Aktuelle Pressemitteilungen

Dem Krebs den Partner nehmen

Elmar Wolf sucht nach neuen Therapien für eine bestimmte Art von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dafür hat er jetzt einen mit zwei Millionen Euro dotierten ERC Consolidator Grant erhalten.

Das sogenannte „duktale Adenokarzinom des Pankreas“ ist die bei Weitem häufigste Form von Krebs der Bauchspeicheldrüse. Mehrere Gründe sind dafür verantwortlich, dass es zu den Tumoren mit einer extrem schlechten Prognose gehört: In der Regel machen sich die Tumore erst in einem späten Stadium bemerkbar; sie neigen dazu, schnell Metastasen zu bilden; die üblicherweise eingesetzten Chemotherapeutika verursachen schwere Nebenwirkungen, und die meisten Patientinnen und Patienten entwickeln rasch eine Resistenz gegen diese.

So ist es kein Wunder, dass sich die Sterblichkeitsrate für diese Form von Krebs im Unterschied zu vielen anderen Krebsarten in den vergangenen Jahren nicht verbessert hat. Tatsächlich sind die Heilungschancen für die rund 14.000 Neuerkrankten, die jedes Jahr in Deutschland registriert werden, noch immer gering: Nur etwa zehn Prozent aller Patienten und Patientinnen sind fünf Jahre nach der Erstdiagnose noch am Leben.

Eine vielversprechende Karriere

Das zu ändern hat sich Elmar Wolf zum Ziel gesetzt. Der Krebsforscher ist Professor für Tumorsystembiologie am Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Die Entwicklung neuer Therapien gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs steht im Mittelpunkt seines neuen Forschungsprojekts, das ihm jetzt der Europäische Forschungsrat – der European Research Counsil (ERC) – genehmigt hat. Der mit rund zwei Millionen Euro dotierte Consolidator Grant ermöglicht es ihm, in den kommenden fünf Jahren an diesem Thema zu arbeiten. 

Einen Consolidator Grant vergibt der ERC an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einer vielversprechenden Karriere. 

Lebenswichtige Moleküle kommen in den Schredder

Wolf setzt in seinem Projekt auf sogenannte PROTACs (proteolysis targeting chimeras). Bei ihnen handelt es sich um kleine Moleküle, die an Zielproteine binden und diese der zellulären Abbaumaschinerie – einer Art „Schredder“ im Zellinneren – zuführen. Wenn Krebszellen diese Zielproteine zwingend zum Überleben benötigen, könnte der neue Wirkstoff ein perfektes Krebsmedikament sein.

Entsprechende Vorarbeiten haben Wolf und sein Team bereits geleistet: „Wir haben eine Reihe von Zielmolekülen identifiziert, die für das Wachstum der Krebszellen beim Bauchspeicheldrüsenkrebs unbedingt erforderlich sind“, erklärt der Wissenschaftler. Darüber hinaus hat die Forschungsgruppe in der Vergangenheit schon zahlreiche PROTACs für eine Reihe von Krebsarten entwickelt und dabei tiefe Einblicke in die zugrunde liegenden Design-Prinzipien und Syntheseverfahren gewonnen. „Und zu guter Letzt haben wir genetische Modelle in Mäusen etabliert, um die Funktion unserer PROTACs simulieren und weitere Zielmoleküle entdecken zu können“, sagt Wolf.

Dementsprechend ist Wolf zuversichtlich, dass es ihm mit Hilfe der finanziellen Unterstützung des jetzt genehmigten ERC Grants gelingen wird, Wirkstoffe zu entwickeln, die wichtige Faktoren abbauen, die von den Krebszellen zum Überleben und Teilen benötigt werden. Damit seien sie in der Lage, das Wachstum von Bauchspeicheldrüsentumoren im gesunden Gewebe zu hemmen – bei vergleichsweise geringen Nebenwirkungen.

Zur Person

Elmar Wolf ist mit seinem Antrag beim ERC schon zum zweiten Mal erfolgreich. 2017 hat er einen mit rund 1,5 Millionen Euro dotierten „Starting Grant“ erhalten. Auch in diesem Forschungsprojekt geht es um die molekularen Grundlagen von Krebs.

Elmar Wolf (42) hat von 2000 bis 2005 an der Universität Marburg Humanbiologie studiert. Seine Doktorarbeit hat er 2010 am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen vorgelegt. Seit Juli 2010 bis 2015 forschte Wolf als Postdoc unter der Leitung von Professor Martin Eilers am Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Würzburg. Seit 2016 leitet Wolf seine eigene Arbeitsgruppe, seit Oktober 2020 ist er Professor für Tumorsystembiologie am Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie der JMU.

Für seine Arbeit wurde Wolf bereits mehrfach ausgezeichnet. So genehmigte beispielsweise im Januar 2016 die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Wolfs Antrag auf Einrichtung einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe und damit Forschungsgelder in Höhe von 1,2 Millionen Euro, verteilt auf fünf Jahre.

Und im Mai 2016 erhielt Wolf den Röntgenpreis. Mit diesem Preis zeichnen die Universität und der Universitätsbund Würzburg jedes Jahr herausragende Würzburger Nachwuchswissenschaftler aus.

Kontakt

Prof. Dr. Elmar Wolf, Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie, T: +49 931 31-83259, elmar.wolf@ biozentrum.uni-wuerzburg.de 

 

Pressemitteilung der Universität Würzburg vom 31.01.2023

Neuer Forschungsverbund zur RNA-Medizin

Mit fast 13 Millionen Euro fördert das Bundeswirtschaftsministerium ein Verbundprojekt zur Erforschung effizienter und sicherer Speziallipide für mRNA-Medikamente.

Partner in dem Forschungsverbund sind die Universitäten Jena, Würzburg und Dortmund, das Start-up-Unternehmen NGP Polymers in Jena sowie die Firmen Bayer, Evonik und ISAR Bioscience.

Seit der Corona-Pandemie ist der Nutzen von Ribonukleinsäuren (RNA) bzw. Boten-RNA (mRNA) für die Herstellung hochwirksamer Impfstoffe unbestritten. Jetzt wollen die Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft erforschen, ob auf dieser Basis auch weitere neue Medikamente entwickelt sowie die wenigen allergischen Reaktionen bei Impfungen weiter reduziert werden können. 

Neuartige Speziallipide für RNA-Medikamente entwickeln

Um die neuen Medikamente zielsicher an den Erkrankungsherd zu bringen, sind im Vergleich zu den RNA-basierten Impfstoffen neue Zusammensetzungen der Arzneien nötig. Dazu soll die RNA in innovative Solid-Lipid-Nanopartikel mit polymeren Hilfsstoffen verpackt werden. Die Nanopartikel sollen die RNA-Medikamente stabil umhüllen und in bestimmte, bisher schwer erreichbare Organe bringen und sie dort nach zellulärer Aufnahme freisetzen. Das Ziel ist eine gewebespezifische Wirkung. Und schließlich sollen die Speziallipide idealerweise so beschaffen sein, dass sie nach Abgabe der RNA vom Körper vollständig abgebaut oder ausgeschieden werden können. 

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert über seinen Projektträger VDI/VDE das von ISAR Bioscience koordinierte Forschungskonsortium seit Januar 2023 mit insgesamt fast 13 Millionen für drei Jahre.

2,8 Millionen Euro für den Standort Würzburg

An die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) fließen im Rahmen des Projekts 2,8 Millionen Euro. Hier werden am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie sich selbst regulierende Produktionslinien und modular designbare Speziallipide entwickelt. Das Institut für Molekulare Infektionsbiologie nutzt RNA-Technologie, um Effekte der Lipide auf die Zellen zu untersuchen.

Beteiligt sind von der JMU die Professoren Lorenz Meinel, Leiter des Lehrstuhls für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie, Andreas Brunschweiger, Leiter des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Medizinische Chemie, und Professor Jörg Vogel, Direktor des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie.

RNA-basierte Technologien voranbringen

Die Projektzusage ist Teil einer Initiative zur Förderung RNA-basierter Technologien. Sie sollen in Deutschland weiter vorangebracht und entsprechende Produktionsstätten aufgebaut werden, damit für künftig benötigte Impfstoffe, aber auch für neue RNA-Medikamente die notwendigen Reagenzien schnell im eigenen Land hergestellt werden können.

 

Pressemitteilung der Universität Würzburg vom 30.01.2023

Molekulare Ziele für effizientere Therapie des Cushing-Syndroms

Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG fördert Untersuchungen zur Entschlüsselung der molekularen Pathogenese des Morbus Cushing mit 580.450 Euro.

Darstellung der Hypophyse und den Einfluss von ACTH auf die Cortisol-Produktion der Nebenniere.
Das Cushing-Syndrom wird in den meisten Fällen durch gutartige Tumore der Hypophyse, eine erbsengroße Drüse unterhalb des Gehirns, ausgelöst. Durch den Tumor produziert diese sogenannte Hirnanhangsdrüse ungebremst das Hormon Adrenocorticotropin (ACTH), welches die Nebennieren antreibt, Cortisol auszuschütten.

Würzburg. Es hilft gegen Stress, bereitet aber auch Stress: Cortisol! Einerseits nimmt das Stresshormon im Stoffwechsel des Menschen wichtige Funktionen ein. Es sorgt zum Beispiel dafür, dass unser Körper bei erhöhter Belastung genügend Energie hat und hemmt Entzündungen. Wenn es jedoch über einen längeren Zeitraum in hohen Dosen eingenommen oder unkontrolliert über die Nebenniere ausgeschüttet wird, stürzt es den Organismus ins Chaos: Viele Betroffenen entwickeln nicht nur ein bauchbetontes Übergewicht, rundes Gesicht und kräftigen Nacken, sondern auch Bluthochdruck, Muskelschwäche, Diabetes und werden anfälliger für Infekte. Die Summe dieser Symptome nennt man auch Cushing-Syndrom.

Tumor in Hypophyse Ursache für erhöhten Cortisol-Spiegel und Cushing-Syndrom

Ausgelöst wird das Cushing-Syndrom in gut 70 Prozent aller Fälle durch gutartige Tumore der Hypophyse, eine erbsengroße Drüse unterhalb des Gehirns. Durch den Tumor produziert die Hirnanhangsdrüse ungebremst das Hormon Adrenocorticotropin (ACTH), welches die Nebennieren antreibt, Cortisol auszuschütten. Trotz chirurgischer Therapie - mit Entfernung der für den Hormonexzess ursächlichen Raumforderung - sind viele Betroffene anschließend nicht dauerhaft geheilt und benötigen eine medikamentöse Behandlung. Allerdings sind die Medikamente oft nicht ausreichend wirksam und weisen häufig zahlreiche Nebenwirkungen auf. Was in Tumoren passiert, die ungezügelt ACTH ausschütten, war lange Zeit unbekannt, was die Entwicklung neuer Therapien gebremst hat. Das will ein Forschungsteam des Lehrstuhls für Endokrinologie am Uniklinikum Würzburg (UKW) ändern. Die Entschlüsselung der Ursachen des endogenen Cushing-Syndroms sowohl in klinischen als auch in wissenschaftlichen Ansätzen steht seit mehr als zehn Jahren im Forschungsfokus des Teams unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Fassnacht.

Mutation in Genen USP8 und USP48 für Hälfte aller Morbus-Cushing-Tumoren verantwortlich

„Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus München und Japan waren wir die ersten, die in einer in der Fachzeitschrift Nature Genetics publizierten Studie (1), zeigen konnten, dass Mutationen im Deubiquitinase-Gen USP8 in rund einem Drittel der Tumoren für das Cushing-Syndrom verantwortlich waren“, berichtet Privatdozent Dr. Silviu Sbiera, Leiter des Würzburger Endokrinologischen Forschungslabors. „Im Jahr 2019 haben wir in der Zeitschrift NeuroOncology (2) eine weitere krankmachende Mutation im Deubiquitinase-Gen USP48 veröffentlicht. Damit sind somatische Mutationen im Deubiquitinase-System für die Hälfte aller Morbus-Cushing-Tumoren verantwortlich, was diesem System eine außerordentliche Bedeutung für diese seltene Erkrankung verleiht.“ Der Mensch besitzt etwa 100 verschiedene Deubiquitinasen. Die Enzyme können die Stabilität der Proteine regulieren.

DFG fördert Forschungsprojekt mit 580.450 Euro

Die bisherigen Ergebnisse haben die Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, die schon zahlreiche Projekte einzeln und im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Transregio 205 zur Nebenniere gefördert hat, überzeugt, sodass sie jetzt weitere Untersuchungen zum Verständnis der Vorgänge in den ACTH-produzierenden Hypophysen-Tumoren mit einer Einzelförderung von 580.450 Euro unterstützt. Geleitet wird das Forschungsprojekt von Silviu Sbiera und Martin Fassnacht sowie Nikita Popov, Professor für Ubiquitin Signaling in Cancer in der Abteilung Klinische Tumorbiologie am Universitätsklinikum Tübingen. Beteiligt sind außerdem die Core Unit Bioinformatik am Comprehensive Cancer Center Mainfranken, die Neurochirurgien an den Universitätskliniken Erlangen, Hamburg-Eppendorf und Tübingen, die Genomic Core Facility und das Proteome Center am Uniklinikum Tübingen sowie das Department of Cell and Chemical Biology am Leiden University Medical Centre in den Niederlanden.

Das neue Forschungsprojekt gliedert sich in vier Arbeitspakete: 1.) Herstellung von humanen Zelllinien mit unterschiedlichem genetischem Hintergrund und Verwendung als 2D- und 3D-Modell. 2.) Tiefergehende Charakterisierung des Einflusses von USP8- und USP48-Mutationen auf Signalwege in den Zellen. 3.) Vertiefende Analysen der Interaktion zwischen Immunsystem und Morbus Cushing-Tumoren. 4.) Etablierung prognostischer Marker und potenzieller therapeutischer Ziele.

Effizientere Therapien durch besseres Verständnis molekularen Pathogenese

„Wir erhoffen uns, die molekularen Merkmale, die durch die Mutationen in den Deubiquitinase-Genen in der Mehrzahl der Morbus Cushing-Fälle induziert werden, besser zu verstehen. Wenn wir deren Einfluss auf die DNA-Reparaturebene und das Fortschreiten der Tumoren genauer beschreiben können, lassen sich wahrscheinlich auch Mechanismen der antitumoralen Immunität und von Immune-Escape-Mechanismen umfassender charakterisieren. In einem zweiten Schritt streben wir an, mithilfe unserer neu entwickelten Zellsysteme molekulare Ziele zu identifizieren, die durch zukünftige individualisierte Therapien angegangen werden können“, fasst Silviu Sbiera die Vision zusammen. Und Martin Fassnacht fügt hinzu: „Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse mittel- und langfristig dazu beitragen, effizientere und nebenwirkungsärmere Medikamente für diese und möglicherweise auch für andere Hypophysen-Erkrankung zu entwickeln.“

(1) Reincke, M*., Sbiera, S*., Hayakawa, A. Theodoropoulou M, Osswald A, Beuschlein F, Meitinger T, Mizuno-Yamasaki E, Kawaguchi K, Saeki Y, Tanaka K, Wieland T, Graf E, Saeger W, Ronchi CL, Allolio B, Buchfelder M, Strom TM, Fassnacht M*, Komada M* Mutations in the deubiquitinase gene USP8 cause Cushing's disease. Nat Genet 47, 31–38 (2015). doi.org/10.1038/ng.3166

(2) Silviu Sbiera, Luis Gustavo Perez-Rivas, Lyudmyla Taranets, Isabel Weigand, Jörg Flitsch, Elisabeth Graf, Camelia-Maria Monoranu, Wolfgang Saeger, Christian Hagel, Jürgen Honegger, Guillaume Assie, Ad R Hermus, Günter K Stalla, Sabine Herterich, Cristina L Ronchi, Timo Deutschbein, Martin Reincke, Tim M Strom, Nikita Popov, Marily Theodoropoulou, Martin Fassnacht, Driver mutations in USP8 wild-type Cushing’s disease, Neuro-Oncology, Volume 21, Issue 10, October 2019, Pages 1273–1283, doi.org/10.1093/neuonc/noz109

PD Dr. Silviu Sbiera
Prof. Dr. Martin Fassnacht
Lehrstuhl für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinikum Würzburg
sbiera_s@ ukw.de
fassnacht_m@ ukw.de

Prof. Nikita Popov
Medizinische Onkologie und Pneumologie
Universitätsklinikum Tübingen
nikita.popov@ med.uni-tuebingen.de

 

Darstellung der Hypophyse und den Einfluss von ACTH auf die Cortisol-Produktion der Nebenniere.
Das Cushing-Syndrom wird in den meisten Fällen durch gutartige Tumore der Hypophyse, eine erbsengroße Drüse unterhalb des Gehirns, ausgelöst. Durch den Tumor produziert diese sogenannte Hirnanhangsdrüse ungebremst das Hormon Adrenocorticotropin (ACTH), welches die Nebennieren antreibt, Cortisol auszuschütten.

Wenn das Herz vorzeitig altert

Wissenschaftlerinnen aus dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz decken grundlegende Mechanismen auf, wie genetische Veränderungen in Kernhüllenproteinen zu Herzmuskelerkrankungen führen und welche Rolle gestörte Reparaturmechanismen der Zellkernhülle bei der vorzeitigen Zellalterung sowie bei der Entwicklung von Fibrose bei Kardiomyopathien spielen können.

Ruping Chen sitzt im DZHI am Mikroskop.
Die Biomedizinerin Ruping Chen (PhD) hat sich auf die Erforschung von Alterungsprozessen spezialisiert. Im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) untersucht sie die vorzeitige Alterung des Herzens und wie diese Kardiomyopathien verursacht. Konkret möchte sie die Mechanismen von LEMD2-Mutationen besser verstehen, um zukünftig entsprechende therapeutische Ansätze im Gesamtkomplex dieser Proteine zu finden. © Kirstin Linkamp / UKW
Die Abbildung zeigt links die Aufnahme des runden Kerns einer gesunden Herzmuskelzelle und rechts den Zellkern eines Herzens mit LEMD2-Mutation, an denen die Einstülpungen deutlich zu erkennen sind.
Elektronenmikroskopische Aufnahmen der Zellkerne von Herzmuskelzellen eines wildtypischen Mausherzen (links) sowie einem Herzen mit der LEMD2 Mutation (rechts). Die Einstülpungen der Zellkernmembran sind rechts deutlich sichtbar. © Ruping Chen / UKW

Wie können wir das Altern verlangsamen? Und wie lassen sich typische Alterserkrankungen verhindern? Einen Baustein zur Erkenntnis von Alterungsprozessen im Herzen haben jetzt Ruping Chen und Brenda Gerull aus dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) am Uniklinikum Würzburg geliefert. Die Wissenschaftlerinnen forschen schon seit längerem an Mutationen im Kernmembranprotein LEMD2. Genetische Veränderungen im LEMD2-Protein führen ähnlich wie Mutationen im Lamin-Protein zu vorzeitigen Alterungskrankheiten, die, wenn sie das Herz betreffen, bereits in jungen Jahren progressive Herzschwäche und schwere Herzrhythmusstörungen verursachen können. Spezifische Therapien gibt es bislang nicht.

Mutation führt zu Einstülpungen der Zellkernmembran

Um die komplexen Mechanismen aufzudecken, die das Herz durch die Genmutation früher altern lassen, hat Ruping Chen die humane LEMD2-Mutation namens p.L13R sowohl im Maus- als auch im Zellkulturmodell näher untersucht. Erste molekulare und zelluläre Veränderungen am Herzen der Mäuse konnte die Biomedizinerin schon nach wenigen Wochen beobachten. Nach neun Monaten haben die Mäuse schließlich einen klinischen Phänotyp entwickelt, der dem bei jungen Menschen, die diese Mutation tragen, sehr ähnlich ist: Die zunehmende Steifheit begünstigt den fibrotischen Umbau und führt in der Konsequenz zu Herzschwäche und schweren Arrhythmien.

Doch warum altert das Herz durch die Mutation vorzeitig? „Wir haben in elektronenmikroskopischen Aufnahmen des Zellkerns gesehen, dass die Mutation zu Einstülpungen der eigentlich rundlichen Zellkernmembran führt, was wiederum die Funktionen des Zellkerns stört. Es kommt zu Rupturen in der Kernhülle und zur Erschöpfung der zelleigenen Reparaturmechanismen. Die Zellkernmembran wird löchrig und damit kommt es zu DNA Schäden. Die Zelle kann ihre natürlichen Reparaturfunktionen nicht mehr vollständig gewährleisten“, erklärt Ruping Chen.

Gestörter Reparaturmechanismus begünstigt vorzeitige Zellalterung

Zum Hintergrund: Schätzungen zufolge wird die DNA in jeder Zelle unseres Körpers täglich bis zu einer Million Mal geschädigt. Der gesunde Mensch verfügt jedoch über einen guten Reparaturmechanismus, denn unser Genom enthält die Anleitung für sämtliche zellulären Prozesse im Körper, auch für Reparaturen. Das heißt, unsere DNA erkennt die Schäden und repariert sie. Mit zunehmenden Alter, durch Umwelteinflüsse und ungesunde Lebensweisen lassen diese Funktionen jedoch nach, die Schäden mutieren in unserem Genom, der Altersprozess wird beschleunigt, es kommt zu Krankheiten.

„Wir konnten mit unseren Untersuchungen nun Signalwege postulieren, deren Aktivierung eine vorzeitige Zellalterung und damit verbunden Entzündung und Fibrose fördert“, resümiert Brenda Gerull, Leiterin des Departements Kardiovaskuläre Genetik am DZHI. „Letztlich erweitert unsere Arbeit zum LEMD2 mechanistische Erkenntnisse, die auch bei anderen Kardiomyopathien aber auch im natürlichen Alterungsprozess eine Rolle spielen könnten.“ Die Studie, die in Kooperation mit der Medizinischen Klinik I am Uniklinikum Würzburg und dem Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Würzburg durchgeführt wurde, hat jetzt das Fachjournal Circulation Research veröffentlicht: https://doi.org/10.1161/CIRCRESAHA.122.321929 . Zur Publikation gibt es in der Ausgabe vom 20. Januar 2023 (Volume 132, Issue 2) zudem ein Editorial: https://doi.org/10.1161/CIRCRESAHA.122.322352

Die Untersuchungen von Ruping Chen wurden von der Deutschen Stiftung für Herzforschung und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie finanziell unterstützt, Brenda Gerull erhielt Förderungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des SFB 1525 und des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung.

Möglichkeiten für therapeutische Interventionen

In den nächsten Schritten möchten die Wissenschaftlerinnen verschiedene Möglichkeiten der therapeutischen Interventionen testen und hierbei unter anderem ein humanes Modell nutzen, so genannte induzierte pluripotente Stammzellen. Ferner sollen die Aktivierung der Bindegewebszellen, der so genannten Fibroblasten, näher untersucht werden, da sie neben den Herzmuskelzellen, den so genannten Kardiomyozyten eine wichtige Rolle beim Fortschreiten der Erkrankung spielen.

#WomenInScience

Das Porträt über Ruping Chen in unserer Serie #WomenInScience liefert weitere Informationen über die Wissenschaftlerin, die gerade ihren zweiten Sohn bekommen hat: https://www.ukw.de/forschung-lehre/women-in-science/ruping-chen/ Ein Special zum Muttertag zur Doktormutter Brenda Gerull ist im Mai letzten Jahres erschienen: https://www.ukw.de/forschung-lehre/women-in-science/brenda-gerull/

Ruping Chen sitzt im DZHI am Mikroskop.
Die Biomedizinerin Ruping Chen (PhD) hat sich auf die Erforschung von Alterungsprozessen spezialisiert. Im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) untersucht sie die vorzeitige Alterung des Herzens und wie diese Kardiomyopathien verursacht. Konkret möchte sie die Mechanismen von LEMD2-Mutationen besser verstehen, um zukünftig entsprechende therapeutische Ansätze im Gesamtkomplex dieser Proteine zu finden. © Kirstin Linkamp / UKW
Die Abbildung zeigt links die Aufnahme des runden Kerns einer gesunden Herzmuskelzelle und rechts den Zellkern eines Herzens mit LEMD2-Mutation, an denen die Einstülpungen deutlich zu erkennen sind.
Elektronenmikroskopische Aufnahmen der Zellkerne von Herzmuskelzellen eines wildtypischen Mausherzen (links) sowie einem Herzen mit der LEMD2 Mutation (rechts). Die Einstülpungen der Zellkernmembran sind rechts deutlich sichtbar. © Ruping Chen / UKW

Neuartige Kabel-Klammer-Implantate bei Beckenverletzungen

Beckenbrüche gehören zwar zu den eher seltenen Frakturen, können aber lebensgefährlich sein. Und trotz moderner medizinischer Implantate ist die operative Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings, insbesondere der Symphyse, immer noch eine Herausforderung in der Unfallchirurgie. In vielen Fällen kommen Stahlplatten und Schrauben zum Einsatz, die zwar gut geeignet sind zur Knochenbruchbehandlung aber Nachteile bei der Versorgung der Symphyse aufweisen, welche eigentlich eine flexible Faserknorpelverbindung ist. Ein interdisziplinäres Team des Uniklinikums Würzburg und regionalen Partnern hat im Rahmen eines DFG-geförderten Forschungsprojekts nun mittels 3D-Druck alternative Kabel-Klammer-Implantate entwickelt, die diese Defizite möglicherweise ausgleichen können.

Neuartiges Kabel-Klammer-Implantat bei Open-Book-Verletzungen
Unfallchirurgen des Uniklinikums Würzburg haben mit internen und externen Partnern aus der Region innovative Kabel-Klammer-Implantate zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings entwickelt. © UKW
Die Titan-Klammern mit einer Führungsstruktur für das geflochtene Stahlseil werden fest am Knochen mit zwei Schrauben fixiert. Da sie fest im Implantat fassen und nicht im Knochen, können sie nicht ausbrechen. © UKW

Unfallbedingte Beckenverletzungen können alle Menschen jeden Alters treffen. Die Art der Verletzung unterscheidet sich jedoch durch den Unfallmechanismus aber auch durch das Alter der jeweiligen Person. Der junge Motorradfahrer nach Frontalkollision, die agile Seniorin nach Sturz vom E-Bike oder der Hochbetagte, der beim Gehen gestolpert ist, sind hierbei typische Patientinnen und Patienten mit teils unterschiedlichsten Verletzungsmustern. Allen gemein ist, dass eine von vorne auf das Becken einwirkende Kraft eine Symphysensprengung verursachen kann. Hierbei zerreißt die nicht-knöcherne Faserknorpelverbindung am vorderen Beckenring und es kommt zur sogenannten Open-Book-Verletzung des Beckens. Das Becken klafft quasi wie ein geöffnetes Buch auf. Chirurgisch muss dieser Spalt geschlossen werden. Der Erfolg der konventionellen Behandlung mit Symphysenplatte und Schrauben hängt jedoch oft vom Alter des Unfallopfers ab. Denn mit steigendem Alter sinkt die Knochenqualität und damit die Stabilität der Schrauben.

Hohe Versagensrate bei herkömmlichen Implantaten

Privatdozent Dr. Martin Jordan, geschäftsführender Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie am Uniklinikum Würzburg, erklärt die Problematik der Symphysenrupturen, die eben kein klassischer Knochenbruch ist, jedoch weltweit wie ein solcher behandelt wird: „Wir stabilisieren die eigentlich flexible Symphyse mit einer rigiden Stahlplatte und Schrauben. Da es in diesem knorpeligen Teil des Beckens jedoch keine knöcherne Heilung gibt, sondern nur eine Vernarbung, sind kontinuierliche Mikrobewegungen nicht zu vermeiden.“ Eine unbedenkliche Lockerung der Symphysenplatte sei bei nahezu allen Patientinnen und Patienten zu beobachten. Wenn zusätzliche Faktoren für eine schlechte Implantatverankerung hinzukommen, wie zum Beispiel eine reduzierte Knochenqualität, dann könne es jedoch sehr zügig zu einem nachteiligen Implantatversagen kommen. Und weil die Lebensqualität zunehmend steigt, ältere Menschen also immer aktiver werden, nehme dementsprechend die Zahl der Beckenverletzungen mit reduzierter Knochenqualität stetig zu, wodurch das Thema eine zunehmende Relevanz habe.

Bei einigen Patientinnen und Patienten mit schlechter Knochendichte haben die Chirurgen bereits zur Verstärkung der Platte als Augmentation ein Stahlseil um die Schambeinäste gelegt. Diese so genannte Cerclage habe zwar eine gute zusätzliche Stabilität, könne aber unter Umständen in den Knochen einschneiden, wenn dieser ohnehin altersbedingt geschwächt sei.

Neue Prototypen: Titan-Klammern und Stahlseil stabilisieren Symphyse

Was kann hier verbessert werden? Dieser Frage gingen Martin Jordan und Professor Dr. Rainer Meffert, Direktor der Chirurgie II am UKW, gemeinsam mit Headmade Materials, einem regionalem Deep Tech-Unternehmen in den Bereichen 3D-Druck und Pulvermetallurgie, nach. Benötigt wird eine feste Verankerung eng am Knochen, eine breite Auflagefläche, eine stabile Führung des Kabels und dennoch wenig Implantatmaterial um umliegende anatomische Strukturen wie etwa die Blase nicht zu irritieren. Entstanden sind zwei Prototypen, die so genannten Kabel-Klammer-Implantate. „Die Titan-Klammern mit einer Führungsstruktur für das geflochtene Stahlseil werden fest am Knochen fixiert, mit zwei Schrauben, die nicht ausbrechen können, da sie fest im Implantat fassen. Durch die Kompression der Schambeinäste soll die Symphyse so idealerweise dauerhaft und komplikationsärmer adaptiert werden“, erklärt Martin Jordan das Prinzip.

Äquivalente Stabilität zu herkömmlichen Verfahren – kein Versagen

Für die Entwicklung und Testung der Prototypen im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts wurde das Know-how von weiteren Disziplinen aus der Würzburger Universitätsmedizin und der Regiopolregion Mainfranken herangezogen: Die Forschungsabteilung Additive Fertigungstechniken des Süddeutschen Kunststoffzentrums unterstützte bei der Projektgründung. Headmade Materials brachte sich ein bei der Fertigung der komplexen Kabel-Klammer-Implantate mithilfe eines innovativen metallbasierten 3D-Druck-Verfahrens namens ColdMetalFusion. Die Testung der Implantate erfolgte im Biomechanik-Labor der Unfallchirurgie unter der Leitung von Prof. Stefanie Hölscher-Doht. Ergebnis: Die Kabel-Klammer-Implantate wiesen sowohl bei Kunstknochen als auch bei den Knochen von Körperspendern aus der Anatomie eine äquivalente Stabilität zu herkömmlichen Verfahren auf. „Sie sind nicht schlechter und bisher nicht wesentlich besser als die Platten, aber wir haben hier nicht das Risiko des frühzeitigen Implantatversagens“, fasst Martin Jordan zusammen.

Neuer operativer Zugangsweg zur Implantation

Die Erprobung eines bisher nicht verwendeten operativen Zugangswegs zur Implantation wurde in Kooperation mit dem Institut für Anatomie der Julius-Maximilians-Universität unter der Leitung von Prof. Süleyman Ergün durchgeführt. Die Passgenauigkeit der Kabel-Klammer-Implantate hat Prof. Thorsten Bley mit seinem Team im Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am UKW im neuen hochmodernen Photonenzählenden Computertomografen (CT) ausgewertet. Noch eine Vision, aber durchaus ein Ziel sei es, eines Tages anhand der CT-Datensätze der Patientinnen und Patienten vom Unfalltag passgenaue personalisierte Klammern zu drucken.

Modifikation und klinische Evaluierung

Ein finaler Rückschluss auf eine klinische Überlegenheit ergibt sich aus den bisher gesammelten Daten zwar noch nicht. Dennoch besteht die Möglichkeit eines klinischen Nutzens, weshalb eine internationale Patentanmeldung (PCT) mit Unterstützung des Servicezentrums Forschung und Technologietransfer und der Bayerischen Patentallianz eingeleitet wurde. „Ich freue mich sehr, dass wir durch diese enge und hervorragende Kooperation vor Ort die Vorteile, Limitationen und Risiken bei der Implantation ideal herausarbeiten konnten“, sagt Martin Jordan. In den nächsten Schritten sollen die Implantate modifiziert werden. Außerdem soll die Kooperation um einen Industriepartner zur gemeinsamen Entwicklungsarbeit erweitert werden.

Das mustergültige Beispiel translationaler Forschung wurde jetzt im renommierten Fachjournal Nature Communications Medicine publiziert: https://doi.org/10.1038/s43856-022-00227-z

 

Neuartiges Kabel-Klammer-Implantat bei Open-Book-Verletzungen
Unfallchirurgen des Uniklinikums Würzburg haben mit internen und externen Partnern aus der Region innovative Kabel-Klammer-Implantate zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings entwickelt. © UKW
Die Titan-Klammern mit einer Führungsstruktur für das geflochtene Stahlseil werden fest am Knochen mit zwei Schrauben fixiert. Da sie fest im Implantat fassen und nicht im Knochen, können sie nicht ausbrechen. © UKW

Wie lassen sich Risiken nach Herz-OPs minimieren?

In einer groß angelegten Studie hat ein deutsch-kanadisches Netzwerk unter der Leitung von Christian Stoppe vom Uniklinikum Würzburg überprüft, ob die hochdosierte Gabe des Spurenelements Selen die Sterblichkeit und Krankenhausaufenthalte nach komplexen herzchirurgischen Eingriffen verringern kann.

OP-Team bei einem chirurgischen Eingriff
Die Zahl der herzchirurgischen Eingriffe steigt weltweit stetig an. Aufgrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Begleiterkrankungen, werden die Herzoperationen jedoch oft komplexer – bei jedem fünften Eingriff kommt es zu Komplikationen. Christian Stoppe vom Uniklinikum Würzburg hat mit einem internationalen Team geprüft, ob Selen die Risiken reduzieren kann. © Daniel Peter / UKW

Wie lassen sich Komplikationen wie zum Beispiel Multiorganversagen nach komplexen Herzoperationen reduzieren? Eine Hoffnung lag bislang im Spurenelement Selen, da es als essentieller Kofaktor vieler anti-entzündlich wirksamer Enzyme die körpereigenen Abwehrmechanismen stärken kann. Mehrere kleinere Studien hatten in den vergangenen Jahren auf signifikante klinische Vorteile einer Selen-Supplementierung bei Patientinnen und -Patienten mit komplexen herzchirurgischen Eingriffen hingewiesen. Doch die multizentrische, randomisierte, doppelt verblindete und placebo-kontrollierte sustainCSX-Studie hat nun gezeigt, dass die intravenöse Gabe hochdosierten Selens vor, während und nach der Operation nicht zu einer signifikanten Verringerung der Mortalität und Morbidität führt. Die Studie wurde jetzt im Journal der American Medical Association JAMA Surgery veröffentlicht.

Bei jedem fünften Eingriff kommt es zu Komplikationen

Initiator und Erstautor der Studie, Prof. Dr. Christian Stoppe von der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Uniklinikum Würzburg erläutert die Hintergründe des Forschungsprojekts: „Die Zahl an Herzoperationen steigt jedes Jahr weltweit weiter an, trotz Zunahme von minimal-invasiven Verfahren in der Kardiologie. Das hat nicht nur demografische Gründe, sondern liegt auch an den verbesserten Operationsmethoden, schonenderen Narkosen und einer verbesserten sich anschließenden intensivmedizinischen Behandlung. Aufgrund des allgemein steigenden Durchschnittsalters der Patientinnen und Patienten und der zunehmenden Begleiterkrankungen, werden die herzchirurgischen Eingriffe jedoch oft komplexer und länger, wodurch die Gefahr für lebensbedrohliche Komplikationen steigt. So entwickeln sich oft postoperative Organdysfunktionen, die umfassende intensivmedizinische Maßnahmen erfordern.“

Antioxidativen Stress mit Gabe vom hochdosiertem Selen reduzieren

In einer vorhergehenden Studie hatten Christian Stoppe und seine internationalen Kollegen bereits herausgefunden, dass Herzoperationen unter Verwendung einer sogenannten Herz-Lungen-Maschine, wenn also bei einer Operation am offenen Herzen das Blut über ein Kanülen- und Schlauchsystem den Körper verlässt, mit Sauerstoff angereichert und wieder zurückgepumpt wird, zu einem Rückgang von antioxidativen Spurenelementen führen. Es entsteht oxidativer Stress, der eine Entzündungsreaktion auslöst, die sich wiederum negativ auf die Funktion der Blutgefäße und Organsysteme auswirkt. „In der Beobachtungsstudie konnten wir niedrige Selenspiegel mit postoperativen Multiorganversagen in Verbindung bringen“, berichtet Christian Stoppe. „In einer nachfolgenden Anwendungsbeobachtung zeigten sich klinische Vorteile einer Selen-Supplementierung bei herzchirurgischen Patienten.“ Das Spurenelement trägt zu entzündungshemmenden und immunstimmulierenden Prozessen im Körper bei.

Um die Selen-Therapie in die Leitlinien aufnehmen zu lassen, fehlte jedoch ein höheres Maß an Evidenz. Daher hat Christian Stoppe gemeinsam mit Prof. Dr. Daren K. Heyland von der Clinical Evaluation Research Unit am kanadischen Kingston General Hospital die qualitativ hochwertige sustainCSX-Studie ins Leben gerufen. An 23 Standorten in Deutschland und Kanada wurden insgesamt 1.394 Herz-Patientinnen und -Patienten, die nach dem EuroSCORE II ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko aufzeigten (> 5 Prozent) oder bei denen mehrere chirurgische Eingriffe geplant waren untersucht. Nach dem Zufallsprinzip erhielt die Hälfte von ihnen 2.000 Mikrogramm Natriumselenit vor der Herz-Operation, gefolgt von 2.000 danach und weitere 1.000 Mikrogramm Natriumselenit täglich auf der Intensivstation für maximal 10 Tage. Die Vergleichsgruppe erhielt ein Placebo.

sustainCSX: Selen-Supplementierung hat keinen Einfluss auf die Sterblichkeit

Ergebnis: Die hochdosierte Selen-Supplementierung konnte die Entwicklung von Organfunktionsstörungen nicht signifikant reduzieren. 4,2 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer verstarben innerhalb von 30 Tagen nach der Operation in der Selengruppe, 5 Prozent in der Placebogruppe. „Eine Selen-Supplementierung kann aber möglicherweise die Notwendigkeit zur Wiederaufnahme auf eine Intensivstation verringern“, gibt Christian Stoppe zu Bedenken. „Ebenso bleibt aufgrund des technischen Fortschritts und der stetigen Verbesserungen im Bereich der Herzchirurgie offen, ob sich zukünftige Interventionen nur auf Patienten mit erhöhtem Risikoprofil fokussieren sollen. In der klinischen Praxis wird es immer wichtiger, Strategie zu entwickeln, um Patienten mit erhöhter Komplikationsgefahr frühzeitig zu identifizieren und nur ihnen etwaige Nährstoffe zu verabreichen.“

modifyCSX: Mit früher Gabe von Fischöl Immunsystem stärken

Der Fokus des aktuellen Forschungsvorhabens liegt nun auf einer frühzeitigeren Stärkung des Immunsystems. Ziel ist es so wie früh wie möglich mit einer optimierten Therapie zu beginnen. „Da viele Patienten erst einen Tag vor der Operation stationär aufgenommen werden, müssen wir dieses Fenster maximal nutzen“, erklärt Christian Stoppe. In der neuen modifyCSX Studie will das internationale Team die intravenöse Gabe von Fischöl 12 bis 24 Stunden vor der Operation testen. Ziel dabei ist es, neben der Stärkung des Immunsystems die Entstehung von postoperativen Herzrhythmusstörungen zu reduzieren, welches die postoperative Erholung entsprechender Patientinnen und Patienten signifikant verbessert.

Partner und Förderer

In Deutschland waren neben dem Universitätsklinikum Würzburg die Universitätskliniken Aachen, Berlin, Bonn, Frankfurt, Freiburg, Giessen, Köln, Mainz, München, Münster, Oldenburg und Schleswig-Holstein beteiligt. Finanziell unterstützt wurde die Studie vom Canadian Institute of Health Research und der Lotte & John Hecht Memorial Foundation.

Studie: Christian Stoppe; Bernard McDonald: Patrick Meybohm; Kenneth B. Christopher; Stephen Fremes; Richard Whitlock; Siamak Mohammadi; Dimitri Kalavrouziotis; Gunnar Elke; Rolf Rossaint; Philipp Helmer; Kai Zacharowski; Ulf Günther; Matteo Parotto; Bernd Niemann; Andreas Böning; C. David Mazer; Philip M. Jones; Marion Ferner; Yoan Lamarche; Francois Lamontagne; Oliver J. Liakopoulos; Matthew Cameron; Matthias Müller; Alexander Zarbock; Maria Wittmann; Andreas Goetzenich; Erich Kilger; Lutz Schomburg; Andrew G. Day; Daren K. Heyland; for the SUSTAIN CSX Study Collaborators. Effect of High-Dose Selenium on Postoperative Organ Dysfunction and Mortality in Cardiac Surgery PatientsThe SUSTAIN CSX Randomized Clinical Trial. JAMA Surgery Published online January 11, 2023. doi:10.1001/jamasurg.2022.6855

Vorhergehende Studien:

Stoppe C, Spillner J, Rossaint R, Coburn M, Schälte G, Wildenhues A, Marx G, Rex S. Selenium blood concentrations in patients undergoing elective cardiac surgery and receiving perioperative sodium selenite. Nutrition. 2013 Jan;29(1):158-65. doi: 10.1016/j.nut.2012.05.013. Epub 2012 Sep 23. PMID: 23010420.

Stoppe C, Schälte G, Rossaint R, Coburn M, Graf B, Spillner J, Marx G, Rex S. The intraoperative decrease of selenium is associated with the postoperative development of multiorgan dysfunction in cardiac surgical patients. Crit Care Med. 2011 Aug;39(8):1879-85. doi: 10.1097/CCM.0b013e3182190d48. PMID: 21460705.

OP-Team bei einem chirurgischen Eingriff
Die Zahl der herzchirurgischen Eingriffe steigt weltweit stetig an. Aufgrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Begleiterkrankungen, werden die Herzoperationen jedoch oft komplexer – bei jedem fünften Eingriff kommt es zu Komplikationen. Christian Stoppe vom Uniklinikum Würzburg hat mit einem internationalen Team geprüft, ob Selen die Risiken reduzieren kann. © Daniel Peter / UKW