Hohes Durstempfinden kann Gewohnheit oder Krankheit sein

Neue Studie bringt Klärung welcher Test die Diagnose bei literweisem Trinken am besten ermöglicht / Kochsalztest bleibt Goldstandard

 

Eine übermäßige Flüssigkeitsaufnahme mit entsprechend vermehrter Urinausscheidung kann eine medizinisch unbedenkliche Gewohnheit darstellen, aber auch auf eine seltene Hormonstörung hinweisen. Das Uniklinikum Würzburg (UKW) hat gemeinsam mit Forschenden des Universitätsspitals Basel in den vergangenen Jahren zwei Tests entwickelt, welche die Diagnostik vereinfachen und verbessern. Eine neue im „The New England Journal of Medicine" publizierte internationale Studie zeigt nun, dass ein Kochsalztest die höchste Zuverlässigkeit aufweist.

Würzburg / Basel: Viel trinken, am besten Wasser, ist wichtig, keine Frage. Aber wer mehr als drei Liter am Tag zu sich nimmt und vermehrt Urin ausscheidet, sollte das Verhalten abklären lassen. In den meisten Fällen sind ein gesteigertes Durstempfinden und eine übermäßige Flüssigkeitsaufnahme, in der Fachsprache Polydipsie genannt, gepaart mit einer Polyurie für extremes Harnvolumen, durch Gewohnheit entstanden oder eine Begleiterscheinung einer psychischen Erkrankung. Eine Verhaltenstherapie kann hier helfen, die Trinkmenge zu reduzieren. In einigen Fällen kann jedoch ein Vasopressin-Mangel vorliegen, der medikamentös behandelt werden muss. Vasopressin ist ein Hormon in der Hirnanhangdrüse, welches in unserem Körper den Wassergehalt und damit auch die Urinkonzentration und -menge steuert. Personen mit einem Vasopressin-Mangel, früher bekannt als Diabetes insipidus, können den Urin nicht konzentrieren und verlieren deshalb große Mengen an Flüssigkeit. Entsprechend stark ist ihr Durstgefühl. 

Testmethoden zur Unterscheidung der beiden Krankheitsbilder 

„Die genaue Unterscheidung der Ursachen ist wichtig, da eine falsche Therapie lebensbedrohliche Folgen haben kann. Werden Patientinnen und Patienten mit einer primären Polydipsie mit Vasopressin behandelt, droht eine Wasservergiftung", erläutert Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter der Endokrinologie und Diabetologie am Würzburger Universitätsklinikum die Relevanz einer genauen Diagnostik. „Nachdem jahrzehntelang die Patientinnen und Patienten bei Verdacht auf einen Vasopressin-Mangel bis zu 18 Stunden dursten mussten, haben wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Basel in den letzten Jahren zwei Tests entwickelt, die die Diagnostik vereinfachen und verbessern.“ 

Das erste Testverfahren basiert auf einer Idee von Professor Bruno Allolio, dem früheren Leiter der Würzburger Endokrinologie. Dabei wird den Patientinnen und Patienten über drei Stunden hinweg eine genau definierte Menge einer Kochsalzlösung als Infusion verabreicht, welche das Hormon Vasopressin stimuliert. Währenddessen wird ihnen halbstündlich Blut abgenommen, um die Copeptin-Konzentration im Blut zu überprüfen. Copeptin ist ein Vorläuferhormon des Vasopressins, das deutlich besser im Labor zu messen ist. Eine im Sommer 2018 veröffentlichte Studie in The New England Journal of Medicine hatte bereits die hohe diagnostische Treffsicherheit des Kochsalzinfusionstests mit Copeptinmessung gezeigt. 97 Prozent aller Patientinnen und Patienten konnten damit korrekt diagnostiziert werden. 

Zwei Studien in “The New England Journal of Medicine”

Die Herausgeber des New England Journal of Medicine kommentieren damals, dass dies der neue Test zur Standarddiagnostik werden wird. Und er wird es vorerst bleiben, wie eine weitere Veröffentlichung im New England Journal of Medicine jetzt zeigt. 

Der Kochsalztest ist recht aufwändig, da die Patientinnen und Patienten wegen des starken Salzanstiegs ständig überwacht werden müssen und eine regelmäßige Salzmessung im Blut notwendig ist, erklärt Dr. Irina Chifu, Fachärztin für Innere Medizin und Endokrinologie, die die Studien in Würzburg maßgeblich koordiniert hat. Deshalb haben die Forschenden einen stark vereinfachten und verträglicheren Test entwickelt, bei dem sie den Patientinnen und Patienten statt der Salzinfusion eine Infusion mit dem Eiweißbestandteil Arginin verabreichen, welche ebenfalls das Hormon Vasopressin stimuliert. Auch dieser Test zeigte eine gute Zuverlässigkeit (Link zur PM).

Kochsalztest ist besser und zuverlässiger als die Arginin-Infusion

In einer neuen internationalen Studie wurden unter Federführung des Universitätsspitals Basel die beiden Tests miteinander verglichen. Dazu wurden in Basel und Zürich (Schweiz) sowie in Würzburg, Belo Horizionte (Brasilien), Cambridge (UK), Mailand (Italien) und, Rotterdam (Niederlande) insgesamt 158 Probandinnen und Probanden rekrutiert, wobei die Endokrinologie in Würzburg mit 45 Patientinnen und Patienten Spitzenreiter bei der Rekrutierung war. 

Fazit: „Unser Vergleich zeigt, dass beide Tests gut sind, aber dass der Kochsalz-Infusionstest bei grenzwertigen Fällen klar der genauere ist und damit endgültig als Goldstandard gilt", resümieren Irina Chifu und Martin Fassnacht. 

Publikation: 
Julie Refardt, Cihan Atila, Irina Chifu, Emanuele Ferrante, Zoran Erlic, Juliana B. Drummond, Rita Indirli, Roosmaijn C. Drexhage, Clara O. Sailer, Andrea Widmer, Susan Felder, Andrew S. Powlson, Nina Hutter, Deborah R. Vogt, Mark Gurnell, Beatriz S. Soares, Johannes Hofland, Felix Beuschlein, Martin Fassnacht, Bettina Winzeler, Mirjam Christ-Crain. Arginine or Hypertonic Saline–Stimulated Copeptin to Diagnose AVP Deficiency 2023/11/15. New England Journal of Medicine.  https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2306263

Infusion
Der Kochsalz-Infusionstest bei übermäßiger Flüssigkeitsaufnahme mit entsprechend vermehrter Urinausscheidung ist zur der genauere Test bei Verdacht auf einen Vasopressin-Mangel, früher als Diabetes insipidus bekannt, und gilt endgültig als Goldstandard. © UKW
Infusion

Der Kochsalz-Infusionstest bei übermäßiger Flüssigkeitsaufnahme mit entsprechend vermehrter Urinausscheidung ist zur der genauere Test bei Verdacht auf einen Vasopressin-Mangel, früher als Diabetes insipidus bekannt, und gilt endgültig als Goldstandard. © UKW