Aktuelle Pressemitteilungen

Hentschel-Preis 2024 an zwei Würzburger Schlaganfallforscher vergeben

Mit Dr. Felipe A. Montellano und Dr. Christoph Vollmuth wurden zwei Wissenschaftler aus der Würzburger Universitätsmedizin für ihre Beiträge zur Schlaganfallforschung mit dem diesjährigen Hentschel-Preis ausgezeichnet.

Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung.
Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung. Bild: Michael Schuhmann / UKW

Würzburg. Der bundesweit ausgeschriebene und in Summe mit 5.000 Euro dotierte Hentschel-Preis ging in diesem Jahr zu gleichen Teilen an Dr. Felipe A. Montellano und Dr. Christoph Vollmuth für ihre Arbeiten zur prognostischen Wertigkeit von blutbasierten Biomarkern nach akutem Schlaganfall. Beide Preisträger sind Mitarbeiter der von Prof. Dr. Jens Volkmann geleiteten Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). Dr. Montellano ist zudem am von Prof. Dr. Peter U. Heuschmann geleiteten Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg tätig.

Hinter dem Award steht die Würzburger Hentschel-Stiftung, die seit dem Jahr 2011 jährlich wissenschaftliche Erkenntnisse zur Prävention, Diagnostik oder Therapie des Schlaganfalls auszeichnet. Die Preisverleihung fand am 23. Oktober 2024 im Rahmen des 9. Würzburger Schlaganfallsymposiums statt, einer interdisziplinären Fortbildungsveranstaltung der Neurologischen Klinik des UKW. Gemeinsam mit dem Stiftungsgründer Dipl.-Ing. Günter Hentschel und Prof. Dr. Michael Schuhmann, dem Inhaber der Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung am UKW, gratulierte Prof. Dr. Karl Georg Häusler, Leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik des UKW sowie Organisator des Schlaganfallsymposiums, den Preisträgern sehr herzlich.

Um auch künftig Projekte zum Thema Schlaganfall unterstützen zu können, freut sich die Hentschel-Stiftung Würzburg über Spenden auf das folgende Konto: Kampf dem Schlaganfall, HypoVereinsbank Würzburg, BIC: HYVEDEMM455, IBAN: DE45790200760347390402. Die Stiftung ist vom Finanzamt Würzburg unter der Steuernummer 257/147/00343 als gemeinnützig anerkannt. Zustiftungen und Spenden sind daher steuerlich absetzbar.

 

Text: Pressestelle / UKW

Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung.
Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung. Bild: Michael Schuhmann / UKW

Preiswürdige Forschung für eine klimafreundlichere Gastroenterologie

Für ihre Forschung zu den Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck der gastroenterologischen Endoskopie zu senken, wurde Dr. Dorothea Henniger vom Uniklinikum Würzburg mit dem Martin-Gülzow-Preis der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauung und Stoffwechselerkrankungen ausgezeichnet.

Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.
Martin-Gülzow-Preis 2024.jpg, © DGVS Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.

Würzburg. Der von Prof. Dr. Alexander Meining geleitete Bereich Gastroenterologie an der Medizinischen Klinik II des Uniklinikums Würzburg (UKW) strebt danach, die Kohlendioxid-Emissionen rund um seine endoskopischen Untersuchungen und Eingriffe zu reduzieren. Für ihre Forschung zu diesem Thema erhielt Dr. Dorothea Henniger Anfang Oktober dieses Jahres den Martin-Gülzow-Preis der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauung und Stoffwechselerkrankungen (DGVS). Der Award wird an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler für grundlegende oder richtungsweisende Arbeiten im Bereich der klinischen Gastroenterologie vergeben und ist mit 5.000 Euro dotiert.
Das wissenschaftliche Projekt für eine „Grüne Endoskopie“ am UKW gliederte sich in zwei Phasen. „Zunächst ging es darum, die Menge der in Zusammenhang mit unserer Endoskopie freigesetzten Treibhausgase zu quantifizieren“, beschreibt Dr. Henniger und fährt fort: „Mangels entsprechender Herstellerdaten berechneten wir selbst den CO2-Fußabdruck der eingesetzten Instrumente und sonstigen Ausrüstung – nach unserem Wissen als weltweit erste Einrichtung.“ Dabei wurde deutlich, dass Plastik-Einwegmaterialien, wie Kittel oder Mundstücke, auf ihrem Lebensweg die meisten Treibhausgas-Emissionen verursachen. 

Maßnahmenbündel reduziert Emissionen um über 18 Prozent

Aufgrund der erhobenen Untersuchungsergebnisse tauschte die Gastroenterologie des UKW in einer zweiten Projektphase 224 Endoskopieprodukte gegen klimafreundlichere Erzeugnisse aus – vor allem durch die Wahl von Produkten mit geringeren Transportwegen. „Allerdings zeigte sich auch, dass es für 70 Prozent der Produkte zum Zeitpunkt unserer Studie keine ‚grüneren‘ Alternativen gab“, berichtet die Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie.
Darüber hinaus wurde in der Endoskopie des UKW – begleitet von einer entsprechenden Schulung der Mitarbeitenden – ein Recyclingsystem eingeführt. Laut der Preisträgerin konnte dadurch das Restmüllaufkommen um 20 Prozent verringert werden. „Außerdem haben wir unsere Kolleginnen und Kollegen für einen bewussteren Umgang mit Instrumenten sensibilisiert, wodurch wir die Anzahl der benutzen Instrumente ebenfalls reduzieren konnten“, schildert Dr. Henniger und fasst zusammen: „Alle genannten Maßnahmen führten in Summe dazu, dass wir unsere CO2-Emisssionen um über 18 Prozent gesenkt haben.“ 
Die der Vergabe des Martin-Gülzow-Preises zugrundeliegende Studie erschien im Februar 2024 in der gastroenterologischen Fachzeitschrift Gut unter dem Titel „Reducing scope 3 carbon emissions in gastrointestinal endoscopy: results of the prospective study of the 'Green Endoscopy Project Würzburg'“.

Text: Pressestelle / UKW
 

Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.
Martin-Gülzow-Preis 2024.jpg, © DGVS Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.

Das Gesundheitssystem hat ein Problem. Die Lösung ist eine starke Primärmedizin

„Neue Wege in die Allgemeinmedizin – Nachwuchs für Versorgung und Forschung begeistern“ – unter diesem Titel fand in diesem Jahr vom 26. bis 28. September 2024 in der Julius-Maximilians-Universität Würzburg der 58. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der DEGAM statt. Rund 1.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ärztinnen und Ärzte, Studierende, Medizinische Fachangestellte, Studienassistenz und Beschäftigte aus der Sozialarbeit, dem Gesundheitswesen, der Politik und allen Bereichen, die mit der hausärztlichen Versorgung zu tun haben, folgten der Einladung der beiden Kongresspräsidentinnen Prof. Dr. Anne Simmenroth und Prof. Dr. Ildikó Gágyor zu einem regen Austausch. Die beiden Direktorinnen des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) ziehen Bilanz.

Die beiden Kongresspräsidentinnen posieren beim DEGAM-Kongress vor der Kamera
Prof. Dr. Ildikó Gágyor und Prof. Dr. Anne Simmenroth, Direktorinnen des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) waren in diesem Jahr die Präsidentinnen des 58. Kongresses für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, der vom 26. bis 28. September 2024 in der Julius-Maximilians-Universität Würzburg stattfand. © DEGAM / Antje Boysen
Das gesamte Team des Instituts für Allgemeinmedizin hat sich für ein Grupppenfoto aufgestellt, vorn die beiden Kongresspräsidentinnen.
Das gesamte Team des Würzburger Instituts für Allgemeinmedizin war aktiv an der Gestaltung des Programms und der Durchführung des DEGAM-Kongresses beteiligt. © DEGAM / Antje Boysen
Mehrere Kongressausgaben liegen übereinander, rechts im Bild ein Kongressausweis
Die Ärzte Zeitung war Medienpartner des DEGAM-Kongresses und gab eine Kongress-Ausgabe aus. © DEGAM / Antje Boysen

Fast 400 eingereichte Abstracts, über 350 Kongressbeiträge, rund 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie hunderte Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis. Schon im Vorfeld war von Rekorden die Rede. Sind Sie mit dem DEGAM-Kongress in Würzburg zufrieden?

Anne Simmenroth: Ja, wir sind sehr zufrieden. Nicht nur wegen der hohen Zahl an Teilnehmenden. Es waren tatsächlich 978 Besucherinnen und Besucher aus ganz Deutschland, aus allen Berufen und Altersgruppen. Auch die Stimmung war sehr gut. Wir haben schon während des Kongresses und danach sehr viele positive Rückmeldungen bekommen, dass es ein besonderer und auch ein anderer Kongress war.

Was war das Besondere an dem Kongress?

Ildikó Gágyor: Unser gesamtes Team war sichtbar, nicht nur wir als Kongresspräsidentinnen. Alle Teammitglieder waren aktiv an der Gestaltung des Programms und der Durchführung beteiligt, so dass der Kongress einen schönen Stempel von unserem Institut erhielt. Man hat sicherlich auch unsere Handschrift beim Programm gemerkt. Wir haben darauf geachtet, dass die Frauen sichtbarer waren, sie zu Vorträgen und Key Lectures eingeladen. Zudem hatte der Kongress ein tolles Lokalkolorit: vom Veranstaltungsort, der Neuen Universität am Sanderring, über das Essen mit regionalen Spezialitäten und Würzburger Wein bis hin zu den fränkischen Sprüchen in Lautschrift, mit denen jeder Morgen begann. 

Anne Simmenroth: Außerdem haben das „atmosfair-Siegel“ für die Klimafreundlichkeit erhalten. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten zum Beispiel ihre eigenen Trinkflaschen mit, die sie an eigens aufgestellten Wassertanks auffüllen konnten. Wir hatten kein verpacktes Essen. Und es gab keine Kongresstaschen, die mit vielen unnötigen Dingen gefüllt waren. 

Einen weiteren regionalen Bezug haben Sie mit dem Seminar „Reflective Practitioner“ im Rahmen des Projekts „Das Leere Sprechzimmer“ geschaffen, welches seit einigen Jahren Bestandteil jedes DEGAM-Kongresses ist und an die ärztlichen Opfer der NS-Diktatur erinnert.

Ildikó Gágyor: Die Studierenden haben sich intensiv mit historischen Biografien beschäftigt und sich emotional damit auseinandergesetzt. Diese ethische Reflexion hinterlässt natürlich Spuren und wirft neue Fragen für die Zukunft auf, vor allem für das ärztliche Selbstverständnis.

Anne Simmenroth: Unsere Studierenden waren sehr angetan und haben regelrecht eine Fortsetzung gefordert, also das Thema noch weiteren Studierenden zugänglich zu machen. 

Hinweis der Redaktion: Weitere Informationen zum Leeren Sprechzimmer finden Sie auf der Webseite der DEGAM.

Für die Eröffnung des diesjährigen DEGAM-Kongresses haben Sie bewusst ein diskursives Format gewählt. Statt verschiedener Grußworte gab es eine Podiumsdiskussion. Hat dieses Format Ihren Wunsch nach einem knackigen Einstieg in das wissenschaftliche Programm erfüllt?

Anne Simmenroth: Auf jeden Fall. Wir haben sehr kontrovers diskutiert. Zum Beispiel über das Weiterbildungssystem in Deutschland. Wir haben noch eine zu niedrige Weiterbildungsquote in der Allgemeinmedizin, trotz langjähriger finanzieller und struktureller Förderung. Es gibt in Deutschland einen wirklich großen Reformbedarf. Den müssen wir angehen. Dabei hilft der internationale Blick, denn viele Länder sind wesentlich besser aufgestellt als wir.

Ildikó Gágyor: Eine Studie des IGES Instituts für den GKV-Spitzenverband hat gezeigt, dass wir von den Erfahrungen unserer Nachbarländer lernen könnten. Die Niederlande, Belgien, Frankreich, Österreich und die Schweiz haben vergleichbare Gesundheitssysteme und stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie wir: Viele Hausärztinnen und Hausärzte kurz vor dem Ruhestand und beim hausärztlichen Nachwuchs ein ausgeprägter Trend zur Teilzeitanstellung.

Frau Simmenroth, als Mitglied der European Academy of Teachers in General Practice and Family Medicine (EURACT) haben Sie einen noch tieferen, praktischen Einblick in die Weiterbildungssysteme anderer europäischer Länder. Was machen die anders?

Anne Simmenroth: Die meisten europäischen Länder kontingentieren zum Beispiel die Facharztausbildungen, man muss sich für die Fachgebiete bewerben und wird auf Listen gesetzt. Diese Steuerung ist hier ein „rotes Tuch“. Aber wir müssen planen. Sonst gibt es eines Tages unendlich viele Neurochirurginnen und Neurochirurgen, aber keine Geriaterinnen und Geriater. Schon heute gibt es viele Praxen mit angestellten Ärztinnen und Ärzten, die zu viele individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) anbieten, aber in der Primärversorgung fehlen. Dieses System muss besser ausbalanciert werden.

Eine Keynote Lecture befasste sich mit dem Thema „Gesundheitssystem im Wandel - Chancen und Herausforderungen für die Allgemeinmedizin“. Welche sind das? 

Anne Simmenroth: Unsere Kollegin Prof. Dr. med. Stefanie Joos aus Tübingen hat einen tollen „Blick von oben geliefert“ und auch ihr Fazit lautete: Das System stößt an seine Grenzen. Wir brauchen einen Systemwechsel, nicht nur in der Allgemeinmedizin. Wir brauchen zum Beispiel dringend die elektronische Patientenakte und definierte Schnittstellen. Denn die Patientenströme sind völlig ungesteuert und verursachen permanent Kosten. Die Kosten im Gesundheitswesen steigen ständig. Dabei wissen wir aus internationalen Studien, dass Primärarztsysteme die Kosten dämpft. Die Kosten sinken, aber die Versorgung wird nicht schlechter, sondern sogar besser. Es gibt zum Beispiel weniger Doppel- und Fehldiagnostik beziehungsweise Therapie, und alle Informationen werden an einer Stelle zusammengeführt.

Ildikó Gágyor: Die Lösung ist eine starke Primärversorgung. Die Allgemeinmedizin und die Pädiatrie müssen gestärkt werden. Das funktioniert anderswo, und deshalb würde es sicher auch hier funktionieren.

Was sollte sich aus Sicht des medizinischen Nachwuchses ändern? Durch die Fishbowl-Methode kamen bei der Podiumsdiskussion immer wieder neue Stimmen zu Wort, auch von Studierenden.

Ildikó Gágyor: Das Bedürfnis, über die Reform zu sprechen, war groß. Wir hatten vor der Bühne sogar eine Riesenschlange, weil immer mehr Leute, vor allem junge Leute, aufs Podium wollten. Laura Lunden, eine Ärztin in Weiterbildung, die die Junge Allgemeinmedizin Deutschland (JADE) auf dem Podium vertrat, fasste die Wünsche zusammen: Work-Life-Balance und Zeit für die Familiengründung. Sie sind gegen Zwang und wollen ihre Fachrichtung weiterhin selbst wählen können.
 
Anne Simmenroth: Sie kennen es auch nicht anders. Genauso wie Patientinnen und Patienten sich ihre Ärztinnen und Ärzte in Deutschland frei aussuchen. Das ist in 90 Prozent der europäischen Länder indiskutabel. Hierzulande denkt man immer gleich an Fremdbestimmung und Freiheitsberaubung. Umgekehrt muss man aber sehen, dass die Behandlung von Husten, Schnupfen, Heiserkeit in Deutschland ein Vielfaches an Zeit und finanziellen Ressourcen verbraucht wie in anderen Ländern.

Die Allgemeinmedizin ist eigentlich sehr attraktiv, vor allem im Hinblick auf die Work-Life-Balance. Warum hat sie trotzdem ein Nachwuchsproblem?

Ildikó Gágyor: Wir haben zwar immer mehr junge Leute, vor allem Frauen, die sich für die Allgemeinmedizin entscheiden, aber es sind nicht genug. Hinzu kommt, dass viele in Teilzeit arbeiten und lieber angestellt bleiben, als das unternehmerische Risiko einer Niederlassung einzugehen. Auf dem Land kommen weitere Gründe hinzu, wie eine schwächere Infrastruktur und mangelnde Kinderbetreuung.

Anne Simmenroth: Die Einzelpraxis stirbt in allen Fächern aus, auch bei den Hausärztinnen und Hausärzten. Das ist kein Zukunftsmodell mehr.

Wie sieht für Sie die allgemeinmedizinische Praxis der Zukunft aus?

Ildikó Gágyor: Sie wird auf jeden Fall größer sein. Es wird mehr Kompetenz gebündelt. Verschiedene Schwerpunkte wie zum Beispiel Geriatrie, Diabetologie und Palliativmedizin aber auch andere Berufe wie Pflege, Psychotherapie, Physiotherapie, Sozialarbeit unter einem Dach wären sicher von Vorteil.

Anne Simmenroth: Ich war gerade mit EURACT in Montenegro. Ein winziges Land mit einem tollen Primärarztsystem. In einem Gesundheitszentrum in einer Kleinstadt gab es neben dem Hausarzt noch eine Hebamme und einen Zahnarzt, ein Labor, eine Physiotherapie und eine Sozialarbeiterin! 

In anderen Ländern haben aber auch Nurses und Medizinische Fachangestellte einen größeren Handlungsspielraum. 

Anne Simmenroth: Das wäre auch noch ein wichtiger Aspekt für die Praxis der Zukunft. Wir müssen die Pflegekräfte noch mehr qualifizieren, als das jetzt schon der Fall ist. Im übrigen Europa sind Konsultationen durch Nurses ganz normal, hierzulande ist das ebenfalls ein rotes Tuch. Aber mal ehrlich, wir müssen als Ärztinnen doch nicht von unseren fünf Stunden Vormittagspraxis zwei Stunden mit Krankschreibungen wegen Schnupfen verbringen. Das ist wirklich eine Verschwendung von Ressourcen. 

Neben der Forschung und Lehre arbeiten Sie beide einen Vormittag pro Woche in einer allgemeinmedizinischen Praxis in Würzburg.

Ildikó Gágyor: Ja, und unsere Ressourcen sind für kompliziertere Fälle gedacht, bei denen zum Beispiel mehrere gesundheitliche Probleme behandelt werden müssen, das Fieber nicht sinkt, die aufgrund einer Depression verzweifelt sind oder ein komplexer Fall mit einer schweren Erkrankung oder nach einem großen Eingriff aus dem Krankenhaus entlassen wird und zu Hause versorgt werden muss. Diese Patientinnen und Patienten benötigen mehr Aufmerksamkeit.

Was kann der Kongress hinsichtlich der notwendigen Systemänderungen bewirken? 

Anne Simmenroth: Solche Kongresse, unser Kongress jedenfalls, sind immer ein Beschleuniger für solche Ideen, die in Podiumsdiskussionen, Key Lectures, Workshops und Pausengesprächen evidenzbasiert thematisiert werden. Sie sollen ins Land diffundieren, und das tun sie auch.

Ildikó Gágyor: Wir sind sozusagen Vorreiter. 

 

Das Interview führte Kirstin Linkamp / UKW 
 

Die beiden Kongresspräsidentinnen posieren beim DEGAM-Kongress vor der Kamera
Prof. Dr. Ildikó Gágyor und Prof. Dr. Anne Simmenroth, Direktorinnen des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) waren in diesem Jahr die Präsidentinnen des 58. Kongresses für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, der vom 26. bis 28. September 2024 in der Julius-Maximilians-Universität Würzburg stattfand. © DEGAM / Antje Boysen
Das gesamte Team des Instituts für Allgemeinmedizin hat sich für ein Grupppenfoto aufgestellt, vorn die beiden Kongresspräsidentinnen.
Das gesamte Team des Würzburger Instituts für Allgemeinmedizin war aktiv an der Gestaltung des Programms und der Durchführung des DEGAM-Kongresses beteiligt. © DEGAM / Antje Boysen
Mehrere Kongressausgaben liegen übereinander, rechts im Bild ein Kongressausweis
Die Ärzte Zeitung war Medienpartner des DEGAM-Kongresses und gab eine Kongress-Ausgabe aus. © DEGAM / Antje Boysen

Corazón en acción - Herz in Aktion

Das Institut für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) geht in Kooperation mit der Abteilung Infektiologie des UKW und der Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin eine Klinikpartnerschaft mit dem Hospital Dermatológico in Monteagudo (HDM) in Bolivien ein. Das Forschungsprojekt wird von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert und hat zum Ziel, die Prävention und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Chagas-Hochlandgebiet Monteagudo zu verbessern.

Collage von zwei Porträts, die Janina Zirkel und Sandra Parisi vor Bäumen zeigen.
Dr. Janina Zirkel (links) und Prof. Dr. Sandra Parisi haben das deutsch-bolivianische Projekt Corazón en acción im Rahmen des globalen Förderprogramms Klinikpartnerschaften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eingeworben. © Angie Wolf / UKW
Außenaufname des Krankenhauses in Bolivien, einige Menschen stehen vor der Anmeldung unter einem Vordach.
Hospital Dermatológico in Monteagudo ist ein ländliches Referenzzentrum für Tropenkrankheiten in Bolivien und stellt die Primärversorgung der Bevölkerung sicher. © Hospital Dermatológico Monteagudo
Collage mit Bildern eines Präventionsstandes in Bolivien, eines einfachen Hauses im Hinterland, einer Wanze in einer Schachtel und einer simplen Kochgelegenheit.
Sandra Parisi untersuchte vor sechs Jahren, wie die Chagas-Krankheit vor Ort wahrgenommen wird und besuchte auch Haushalte in abgelegenen Gebieten Monteagudos. Die Krankheit wird durch Raubwanzen übertragen, die in den Ritzen und Dächern einfacher Häuser leben. Ihre Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases veröffentlicht wurde, zeigt, dass trotz guter Aufklärung über Präventionsmaßnahmen Misstrauen gegenüber der derzeitigen Therapie der Wahl besteht. Alternative Heilmethoden werden oft bevorzugt, was auf Missverständnisse und kulturelle Faktoren zurückzuführen ist. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer partizipativen und ganzheitlichen Gesundheitsversorgung. © Sandra Parisi

Würzburg. Die Chagas-Krankheit ist eine der größten Gesundheitsgefahren in Bolivien. Unbehandelt kann die endemische Krankheit zu lebensbedrohlichen Schäden an Herz, Darm und Nervensystem führen. Verursacht wird die Chagas-Krankheit durch den Parasiten Trypanosoma cruzi, der hauptsächlich durch den Biss der Raubwanze “Vinchuca“ übertragen wird. In der Region Monteagudo im südbolivianischen Chaco ist jeder zweite Erwachsene mit Trypanosoma cruzi infiziert. Eine nicht minder große Gefahr stellen Bluthochdruck, Herzinfarkt, Diabetes und Adipositas dar: „Krankheiten, die für uns hausärztliche Routine sind. Doch vor Ort gibt es kaum eine nachhaltige Behandlung. Chagas verschlimmert diese Krankheiten zusätzlich. Durch diesen Teufelskreis werden bereits junge Menschen mit einer eigentlich behandelbaren Herzschwäche arbeitsunfähig“, sagt Dr. Janina Zirkel von der Abteilung für Infektiologie und dem Institut für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW). Gemeinsam mit ihrer Kollegin, Prof. Dr. Sandra Parisi will sie das mit dem Projekt „Corazón en acción - Herz in Aktion“ im Rahmen einer Klinikpartnerschaft mit dem Hospital Dermatológico in Monteagudo (HDM) in Bolivien ändern.

Herzerkrankungen stehen im Fokus der Klinikpartnerschaft

Das Hospital Dermatológico in Monteagudo ist ein ländliches Referenzzentrum für Tropenkrankheiten und stellt die Primärversorgung der Bevölkerung sicher. Ziel der Klinikpartnerschaft ist es, die Versorgungskapazitäten zu stärken und partizipativ neue Strukturen zu entwickeln. Dadurch soll die Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessert und die durch Chagas verursachte Krankheitslast in der hochendemischen Region reduziert werden.

In einem ersten Schritt sollen gemeinsam Daten erhoben werden. „Es fehlen die für eine Verbesserung der Situation notwendigen Daten zur physischen und psychischen Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschließlich der durch Chagas verursachten Herzprobleme, sowie zur aktuellen Versorgungssituation, sagt Parisi, die bereits mehrere Monate in dem südamerikanischen Andenstaat geforscht hat. „Auf Basis dieser Daten werden wir dann gemeinsam lokale Prioritäten und Lösungsansätze erarbeiten um auf eine Verbesserung der Versorgungsstrukturen hinzuwirken.“ 

Einbeziehung der Bevölkerung in Präventions- und Behandlungsstrategien

Im Projekt „Corazón en acción“ werden sowohl die Bevölkerung, die Betroffenen und ihre Angehörigen als auch alle an der Versorgung Beteiligten - von der Medizin und traditionellen Heilkunde über Pflege, Pharmazie und Veterinärmedizin bis hin zum Gesundheitssystem und der Politik - einbezogen. Sie sollen motiviert und befähigt werden, sich aktiv an der Verbesserung der Versorgung zu beteiligen. Darüber hinaus ist das Ziel, Forschungskompetenzen an lokales Personal und Studierende zu vermitteln.

Das Institut für Allgemeinmedizin verfügt über langjährige Erfahrung in der Versorgungsforschung zu übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten. Prof. Dr. Sandra Parisi und ihre Kollegin Dr. Janina Zirkel haben das Projekt im Rahmen des weltweiten Förderprogramms Klinikpartnerschaften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) eingeworben. Neben der Würzburger Infektiologie ist auch die Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin beteiligt, die ein Teilprojekt zur KI-Echokardiographie leitet. Auch deutsche und bolivianische Studierende sind im Rahmen von Master- und Doktorarbeiten in das Projekt eingebunden. 

Text: Kirstin Linkamp / UKW
 

Collage von zwei Porträts, die Janina Zirkel und Sandra Parisi vor Bäumen zeigen.
Dr. Janina Zirkel (links) und Prof. Dr. Sandra Parisi haben das deutsch-bolivianische Projekt Corazón en acción im Rahmen des globalen Förderprogramms Klinikpartnerschaften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eingeworben. © Angie Wolf / UKW
Außenaufname des Krankenhauses in Bolivien, einige Menschen stehen vor der Anmeldung unter einem Vordach.
Hospital Dermatológico in Monteagudo ist ein ländliches Referenzzentrum für Tropenkrankheiten in Bolivien und stellt die Primärversorgung der Bevölkerung sicher. © Hospital Dermatológico Monteagudo
Collage mit Bildern eines Präventionsstandes in Bolivien, eines einfachen Hauses im Hinterland, einer Wanze in einer Schachtel und einer simplen Kochgelegenheit.
Sandra Parisi untersuchte vor sechs Jahren, wie die Chagas-Krankheit vor Ort wahrgenommen wird und besuchte auch Haushalte in abgelegenen Gebieten Monteagudos. Die Krankheit wird durch Raubwanzen übertragen, die in den Ritzen und Dächern einfacher Häuser leben. Ihre Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases veröffentlicht wurde, zeigt, dass trotz guter Aufklärung über Präventionsmaßnahmen Misstrauen gegenüber der derzeitigen Therapie der Wahl besteht. Alternative Heilmethoden werden oft bevorzugt, was auf Missverständnisse und kulturelle Faktoren zurückzuführen ist. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer partizipativen und ganzheitlichen Gesundheitsversorgung. © Sandra Parisi

Ausgezeichneter Biomarker zur Vorhersage schwerer Schlaganfallverläufe

Dr. Alexander Kollikowski aus dem Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) wurde im Rahmen der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) der Kurt-Decker-Preis für den Konzeptnachweis frühester lokaler Biomarker im ischämischen Schlaganfall verliehen.

 

Alexander Kollikowski steht am Pult, über ihm leuchtet eine Folie seines Vortrags, links auf der Bühne sitzen Musiker mit Streichinstrumenten.
Auf der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) hielt Dr. Alexander Kollikowski vom UKW einen Vortrag über den Konzeptnachweis frühester lokaler Biomarker im ischämischen Schlaganfall, für den er mit dem Kurt-Decker-Preis ausgezeichnet wurde. © DGNR Benjamin Klingebiel, Offenblende
DGNR-Präsident gratuliert Alexander Kollikowski auf der Bühne.
Prof. Dr. Peter Schramm, der neue Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR), verlieh den Kurt-Decker-Preis an Dr. Alexander Kollikowski vom Würzburger Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie während der Jahrestagung der DGNR. © DGNR Benjamin Klingebiel, Offenblende

Würzburg. Beim ischämischen Schlaganfall, der vier von fünf Schlaganfällen ausmacht, muss schnell gehandelt werden, um die Durchblutung des Gehirns wiederherzustellen und bleibende Hirnschäden zu verhindern. Das Blutgerinnsel, das die Blutzufuhr zu einem Teil des Gehirns unterbrochen hat, kann durch eine katheterbasierte mechanische Thrombektomie, das wirksamste Verfahren in der akuten Gefäßmedizin, entfernt werden, um den physiologischen Blutfluss wiederherzustellen und ein Fortschreiten des Infarkts zu verhindern. Einige Patientinnen und Patienten profitieren jedoch selbst bei schneller und effizienter Behandlung nicht ausreichend von dieser Therapie und haben auch nach einer erfolgreichen Gefäßrekanalisation weiterhin neurologische Defizite. Während die Wirksamkeit der Behandlung stark vom Zeitpunkt der Intervention und dem Ausmaß der bereits eingetretenen Gewebsschädigung abhängt, wurden auch bestimmte Enzyme, insbesondere Matrix-Metalloproteinasen (MMP), vor allem nach der Gefäßrekanalisation mit anhaltenden neurologischen Störungen und Blutungskomplikationen in Verbindung gebracht.

Kurt-Decker-Preis für die Entdeckung eines prätherapeutischen Prädiktors für schwere Verläufe

Dr. Alexander Kollikowski vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) hat erstmals die früheste Freisetzung dieser Enzyme direkt in den vom Schlaganfall betroffenen Hirnregionen und ihre prognostische Bedeutung im therapeutischen Kontext vor einer Gefäßrekanalisation untersucht. Für die hierbei gewonnen wegweisenden Erkenntnisse erhielt er im Rahmen der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) in Kassel den renommierten Kurt-Decker-Preis.

Zum Projekt, das vom Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) Würzburg und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Clinician Scientist programms UNION CVD und des Sonderforschungsbereichs SFB/TR 240 finanziert und im Fachjournal eBioMedicine (The Lancet Discovery Science) veröffentlicht wurde: Gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Schuhmann, Leiter des Klinischen Labors der Neurologie und der interdisziplinären neurovaskulären Arbeitsgruppe, hat Alexander Kollikowski 264 Flüssigbiopsien von 132 Schlaganfallpatientinnen und -patienten mit einem Großgefäßverschluss untersucht, die im Rahmen der mechanischen Thrombektomie mittels Mikrokatheterverfahren vor Wiedereröffnung aus dem betroffenen Gefäßsegment des Gehirns gewonnen wurden. Hierbei konnten die Matrixmetallproteinasen in einem Zustand analysiert werden, noch bevor das nach der Gerinnselentfernung wieder einströmende Blut die Situation vor Ort massiv verändert hätte. Die Forschenden fanden einerseits heraus, dass Neutrophile, eine Art intravaskulärer weißer Blutkörperchen, direkt während des Schlaganfalls in das betroffene Gefäßgebiet einwandern und enzymatisch aktive Matrix-Metalloproteinase-9 (MMP-9) freisetzen, und zeigten andererseits, dass sich dieser Prozess als bedeutend für den Krankheitsverlauf erwies.

MMP-9 in Flüssigkeitsbiopsien aus Kollateralgefäßen ermöglicht präzise Prognoseabschätzung nach Gefäßrekanalisation

„Unsere Analysen haben gezeigt, dass lokale, prätherapeutische Konzentrationen von MMP-9 ein unabhängiger Prädiktor für schwere Hirnblutungen und einen ungünstigen klinischen Verlauf einschließlich schwerer Behinderung oder Tod nach Rekanalisation sind“, sagt Alexander Kollikowski. Die Ergebnisse positionieren MMP-9 in Kollateralgefäßen als ersten lokalen Biomarker zur Identifizierung von Hochrisikogruppen unter Thrombektomie-Kandidatinnen und -Kanditaten und liefern damit den Konzeptnachweis für früheste lokale Biomarker im ischämischen Schlaganfall.

Was bedeutet das konkret für die Therapie? „Die Bestimmung der Freisetzung von MMP-9 in Flüssigkeitsbiopsien aus Kollateralgefäßen vor der Gefäßrekanalisation ermöglicht eine präzise Prognoseabschätzung für verschiedene klinische Endpunkte nach der Gefäßrekanalisation“, so Kollikowski. „Diese Methode könnte den Weg für maßgeschneiderte Behandlungsstrategien für diejenigen Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko für einen ungünstigen Verlauf ebnen, die bisher nicht frühzeitig identifiziert und behandelt werden konnten und damit ein erhebliches Potenzial für klinische Verbesserungen aufweisen.“

Validierung, Point-of-Care-Testing und revers-translationale Studien

Wie geht es weiter? Der Fokus liegt zunächst auf der Validierung der Ergebnisse in größeren Kohorten, um die Robustheit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu bestätigen. Parallel dazu werden wir die Möglichkeiten untersuchen, diese Ergebnisse in eine patientennahe Labordiagnostik (engl. Point-of-Care-Testing) direkt in der Angio-OP während einer mechanischen Rekanalisation als Methode zur Echtzeit-Risikoabschätzung zu überführen. Zudem sind revers-translationale Studien geplant, um die im Menschen beobachteten Prozesse in Tiermodellen mechanistisch zu untersuchen. Mit diesem Ansatz soll eine Brücke zwischen klinischen Beobachtungen und experimentell adressierbaren pathophysiologischen Prozessen geschlagen werden, um die Entwicklung spezifischer, zeitlich und pathophysiologisch abgestimmter Therapiekonzepte für die klinische Erprobung voranzutreiben.

Weitere Informationen zur Studie liefert die Pressemitteilung, die am 22. April 2024 anlässlich der Publikation veröffentlicht wurde. 
 

Alexander Kollikowski steht am Pult, über ihm leuchtet eine Folie seines Vortrags, links auf der Bühne sitzen Musiker mit Streichinstrumenten.
Auf der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) hielt Dr. Alexander Kollikowski vom UKW einen Vortrag über den Konzeptnachweis frühester lokaler Biomarker im ischämischen Schlaganfall, für den er mit dem Kurt-Decker-Preis ausgezeichnet wurde. © DGNR Benjamin Klingebiel, Offenblende
DGNR-Präsident gratuliert Alexander Kollikowski auf der Bühne.
Prof. Dr. Peter Schramm, der neue Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR), verlieh den Kurt-Decker-Preis an Dr. Alexander Kollikowski vom Würzburger Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie während der Jahrestagung der DGNR. © DGNR Benjamin Klingebiel, Offenblende

DOG und Augenklinik des UKW feiern Rekorde

Ausgezeichnete Inspirationen aus Würzburg für neue Ansätze im Kampf gegen Augenkrankheiten

Auf dem bisher größten Jahreskongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) wurden von sieben eingereichten Postern der Würzburger Augenklinik fünf als Poster des Tages, zwei mit einem Posterpreis und eine Präsentation mit dem Sicca-Förderpreis ausgezeichnet.

Collage von sechs Porträts des Gewinnerteams.
Das Gewinnerteam der Augenklinik: oben v.l.n.r. Dr. Malik Salman Haider, Dr. Johanna Theuersbacher, Dr. Nikolai Kleefeldt; unten v.l.n.r. Privatdozent Dr. Daniel Kampik, Julian Schwebler und Dr. Raoul Verma-Führing. © UKW
Die Collage zeigt vier Bilder vom DOG-Jahreskongress, Julian Schwebler mit Sicca-Preis und Malik Salman Haider und Johanna Theuersbacher auf der Bühne bei der Verleihung des Posterpreises.
Die Würzburger Augenklinik feierte bei der DOG-Jahrestagung in Berlin Rekorde. Julian Schwebler erhielt den Sicca-Preis, Malik Salman Haider und Johanna Theuersbacher jeweils einen Posterpreis, drei weitere Beiträge wurden zum „Poster des Tages“ gekürt. © UKW

Würzburg. Mit 3.183 Fachteilnehmenden und 5.001 Besucherinnen und Besucher blickt die Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft e.V. (DOG) auf eine Rekordbeteiligung beim 122. Kongress zurück, der vom 10. bis 13. Oktober in Berlin stattfand. Doch auch die Augenklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) feierte bei der DOG-Jahrestagung Rekorde. Von sieben präsentierten Postern wurden fünf Poster als "Poster des Tages" ausgewählt. Dr. Johanna Theuersbacher und Dr. Malik Salman Haider erhielten zudem den Posterpreis der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Und Julian Schwebler wurde mit dem Sicca Förderpreis ausgezeichnet. 

„Als Leiter der Forschungslabore bin ich ungemein stolz auf die Leistungen unseres Teams, Krankheitsmechanismen zu verstehen und gleichzeitig innovative Therapiestrategien zu entwickeln“, kommentiert Dr. Malik Salman Haider. „Die Anerkennung, die wir durch die Posterpreise bei der DOG 2024 erhalten haben, spiegelt das Engagement und die harte Arbeit aller beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wider. Unsere Ergebnisse bringen nicht nur die Wissenschaft voran, sondern haben auch das Potenzial, die Versorgung in der Augenheilkunde maßgeblich zu beeinflussen. Ich freue mich darauf zu sehen, wie unsere Forschung auch in Zukunft neue Ansätze zur Bekämpfung von Augenkrankheiten inspirieren wird.“

Mit Mizellen Entzündungshemmer sicher und wirksam direkt ans Ziel bringen

Malik Salman Haider selbst erhielt einen Posterpreis für eine Entwicklung, die auch in vielen anderen preisgekrönten Projekten zum Einsatz kam, nämlich mizellare Formulierungen mit dem hochkonzentrierten, entzündungshemmenden Wirkstoff Dexamethason. Entzündungen sind bei verschiedenen Augenerkrankungen ein entscheidender Faktor, der das Fortschreiten der Erkrankung begünstigt und zu Gewebeschäden, Sehverlust und Beschwerden beiträgt. Malik Haider und seine Arbeitsgruppe haben den bewährten Entzündungshemmer Dexamethason (DEX) mit Hilfe von A-B-A-Triblock-Copolymeren in winzige Trägerstrukturen, so genannte Mizellen, verpackt. Die spezielle Struktur der Mizellen hilft, das Medikament effizienter zum betroffenen Gewebe zu transportieren. Die DEX-Mizellen zeigten eine ausgezeichnete Zytokompatibilität und eine deutlich verbesserte Permeabilität. Laut Haider hat diese neuartige mizellare Formulierung das Potenzial, die Einschränkungen der derzeitigen DEX-Therapien zu überwinden, indem sie das Medikament auf eine sichere und wirksame Weise direkt ans Ziel bringt – sei es durch Augentropfen oder Injektionen. 

Sicca-Förderpreis für die Erforschung der Entzündung und des Hydrogel-Drug-Delivery-Systems an einem in vitro 3D-Modell der Bindehaut

Der mit insgesamt 20.000 Euro dotierte Sicca-Förderpreis wird jährlich von der Arbeitsgemeinschaft Trockenes Auge und Oberflächenerkrankungen im Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) vergeben. Einer der acht Preisträger in diesem Jahr ist Julian Schwebler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Augenheilkunde. Sein mit 2.000 Euro und viel Lob ausgezeichnetes Projekt beschäftigte sich mit Entzündungen bei Bindehauterkrankungen und einer effizienteren Behandlung auf Basis von Hydrogelen. Um die zugrundeliegenden Mechanismen besser zu verstehen, studierte Julian Schwebler die Entzündung mit Hilfe eines 3D-in-vitro-Modells der Bindehaut. Darüber hinaus untersuchte er therapeutische Strategien mit Hydrogel-Wirkstoffträgersystemen, um die Entzündung wirksam zu lindern. Seine Forschungsergebnisse unterstreichen das Potenzial dieser Hydrogel-Formulierungen, therapeutische Wirkstoffe direkt an das betroffene Gewebe zu bringen, und bieten einen gezielten Ansatz, um Entzündungen zu reduzieren und die Ergebnisse bei Bindehauterkrankungen zu verbessern.

Besseres Verständnis der Fusarium-Keratitis und Grundlage für innovative Therapien

Dr. Johanna Theuersbacher wurde für ihre Erkenntnisse zum Verständnis der Fusarium-Keratitis mit einem Posterpreis (dotiert mit 500 Euro) ausgezeichnet. Die Fusarium-Keratitis ist eine schwere Infektion der Hornhaut (Keratitis), die durch Pilze der Gattung Fusarium verursacht wird. Diese Infektion kann das Auge stark schädigen und in schweren Fällen so weit fortschreiten, dass eine Enukleation, also die operative Entfernung des Augapfels, notwendig wird. Johanna Theuersbacher untersuchte den Pathomechanismus und den Prozess der Pilzinvasion. Dazu führte die Fachärztin mit ihrem Team In-vitro-Experimente an Hornhautepithelzelllinien durch. Ein bemerkenswerter Mechanismus der Pilzinfiltration war die Endozytose, also ein Mechanismus, der es Zellen ermöglicht, aktiv und gezielt Substanzen aus ihrer Umgebung aufzunehmen und zu verarbeiten. Ihre Forschungsergebnisse bilden die Grundlage für innovative Therapien, die darauf abzielen, die Ergebnisse für die Patientinnen und Patienten zu verbessern und diese sehkraftgefährdende Infektion zu verhindern.

Hydrogel als potentielle Ergänzung in der filtrierenden Glaukomchirurgie

Dr. Raoul Verma-Führing, Studienkoordinator und Assistenzarzt für Glaukomchirurgie, überzeugte die Jury mit einem mit Dexamethason beladenen Hydrogel, das speziell als Hilfsmittel in der filtrierenden Glaukomchirurgie eingesetzt werden soll. Ziel der filtrierenden Glaukomchirurgie ist es, den erhöhten Augeninnendruck, der unbehandelt zu einem dauerhaften Sehverlust führen kann, zu senken, indem ein künstlicher Abflussweg für das Kammerwasser aus dem Augeninneren geschaffen wird. Das innovative Hydrogelsystem soll therapeutische Wirkstoffe freisetzen, die auf die Ursachen der postoperativen Narbenbildung abzielen, die eine häufige und schwerwiegende Komplikation bei Glaukomoperationen darstellt. Verma-Führing und sein Team gehen davon aus, dass ihr selbst entwickeltes Hydrogel die chirurgischen Ergebnisse verbessern wird, indem es die Narbenbildung hemmt. Außerdem soll das Hydrogel die Notwendigkeit wiederholter Injektionen direkt in das Auge verringern, die für die Patientinnen und Patienten unangenehm sein und das Risiko von Komplikationen bergen können.

Veränderungen der sMNV bei CSCR unter Anti-VEGF-Therapie

Dr. Nikolai Kleefeldt beeindruckte mit seiner Arbeit über funktionelle und morphologische Veränderungen der sekundären makulären Neovaskularisation (sMNV) bei Patienten mit zentraler seröser Chorioretinopathie (ZSCR) unter Anti-VEGF-Therapie. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, bei der Flüssigkeit unter die Netzhaut des Auges gelangt, was das Sehvermögen beeinträchtigen kann. Die Anti-VEGF-Therapie hemmt die Bildung der krankhaften Blutgefäße. Der Funktionsoberarzt führte eine retrospektive Analyse von insgesamt 20 Augen von 16 Patientinnen und Patienten durch, die zwischen Juli 2021 und Dezember 2022 am UKW behandelt wurden. Seine Ergebnisse zeigen, dass die Anti-VEGF-Therapie bei sMNV im Zusammenhang mit CSCR wirksam ist und zu einer signifikanten Verbesserung der Sehschärfe und einer deutlichen Reduktion der zentralen Netzhautdicke führt. Zwei Formen der sMNV konnten mit OCT-A, einer optischen Kohärenztomographie-Angiographie, sichtbar gemacht werden. Die Fläche der sMNV verringerte sich, aber nicht signifikant. Die Erkrankung selbst bleibt hochaktiv und erfordert weiterhin viel Aufmerksamkeit und eine hochfrequente IVOM-Therapie (Injektionen direkt in den Glaskörper des Auges). In vielen Fällen muss das Medikament innerhalb des ersten Jahres gewechselt werden.

Schädigungen der Hornhaut durch das Protein BCMA im Tränenfilm 

Privatdozent Dr. Daniel Kampik, Leiter der Hornhautbank der Augenklinik, untersuchte das Vorkommen des löslichen B-Zell-Reifungsantigens (BCMA) im Tränenfilm und seine mögliche Rolle bei den kornealen Nebenwirkungen des Medikaments Belantamab. Belantamab ist ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, das zur Behandlung des Multiplen Myeloms, einer Form von Blutkrebs, eingesetzt wird. Es greift das Protein BCMA an, das auf den Krebszellen vorkommt. Es wurde jedoch beobachtet, dass Belantamab auch Augenprobleme verursachen kann, insbesondere eine Schädigung der Hornhaut (Hornhauttoxizität). Durch eine Kombination von in vitro- und in vivo-Experimenten konnten Kampik und sein Team einen Zusammenhang zwischen der Menge an löslichem BCMA im Tränenfilm und dem Auftreten von Hornhauttoxizität nachweisen. Seine Forschung konzentrierte sich auf die Aufklärung der Mechanismen, durch die lösliches BCMA im Tränenfilm zu diesen schädigenden Wirkungen auf die Hornhaut beitragen kann.

Text: Kirstin Linkamp / UKW 
 

Collage von sechs Porträts des Gewinnerteams.
Das Gewinnerteam der Augenklinik: oben v.l.n.r. Dr. Malik Salman Haider, Dr. Johanna Theuersbacher, Dr. Nikolai Kleefeldt; unten v.l.n.r. Privatdozent Dr. Daniel Kampik, Julian Schwebler und Dr. Raoul Verma-Führing. © UKW
Die Collage zeigt vier Bilder vom DOG-Jahreskongress, Julian Schwebler mit Sicca-Preis und Malik Salman Haider und Johanna Theuersbacher auf der Bühne bei der Verleihung des Posterpreises.
Die Würzburger Augenklinik feierte bei der DOG-Jahrestagung in Berlin Rekorde. Julian Schwebler erhielt den Sicca-Preis, Malik Salman Haider und Johanna Theuersbacher jeweils einen Posterpreis, drei weitere Beiträge wurden zum „Poster des Tages“ gekürt. © UKW

Weitere Sprosse auf der Karriereleiter für Barbara Altieri

Würzburger Endokrinologin erhält renommierten Nachwuchspreis von der Italienischen Gesellschaft für Endokrinologie

Ein Interview mit Dr. Barbra Altieri über die Auszeichnung der Italienischen Gesellschaft für Endokrinologie, ihre Arbeit am UKW und ihre Zukunftspläne.

 

Barbara Altieri am Rednerpult auf dem Kongress der Italienischen Gesellschaft für Endokrinologie in Genua
Dr. Barbara Altieri vom Uniklinikum Würzburg wurde am 28. September 2024 auf dem Kongress der Italienischen Gesellschaft für Endokrinologie in Genua mit dem prestigeträchtigen Preis „Premio SIE Under 40“ ausgezeichnet. ©Segreteria Organizzativa delle IIEM 2024 – Congress Planning
Porträt von Barbara Altieri im weißen Kittel
Dr. Barbara Altieri forscht in der Endokrinologie des Uniklinikums Würzburg hauptsächlich zum Nebennierenkarzinom. Für ihre Arbeiten wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. © Daniel Peter / UKW

Dr. Barbara Altieri wurde am 28. September 2024 auf dem Kongress der Italienischen Gesellschaft für Endokrinologie in Genua mit dem „Premio SIE Under 40“ ausgezeichnet. Der Preis der Società Italiana di Endocrinologia (SIE) ist mit 5.000 Euro dotiert und wird an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter 40 Jahren vergeben, die herausragende Beiträge auf dem Gebiet der Endokrinologie geleistet haben.

Barbara Altieri forscht seit dem Jahr 2019 in der Endokrinologie und Diabetologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). Ihr wissenschaftliches Interesse gilt neben endokrinen Tumoren, also Tumoren, die von hormonbildenden Zellen an verschiedenen Stellen im Körper ausgehen können, vor allem Nebennierentumoren und deren Pathogenese. Die 39-jährige Medizinerin hat bereits knapp 100 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht und wurde für ihre Forschungsarbeiten mehrfach ausgezeichnet.

Herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung. Was bedeutet der "Premio SIE Under 40" für Sie? 

Der Preis ist eine große Ehre für mich. Er ist zwar nicht hoch dotiert aber mit viel Prestige verbunden. Für meinen Lebenslauf ist der Preis sehr wichtig und eine weitere Sprosse auf der Karriereleiter. Außerdem helfen solche Auszeichnungen dabei, Fördergelder einzuwerben und weitere Projekte zu finanzieren. 

Die Auszeichnung selbst baut stark auf meinem Lebenslauf auf und würdigt mein bisheriges Schaffen: Wie viele Preise habe ich erhalten, wie viele Publikationen habe ich veröffentlicht, wie hoch ist der Impact Factor der Fachzeitschriften, wie oft wurden die Publikationen zitiert, wo war ich Erstautorin oder Letztautorin, wie oft war ich als invited speaker auf Kongressen. 
Die Società Italiana di Endocrinologia hatte mich sogar als Sprecherin nach Genua eingeladen. Kurz danach kam die Nachricht über die Auszeichnung. Also durfte ich im Rahmen der Preisverleihung noch einmal zehn Minuten über mich und meine bisherigen Leistungen sprechen. 

Erst vor wenigen Monaten, im Mai 2024, erhielten Sie in Stockholm einen der begehrten Rising Star Awards des European Journal of Endocrinology (EJE). Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) verlieh Ihnen den Schoeller-Junkmann-Preis und den Anke-Mey-Preis. Die European Society of Endocrinology (ESE) ehrte Sie mit dem ESE Young Investigator. Zahlreiche weitere Preise schmücken Ihre Vita. Was zeichnet Sie und Ihre Arbeit aus? 

Zum einen liebe ich meine Forschung, ich arbeite leidenschaftlich an meinen Themen und investiere sehr viel Zeit in meine Projekte, um stets das Beste zu geben. Zum anderen verdanke ich einen Teil jeder Auszeichnung dem großartigen Team am UKW. Wir ergänzen uns hervorragend und pushen uns immer wieder aufs Neue. Ein besonderer Dank gilt Cristina Ronchi, die mich in meinen ersten Jahren in Würzburg betreut hat und inzwischen in Birmingham arbeitet, und Martin Fassnacht, dem Leiter der Endokrinologie. Er ist einer der größten Experten auf dem Gebiet des Nebennierenkarzinoms und ein großartiger Mentor, sowohl fachlich als auch menschlich. Ich habe sehr viel von ihm gelernt. 

Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Nebennierenkarzinom, eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von etwa 1 bis 2 Fällen pro einer Million Menschen pro Jahr. Wie entstand Ihre Leidenschaft für dieses Randgebiet? 

Während meines Studiums in Rom hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit Patientinnen und Patienten mit einem Nebennierenkarzinom, ein hochgradig bösartiger Tumor an einer der paarig an den Nieren gelegenen Hormondrüsen. Entsprechend hoch ist der Leidensdruck der Betroffenen. Sie brauchen viel Zuwendung. Das hat mich sehr bewegt. Deshalb habe ich schon damals alles getan, um die Prognose und die Lebensqualität zumindest ein kleines bisschen zu verbessern. 

Der Kontakt zu den Patientinnen und Patienten ist in Würzburg allerdings weniger geworden, da Sie noch nicht klinisch tätig sind. Vermissen Sie das? 

Ja, schon. Aber ich arbeite daran und lerne fleißig Deutsch. Für die Approbation, also die Zulassung als Ärztin zu praktizieren, brauche ich einen Sprachnachweis auf dem Niveau C1. 
Und die Patientinnen und Patienten stehen nach wie vor über allem und sind Sinn und Zweck meines Tuns. Meine Forschung ist immer auf Translation ausgerichtet, damit die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung zügig in die klinische Forschung und schließlich in die Behandlung einfließen. 

Was ist das Besondere an der Endokrinologie und speziell am Nebennierenkarzinom? 

Beim Nebennierenkarzinom haben wir mit verschiedenen Facetten der Medizin zu tun und arbeiten eng mit Kolleginnen und Kollegen aus der Onkologie, Radiologie, Chirurgie und Psychologie zusammen. Diese Interdisziplinarität gefällt mir sehr. Und man lernt ständig dazu. Aber auch im Team besprechen wir jede einzelne Patientin und jeden einzelnen Patienten. Die Diagnose ist sehr schwierig, weil das Nebennierenkarzinom oft erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt wird. Außerdem ist die Pathogenese des Nebennierenkarzinoms noch nicht vollständig verstanden. Warum und wie entsteht das Nebennierenkarzinom? Der Mensch hat nicht nur den Krebs, sondern auch viele andere Symptome, die mit der Hormonausschüttung zusammenhängen. Es gibt also noch viel zu entdecken. 

Durch die Kombination von Einzelzelltechnologien, dem so genannten Single Cell RNA Sequencing, und Transkriptomanalysen, also der Analyse aller Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle abgelesen werden, haben Sie bereits einen umfassenden Zellatlas der gesunden Nebenniere erstellt.

Wir hatten bereits ein recht gutes Bild von der Histologie und Pathologie der Nebenniere, also den spezifischen Funktionen des Gewebes und den krankhaften Veränderungen. Aber wir hatten noch keinen Überblick über die einzelnen Zellen, und die komplizierten molekularen Mechanismen, die der Selbsterneuerung der Nebenniere beim Erwachsenen zugrunde liegen, waren noch kaum aufgeklärt. 
Bei unserer Arbeit, die übrigens ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Max Delbrück Center for Molecular Medicine in Berlin war, haben wir unter anderem zwei neue bisher unbekannte Zelltypen identifiziert. Die eine ist eine Subpopulation von vaskulären endothelialen Zellen, die andere ist ein potenzieller Vorläufer hormonproduzierender Zellen in der Nebennierenrinde. Der Zellatlas gibt auch Einblicke in die molekularen Mechanismen der Tumorentstehung in der Nebennierenrinde und hilft bei der Charakterisierung von Tumorzellen, um neue Targets für eine effiziente Therapie zu finden. 

Sie forschen auch an Medikamenten. Was gibt es da Neues? 

Mitotane ist derzeit das einzige zugelassene Medikament zur Behandlung des Nebennierenkarzinoms. Nach der erfolgreichen ADIUVO-Studie, die das UKW gemeinsam mit der Universität Turin durchgeführt hat, etablierte sich Mitotane weltweit als Standardtherapie zur Rezidivprophylaxe nach operativer Entfernung des Nebennierenkarzinoms. Inzwischen wissen wir, dass bei einem Tumor, der vollständig entfernt werden konnte, der niedriggradig und lokal begrenzt ist und nicht gestreut hat, und bei dem der Zellteilungsmarker Ki-67 unter 10 Prozent liegt, das Rückfallrisiko also gering ist, Mitotane die Rückfallrate nicht signifikant verbessert, dafür aber mit Nebenwirkungen verbunden ist. In meiner Forschung konzentriere ich mich auf die Nebenwirkungen des Medikamentes. Dazu wird es demnächst ein größeres Projekt mit mehr als 600 Patientinnen und Patienten aus 25 Zentren in Europa und den USA geben. 

Wie setzen sie das Preisgeld von 5.000 Euro ein? 

Normalerweise verwende ich Preisgelder für Reisekosten zu Kongressen. Demnächst steht aber ein dreimonatiger Aufenthalt in den USA an. Wir planen mit der University of Michigan ein Projekt zur Pathogenese des Nebennierenkarzinoms. Anders als beim Dickdarmkrebs, wo sich aus einem Polypen ein Adenom und im Laufe der Zeit ein Karzinom entwickeln kann, sieht beim Nebennierentumor ein Adenom, also ein gutartiger Tumor, wie ein Adenom aus und ein Karzinom, ein bösartiger Tumor, wie ein Karzinom. Das sind zwei verschiedene Entitäten. 

Als Vorstandsmitglied des Komitees EYES (ESE Young Endocrinologists & Scientists) sind Sie in der Ausbildung junger Endokrinologinnen und Endokrinologen aktiv. Zudem sind Sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Arbeitsgruppe ACC des European Network for the Study of Adrenal Tumours (ENS@T). Wie wichtig sind Nachwuchsförderung und Vernetzung?

Beides ist enorm wichtig. Nur gemeinsam und im Austausch können wir besser werden. Wir pflegen intensive Kontakte zu verschiedenen Zentren weltweit. Junge Doktorandinnen und Doktoranden kommen aus anderen Ländern zu uns, wir hospitieren bei ihnen. Wir lernen voneinander und arbeiten zusammen. Das schafft gute und fruchtbare Verbindungen. 
Ich selbst bin 2014 als junge Studentin nach Würzburg gekommen. Für mich der ‚place to be‘. Die Endokrinologie, damals noch unter der Leitung von Professor Bruno Allolio, forscht seit über 20 Jahren zum Nebennierenkarzinom und gilt als internationales Referenzzentrum. Später war ich noch für meine europäische Promotion ein Jahr in Würzburg. Und als 2019 eine Stelle frei wurde, habe ich mich als Postdoc beworben.

Wie lebt es sich als Italienerin in Würzburg? 

Die Lebensqualität ist wirklich gut. Die Stadt ist zwar sehr klein, aber dafür ist alles fußläufig oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, und es ist sicher. Ich habe keine Angst, wenn ich früh die Wohnung verlassen muss, um den Zug zum nächsten Kongress zu erwischen. Auch das soziale Leben ist toll. Ich habe viele Freunde, die aus verschiedenen Ländern kommen, aber auch aus verschiedenen Fachbereichen, nicht nur aus der Medizin. Hier in Würzburg habe ich auch meinen Mann kennen gelernt, er kommt aus Norditalien und macht etwas ganz anderes als ich: Er ist Ingenieur. Weniger optimal an Würzburg ist sind die Öffnungszeiten der Geschäfte und Supermärkte. 18 Uhr, bestenfalls 20 Uhr. Das ist hart. Und beim Gemüse, da vermisse ich die Qualität meiner Heimat, wo die Tomaten wie richtige Tomaten schmecken. 

Was sind Ihre weiteren Pläne?

Neben meinen laufenden Projekten bereite ich gerade meine Habilitation vor. In Italien habe ich mich bereits vor einem Jahr habilitiert, in Deutschland steht das noch aus. Und dann muss ich neben der Familienplanung sehen, wo es für mich eine entsprechende Stelle als Privatdozentin oder Professorin gibt. 


Das Interview führte Kirstin Linkamp / UKW
 

Barbara Altieri am Rednerpult auf dem Kongress der Italienischen Gesellschaft für Endokrinologie in Genua
Dr. Barbara Altieri vom Uniklinikum Würzburg wurde am 28. September 2024 auf dem Kongress der Italienischen Gesellschaft für Endokrinologie in Genua mit dem prestigeträchtigen Preis „Premio SIE Under 40“ ausgezeichnet. ©Segreteria Organizzativa delle IIEM 2024 – Congress Planning
Porträt von Barbara Altieri im weißen Kittel
Dr. Barbara Altieri forscht in der Endokrinologie des Uniklinikums Würzburg hauptsächlich zum Nebennierenkarzinom. Für ihre Arbeiten wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. © Daniel Peter / UKW