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Forschung hilft: Breite Förderung für aussichtsreiche Würzburger Krebsforschungsprojekte

„Forschung hilft“, die Stiftung zur Förderung der Krebsforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, unterstützt in diesem Jahr 19 wissenschaftliche Projekte mit insgesamt über 231.000 Euro. Außerdem wurde erstmals der mit 5.000 Euro dotierte Barbara Stamm Gedächtnispreis ausgelobt.

Gruppenbild Förderpreisträger + Stiftungsrat + Klaus Holetschek + Dr. Hülya Düber
Bei der Benefiz-Gala: Die Förderpreisträgerinnen und -preisträger 2023 der Stiftung „Forschung hilft“ – zusammen mit Klaus Holetschek, bayerischer Landtagsabgeordneter und Schirmherr der Veranstaltung (erste Reihe, Dritter von rechts), der Laudatorin Dr. Hülya Düber, Sozialreferentin der Stadt Würzburg (links neben MdL Holetschek), sowie Mitgliedern des Stiftungsrates. Bild: Silvia Gralla

Seit mittlerweile sechs Jahren sammelt „Forschung hilft“, die Stiftung zur Förderung der Krebsforschung an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität (JMU), Spendengelder, um damit in jährlichen Ausschüttungen möglichst viele aussichtsreiche und interessante onkologische Forschungsprojekte zu unterstützen. Bei einer Benefiz-Gala am 28. November 2023 erhielten so 19 Würzburger Forschergruppen Förderpreise von in Summe über 231.000 Euro.

Hier finden Sie zahlreiche Impressionen von der Förderpreis-Verleihung.

Wie lassen sich gentechnisch veränderte, körpereigene Abwehrzellen für die Anwendung bei Nieren- und Nebennierentumoren optimieren? Mit welchen neuen Biomarkern können neuroendokrine Tumore viel früher als bisher entdeckt werden? Was muss man tun, damit sich die auch als Fresszellen bekannten Makrophagen gegen die Tumorzellen des schwarzen Hautkrebses (Melanom) wenden? Forschungsideen wie diese stufte die unabhängige, externe Preis-Jury in diesem Jahr als förderungswürdig ein.

Ein Schwerpunkt auf Immuntherapien

„Insgesamt zeigt sich bei den ausgezeichneten Projekten ein Schwerpunkt im Bereich der Immuntherapien“, kommentiert Prof. Dr. Hermann Einsele aus dem Stiftungsrat von „Forschung hilft“. Der Direktor der Medizinischen Klinik II des Uniklinikums Würzburg (UKW) und Sprecher des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) WERA fährt fort: „Hier wird ein weiteres Mal deutlich, dass dieser vielgestaltige Behandlungsansatz für zahlreiche Krebsformen die wohl größte Hoffnung auf langfristige Tumorkontrolle und Heilung darstellt. Ich freue mich, dass Arbeitsgruppen aus allen Bereichen der Krebsforschung und Krebsbehandlung hier ausgezeichnet werden. Dies dokumentiert auch die Breite der klinischen und wissenschaftlichen Expertise in der Tumortherapie am Universitätsklinikum Würzburg.“

Sonderpreis im Andenken an Barbara Stamm

Neben den regulären Förderpreisen wurde bei der Benefiz-Gala im Würzburger Best Western Hotel Rebstock erstmals der Barbara Stamm Gedächtnispreis vergeben. Die ehemalige Bayerische Landtagspräsidentin fungierte bis zu ihrem Tod im Jahr 2022 als Ehrenpräsidentin der Stiftung. „Mit dieser Auszeichnung sollen gezielt patientenorientierte Forschungsprojekte geehrt werden, bei denen die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen im Mittelpunkt steht“, erläuterte die Laudatorin des Sonderpreises Dr. Hülya Düber, Sozialreferentin der Stadt Würzburg, bei der Gala. Als Schirmherr der Veranstaltung konnte MdL Klaus Holetschek gewonnen werden. Bei seiner Festrede sagte der Vorsitzende der CSU-Fraktion des Bayerischen Landtags: „Barbara Stamm war das soziale Gewissen Bayerns. Mit ihrem großen Herzen hat sie sich gekümmert, gekämpft und sich für diejenigen eingesetzt, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sie hat immer vom Menschen her gedacht und deshalb passt dieser Sonderpreis einfach perfekt zu ihr. Denn hier wird von den Patientinnen und Patienten her gedacht. Der Sonderpreis prämiert Forschungen, die die Lebensqualität der Krebserkrankten entscheidend verbessern können. Und das ist unfassbar wichtig. Barbara Stamm wird hier ein verdientes Andenken gesetzt. Ganz in ihrem Sinne wünsche ich Ihren Forschungsprojekten viele und wesentliche für die Patientinnen und Patienten spürbare Erfolge.“

Für die Erstvergabe erfüllt das Projekt eines interdisziplinaren Forschungsteams um Prof. Dr. Imad Maatouk von der Medizinischen Klinik II des UKW diese Kriterien. Dessen Ziel ist es, eine Intervention aus persönlichen und digitalen Bausteinen zu entwickeln, die Angehörige in die Lage versetzen soll, sich aktiv am Genesungsprozess von onkologischen Patientinnen und Patienten zu beteiligen. Das Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro wurde in diesem Jahr von Hilfe im Kampf gegen Krebs e.V. zur Verfügung gestellt. Der Würzburger Verein gründete 2017 die Stiftung „Forschung hilft“.

Aufwändige Spendenakquise

„Inklusive der diesjährigen Preise haben wir seit der Gründung der Stiftung insgesamt fast 679.000 Euro ausgeschüttet“, bilanziert Gabriele Nelkenstock, die Vorsitzende des Stiftungsrats und des Vereins „Hilfe im Kampf gegen Krebs“. Um diese Gelder zu akquirieren, ist ein beträchtlicher Aufwand erforderlich. „Der Schlüssel zu einem entsprechenden Spendenaufkommen ist die öffentliche Sichtbarkeit, zum Beispiel durch Vorträge bei Patiententagen und Vereinen oder durch Infostände auf Veranstaltungen wie dem Würzburger Stadtfest“, schildert Nelkenstock. Die notgedrungen kontaktarme Zeit der Corona-Pandemie nutzte die Stiftung nach ihren Worten dazu, die Spenderpflege und Spendenakquise auch über Online-Medien zu organisieren. So werde das Büro der Stiftung mittlerweile durch eine neue Mitarbeiterin unterstützt, die sich schwerpunktmäßig um den digitalen Bereich kümmert. „Nicht zuletzt deshalb konnten wir das Spendenvolumen in den Jahre 2021 und 2022 halten. Für das Jahr 2023 rechnen wir mit einer Steigerung von mindestens 20 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren“, kündigt die Stiftungsratsvorsitzende an.

Positive Effekte in viele Richtungen

Nach den Erfahrungen des Rats und Beirats der Stiftung sind eine Spende an „Forschung hilft“ und die damit finanzierten Förderpreise mit zahlreichen positiven Effekten verbunden. Dabei stehen zunächst die von Krebserkrankungen Betroffenen im Mittelpunkt. „Was heute noch eine Forschungsidee ist, kann im Idealfall dazu führen, dass unser Gesundheitswesen diesen Menschen in der Zukunft weitere segensreiche Therapieangebote machen kann“, unterstreicht Walter Nussel, Mitglied des Bayerischen Landtags und Stiftungsratsmitglied.

Weiterhin wird auch der Wissenschaftsstandort Würzburg gestärkt. „Die Stiftung unterstützt die Würzburger Universitätsmedizin dabei, ihren hervorragenden Ruf als Kompetenzzentrum der Krebsforschung auszubauen. Allein die Anzahl von mittlerweile 49 vergebenen Preisen unterstreicht die Breite und Konsequenz, mit der wir unsere hochengagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fördern“, verdeutlicht Prof. Dr. Paul Pauli, der Präsident der JMU. Und Prof. Einsele ergänzt: „Speziell die Auszeichnung als Hauptstandort des NCT WERA im Februar dieses Jahres hilft uns dabei, exzellente Vordenkerinnen und Vordenker aus dem In- und Ausland nach Würzburg zu holen. Zusammen mit der Aussicht auf eine weitgehend unbürokratische Förderung durch ‚Forschung hilft‘ steigert dies die Attraktivität des Standortes auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs.“

Nach den Erfahrungen von Prof. Dr. Matthias Frosch sind die Förderpreise für die ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gleichzeitig Hilfestellung wie auch Motivationsschub. Der Dekan der Medizinischen Fakultät der JMU erläuterte: „Häufig helfen die zur Verfügung gestellten Mittel den Teams dabei, eine entscheidende finanzielle Hürde zu nehmen. Hinzu kommt ein emotionaler Aspekt: Viele erkennen in dieser von der breiten Bürgerschaft finanzierten Unterstützung eine besondere Wertschätzung für ihr Engagement und die geleistete wissenschaftliche Arbeit.“

Oliver Jörg, Generalsekretär der Hanns Seidel-Stiftung und Mitglied des Stiftungsrats resümierte: „Heute ist ein großartiger Tag für die Stiftung. Ein Tag, der Weichen stellt für die Krebsforschung und neue Meilensteine im Kampf gegen Krebs ermöglicht.“

Dank an die Unterstützerinnen und Unterstützer

Die feierliche Förderpreisübergabe ist laut der Organisatorin Gabriele Nelkenstock der Höhepunkt des Stiftungsjahres. Sie betont: „Nur durch ein großes Netzwerk an Unterstützerinnen und Unterstützern sowie an Spenderinnen und Spendern kann die Stiftung so erfolgreich agieren.“ So gilt ihr besonderer Dank den Sponsoren des Benefiz-Abends: dem Best Western Premier Hotel Rebstock, der Distelhäuser Brauerei, der Sparkasse Mainfranken Würzburg, TV Mainfranken, der Patisserie Walter, dem Weingut Christine Pröstler, der greenlife Floristik, der TELLiT! Designwerkstatt, den Firmen Franken Brunnen, Viktor Nußbaumer und Schraud & Baunach sowie dem Zauberkünstler Bernd Zehnter.

 

Wer die Krebsforschung in Würzburg mitgestalten will, kann die Stiftung „Forschung hilft“ durch eine Spende auf folgendes Konto unterstützen:

Stiftergemeinschaft der Sparkasse Mainfranken Würzburg
IBAN DE19 7905 0000 0000 0655 65
 

Gruppenbild Förderpreisträger + Stiftungsrat + Klaus Holetschek + Dr. Hülya Düber
Bei der Benefiz-Gala: Die Förderpreisträgerinnen und -preisträger 2023 der Stiftung „Forschung hilft“ – zusammen mit Klaus Holetschek, bayerischer Landtagsabgeordneter und Schirmherr der Veranstaltung (erste Reihe, Dritter von rechts), der Laudatorin Dr. Hülya Düber, Sozialreferentin der Stadt Würzburg (links neben MdL Holetschek), sowie Mitgliedern des Stiftungsrates. Bild: Silvia Gralla

Neurodegeneration bei Myelin-Erkrankungen: Kein Myelin ist besser als schlechtes Myelin

Der Verlust von Myelin gilt als potenzieller Auslöser etlicher Erkrankungen des Nervensystems. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht: die Entfernung von erkranktem Myelin kann das Überleben von Nervenfasern erlauben, wie eine neue Studie von Wissenschaftlern der Würzburger Universitätsmedizin zeigt.

Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Axonen in der weißen Substanz von gesunden Kontroll-Mäusen (links oben) und von Mäusen mit verschiedenen Myelin-Gendefekten. Axone, die mit abnormem Myelin umwickelt bleiben (links unten), werden von Fortsätzen der Oligodendrozyten (rot gefärbt) eingeschnürt und weisen Merkmale der Degeneration auf (Stern). Im Gegensatz dazu haben Axone, deren Myelin durch Mikroglia (grün gefärbt, rechtes Bild) entfernt wird, eine höhere Chance zu überleben. Größenmaßstab: 0,5 µm.
Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Axonen in der weißen Substanz von gesunden Kontroll-Mäusen (links oben) und von Mäusen mit verschiedenen Myelin-Gendefekten. Axone, die mit abnormem Myelin umwickelt bleiben (links unten), werden von Fortsätzen der Oligodendrozyten (rot gefärbt) eingeschnürt und weisen Merkmale der Degeneration auf (Stern). Im Gegensatz dazu haben Axone, deren Myelin durch Mikroglia (grün gefärbt, rechtes Bild) entfernt wird, eine höhere Chance zu überleben. Größenmaßstab: 0,5 µm. (Fotos: Janos Groh, © Springer Nature)

Myelin ist eine isolierende Schicht um die Fortsätze, die Nervenzellen verbinden - die sogenannten Axone. Es erlaubt die schnelle Weiterleitung von elektrischen Signalen und unterstützt die Integrität und Funktion dieser Zellen. Im zentralen Nervensystem wird Myelin von spezialisierten Gliazellen namens Oligodendrozyten gebildet.

Störungen an dieser Isolierschicht sind wesentliche Begleiterscheinung vieler, oft chronischer Erkrankungen des Nervensystems. Ein Paradebeispiel ist die Multiple Sklerose, eine schwerwiegende und häufige neurologische Erkrankung, bei der Immunzellen den Verlust des Myelins antreiben. Fehlgeleitete Immunreaktionen tragen allerdings auch zu anderen Beschwerden bei, die mit Myelin-Defekten verbunden sind – unter anderem zu erblichen und altersbedingten Krankheiten.

Dabei gleichen sich diese Krankheiten in einem wesentlichen Merkmal: Bei den Betroffenen degenerieren Axone und Neurone. Laut allgemeiner Auffassung führt der Verlust des Myelins zu einer gesteigerten Verwundbarkeit und schließlich dem Absterben der entblößten Axone und deren Zellkörper, forciert durch ein toxisches, entzündliches Milieu.

Publikation in Nature Communications

Diese Sichtweise, die die negativen Seiten der Demyelinisierung in den Vordergrund stellt, wird allerdings jetzt von einer neuen Studie relativiert, die an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikum Würzburg in der Sektion „Experimentelle Entwicklungsneurobiologie“ (Leitung: Prof. Dr. Rudolf Martini) durchgeführt wurde.

Die Federführung lag dabei bei Privatdozent Dr. Janos Groh; daran beteiligt waren das Institut für Molekulare Neurobiologie der TU München (Prof. Dr. Mikael Simons), Professor Antoine-Emmanuel Saliba vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (Würzburg) und Forschungsteams aus Hannover und Cambridge.

In der Fachzeitschrift Nature Communications haben die Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlicht.

Myelin-Gendefekte lösen prägnante Immunreaktionen aus

Um das Verhältnis zwischen dem Verlust von Myelin und axonaler Degeneration zu untersuchen, haben die Wissenschaftler Mausmodelle seltener Krankheiten studiert, die Defekte im häufigsten Myelin-Protein des zentralen Nervensystems tragen. „Diese Modelle seltener monogenetischer Krankheiten bieten einzigartige Gelegenheiten, um Mechanismen aufzuklären, die umfassende Relevanz für viel häufigere Erkrankungen und sogar Alterungsprozesse haben“, sagt Rudolf Martini.

Die Forscher hatten zuvor entdeckt, dass die Bildung von abnormem oder „schlechtem“ Myelin zu einer Entzündungsreaktion führt, die mit einer Ansammlung spezieller, zellschädigender Immunzellen einhergeht – der sogenannten CD8+-T-Zellen. In den untersuchten Krankheitsmodellen attackieren und schädigen diese Immunzellen Fasersegmente mit abnormem Myelin, ähnlich wie bei der Multiplen Sklerose.

Überraschenderweise und im Widerspruch zur vorherrschenden Sichtweise, fanden die Forscher eine umgekehrte Beziehung zwischen axonalem Verlust und Demyelinisierung beim Vergleich der Krankheitsmodelle. Fasern, die trotz chronischer Attacke durch T-Zellen myelinisiert blieben, hatten ein höheres Risiko abzusterben, wohingegen jene mit Myelin-Verlust überlebten. Außerdem korrelierten Verhaltensdefizite der Mäuse deutlicher mit dem Verlust von Nervenzellen als mit der Demyelinisierung.

Beständiges abnormes Myelin als Risikofaktor für axonale Degeneration

„Diese umgekehrte Beziehung war unerwartet und hat uns dazu verleitet, die Interaktionen von abnormen Oligodendrozyten und einem weiteren Immunzelltyp, der sogenannten Mikroglia, näher zu untersuchen“ erklärt Janos Groh. Mikroglia sind Zellen des angeborenen Immunsystems, die das zentrale Nervensystem besiedeln und schädliche, aber auch hilfreiche Immunreaktionen organisieren können.

In ihrer Studie benutzten die Autoren unterschiedliche pharmakologische Ansätze, um die Entfernung von abnormem Myelin durch Mikroglia zu modulieren. „Wir zeigen, dass die effiziente, von Mikroglia vermittelte Entfernung des gestörten Myelins, das von adaptiven Immunzellen angegriffen wird, das Überleben von Axonen in reversiblen Stadien der Schädigung ermöglicht“, fügt Groh hinzu. Die andauernde Umhüllung mit „schlechtem” Myelin scheint also schädlicher für Neurone zu sein als der Verlust des Myelins, zumindest wenn Myelin durch adaptive Immunität ins Visier genommen wird.

Oligodendrozyten, die von Immunzellen angegriffen werden, schädigen aktiv Axone

Die Wissenschaftler konnten auch einen Mechanismus identifizieren, wie die von T-Zellen attackierten Oligodendrozyten ihre axonalen Partner beeinträchtigen. Sie fanden eine ungewöhnliche Einschnürungsreaktion an den Myelin-bildenden Fortsätzen, die sich um die Axone wickeln. „Wenn wir diese irrtümliche Einschnürung verhinderten, konnten wir die axonale Degeneration reduzieren“, fasst Groh zusammen. „Die Attacke durch T-Zellen scheint die Oligodendrozyten dazu anzustiften, Axone wie eine Würgeschlange zu strangulieren“ fügt Martini hinzu.  

„Was ist der ‚biologische Sinn‘ dieser hoch organisierten aber selbstverstümmelnden Prozesse?“, fragt sich der Grundlagenwissenschaftler Martini. Die Forscher vermuten, dass diese Reaktionen der Oligodendrozyten unter anderen Umständen hilfreich sein können, beispielsweise nach Verletzungen des Nervensystems. Die irrtümliche Einleitung dieser immunvermittelten Mechanismen könnte allerdings eine schädliche Reaktion in vielen Krankheiten darstellen.

Laut Groh und Martini hat ihre Studie mögliche Zielpunkte für die Therapie von Erkrankungen, die mit Myelin-Defekten und Entzündung im Nervensystem verbunden sind, identifiziert. Außerdem betonen sie, dass neue Therapieansätze für Myelin-Erkrankungen idealerweise schädliche Immunreaktionen blockieren, aber nützliche Immunreaktionen wie die Entfernung von „schlechtem“ Myelin weiterhin zulassen sollten. Das könnte dabei helfen, Mechanismen der neuralen Resilienz als Voraussetzung für die Erholung von Schäden in Nervensystem zu fördern.

Originalpublikation

Microglia-mediated demyelination protects against CD8+ T cell-driven axon degeneration in mice carrying PLP defects. Janos Groh, Tassnim Abdelwahab, Yogita Kattimani, Michaela Hörner, Silke Loserth, Viktoria Gudi, Robert Adalbert, Fabian Imdahl, Antoine-Emmanuel Saliba, Michael Coleman, Martin Stangel, Mikael Simons & Rudolf Martini. Nature Communications 14, 6911 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-42570-2

https://rdcu.be/dqEk4 

 

Kontakt

PD Dr. Janos Groh, Principal Investigator am Institut für Molekulare Neurobiologie, Technische Universität München, P: +49 89 4400 46481, janos.groh@ tum.de

Prof. Dr. Rudolf Martini, Senior Professor an der Neurologischen Klinik, Universitätsklinikum Würzburg., P: +49 931 201 23268, rudolf.martini@ uni-wuerzburg.de

Post

@GrohJanos @Uni_WUE @TU_Muenchen

Pressemeldung Universität Würzburg

Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Axonen in der weißen Substanz von gesunden Kontroll-Mäusen (links oben) und von Mäusen mit verschiedenen Myelin-Gendefekten. Axone, die mit abnormem Myelin umwickelt bleiben (links unten), werden von Fortsätzen der Oligodendrozyten (rot gefärbt) eingeschnürt und weisen Merkmale der Degeneration auf (Stern). Im Gegensatz dazu haben Axone, deren Myelin durch Mikroglia (grün gefärbt, rechtes Bild) entfernt wird, eine höhere Chance zu überleben. Größenmaßstab: 0,5 µm.
Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Axonen in der weißen Substanz von gesunden Kontroll-Mäusen (links oben) und von Mäusen mit verschiedenen Myelin-Gendefekten. Axone, die mit abnormem Myelin umwickelt bleiben (links unten), werden von Fortsätzen der Oligodendrozyten (rot gefärbt) eingeschnürt und weisen Merkmale der Degeneration auf (Stern). Im Gegensatz dazu haben Axone, deren Myelin durch Mikroglia (grün gefärbt, rechtes Bild) entfernt wird, eine höhere Chance zu überleben. Größenmaßstab: 0,5 µm. (Fotos: Janos Groh, © Springer Nature)

Post-Covid-19-Syndrom: Betroffene für die Therapiestudie gesucht

In der vom Würzburger Institut für Allgemeinmedizin geleiteten Studie PreVitaCOV evaluieren die Universitätskliniken Würzburg, Tübingen und Kiel eine Behandlungsoption.

Grafik - Frau trägt Virus auf dem Rücken
Für die Studie PreVitaCOV „Prednisolon und Vitamin B1, 6 und 12 bei Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-19-Syndrom“ werden noch Teilnehmende gesucht. @Julia Bernhard

Würzburg. Nach einer Covid-19-Infektion leiden einige Betroffene unter anhaltenden Symptomen wie Müdigkeit, Atemnot, Konzentrationsproblemen, Angstzuständen, Depressionen. Wenn diese Beschwerden drei Monate oder länger fortbestehen, kommt ein Post-Covid-19-Syndrom in Betracht. Die genauen Ursachen sind unterschiedlich und noch nicht vollständig geklärt, doch könnten Immunreaktionen nach der Virusinfektion, anhaltende Entzündungsprozesse und Autoantikörper eine Rolle spielen. Dadurch gestaltet sich die Suche nach geeigneten medizinischen und medikamentösen Behandlungen für die Betroffenen oft herausfordernd.

Wie wirksam sind Prednisolon und Vitamine B1, B6 und B12 beim Post-Covid-19-Syndrom?

Seit Beginn des Jahres führt das Universitätsklinikum Würzburg zusammen mit den Universitätsklinika in Kiel und Tübingen eine der ersten medikamentösen Therapiestudien namens „PreVitaCOV“ durch. Ziel ist es, die Wirksamkeit von Prednisolon und einer Fixkombination der Vitamine B1, B6 und B12 bei der Behandlung des Post-Covid-19-Syndroms zu untersuchen. 

Studienteilnehmende gesucht

Für die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie werden weiterhin Probandinnen und Probanden gesucht. Wer unter einem Post-Covid-19-Syndrom leidet und Interesse an einer Studienteilnahme hat, kann sich gern beim engagierten Studienteam des Instituts für Allgemeinmedizin melden; Telefon: +49 931 201-47899, E-Mail: PreVitaCOV@ ukw.de

Die Studienmedikation wird über einen Zeitraum von 28 Tagen eingenommen, während die gesamte Studiendauer inklusive Nachbeobachtungszeitraum sechs Monate beträgt. Als Anerkennung für die wertvolle Mitwirkung erhalten die Teilnehmenden eine Aufwandsentschädigung. Weitere Informationen zu PreVitaCOV liefert die Studienwebseite.

Grafik - Frau trägt Virus auf dem Rücken
Für die Studie PreVitaCOV „Prednisolon und Vitamin B1, 6 und 12 bei Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-19-Syndrom“ werden noch Teilnehmende gesucht. @Julia Bernhard

Faszinierende Verbindung zwischen Immunsystem und Blutgerinnung

Im neuen DFG-Projekt untersucht die Transfusionsmedizin am UKW unter der Leitung von Prof. Dr. Jürgen Kößler, wie sich unterschiedliche Herstellungs- und Lagerungsverfahren der Thrombozytenkonzentrate auf die Funktionalität der Toll-like-Rezeptoren und auf andere immunologische Eigenschaften der Thrombozyten auswirken.

 

Gruppenbild von der AG von Jürgen Kößler, Ärztin rechts hält Thrombozytenkonzentrat in den Händen.
Team der Transfusionsmedizin mit Thrombozytenkonzentrat: Prof. Dr. Jürgen Kößler, Komm. Direktor des Instituts für Klinische Transfusionsmedizin und Hämotherapie, Biochemikerin PD Dr. Anna Kobsar, Medizinische Technologin Katja Weber und Ärztin Julia Zeller-Hahn (v.l.n.r.) © Lydia Bujok / UKW

Würzburg. Thrombozyten - aufgrund ihres Aussehens auch Blutplättchen genannt - spielen nicht nur eine entscheidende Rolle bei der Blutgerinnung, indem sie sich bei Verletzungen an die offene Stelle heften, verklumpen und das Gefäß abdichten, sondern auch bei der Immunantwort. Bisherige Forschungen haben gezeigt, dass Toll-like-Rezeptoren, die normalerweise mit dem Immunsystem in Verbindung gebracht werden, auch auf der Zelloberfläche von Thrombozyten existieren. Werden Krankheitserreger erkannt, aktivieren die Toll-like-Rezeptoren auf den Thrombozyten eine Kaskade von Signalen, die nicht nur die Aktivierung der Thrombozyten fördern, sondern auch die Freisetzung entzündungsfördernder Moleküle steigern.

Toll-like-Rezeptoren auf Thrombozyten sind wichtig für die Abwehr von Infektionen und das Zusammenspiel mit anderen Immunzellen

In einem neuen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund 266.000 Euro geförderten Projekt untersucht die Transfusionsmedizin am Uniklinikum Würzburg, wie sich die immunologischen Eigenschaften der Blutplättchen in Thrombozytenkonzentraten verändern. Im Mittelpunkt stehen insbesondere Analysen von Toll-like-Rezeptoren. 

„Unser Ziel ist es, herauszufinden, wie sich unterschiedliche Herstellungs- und Lagerungsverfahren der Thrombozytenkonzentrate auf die Funktionalität der Toll-like-Rezeptoren und auf andere immunologische Eigenschaften der Thrombozyten auswirken.“ berichtet Prof. Dr. Jürgen Kößler, MHBA, Kommissarischer Direktor des Instituts für Klinische Transfusionsmedizin und Hämotherapie am UKW und Projektleiter. In vorhergehenden Projekten hat der Facharzt für Transfusionsmedizin und für Laboratoriumsmedizin mit seinem Team bereits erarbeitet, welche Funktionen die Toll-like-Rezeptoren in Thrombozyten besitzen, zum Beispiel wie sie Thrombozyten-Leukozyten-Interaktionen auslösen oder Chemokine aus Thrombozyten freisetzen.

Wie verändert sich die Funktion der Thrombozyten nach der Transfusion 

Die Ergebnisse des neuen Projekts sollen dazu dienen, Herstellungsverfahren von Blutprodukten zu optimieren, um einerseits die Zellfunktionalität zu erhalten, andererseits das Risiko für Nebenwirkungen, sogenannte Transfusionsreaktionen, zu verringern. „Die Erkenntnisse sind darüber hinaus die Voraussetzung für geplante klinische Studien, in denen untersucht wird, wie sich die Thrombozytenfunktion im Empfängerorganismus nach der Transfusion von Thrombozytenkonzentraten verändert. Hierzu ist bislang sehr wenig bekannt“, kommentiert Jürgen Kößler.

Das DFG-Projekt mit dem Titel „Einfluss der ex vivo-Lagerung auf Toll-like-Rezeptor-vermittelte Mechanismen in humanen Thrombozyten" hat eine Laufzeit von drei Jahren. Mit der Förderung sollen neben einer Doktorandenstelle Sachmittel finanziert werden. 

Herstellung und Verwendung von Thrombozytenkonzentraten

Thrombozytenkonzentrate werden in verschiedenen medizinischen Bereichen wie Onkologie, Chirurgie, Neonatologie und Intensivmedizin verwendet, um Blutungen bei Patientinnen und Patienten mit niedrigen Thrombozytenzahlen zu behandeln, sei es aufgrund von Krankheiten, Medikamenten oder medizinischen Eingriffen. 
Am Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Hämotherapie werden Thrombozytenkonzentrate durch Aphereseverfahren hergestellt. Dabei wird das Blut bereits während der Spende in einem sogenannten Zellseparator in die Bestandteile aufgetrennt, um gezielt die Thrombozyten zu entziehen. Diese werden in einen speziellen Beutel unter Hinzufügung von Plasma oder Additivlösungen überführt. Die Thrombozytenkonzentrate können schließlich bei leichtem Schütteln, um eine Verklumpung zu verhindern, bis zu vier Tage bei Raumtemperatur gelagert und bei Bedarf für die Patientenversorgung eingesetzt werden.
 

Gruppenbild von der AG von Jürgen Kößler, Ärztin rechts hält Thrombozytenkonzentrat in den Händen.
Team der Transfusionsmedizin mit Thrombozytenkonzentrat: Prof. Dr. Jürgen Kößler, Komm. Direktor des Instituts für Klinische Transfusionsmedizin und Hämotherapie, Biochemikerin PD Dr. Anna Kobsar, Medizinische Technologin Katja Weber und Ärztin Julia Zeller-Hahn (v.l.n.r.) © Lydia Bujok / UKW

Kann die Angst vor Spinnen aus dem Gedächtnis entfernt werden?

Universitätsmedizin Würzburg sucht für eine neue von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie Personen, die unter Angst vor Spinnen, auch als Arachnophobie bekannt, leiden.

Spinne Aragog im Terrarium des Zentrums für Psychische Gesundheit in Würzburg
Im Zentrum für Psychische Gesundheit am UKW wird untersucht, wie sich eine übermäßige Angst vor Spinnen therapieren lässt. © Martin Herrmann, UKW

Würzburg. In der psychologischen Forschung* konnte gezeigt werden, dass Gedächtnisinhalte nach dem Aufruf wieder aktiv abgespeichert werden müssen und dass dieser Prozess gestört werden kann. „Somit besteht die Möglichkeit, emotionale Gedächtnisinhalte langfristig aus dem Gedächtnis zu entfernen“, schlussfolgert Prof. Dr. Martin Herrmann, leitender Psychologe am Zentrum für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). „Im Rahmen eines von der DFG geförderten Forschungsprojekts versuchen wir nun dieses Prinzip auf die Angst vor Spinnen zu übertragen.“ 

Mit Transkranieller Magnetstimulation Arachnophobie löschen 

Dabei werde das Angstgedächtnis zunächst kurz aktiviert, um dann mit dem Verfahren der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS), eine nicht-invasive, nebenwirkungsarme Form der Hirnstimulation, die Wiederabspeicherung zu unterbrechen. 
Personen, die unter Angst vor Spinnen leiden, sind herzlich willkommen, an unserem Forschungsprojekt teilzunehmen.

Aufwand: Ein Telefonat und drei Termine vor Ort 

Der Zeitaufwand beträgt etwa vier Stunden, verteilt auf ein Telefongespräch und drei Termine vor Ort in einem Gesamtzeitraum von etwa vier Monaten. Alle Termine werden in persönlicher Absprache mit den Studienteilnehmenden vereinbart. Die Teilnahme an der Studie ist kostenlos und anonym.
Bei Interesse melden Sie sich gerne unverbindlich bei unserem Studienteam per Mail an: Spider_VR@ ukw.de

Über die Spinnenphobie 

Die Angst vor Spinnen zählt zu den häufigsten spezifischen Phobien. Die irrationale Angst vor den achtbeinigen Tieren, die mit Schweißausbrüchen, Herzrasen, Zittern oder sogar Atemnot einhergehen kann, lässt sich trotz des Wissens, dass eigentlich keine Gefahr droht, nicht vertreiben. Allein das Wort Spinne kann Stressreaktionen auslösen. Mehrheitlich sind Frauen von einer Spinnenphobie betroffen, die im Fachjargon als Arachnophobie bezeichnet wird. Im Zentrum für Psychische Gesundheit am UKW werden symptomorientierte Therapien entwickelt, die mit innovativen Methoden die bewährten Expositionstherapien bei Angst vor Spinnen, aber auch bei Höhenangst, erweitern und ihre Wirksamkeit verbessern. 

Spider VR - Expositionstherapie in virtueller Realität 

In einem vorhergehenden Forschungsprojekt namens Spider VR hat das Uniklinikum Würzburg gemeinsam mit dem Uniklinikum Münster eine Expositionstherapie in virtueller Realität (VR) untersucht. Insgesamt wurden 174 Personen mit Angst vor Spinnen in einer virtuellen Welt mit den angstauslösenden Tieren konfrontiert. Ziel der Studie war es, die grundsätzlich aussagekräftigen Charaktereigenschaften, Umstände oder Merkmale einer Person – die Prädiktoren – für eine erfolgreiche Expositionstherapie aus der Vielzahl möglicher Variablen herauszuarbeiten. Betroffene, die aufgrund der Erkenntnisse auf die alleinige Standardtherapie vermutlich nicht optimal ansprechen, könnten so zukünftig von Beginn ihrer Therapie an ergänzende Therapieangebote erhalten., haben sich zahlreiche Publikationen ergeben. Die wichtigsten Ergebnisse des im Rahmen des Sonderforschungsbereich Furcht, Angst, Angsterkrankungen (SFB Transregio 58) geförderten Projekts wurden im Journal of Anxiety Disorders veröffentlicht. 


*Das DFG-Projekt baut auf zwei Studien auf. In den Fachzeitschriften Current Biology und iScience beschrieben Sara Borgomaneri et al und Sizhen Su et al, wie eine gezielte Theta-Burst-Stimulation die Rekonsolidierung des Angstgedächtnisses stört und die Rückkehr der Angst verhindert.

Wuerzburg Web Week 2023 - VR in der Psychotherapie

Am Montag, 20. November von 16:00 bis 17:00 Uhr, demonstriert Martin Herrmann in einer Online-Veranstaltung, wie VR zunehmend als effektives Therapiewerkzeug in der Psychotherapie zur Behandlung von Angsterkrankungen eingesetzt wird. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, der Zoom-Link ist hier hinterlegt.
 

Spinne Aragog im Terrarium des Zentrums für Psychische Gesundheit in Würzburg
Im Zentrum für Psychische Gesundheit am UKW wird untersucht, wie sich eine übermäßige Angst vor Spinnen therapieren lässt. © Martin Herrmann, UKW

Hohes Durstempfinden kann Gewohnheit oder Krankheit sein

Neue Studie bringt Klärung welcher Test die Diagnose bei literweisem Trinken am besten ermöglicht / Kochsalztest bleibt Goldstandard

 

Eine übermäßige Flüssigkeitsaufnahme mit entsprechend vermehrter Urinausscheidung kann eine medizinisch unbedenkliche Gewohnheit darstellen, aber auch auf eine seltene Hormonstörung hinweisen. Das Uniklinikum Würzburg (UKW) hat gemeinsam mit Forschenden des Universitätsspitals Basel in den vergangenen Jahren zwei Tests entwickelt, welche die Diagnostik vereinfachen und verbessern. Eine neue im „The New England Journal of Medicine" publizierte internationale Studie zeigt nun, dass ein Kochsalztest die höchste Zuverlässigkeit aufweist.

Infusion
Der Kochsalz-Infusionstest bei übermäßiger Flüssigkeitsaufnahme mit entsprechend vermehrter Urinausscheidung ist zur der genauere Test bei Verdacht auf einen Vasopressin-Mangel, früher als Diabetes insipidus bekannt, und gilt endgültig als Goldstandard. © UKW

Würzburg / Basel: Viel trinken, am besten Wasser, ist wichtig, keine Frage. Aber wer mehr als drei Liter am Tag zu sich nimmt und vermehrt Urin ausscheidet, sollte das Verhalten abklären lassen. In den meisten Fällen sind ein gesteigertes Durstempfinden und eine übermäßige Flüssigkeitsaufnahme, in der Fachsprache Polydipsie genannt, gepaart mit einer Polyurie für extremes Harnvolumen, durch Gewohnheit entstanden oder eine Begleiterscheinung einer psychischen Erkrankung. Eine Verhaltenstherapie kann hier helfen, die Trinkmenge zu reduzieren. In einigen Fällen kann jedoch ein Vasopressin-Mangel vorliegen, der medikamentös behandelt werden muss. Vasopressin ist ein Hormon in der Hirnanhangdrüse, welches in unserem Körper den Wassergehalt und damit auch die Urinkonzentration und -menge steuert. Personen mit einem Vasopressin-Mangel, früher bekannt als Diabetes insipidus, können den Urin nicht konzentrieren und verlieren deshalb große Mengen an Flüssigkeit. Entsprechend stark ist ihr Durstgefühl. 

Testmethoden zur Unterscheidung der beiden Krankheitsbilder 

„Die genaue Unterscheidung der Ursachen ist wichtig, da eine falsche Therapie lebensbedrohliche Folgen haben kann. Werden Patientinnen und Patienten mit einer primären Polydipsie mit Vasopressin behandelt, droht eine Wasservergiftung", erläutert Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter der Endokrinologie und Diabetologie am Würzburger Universitätsklinikum die Relevanz einer genauen Diagnostik. „Nachdem jahrzehntelang die Patientinnen und Patienten bei Verdacht auf einen Vasopressin-Mangel bis zu 18 Stunden dursten mussten, haben wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Basel in den letzten Jahren zwei Tests entwickelt, die die Diagnostik vereinfachen und verbessern.“ 

Das erste Testverfahren basiert auf einer Idee von Professor Bruno Allolio, dem früheren Leiter der Würzburger Endokrinologie. Dabei wird den Patientinnen und Patienten über drei Stunden hinweg eine genau definierte Menge einer Kochsalzlösung als Infusion verabreicht, welche das Hormon Vasopressin stimuliert. Währenddessen wird ihnen halbstündlich Blut abgenommen, um die Copeptin-Konzentration im Blut zu überprüfen. Copeptin ist ein Vorläuferhormon des Vasopressins, das deutlich besser im Labor zu messen ist. Eine im Sommer 2018 veröffentlichte Studie in The New England Journal of Medicine hatte bereits die hohe diagnostische Treffsicherheit des Kochsalzinfusionstests mit Copeptinmessung gezeigt. 97 Prozent aller Patientinnen und Patienten konnten damit korrekt diagnostiziert werden. 

Zwei Studien in “The New England Journal of Medicine”

Die Herausgeber des New England Journal of Medicine kommentieren damals, dass dies der neue Test zur Standarddiagnostik werden wird. Und er wird es vorerst bleiben, wie eine weitere Veröffentlichung im New England Journal of Medicine jetzt zeigt. 

Der Kochsalztest ist recht aufwändig, da die Patientinnen und Patienten wegen des starken Salzanstiegs ständig überwacht werden müssen und eine regelmäßige Salzmessung im Blut notwendig ist, erklärt Dr. Irina Chifu, Fachärztin für Innere Medizin und Endokrinologie, die die Studien in Würzburg maßgeblich koordiniert hat. Deshalb haben die Forschenden einen stark vereinfachten und verträglicheren Test entwickelt, bei dem sie den Patientinnen und Patienten statt der Salzinfusion eine Infusion mit dem Eiweißbestandteil Arginin verabreichen, welche ebenfalls das Hormon Vasopressin stimuliert. Auch dieser Test zeigte eine gute Zuverlässigkeit (Link zur PM).

Kochsalztest ist besser und zuverlässiger als die Arginin-Infusion

In einer neuen internationalen Studie wurden unter Federführung des Universitätsspitals Basel die beiden Tests miteinander verglichen. Dazu wurden in Basel und Zürich (Schweiz) sowie in Würzburg, Belo Horizionte (Brasilien), Cambridge (UK), Mailand (Italien) und, Rotterdam (Niederlande) insgesamt 158 Probandinnen und Probanden rekrutiert, wobei die Endokrinologie in Würzburg mit 45 Patientinnen und Patienten Spitzenreiter bei der Rekrutierung war. 

Fazit: „Unser Vergleich zeigt, dass beide Tests gut sind, aber dass der Kochsalz-Infusionstest bei grenzwertigen Fällen klar der genauere ist und damit endgültig als Goldstandard gilt", resümieren Irina Chifu und Martin Fassnacht. 

Publikation: 
Julie Refardt, Cihan Atila, Irina Chifu, Emanuele Ferrante, Zoran Erlic, Juliana B. Drummond, Rita Indirli, Roosmaijn C. Drexhage, Clara O. Sailer, Andrea Widmer, Susan Felder, Andrew S. Powlson, Nina Hutter, Deborah R. Vogt, Mark Gurnell, Beatriz S. Soares, Johannes Hofland, Felix Beuschlein, Martin Fassnacht, Bettina Winzeler, Mirjam Christ-Crain. Arginine or Hypertonic Saline–Stimulated Copeptin to Diagnose AVP Deficiency 2023/11/15. New England Journal of Medicine.  https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2306263

Infusion
Der Kochsalz-Infusionstest bei übermäßiger Flüssigkeitsaufnahme mit entsprechend vermehrter Urinausscheidung ist zur der genauere Test bei Verdacht auf einen Vasopressin-Mangel, früher als Diabetes insipidus bekannt, und gilt endgültig als Goldstandard. © UKW

Multimorbidität bei Herzinsuffizienz

Zusammenhang mit Weltregionen und Einkommensniveaus in der globalen REPORT-HF Kohortenstudie

Umfassende globale Informationen über Prävalenz und klinische Folgen von Multimorbidität bei akuter Herzinsuffizienz nach Weltregionen und Einkommen gab es bisher nicht. Eine neue Analyse aus der globalen REPORT-HF Studie demonstriert erstmals Zusammenhänge von Multimorbidität mit regionalen und länderspezifischen Unterschieden. In Ländern mit hohem Einkommen wie Deutschland oder USA ist Multimorbidität besonders weit verbreitet und geht mit höherer Sterblichkeit, weniger Verschreibung von Medikamenten gegen Herzinsuffizienz und häufigerer Verwendung potenziell schädlicher Therapien einher.

Die Weltkarte zeigt die Länder, die an der Studie teilgenommen haben und wie hoch ihre durchschnittlichen Komorbiditäten bei Herzinsuffizienz sind.
Prävalenz von Multimorbidität nach Weltregion und Einkommensniveau beteiligter Länder in der REPORT-HF Kohortenstudie. (A) Weltkarte mit der mittleren Anzahl Komorbiditäten pro Land. Weiß kennzeichnet sind nicht an der Kohortenstudie beteiligte Länder. (B) Häufigkeit von Komorbiditäten nach Weltregionen. (C) Komorbiditätsbelastung pro Land nach Einkommensniveau. © UKW published in The Lancet Global Health

Würzburg. Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz haben oft mehrere Begleiterkrankungen. Treten mehr als zwei Erkrankungen gleichzeitig auf spricht man von Multimorbidität. Die Häufigkeit von Multimorbidität bei akuter Herzinsuffizienz liegt zwischen 43 % und 98 %, variiert aber je nach geografischer Region. Frühere Berichte über die Auswirkungen von Multimorbidität bei Herzinsuffizienz bezogen sich auf eine begrenzte Anzahl von Ländern, vorwiegend aus Westeuropa, Asien und Nordamerika oder basierten auf Populationen, die an klinischen Studien teilnahmen, bei denen Patientinnen und Patienten mit Komorbiditäten wie schwerer Niereninsuffizienz oder Krebs in der Regel ausgeschlossen waren. In einer im November 2023 im Journal The Lancet Global Health veröffentlichten Analyse unter der Leitung von Prof. Dr. Christiane Angermann vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) am Uniklinikum Würzburg wurden erstmals weltweit die Häufigkeit von Multimorbidität und ihre Auswirkungen auf die Arzneimitteltherapie und die Prognose untersucht.

82 Prozent der Studienteilnehmenden waren multimorbide

Als Basis für die Analyse diente die Datenbank der prospektiven, multizentrischen Kohortenstudie REPORT-HF (Registry to Assess Medical Practice and Longitudinal Observation for Treatment of Heart Failure). Im Rahmen von REPORT-HF wurden zwischen Juli 2014 und März 2017 in 358 Krankenhäusern aus 44 Ländern auf sechs Kontinenten 18 553 Patienten rekrutiert. Die Dauer der Nachbeobachtung betrug ein Jahr. Dabei benutzen Forschende aus Ägypten, Argentinien, Griechenland, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Singapur, Norwegen, den USA und Zypern einen einheitlichen Erhebungsbogen. „Fast alle Studienteilnehmende, nämlich 18 528 Patientinnen und Patienten, hatten vollständige Daten zu ihren Komorbiditäten und wurden daher in die Untersuchung einbezogen,“ berichtet Christiane Angermann. „Dabei waren 82 Prozent multimorbide, und wir haben die Länder nach Weltregionen und Einkommensniveaus stratifiziert.“ 

Mehr Komorbiditäten erschweren die leitliniengerechte Pharmakotherapie

Die Prävalenzraten von Komorbidität waren mit 72 Prozent am niedrigsten in Südostasien und mit 92 Prozent am höchsten in Nordamerika. Patientinnen und Patienten aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen waren seltener multimorbide als Herzinsuffiziente aus Ländern mit hohem Einkommen (73% gegenüber 85%, p<0,0001). Mit zunehmender Multimorbidität erhielten die Betroffenen weniger leitliniengerechte Herzinsuffizienz-Medikamente, dafür aber mehr Medikamente, die eine Herzinsuffizienz verursachen oder verschlechtern können. 

Multimorbidität verschlechtert die Prognose

In dieser Studie erwiesen sich Komorbiditäten bei Patientinnen und Patienten, die wegen akuter Herzinsuffizienz in ein Krankenhaus aufgenommen worden waren, als wichtige Prädiktoren, also Vorhersagevariablen, für eine verminderte Lebensqualität, mehr Krankenhausaufenthalte und eine schlechtere Prognose: Die Ein-Jahres-Mortalität stieg von 13 Prozent bei Herzinsuffizienten ohne Komorbiditäten bis auf 26 Prozent, wenn fünf oder mehr Komorbiditäten vorlagen. Der populationsbezogene Anteil der Multimorbidität an der Sterblichkeit, die so genannte ‚population attributable fraction‘, war in Ländern mit hohem Einkommen höher als in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen. Mit 61 Prozent gegenüber 27 Prozent und 31 Prozent hatten hier über die Hälfte aller Todesfälle mit Multimorbidität zu tun.

Ergebnisse unterstreichen systemischen Charakter der Herzinsuffizienz und fordern einen multidisziplinären diagnostischen und therapeutischen Ansatz

Die hohe Prävalenz und enorme prognostische Relevanz der Multimorbidität bei herzinsuffizienten Patientinnen und Patienten aller Weltregionen unterstreichen den systemischen Charakter dieses Syndroms und machen deutlich, dass Komorbiditäten bei der Behandlung der Herzinsuffizienz besondere Aufmerksamkeit verdienen. „Multimorbide Patientinnen und Patienten, die eine Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz überlebt haben, sind nach dieser Analyse weltweit unterversorgt mit den lebensverlängernden Medikamenten, die von den internationalen Leitlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz empfohlen werden. Einerseits wird die Therapie oft unterdosiert, besonders in einkommensschwachen Regionen. Andererseits werden- vor allem in Ländern mit hohem pro-Kopf-Einkommen mit zunehmender Multimorbidität Medikamente gegen diese Krankheiten verschrieben, die ihrerseits Herzinsuffizienz verursachen oder verschlimmern können,“ fasst Christiane Angermann zusammen. „Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass Herzinsuffizienz eine lebensgefährliche und komplexe Systemerkrankung ist, deren Behandlung Spezialwissen und einen fachübergreifenden Ansatz erfordert. Multidisziplinäre Betreuungsteams könnten helfen, die medikamentöse Unter- und Fehlversorgung zu vermeiden und die miserable Prognose von Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz zu verbessern.“ 

Publikation
Teresa Gerhardt, Louisa M S Gerhardt, Wouter Ouwerkerk, Gregory A Roth, Kenneth Dickstein, Sean P Collins, John G F Cleland, Ulf Dahlstrom, Wan Ting Tay, Georg Ertl, Mahmoud Hassanein, Sergio V Perrone, Mathieu Ghadanfar, Anja Schweizer, Achim Obergfell, Gerasimos Filippatos, Carolyn S P Lam, Jasper Tromp, Christiane E Angermann, Multimorbidity in patients with acute heart failure across world regions and country income levels (REPORT-HF): a prospective, multicentre, global cohort study, The Lancet Global Health, Volume 11, Issue 12, 2023, Pages e1874-e1884, ISSN 2214-109X, https://doi.org/10.1016/S2214-109X(23)00408-4
 

Die Weltkarte zeigt die Länder, die an der Studie teilgenommen haben und wie hoch ihre durchschnittlichen Komorbiditäten bei Herzinsuffizienz sind.
Prävalenz von Multimorbidität nach Weltregion und Einkommensniveau beteiligter Länder in der REPORT-HF Kohortenstudie. (A) Weltkarte mit der mittleren Anzahl Komorbiditäten pro Land. Weiß kennzeichnet sind nicht an der Kohortenstudie beteiligte Länder. (B) Häufigkeit von Komorbiditäten nach Weltregionen. (C) Komorbiditätsbelastung pro Land nach Einkommensniveau. © UKW published in The Lancet Global Health