Aktuelle Pressemitteilungen

Hausärztliche Praxisteams und Bürger als Co-Forscher

Das Bayerische Forschungsnetz in der Allgemeinmedizin (BayFoNet) zieht beim Beiratstreffen in Würzburg Zwischenbilanz und wagt den Blick nach vorn

Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.
Das BayFoNet Team mit den Beiratsmitgliedern zu Gast in den Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW

Die Forschung in der Allgemeinmedizin durch Kooperationen von hausärztlichen Praxen und der universitären Allgemeinmedizin in Bayern zu fördern, das ist das große Ziel des Bayerischen Forschungsnetzes in der Allgemeinmedizin, kurz BayFoNet. „Das heißt, wir wollen Forschungsfragen aus der ambulanten Versorgung zusammen mit den Praxen untersuchen, die Forschungserkenntnisse zeitnah und zielgruppenspezifisch in die Regelversorgung transferieren, den hausärztlichen Nachwuchs in die Forschung integrieren und dazu befähigen, eigene Forschungsideen zu entwickeln und umzusetzen und schließlich die Bürgerinnen und Bürger am Forschungsprozess beteiligen“, erklärt die Projektleiterin und Sprecherin Prof. Dr. Ildikó Gágyor vom Institut für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg.

BayFoNet wird seit dem Jahr 2020 für insgesamt fünf Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Neben den Universitätskliniken Erlangen und Würzburg, dem Klinikum der Universität München und dem Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München gehört seit November 2022 auch das Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Augsburg zum BayFoNet. Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.

Mehr als 100 Mitgliedspraxen zertifiziert

Inzwischen haben mehr als 200 hausärztliche Praxen ihr Interesse an einer Teilnahme am BayFoNet angemeldet. 118 Praxen von ihnen haben bereits alle Akkreditierungskriterien erfüllt und ein BayFoNet-Mitglieds-Zertifikat erhalten. In zwölf regionalen Ideenwerkstätten brachten knapp 40 Hausärztinnen und Hausärzte ihre Expertise bei der Entwicklung und Durchführung von Studien ein. Eine erste, von Hausarztpraxen selbst initiierte und entwickelte Studie steht kurz vor dem Start. Aktuell werden zwei Pilotstudien zur Mikroskopie beim unkomplizierten Harnwegsinfekt sowie zur Implementierung eines Online-Schulungsprogramms für Menschen mit Asthma durchgeführt, die zur Prüfung der Funktionalität des Netzwerkes dienen sollen. Daneben werden an den fünf Standorten 14 weitere Studien durchgeführt, welche auf die Infrastruktur zurückgreifen. Daraus sind jeweils 16 wissenschaftliche Publikationen und Tagungsbeiträge entstanden

Bürgerinnen und Bürger werden am Forschungsprozess beteiligt

Ein besonderes Augenmerkt wird im BayFoNet auf die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und hausärztlichen Praxisteams gelegt. Knapp 50 Personen aus der Bevölkerung konnten bisher gewonnen werden, sich in einer der 18 stattgefundenen Bürgerforen und Bürgerbeiräten einzubringen. Wer an der Forschung Interesse hat und mithelfen möchte, wissenschaftliche Untersuchungen so zu gestalten, dass diese auch nachvollziehbar sind, ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Informationen liefert die Webseite bayfonet.de 

„Patienten finden es toll, wenn sich die Praxis für die Wissenschaft interessiert“

Des Weiteren möchten sich die Netzwerkpartner in den nächsten zwei Jahren dem Thema der Datenverarbeitung widmen. Wie innerhalb des Netzwerkes gilt auch hier, dass ohne Vertrauen kein Austausch erfolgen kann. Dabei gilt es zu klären, welche Daten auf bayerischer, aber auch nationaler Ebene zu welchen Zwecken standardisiert erhoben und geteilt werden sollen und wie eine technische Umsetzung konkret aussehen kann.

Erste Ergebnisse der Prozessevaluation weisen darauf hin, dass die hausärztlichen Praxisteams durch ihre Mitgliedschaft im BayFoNet, ihre aktive Mitwirkung und Vernetzung eine Stärkung der Allgemeinmedizin erleben. Zudem sehen sie es als berufliche Entwicklung sowie Fortbildungsmöglichkeit für das Praxispersonal an. „Die Patienten finden es toll, wenn sie merken, dass sich die Praxis für die Wissenschaft interessiert. Das wertet meine Praxis auf", so eine Rückmeldung eines Hausarztes.

„Wir sind auf einem sehr guten Weg“, freut sich Ildikó Gágyor und dankt allen Beteiligten für ihren Einsatz, generell im BayFoNet und konkret beim zweitätigen Beiratstreffen. Wichtige Impulse und Rückmeldungen beim Treffen in der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg kamen von den Beiratsmitgliedern Prof. Frank Sullivan von der University St. Andrews, Prof. Alena Buyx von der TU München sowie Prof. Klaus Berger von der Universität Münster. Die Prodekanin der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg, Prof. Katrin Heinze, sowie Prof. Dr. Thomas Ewert vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) stimmten die Anwesenden mit Grußworten auf die Veranstaltung ein.

Kontakt

Für interessierte Hausarztpraxen, die Teil des BayFoNet werden möchten, steht Christian Kretzschmann als Ansprechpartner zur Verfügung unter E-Mail: Kretzschma_C@ukw.de oder Tel: 0931 201 47808. Weitere Informationen finden Sie unter www.bayfonet.de 

Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.
Das BayFoNet Team mit den Beiratsmitgliedern zu Gast in den Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW

Demenz vom Stigma befreien

Am Uniklinikum Würzburg hat Alexandra Wuttke die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. Sie möchte vor allem die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Demenzforschung in die Praxis bringen, Interventionen zur Stressreduktion für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen entwickeln und im Alltag erproben.

Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.
Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke

Würzburg. Sie ist mit 34 Jahren eine der jüngsten Professorinnen in der Würzburger Universitätsmedizin. Und sie kümmert sich um die Älteren unserer Gesellschaft - um Menschen mit Demenz. „Seit meinem Psychologie-Studium finde ich ältere Menschen spannend und faszinierend“, erläutert Prof. Dr. Alexandra Wuttke ihren Arbeitsschwerpunkt. „Ich erlebe tagtäglich, welche Ressourcen in ihnen schlummern. Ihre Kräfte und Energien wären so wichtig für einen intergenerationalen Austausch. Schade, dass die Gesellschaft oft eine negative Sicht auf die älteren Menschen hat.“

„Was wir aus der Forschung wissen, müssen wir in den Alltag bringen!“

Ebenso bedauerlich findet sie, dass die Demenz immer noch stigmatisiert wird. Das Wort Demenz verbinden viele mit der Oma im Pflegeheim, die einen nicht mehr erkannt hat, oder dem Opa, der nicht mehr reden konnte. Alle hätten das letzte Stadium im Kopf und dass man gegen eine Demenz machtlos sei. Aber dass es einen jahrzehntelangen Vorlauf gibt, sich die Demenz schleichend entwickelt und sich viele Weichen stellen lassen, um das Fortschreiten zu verlangsamen und die Selbstständigkeit für einen sehr langen Zeitraum zu erhalten, das sei leider nicht in den Köpfen. Und das möchte Alexandra Wuttke ändern: Das Wissen aus der Forschung in die Bevölkerung bringen! Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der frühen Begleitung und Intervention, die sich sowohl an die Menschen mit Demenz als auch ihre Angehörige richtet, damit beide gesund bleiben können. Denn die Diagnose Demenz sei ein Stressor für alle Beteiligten, und in den unterschiedlichen Stadien der Demenz müsse es spezifische Angebote für Menschen mit Demenz und ihr Angehörigen geben, um Stress zu reduzieren und Resilienz zu stärken.

Stiftungsprofessur von Würzburger Universitätsmedizin, Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist

Seit Februar hat die Mutter eines Sohnes eine an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Zentrum für psychische Gesundheit (ZEP) angesiedelte W1-Professur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen - zunächst in Teilzeit, da sie derzeit noch das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz leitet. Die neue Stiftungsprofessur in Würzburg wurde vom Uniklinikum Würzburg, der Julius-Maximilians-Universität, der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und der Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist im vergangenen Jahr eingerichtet, um an der Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Anwendung das gesellschaftlich so wichtige Thema der Demenz voranzubringen. Alexandra Wuttke ist von den ersten Arbeitstagen in Würzburg begeistert: „Ich wurde so herzlich begrüßt. Die Infrastruktur zur Demenzforschung ist in Würzburg hervorragend, und es gibt bereits tolle Initiativen und Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen.“

Würzburg bietet immensen Wissensschatz durch Studien und hervorragende Infrastruktur

Die Stiftung Bürgerspital zum hl. Geist bietet seit ihrer Gründung in ihren Senioreneinrichtungen alten Menschen mit all ihren Erkrankungen eine bestmögliche Versorgung unter Wahrung von Autonomie und Würde. Und in ihrem Geriatriezentrum und der dort angesiedelten GesundheitsAkademie50Plus wird schon seit fast 20 Jahren die Therapie und Prävention typischer Alterserkrankungen intensiv verfolgt. Wuttke sieht hier zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten.

Einen immensen Datenschatz für die Frühdiagnose und Prävention bieten zudem die Forschungsergebnisse aus der von der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp finanzierten Kohorten-Studie, in der mehr als 600 Würzburgerinnen und Würzburger ab 75 Jahren innerhalb von zwölf Jahren mehrfach am Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) des UKW untersucht wurden. Nach der Querschnittsauswertung zu den Risikofaktoren für eine Demenzentwicklung steht jetzt die Längsschnittauswertung aus: Was kann eine Demenzentwicklung vorhersagen?

Auch das Uniklinikum nimmt die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, an und hat die Themen Alterung und Multimorbidität als eines von vier Strategiefeldern definiert. Die Professur von Alexandra Wuttke ist Teil dieser Strategie. „Demenzsensibler Umgang mit Patientinnen und Patienten erfordert vor allem Empathie“, lehrt sie ihre Studierenden. „Es geht darum, die Bedürfnisse zu verstehen. Menschen mit Demenz sind zum Beispiel nicht aggressiv, weil sie böse sind, sondern weil ein Bedürfnis nicht erfüllt ist. Vielleicht hat eine geschlossene Tür Erinnerungen an Kriegszeiten hervorgerufen und man kann Ängste nehmen, indem man die Tür offenlässt. Natürlich sind Gespräche zeitintensiver als die Gabe einer Pille, aber ein gutes Gespräch spart oft weitere Krisen und Wiederaufnahmen.“

„Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken“

Die interdisziplinäre Verortung ihrer Professur ist der Mannheimerin ganz wichtig. „Wir dürfen nicht in der eigenen Disziplin stecken bleiben. Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken. Wir müssen die Pflege, die Medizin und die Psychologie zusammenbringen. Demenz und Depression sind die beiden größten Herausforderungen, wenn es um die psychische Gesundheit im Alter geht. Beides beeinflusst sich gegenseitig.“ Ihre geplante Studie, in der sie zusammen mit einem Konsortium aus Versorgung, Wissenschaft und Politik den Übergang von stationärer zur ambulanten Behandlung untersuchen möchte, setzt genau auf diese interdisziplinäre Denkweise.

Wer schlecht hört aber kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Demenzrisiko

Doch woran erkenne ich eine Demenz? Und wie kann ich vorbeugen oder ein Fortschreiten verlangsamen. „Wir wissen heute, dass 40 Prozent des Risikos, an einer Demenz zu erkranken, auf einen veränderbaren Lebensstil zurückgeht“, erklärt Alexandra Wuttke. Eine Rolle spielen zum Beispiel die Bewegung, soziale Kontakte und psychische Gesundheit. „Aber kaum jemand kennt den Faktor, der den größten Einfluss hat: die Hörfähigkeit im mittleren Erwachsenenalter. Wer schlecht hört und kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Risiko, eine Demenz zu entwickeln.“ Das Tragen eines Hörgerätes könne dieses Risiko ausgleichen. Ein Grund mehr, das Thema Schwerhörigkeit nicht mehr zu tabuisieren. Man sollte sich trauen, Hörgeräte zu tragen, ebenso wie man sich trauen sollte, über Demenz offen zu sprechen.

Nicht korrigieren sondern auf Augenhöhe kommunizieren – das reduziert Stress

Wenn jemand den Verdacht hat, eine Demenz zu haben oder die Angehörigen kognitive Störungen bemerken, ist es ratsam, dieses umgehend in einer Gedächtnisambulanz abklären lassen. Je früher man die Demenz erkennt und behandelt, desto besser kann man die Weichen für die weitere Versorgung stellen. Neben Medikamenten, die den Verlauf einer Alzheimer-Demenz verlangsamen können, gibt es vor allem eine große Bandbreite an evidenz-basierten und wirksamen psychosozialen und psychotherapeutischen Maßnahmen, Interventionen und Ansätze, die die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen helfen, die demenzbedingten Veränderungen des Alltags zu bewältigen und Stress zu reduzieren. Wichtig sei es, die Angehörigen mit einzubeziehen, betont Alexandra Wuttke, die sich sehr für die dyadischen Aspekte der Stressregulation interessiert, was verändert sich in den Zweierbeziehungen bei einer Demenz. „Ich empfehle allen, auf Augenhöhe zu bleiben und die Menschen mit Demenz nicht wie ein Kind zu behandeln.“ Die Situation zuhause entspanne sich oft schon durch eine Änderung der Kommunikation. Wer als Mensch mit Demenz ständig korrigiert und verbessert wird, nach dem Motto „das habe ich doch schon dreimal erklärt“, „du hast schon wieder das Falsche geholt“, fühlt sich ertappt und gestresst und zieht sich zurück. „Wir dürfen den älteren Menschen durchaus mehr zutrauen. Eine gut eingestellte Smartwatch oder Aufkleber auf Schränken und Schubladen könnten zum Beispiel bei der Orientierung im Alltag helfen. Menschen mit einer demenziellen Entwicklung und ihre Angehörigen können lernen, trotz der Demenz möglichst lange gut zusammen zu leben. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.“

Zur Person:

Alexandra Wuttke hat an der Philipps-Universität in Marburg sowie an der University of Western Australia in Perth und an der Central Queensland University im australischen Rockhampton Psychologie studiert, ihre Promotion zum Thema Psychobiological mechanisms underlying the stress-reducing effects of music listening in daily life hat sie in Marburg mit summa cum laude abgeschlossen und anschließend eine Postgraduierte Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Fachkunde Verhaltenstherapie) absolviert. In der Universitätsmedizin in Mainz hat sie zunächst in der AG „Gesundes Altern und Neurodegeneration, Demenz“ als Post Doc gearbeitet und später die Leitung des Zentrums für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz übernommen. Das ZpGA ist ein interdisziplinäres Netzwerk für Präventionsforschung und innovative Versorgungsmodelle des Landeskrankenhauses (AöR). Im Jahr 2022 hat sie den Irmela-Florin Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation (DGVM) für ihre Arbeit zu aufsuchenden, dyadischen Interventionen für Menschen mit beginnender Demenz und ihre Angehörigen erhalten. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. 

Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.
Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke

Deutsche Hochschulmedizin unterstützt Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums

Die Deutsche Hochschulmedizin befürwortet die heute vom Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach vorgestellte Digitalisierungsstrategie. Sie dient als Grundlage für das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Beide Gesetze sollen laut Bundesgesundheitsministerium in den nächsten Wochen vorgelegt werden. Kern der Strategie ist ein Neustart bei der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Diese soll bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherten im sogenannten Opt-Out-Verfahren eingerichtet werden. Gleichzeitig sollen die Daten aus der ePA künftig zu Forschungszwecken automatisch über das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM für Forschungseinrichtungen und nun auch für die forschende Industrie abrufbar sein.

Dazu sagt Professor Jens Scholz, 1. Vorsitzender des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands e.V.: „Die ePA noch mal neu anzugehen und bis Ende nächsten Jahres für jeden, der sich nicht aktiv dagegen entscheidet, verbindlich einzuführen, bringt neuen Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die ePA wird uns helfen, Patientinnen und Patienten besser zu versorgen. Gleichzeitig werden wir so umfassend wichtige Versorgungsdaten für die Forschung nutzen können. Auch dies wird durch bessere Diagnose- und Therapiemöglichkeiten den Patientinnen und Patienten zu Gute kommen. Dieser Schub für die Gesundheitsversorgung wird sich in einer zukünftig reformierten Krankenhauslandschaft noch verstärken. Grundlage für regionale Versorgungsnetzwerke, die von den Universitätsklinika koordiniert werden, ist eine starke IT-Infrastruktur in den Level IIIU-Häusern. Allerdings ist die neue ePA nur ein erster Schritt. Andere Länder haben uns bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens längst überholt. Hier hat Deutschland eindeutig noch Nachholbedarf.“

Professor Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultätentages unterstützt die Initiative mit Nachdruck: „Die Digitalisierungsstrategie greift zwei wesentliche Aspekte auf, nämlich bürokratische Hemmnisse abzubauen und die Forschung für Patientinnen und Patienten auf eine neue Grundlage zu stellen. So wird mit dem Aufbau einer zentralen Koordinierungsstelle für die Gesundheitsforschung ein vereinfachter Zugang zu klinischen Daten aus verschiedenen Quellen geschaffen. Von ganz herausragender Bedeutung ist, dass datenschutzrechtliche Bürokratie abgebaut wird, ohne dabei die Rechte und berechtigten Interessen der Patientinnen und Patienten zu verletzen. Mit der Begrenzung der Zuständigkeit nur noch eines federführenden Landesdatenschutzbeauftragten bei länderübergreifenden Forschungsvorhaben wird den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein einfacherer datenschutzkonformer Umgang mit Patientendaten ermöglicht und damit die Gesundheitsforschung im Interesse aller Patientinnen und Patienten für eine bestmögliche Gesundheitsversorgung erheblich erleichtert.“

Kontakt:

Stephanie Strehl-Dohmen
T. +49 30 3940 517-25
Mail: strehl-dohmen@ uniklinika.de
www.deutsche-hochschulmedizin.de

Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) und der Medizinische Fakultätentag (MFT) vertreten die Interessen der 36 Universitätsklinika sowie der 39 Medizinischen  Fakultäten in Deutschland. Ihr Dachverband ist die Deutsche Hochschulmedizin e.V. Gemeinsam stehen die Verbände für Spitzenmedizin, erstklassige Forschung sowie die international beachtete Medizinerausbildung und Weiterbildung.

 

Pressemitteilung der Deutschen Hochschulmedizin e.V. vom 09.03.2023

Wie Körper und Gehirn bei Angst zusammenspielen

Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir Angst haben? Das Defense Circuits Lab am Uniklinikum Würzburg hat ein Rahmenkonzept erstellt, um die Ausprägung von Verhalten und körperlichen Anpassungen inklusive ihrer komplexen Dynamik zu charakterisieren und so die Gehirnaktivität bei Angst besser zu verstehen. Übergeordnetes Ziel ist die Erforschung neuer Therapieansätze bei Angsterkrankungen. Die Studie wurde im Nature-Magazin Nature Neuroscience veröffentlicht.

Hier wird in einer Grafik die Herzrate von Mäusen bei Lichtstimulationen gezeigt.
Die Grafik zeigt die durchschnittliche Herzrate von Mäusen, bei denen über einen Zeitraum von zehn Minuten fünfmal für zehn Sekunden Zellaktivität mittels Licht künstlich angeregt wurde. Hierzu wurde eine bestimmte Population von Nervenzellen im Mittelhirn mit lichtsensitiven Proteinen sogenannten Opsinen ausgestattet. Jede Lichtstimulation hat eine deutliche Reduzierung der Herzrate zur Folge, allerdings ist dieser Effekt stärker, je später die Stimulation in der zehnminütigen Aufzeichnung stattfindet. Das erklären sich die Forschenden durch den Einfluss eines übergeordneten Macrostates, die sogenannte „Rigidität“. Interessanterweise sieht die Verhaltensantwort - trotz unterschiedlicher kardialer Antworten - während allen Lichtstimulation genau gleich aus: Die Mäuse zeigen deutliches freezing-Verhalten (hier nicht gezeigt). © Defense Circuits Lab / UKW
Das Bild zeigt Philip Tovote (Mitte) und Mitarbeiter im Labor des Defense Circuits Lab
Ein Team des Defense Circuits Lab von Philip Tovote hat am Uniklinikum Würzburg ein Rahmenkonzept erstellt, um die Ausprägung von Verhalten und körperlichen Anpassungen inklusive ihrer komplexen Dynamik zu charakterisieren und so die Gehirnaktivität bei Angst besser zu verstehen. Übergeordnetes Ziel ist die Erforschung neuer Therapieansätze bei Angsterkrankungen. © Daniel Peter
Nina Schukraft am Mikroskop, im Hintergrund Jérémy Signoret-Genest.
Nina Schukraft konnte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Defense Circuits Lab des UKW bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn identifizieren, die für die Generierung einer typischen Angstreaktion in Mäusen verantwortlich sind. © Daniel Peter
Das Bild zeigt Jérémy Signoret-Genest am Mikroskop.
Der Biologe Jérémy Signoret-Genest ist gemeinsam mit Nina Schukraft Erstautor der Studie „Integrated cardio-behavioural responses to threat define defensive states“, die jetzt im Fachmagazin Nature Neuroscience publiziert wurde. © Daniel Peter

Flight, fight or freeze. Wegrennen, sich wehren oder vor Angst erstarren. Jeder reagiert anders auf eine Bedrohung. Das Verhalten hängt ganz davon ab, welche neuronalen Schaltkreise in unserem Gehirn aktiviert werden, um uns vor möglichen Schäden zu schützen. Das Defense Circuits Lab am Universitätsklinikum Würzburg beschäftigt sich vor allem mit dem Angstzustand. Wie verhalten wir uns, wenn wir Angst empfinden? Wie reagiert unser Körper darauf? Und wie hängen Emotion und physiologische Reaktion zusammen?

Rahmenkonzept für präzise Charakterisierung von Angstzuständen

„Obwohl die Neurowissenschaft schon länger an der Entschlüsselung von Angstzuständen und entsprechenden Behandlungsansätzen arbeitet, ist es noch nicht gelungen, ein einheitliches Bild zu gewinnen, das sowohl Verhaltensänderungen als auch physiologische Reaktionen und deren dynamisches Zusammenspiel während Angstzuständen beschreibt“, berichtet Prof. Dr. Philip Tovote, Leiter des Defense Circuits Lab und Kodirektor des Instituts für Klinische Neurobiologie. Eine Angstreaktion werde immer noch auf eine Verhaltensänderung reduziert wie etwa auf die Schockstarre, bei der die Bewegungen förmlich einfrieren, im Englischen freezing genannt. Die Änderung der Herzrate jedoch wurde nie als eine verlässliche Komponente zur Charakterisierung von Angstzuständen wahrgenommen, da die bisherige Studienlage keine einheitlichen Ergebnisse hervorbrachte.

Um Angst und die damit verbundenen oft übermäßig stark ausgeprägten körperlichen Reaktionen zu behandeln, ist es wichtig, das genaue Zusammenspiel von Körper und Gehirn besser zu verstehen. Angststörungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen und treten oftmals im Zusammenhang mit kardiovaskulären und neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Parkinson oder Herzinsuffizienz auf“, erinnert Philip Tovote.

In der Tat hat auch Tovotes Team im Institut für klinische Neurobiologie bei Mäusen mit identischem Angstverhalten grundsätzlich verschiedene Herzraten beobachtet - mal waren sie erhöht, mal erniedrigt, mal unverändert. Diese zunächst scheinbar widersprüchlichen kardialen Reaktionen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in einem Rahmenkonzept zusammengefasst, welches die Einflüsse übergeordneter Zustände, sogenannter „Macrostates“ beschreibt und damit die unterschiedlichen Herzaktivitäten erklärbar macht. 

Gehirnnetzwerke, die für Angstzustände wichtig sind, besser verstehen

„Mit unserer Analyse ist es uns jetzt möglich, feine Abstufungen von verschiedenen Verhaltensänderungen, die zunächst gleich aussehen, aufgrund ihrer unterschiedlichen begleitenden Herzantworten zu erkennen“, freut sich Jérémy Signoret-Genest. Der Biologe ist gemeinsam mit Nina Schukraft Erstautor der Studie „Integrated cardio-behavioural responses to threat define defensive states“, die jetzt im Fachmagazin Nature Neuroscience publiziert wurde. Letztendlich könne diese präzise Charakterisierung von verschiedenen Ausprägungen von Angstzuständen dazu beitragen, Gehirnnetzwerke, die für die Entstehung von Angstzuständen wichtig sind, besser zu verstehen.

„Wir konnten bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn identifizieren, die für die Generierung einer typischen Angstreaktion in Mäusen verantwortlich sind“, erläutert Nina Schukraft die Entdeckung. Dafür wurden neueste neurowissenschaftliche Methoden genutzt, die es erlauben mittels Licht die Aktivität ausgewählter Nervenzellen zu kontrollieren. Die genetischen Konstrukte für diese so genannten optogenetischen Versuche wurden dem Würzburger Team von einem Begründer der Optogenetik, Karl Deisseroth von der Stanford University (USA) zur Verfügung gestellt, 

Pathologische Angstzustände genauer erkennen und gezielter behandeln

Um das Rahmenkonzept auszuweiten und unterschiedliche Angstzustände voneinander abzugrenzen sollen in Zukunft weitere Parameter wie zum Beispiel Atemfrequenz und Temperatur in die Analyse aufgenommen werden. Die umfangreichen und komplexen Daten sollen mittels „unbiased clustering“-Ansätzen in Cluster mit ähnlichen Eigenschaften zusammengeführt werden. Und schließlich soll das Konzept der durch viele verschiedene Faktoren mit unterschiedlicher zeitlicher Ausprägung bedingten „States“ auch auf krankheitsrelevante Zustände, so genannte „Pathostates“ übertragen werden. Damit würde ein besseres Verständnis der mit Angststörungen verbundenen Erkrankungen und ihrer zeitlichen Dynamik einhergehen, welches neue und verbesserte Therapieansätze zulasse. „Eine durch unser Rahmenwerk integrierte Analyse der verschiedenen, dynamischen Angstreaktionen und deren Abhängigkeit voneinander, könnte dazu beitragen, pathologische Angstzustände genauer und individuell angepasst zu erkennen und letztendlich besser zu behandeln“, resümiert Philip Tovote. Er ist zuversichtlich: „Unsere enge Verzahnung mit der klinischen Forschung im Rahmen großer Verbundprojekte auf dem Feld der Neurologie und Psychiatrie ermöglicht uns die Umsetzung dieser Ziele.“

Förderungen

Diese Forschung im Defense Circuits Lab wurde maßgeblich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt, die eine Heisenberg-Professur und entsprechende Projektförderung für Philip Tovote finanziert (TO 1124/1,2,3]). Die Arbeiten zu den neuronalen Grundlagen der Schockstarre werden weiterhin von der DFG im Rahmen des Transregio-Sonderforschungsbereichs „Retune“, der sich mit den Mechanismen der Tiefenhirnstimulation beschäftigt, gefördert (TRR 295: [446022135], [446270539]). Des Weiteren unterstützt die Europäische Union im Rahmen des „Horizon 2020 research and innovation programme“ (Marie Skłodowska-Curie grant 956414), sowie die Brain and Behavior Foundation (Newe York, USA) die Arbeiten des Defense Ciruits Lab am Universitätsklinikum Würzburg. Sara L. Reis wurde mit einem Stipendium der Fundação para a Ciência e a Tecnologia aus Portugal gefördert.

Publikation:

 

Signoret-Genest, J., Schukraft, N., L. Reis, S. et al. Integrated cardio-behavioral responses to threat define defensive states. Nat Neurosci 26, 447–457 (2023). doi.org/10.1038/s41593-022-01252-w

 

Hier wird in einer Grafik die Herzrate von Mäusen bei Lichtstimulationen gezeigt.
Die Grafik zeigt die durchschnittliche Herzrate von Mäusen, bei denen über einen Zeitraum von zehn Minuten fünfmal für zehn Sekunden Zellaktivität mittels Licht künstlich angeregt wurde. Hierzu wurde eine bestimmte Population von Nervenzellen im Mittelhirn mit lichtsensitiven Proteinen sogenannten Opsinen ausgestattet. Jede Lichtstimulation hat eine deutliche Reduzierung der Herzrate zur Folge, allerdings ist dieser Effekt stärker, je später die Stimulation in der zehnminütigen Aufzeichnung stattfindet. Das erklären sich die Forschenden durch den Einfluss eines übergeordneten Macrostates, die sogenannte „Rigidität“. Interessanterweise sieht die Verhaltensantwort - trotz unterschiedlicher kardialer Antworten - während allen Lichtstimulation genau gleich aus: Die Mäuse zeigen deutliches freezing-Verhalten (hier nicht gezeigt). © Defense Circuits Lab / UKW
Das Bild zeigt Philip Tovote (Mitte) und Mitarbeiter im Labor des Defense Circuits Lab
Ein Team des Defense Circuits Lab von Philip Tovote hat am Uniklinikum Würzburg ein Rahmenkonzept erstellt, um die Ausprägung von Verhalten und körperlichen Anpassungen inklusive ihrer komplexen Dynamik zu charakterisieren und so die Gehirnaktivität bei Angst besser zu verstehen. Übergeordnetes Ziel ist die Erforschung neuer Therapieansätze bei Angsterkrankungen. © Daniel Peter
Nina Schukraft am Mikroskop, im Hintergrund Jérémy Signoret-Genest.
Nina Schukraft konnte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Defense Circuits Lab des UKW bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn identifizieren, die für die Generierung einer typischen Angstreaktion in Mäusen verantwortlich sind. © Daniel Peter
Das Bild zeigt Jérémy Signoret-Genest am Mikroskop.
Der Biologe Jérémy Signoret-Genest ist gemeinsam mit Nina Schukraft Erstautor der Studie „Integrated cardio-behavioural responses to threat define defensive states“, die jetzt im Fachmagazin Nature Neuroscience publiziert wurde. © Daniel Peter

Walter Nussel jetzt im Stiftungsrat von „Forschung hilft“

„Forschung hilft“, die Stiftung zur Förderung der Krebsforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, begrüßt den bayerischen Landtagsabgeordneten Walter Nussel als neues Mitglied ihres Stiftungsrats.

Würzburg. Die im Jahr 2017 vom Verein „Hilfe im Kampf gegen Krebs“ gegründete Stiftung „Forschung hilft“ zielt darauf ab, Gelder für innovative Krebsforschungsprojekte an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität zusammenzutragen. Als neues Mitglied wurde Mitte Februar dieses Jahres der CSU-Politiker Walter Nussel (Jahrgang 1965) in den Stiftungsrat aufgenommen. „Wir freuen uns sehr, dass uns mit dem Landtagsabgeordneten und Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für Bürokratieabbau von nun an ein weiterer Mitstreiter im Kampf gegen Krebs unterstützen wird – gerade auch überregional“, kommentiert Gabriele Nelkenstock, die Vorsitzende des Stiftungsrats. Nach ihren Worten war Nussel ein Wunschkandidat von Barbara Stamm für die Position im Stiftungsrat. Die bayerische Landtagspräsidentin a. D. fungierte bis zu ihrem Tod im Oktober 2022 als Ehrenpräsidentin von „Forschung hilft“. Der Abgeordnete kam diesem Wunsch seiner langjährigen politischen Weggefährtin gerne nach, zumal ihm das Stiftungsziel auch persönlich am Herzen liegt. „Krebspatientinnen und -patienten sowie deren Angehörige geraten unverschuldet in Not und durchleben eine schwere Zeit. Ich finde es wichtig, diesen Menschen so gut es geht zu helfen“, so Walter Nussel. 

Wer die Stiftung „Forschung hilft“ weiter voranbringen will, kann eine Spende auf folgendes Konto überweisen: 

Stiftergemeinschaft der Sparkasse Mainfranken Würzburg
IBAN DE19 7905 0000 0000 0655 65
BIC: BYLADEM1SWU

Drei Untersuchungen zu Covid-19-Impfungen

Covid-19 Impfung: Welche Faktoren beeinflussen die Anti-SARS-CoV-2-Spike-IgG-Titer? Ist eine gemeinsame Verabreichung mit der Influenza-Impfung möglich? Wie verträglich sind die neue Varianten-adaptierten Covid-19 Impfstoffe? Das Universitätsklinikum liefert mit Auswertungen im Rahmen der CoVacSer-Studie die Antworten.

Das Bild zeigt zahlreiche Proben im Labor.
Im Rahmen der CoVacSer-Studie des Universitätsklinikums Würzburg werden seit September 2021 die immunologische Impfantwort sowie die Lebens- und Arbeitsqualität nach einer Covid-19-Impfung und/oder -Infektion in einer Kohorte von 1.800 Beschäftigen im Gesundheitswesen untersucht. @ UKW

Seit September 2021 untersucht die CoVacSer-Studie des Universitätsklinikums Würzburg die immunologische Impfantwort sowie die Lebens- und Arbeitsqualität nach einer Covid-19-Impfung und/oder -Infektion in einer Kohorte von 1.800 Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Zu drei wichtigen Themen aus der CoVacSer-Studie konnte das Studienteam um Dr. Alexander Gabel, Dr. Manuel Krone, Dr. Nils Petri sowie den Medizinstudentinnen Julia Reusch und Isabell Wagenhäuser kürzlich in renommierten Journals publizieren.

Schlechtere Impfantwort bei Rauchern

In der im Journal of Medical Virology veröffentlichten Querschnittsanalyse „Influencing factors of Anti‐SARS‐CoV‐2‐spike‐IgG antibody titers in healthcare workers: A cross‐section study“ wurden Faktoren analysiert, welche die Konzentration von Antikörpern nach einer Corona-Infektion oder -Impfung beeinflussen. Sowohl genesene als auch geimpfte Personen wiesen eine überwiegend gute so genannte humorale Immunantwort auf, wobei die signifikant höheren Antikörper-Werte in der hybrid immunisierten Untergruppe im Vergleich zu den nur Genesenen die Bedeutung einer zusätzlichen Impfung nach der Rekonvaleszenz unterstreicht. Das Studienteam hat zudem beobachtet, dass der Titer, also die Höhe an Immunglobulin G-Antikörpern gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2, kurz Anti-SARS-CoV-2-Spike-IgG, nach der zweiten Impfung mit der Zeit deutlich abnahm. Vor allem Rauchen und ansteigendes Lebensalter waren mit niedrigeren Titern verbunden. Zusammenfassend, konnte mit dieser Auswertung erstmalig gezeigt werden, dass Nikotinkonsum die humorale SARS-CoV-2-Immunität signifikant einschränkt und somit das Risiko schwerer Infektionen in dieser bereits verstärkt gefährdeten Gruppe weiter erhöht.

Gleichzeitige Verabreichung von Covid-19 Impfung und saisonaler Grippeimpfung wird gut vertragen

Unter dem Titel „Immunogenicity and safety of coadministration of COVID-19 and influenza vaccination“ konnte das CoVacSer-Studienteam die erste groß angelegte Evaluation der so genannten Co-Administration des saisonalen Influenza-Impfstoffes und einer mRNA-basierten Covid-19-Auffrischungsimpfung präsentieren. Das heißt, sie haben an einer Kohorte von 1.231 Studienteilnehmenden untersucht, ob eine gleichzeitige Verabreichung eine wirksame Strategie zum Schutz der Beschäftigten im Gesundheitswesen vor zwei schweren viralen Atemwegsinfektionen ist. Die humorale Immunantwort und die Nebenwirkungen der simultan verabreichten Impfstoffe waren bislang noch unklar.

Ergebnis: Die Anti-SARS-CoV-2-Spike-IgG-Titer waren bei einer Co-Administration leicht, aber signifikant erniedrigt. Jedoch ist unklar in wie weit ein leicht niedrigerer Antikörper-Titer den Schutz vor einer Corona-Infektion und einem schweren Krankheitsverlauf beeinflusst. „Mutmaßlich aber werde die Effektivität nicht relevant eingeschränkt sein“, so Manuel Krone, kommissarischer Leiter der Zentralen Einrichtung für Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship am Uniklinikum Würzburg. Nils Petri, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des Uniklinikums, ergänzt: „Wichtig ist, dass die Co-Administration ebenso gut vertragen wurde wie die alleinige Covid-19 Impfung. Die Co-Administration bietet also die Gelegenheit, mit gut angelegten Kampagnen die Impfquote für beide Impfungen zur erhöhen.“ Die Ergebnisse diese Auswertung konnten kürzlich im European Respiratory Journal publiziert werden.

Varianten-adaptierte bivalente SARS-CoV-2-Impfstoffe erzeugen häufiger Nebenwirkungen als ursprüngliche monovalenten Impfstoffe

Nachdem mittlerweile mehrere an Omikron-Varianten angepasste SARS-CoV-2-Impfstoffe zugelassen wurden und diese Impfstoffe bei Auffrischungsimpfungen überwiegend eingesetzt werden, stellt sich die Frage, ob diese genauso verträglich sind wie die ursprünglichen, auf Stämme aus dem Jahr 2020 zugeschnittenen Impfstoffe. Im Herbst 2022 wurden bivalente Covid-19-Impfstoffe verfügbar, welche die Wildtyp-Spike-mRNA mit einer Omicron BA.1 oder BA.4-5-Spike-mRNA kombinieren. Nachdem jene bivalenten Impfstoffe – ähnlich wie die saisonalen Influenza-Vakzine – ohne zusätzliche klinische Studie zugelassen wurden, konnte nun das CoVacSer-Studienteam erste Erkenntnisse zu Nebenwirkungen und Arbeitsunfähigkeit nach einer BA.4-5 adaptierten, bivalenten Covid-19-Impfung im Vergleich zur monovalenten Covid-19 Impfung als zweite Booster Impfung präsentieren.

In der Substudie erhielten 104 Personen eine vierte Dosis des Covid-19-Impfstoffs, und zwar entweder mit dem ursprünglichen, monovalenten BNT162b2 mRNA-Impfstoff oder mit dem bivalenten BNT162b2 mRNA-Original/Omicron BA.4-5-Impfstoff. Personen, bei denen die vierte Covid-19-Impfung mit dem bivalenten Impfstoff durchgeführt wurde, meldeten häufiger unerwünschte Reaktionen als Personen, die den monovalenten Impfstoff erhielten, insbesondere lokale Impfreaktionen. Es gab einen Trend zu mehr Arbeitsunfähigkeit und einer häufigeren Einnahme von Bedarfsmedikation nach der bivalenten Impfung. Zusammenfassend scheinen bivalente SARS-CoV-2-Impfstoffe als Auffrischimpfung häufiger kurzfristig leichte Nebenwirkungen zu erzeugen, wobei weiterführende Untersuchungen auch unter Einbezug der humoralen Immunogenität der Impfung nötig sind, um die klinische Entscheidungsfindung bei der Wahl zwischen bivalenten und monovalenten Impfungen zu unterstützen. Die Publikation „Bivalent BNT162b2 mRNA original/omicron BA.4-5 booster vaccination: adverse reactions and inability to work compared with the monovalent COVID-19 booster“ wurde kürzlich im Journal Clinical Microbiology and Infection veröffentlicht.

Publikationen

Reusch, J., I. Wagenhäuser, A. Gabel, A. Eggestein, A. Höhn, T. T. Lâm, A. Frey, A. Schubert-Unkmeir, L. Dölken, S. Frantz, O. Kurzai, U. Vogel, M. Krone and N. Petri (2022). "Influencing factors of anti-SARS-CoV-2-spike-IgG antibody titers in healthcare workers: A cross-section study." Journal of Medical Virology: e28300. https://doi.org/10.1002/jmv.28300

Wagenhäuser, I., J. Reusch, A. Gabel, A. Höhn, T.-T. Lâm, G. Almanzar, M. Prelog, L. B. Krone, A. Frey, A. Schubert-Unkmeir, L. Dölken, S. Frantz, O. Kurzai, U. Vogel, N. Petri and M. Krone (2023). "Immunogenicity and safety of coadministration of COVID-19 and influenza vaccination." European Respiratory Journal 61(1): 2201390. https://doi.org/10.1183/13993003.01390-2022

Wagenhäuser, I., J. Reusch, A. Gabel, L. B. Krone, O. Kurzai, N. Petri and M. Krone (2023). "Bivalent BNT162b2mRNA original/Omicron BA.4-5 booster vaccination: adverse reactions and inability to work compared to the monovalent COVID-19 booster." Clinical Microbiology and Infection. Article in Press. https://doi.org/10.1016/j.cmi.2023.01.008

Film: In der UKW-Mediathek erklärt Manuel Krone in einem Film vom Dezember 2022 die Aufgaben der Abteilung Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship und im Besonderen die CoVacSer-Studie. 

 

Das Bild zeigt zahlreiche Proben im Labor.
Im Rahmen der CoVacSer-Studie des Universitätsklinikums Würzburg werden seit September 2021 die immunologische Impfantwort sowie die Lebens- und Arbeitsqualität nach einer Covid-19-Impfung und/oder -Infektion in einer Kohorte von 1.800 Beschäftigen im Gesundheitswesen untersucht. @ UKW

Hochrisikogruppen profitieren von Corona-Booster

Eine Studie der Universitätsmedizin Würzburg zeigt, wie Dialysepflichtige von einer Auffrischungsimpfung mit bivalentem Covid-19 Omikron mRNA-Booster gegen SARS-CoV-2 profitieren. Beeindruckende Antikörperantwort sowohl in der Konzentration als auch in der Neutralisations- und Bindungsfähigkeit.

Das Bild zeigt die Studiengruppe vor dem KfH.
Luise Schäfer, Luca Huth, Martina Prelog und Giovanni Almanzar (v.l.n.r.) haben gemeinsam mit Christiane Drechsler (2.v.r.) und Torsten Stövesand (r.) vom KfH-Nierenzentrum mehr als 120 Dialysepflichtige von der ersten Corona-Impfung an begleitet und ihre Immunantwort untersucht. © Daniel Peter / UKW
Das Bild zeigt Luise Schäffer, Luca Huth, Giovanni Almanzar und Martina Prelog im Labor.
Die Medizinstudierenden Luise Schäfer und Luca Huth untersuchen in der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg mit Martina Prelog und Giovanni Almanzar die zelluläre Immunabwehr und Antikörperantworten von Hochrisikopatientinnen und -patienten. © Daniel Peter / UKW

Boostern wir zu oft und zu schnell? In den vergangenen Monaten wurde viel über die Auffrischungsimpfung mit bivalenten Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 und Omikron diskutiert. Sogar bei Hochrisikopatientinnen und -patienten wurde der Nutzen der Verabreichung eines an die Omikron-Varianten angepassten mRNA-Impfstoffes nach einer Grundimmunisierung in Frage gestellt. Prof. Dr. Martina Prelog hat mit ihrem Team vom Universitätsklinikum Würzburg die Immunantwort bei einer Hochrisikogruppe, und zwar den Hämodialysepflichtigen untersucht und ist nach der Auswertung zu folgendem Schluss gekommen: „Risikopatientinnen und -patienten profitieren von einer angepassten Impfung, vor allem diejenigen, die keinen Durchbruchsinfekt, also keinen Kontakt mit Omikron hatten. Die Antikörperantwort war dabei umso besser, je höher die Ausgangslage an vorbestehenden Antikörpern gegen SARS-CoV-2 war. Aus immunologischer Sicht macht es also durchaus Sinn, wenn sich Dialysepflichtige regelmäßig und auch mit einem angepassten Impfstoff impfen lassen.“

Covid-19: Dialysepflichtige gehören zur Hochrisikogruppe

Doch warum gehören Nierenkranke, die regelmäßig eine künstliche Blutwäsche außerhalb des Körpers benötigen, überhaupt zur Hochrisikogruppe? „Da die Nierenfunktion beeinträchtigt ist, können viele Giftstoffe nicht mehr ausreichend ausgeschieden werden, sie sammeln sich im Körper an und schädigen das Immunsystem. Darüber hinaus werden durch die Hämodialyse auch die Antikörper ausgewaschen und die Abwehrzellen beeinträchtigt“, erklärt der Medizindoktorand Luca Huth, der die Studie gemeinsam mit der Doktorandin Luise Schäfer beim New England Journal of Medicine (NEJM) eingereicht hat. Mit Erfolg. Die Studie wurde jetzt unter dem Titel „Immunologic Effect of Bivalent mRNA Booster in Patients Undergoing Hemodialysis“ veröffentlicht (DOI: 10.1056/NEJMc2216309).

Das Team hat mehr als 120 Dialysepflichtige im Würzburger KfH-Nierenzentum, das von Christiane Drechsler und Torsten Stövesand ärztlich geleitet wird, von der ersten Corona-Impfung an begleitet. 55 der Nierenkranken hat sich nach der vierten Impfung für eine fünfte Dosis mit einem angepassten Impfstoff entschieden. Und genau von dieser Gruppe wurden für die im NEJM publizierten Studie die Serumproben analysiert. Das heißt, ihre Antikörperspiegel und zelluläre Immunabwehr wurden sechs und zwei Wochen vor der fünften angepassten Impfung sowie zwei und vier Wochen danach untersucht. „Hier fiel schnell auf, dass der erste Schutzschirm der Antikörper sehr rasch abnahm. Bei 37 Personen hatte das Immunsystem ausschließlich Kontakt mit der mRNA für das Impf-Spike-Protein. Die 18 Personen, die eine Durchbruchsinfektion mit Omikron in der letzten Zeit hatten, hatten vor der fünften Impfung bereits deutlich höhere Antikörperspiegel“, berichtet Luise Schäfer. „Mit der Verabreichung einer mRNA-Auffrischungsimpfung gegen Omikron lassen sich die neutralisierenden Antikörper jedoch wieder auf ein höheres Level bringen.“

Konzentration der bindungsstarken und neutralisationsfähigen Antikörper steigt

Die Publikation ist eine der ersten Arbeiten, die zeigt, dass mehrfach geimpfte Patientinnen und Patienten Vorteile in der humoralen Immunabwehr haben. Während die zelluläre Immunantwort, vor allem die Abwehr durch T-Lymphozyten relativ konstant bleibt, war die Antikörperantwort Martina Prelog zufolge beeindruckend: „Bei denen, die eine Durchbruchsinfektion hatten, stieg die Antikörperkonzentration nach der Impfung mit dem angepassten Omikron-Impfstoff nochmals um das 2,5-fache, bei denen ohne Omikron-Durchbruchsinfektion sogar um das 7,3-fache.

Doch die Qualität der Antikörper ist mindestens genauso wichtig wie die Quantität. Daher wurde am Uniklinikum Würzburg neben der Menge an spezifischen Abwehrzellen und Antikörpern auch die Bindungsstärke der Antikörper gemessen. Bereits vor einem Jahr haben Martina Prelog, Giovanni Almanzar und der Doktorand Tim Vogt mit ihren Untersuchungen zur Bindungsaktivität der Antikörper gegen ihre Antigene, der so genannten Avidity, zu einer wegweisenden Covid-19-Studie im Nature Medicine beigetragen. (Link zur PM).

Ein weiterer Faktor, um das Ausmaß der schützenden Immunität abzuschätzen, ist die Neutralisationsfähigkeit der Antikörper. Diese wurde im Rahmen der Studie von Prof. Dr. Oliver Keppler und seinem Team im Max von Pettenkofer-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) mittels vermehrungsfähiger SARS-CoV-2 Erreger in aufwendigen Experimenten analysiert. Ergebnis: Die Neutralisationsfähigkeit gegen die neuen Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 war nach der fünften Impfung signifikant gestiegen.

Fazit: Die Antikörperspiegel gegen SARS-CoV-2 fallen bekanntermaßen sowohl bei Gesunden als auch bei Kranken gleichmäßig ab. Doch für Risikogruppen wie Dialysepflichtige ist es besonders wichtig, hohe Antikörperspiegel zu haben, um auch viele neutralisierende Antikörper mit hoher Bindungsfähigkeit zu besitzen.

Die Höhe der Antikörperspiegel vor der Booster-Impfung ist auch bedeutsam für die Impfantwort nach der Impfung, zum Beispiel mit einem angepassten mRNA Impfstoff. „Immunologisch gesehen können also gerade Risikopatienten, wie Dialysepflichtige, von regelmäßigen Auffrischungsimpfungen profitieren, da sie dadurch hohe Antikörperspiegel entwickeln, die auch Immunfluchtvarianten wie Omikron gut neutralisieren können“, kommentiert Martina Prelog. 

Studie: Huth Luca, Schäfer Luise, Almanzar Giovanni, Lupoli Gaia, Bischof Marie, Wratil Paul R., Stövesand Torsten, Drechsler Christiane, Keppler Oliver T., Prelog Martina. Immunologic Effect of Bivalent mRNA Booster in Patients Undergoing Hemodialysis. 2023/02/15. New England Journal of Medicine. 10.1056/NEJMc2216309. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMc2216309

Das Bild zeigt die Studiengruppe vor dem KfH.
Luise Schäfer, Luca Huth, Martina Prelog und Giovanni Almanzar (v.l.n.r.) haben gemeinsam mit Christiane Drechsler (2.v.r.) und Torsten Stövesand (r.) vom KfH-Nierenzentrum mehr als 120 Dialysepflichtige von der ersten Corona-Impfung an begleitet und ihre Immunantwort untersucht. © Daniel Peter / UKW
Das Bild zeigt Luise Schäffer, Luca Huth, Giovanni Almanzar und Martina Prelog im Labor.
Die Medizinstudierenden Luise Schäfer und Luca Huth untersuchen in der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg mit Martina Prelog und Giovanni Almanzar die zelluläre Immunabwehr und Antikörperantworten von Hochrisikopatientinnen und -patienten. © Daniel Peter / UKW