommen. Davon ausgehend wurden Sensitivität und Spezifität von den verwendeten Antigenschnelltests mit der als Goldstandard geltenden PCR-Diagnostik verglichen und die Auswirkungen von Alter, Geschlecht, Impfung, Virusvarianten, der Viruslast im Rachenraum zum Zeitpunkt des Abstrichs sowie die Symptomatik auf die Testperformance analysiert. In dieser klinischen Screening-Anwendung mit den Faktoren und dieser hohen Qualität gibt es keine vergleichbare Studie.
Die Studie ist einzigartig, aber wie relevant ist sie?
Manuel Krone: Unsere Studie ist sehr wichtig, um auch für den Nachweis anderer Erreger mit Antigenschnelltests die Stärken und Schwächen der Testmethodik besser zu verstehen. Zum Beispiel, ob bei einer saisonalen Häufung von akuten respiratorischen Infektionen die Ressource Schnelltest gezielt und bewusst eingesetzt werden soll oder nicht.
Wie können die Bevölkerung, Politik, Wissenschaft und Industrie von den Ergebnissen profitieren?
Manuel Krone: Wir alle wissen jetzt, dass die Schnelltests bei Symptomen unabhängig vom Impfstatus und der Omikron-Variante aussagekräftig sind. Für die Politik ist die Studie eher retrospektiv. Denn wir zeigen, dass die Rolle von Antigenschnelltests in Screening-Programmen für asymptomatische Personen kritisch hinterfragt werden muss. Die Antigenschnelltests in den Schulen bei asymptomatischen Kindern und Jugendlichen waren zum Beispiel retrospektiv gesehen von geringem Nutzen.
Für die Industrie und die Wissenschaft könnte der Aspekt der Viruslast interessant sein: Wir setzen meist RNA-Menge und Viruslast gleich, weil wir sie so einfach bestimmen können. Unsere Daten weisen darauf hin, dass das Verhältnis von Nukleokapsid, also eines Virusproteins, welches wir mit Schnelltests detektieren, und der RNA in Rachenabstrichen nicht konstant ist, sondern von der Symptomatik des Infizierten abhängt. Und letztere hängt wiederum vom Impfstatus und der Virusvariante ab.
Inwiefern könnte Ihre Studie die Herstellung neuer Tests beeinflussen?
Manuel Krone: Unsere Ergebnisse sind in der Tat ein Ausgangspunkt für neue diagnostische Tests, zum einen, um die Schwere einer Infektion vorherzusagen, zum anderen, um neue Targets zu definieren, wann welcher Test anschlägt, mit welcher Methodik, bei welcher Dynamik.
Wir haben gesehen, dass RNA und Nukleokapsid unterschiedliche Dynamiken in der Infektion haben, und das muss man berücksichtigen, wenn man neue Tests entwickelt.
Ist die Forschung in Würzburg an den Antigenschnelltests mit dieser Studie nun abgeschlossen?
Manuel Krone: Unsere Forschung zum Thema SARS-CoV-2-Antigenschnelltests ist damit abgeschlossen. Aber…
Isabell Wagenhäuser: …man kann und sollte sich jetzt natürlich noch weiterführend damit beschäftigen. Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, die wichtig und interessant sind. Entsprechend viele offene Forschungsfragen sind entstanden, die wir aus dem Projekt mitnehmen. Das Nukleokapsid-RNA-Verhältnis ist bisher noch gar nicht erforscht. Wie verhalten sich im akuten Infektionsgeschehen die RNA, die die PCR diagnostiziert, und die im Rachenraum vorhandenen Virusproteine, die der Antigenschnelltest nachweist, zueinander? Hier lassen sich weitere Anknüpfungspunkte für neue diagnostische Methoden finden. Wie korreliert das Nukleokapsid-RNA-Ratio, also das Verhältnis der Menge an Nukleokapsidproteinen zur Menge an RNA innerhalb eines Viruspartikels, mit der Schwere der Symptome? Kann ich damit möglicherweise klinische Verläufe vorhersagen? Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Nachhaltigkeit. Wir haben ja mit den Antigenschnelltests unglaublich viel Müll produziert und viele Ressourcen verbraucht bzw. in die Diagnostik investiert. Dann die Frage der Übertragbarkeit auf andere Erreger: Es gibt inzwischen kombinierte Antigenschnelltests, die SARS-CoV-2, RSV und Influenza A und B nachweisen. Was können sie wirklich? PCR-Methoden lassen sich inzwischen auch gut außerhalb von Laboreinrichtungen durchführen, so genannte Point-of-Care-Tests (POCT). Damit kann man eine Reihe von Auswertungen in Gang setzen und Diagnostikalgorithmen optimieren.
Die Diagnostik akuter respiratorischer Infektionen ist auch postpandemisch ein weites und zudem ein sehr relevantes Feld in der klinischen Anwendung. Es gibt also auch postpandemisch viele hochrelevante Fragestellungen, die nicht nur Teil der Pandemic Preparedness sind im Sinne von „wie bereiten wir uns auf die nächste Pandemie vor“, sondern auch die allgegenwärtige Regelversorgung betreffen.
Gab es Überraschungsmomente im Rahmen der Studie?
Manuel Krone: Ja, am Ende beim Peer-Review-Verfahren. Wir hatten schon eine saubere und gut ausgearbeitete Statistik, die bei der Komplexität der Daten auch notwendig ist, aber nach der Begutachtung mussten wir noch einmal komplexe Regressionsmodelle nachliefern.
Isabell Wagenhäuser: Wichtig zu betonen ist auch, dass wir aus den geplanten Studiendaten erst in Kombination mit richtig großen Routinedatensätzen zu solchen Erkenntnissen kommen konnten. Das Ausmaß an herangezogenen Datensätzen hat mich positiv überrascht, sodass wir am Ende mehr als 500.000 Datensätze aus Befragungen, Meldedaten, dem Krankenhausinformationssystem und Laborauswertungen intelligent zusammenführen konnten, was die Komplexität der Studie überhaupt erst ermöglicht hat.
Wie setzen sich die Studienteilnehmenden zusammen?
Isabell Wagenhäuser: 87 Prozent der Antigenschnelltests wurden an Patientinnen und Patienten, zwölf Prozent an Begleitpersonen und ein Prozent an Beschäftigten durchgeführt. Alle Rachenabstriche wurden von Mitarbeitenden in den verschiedenen Kliniken des UKW durchgeführt.
Manuel Krone: Deshalb ist diese Studie letztlich auch eine Gemeinschaftsleistung des UKW. Ohne unsere Kolleginnen und Kollegen wäre eine so komplexe Studie nicht möglich gewesen.
In der Studie wurden alle Proben aus Rachenabstrichen gewonnen. Was ist aussagekräftiger? Nase oder Rachen?
Manuel Krone: Diese Frage haben wir nicht untersucht. Es gibt auch erstaunlich wenige Studien, die das vergleichen. Fazit für mich aus den Studien, die ich kenne, auch wenn die eine oder andere Mal einen kleinen Unterschied findet: Es ist völlig egal, solange man symptomatisch ist.
Testen Sie sich selbst?
Isabell Wagenhäuser: Im vergangenen Sommer hatte ich tatsächlich eine akute respiratorische Infektion und habe als einzige Diagnosemöglichkeit einen Antigenschnelltest gemacht, der zwar negativ, aber niederschwellig verfügbar war.
Manuel Krone: Wenn ich einen Atemwegsinfekt habe und ich befürchte, dass das jetzt mit meinen drei Kindern regelmäßig kommt, dann teste ich mich. Die Tests liegen ja noch da.
Das Interview führte Kirstin Linkamp von der Stabsstelle Kommunikation (UKW).
Publikation: Wagenhäuser, Isabell, Kerstin Knies, Tamara Pscheidl, Michael Eisenmann, Sven Flemming, Nils Petri, Miriam McDonogh, Agmal Scherzad, Daniel Zeller, Anja Gesierich, Anna Katharina Seitz, Regina Taurines, Ralf-Ingo Ernestus, Johannes Forster, Dirk Weismann, Benedikt Weißbrich, Johannes Liese, Christoph Härtel, Oliver Kurzai, Lars Dölken, Alexander Gabel, and Manuel Krone. "SARS-CoV-2 Antigen Rapid Detection Tests: Test Performance during the COVID-19 Pandemic and the Impact of COVID-19 Vaccination", EBioMedicine, 2024. https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2024.105394
Weitere Publikationen und Pressemitteilungen zur Studie:
Im Sommer 2021 wurden die ersten Daten aus der Studie in der Fachzeitschrift eBioMedicine veröffentlicht. Die Forschenden fanden heraus, dass gängige Schnelltests auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus Infizierte deutlich seltener erkennen als ein PCR-Test. Die Sensitivität der Antigenschnelltests im klinischen Praxiseinsatz lag mit 42,6 Prozent signifikant unter den Herstellerangaben. Eine Zusammenfassung liefert die Pressemitteilung.
Ein Jahr später, etwa zur Halbzeit der Studie, als sich das erste Mal Omikron, verbreitete, publizierte das Team eine Folgeanalyse im Journal Clinical Microbiology and Infection. Von 426 SARS-CoV-2-positiven PCR-Proben waren im Schnelltest nur 164 positiv. Das entspricht einer Sensitivität von lediglich 38,50 Prozent. Bei der zu der Zeit vorherrschenden Omikron-Variante schlugen sogar nur 33,67 Prozent an. Beim Wildtyp zeigten immerhin 42,86 Prozent der Schnelltests einen positiven Befund. Hier geht es zur Pressemitteilung vom 26. August 2022.