Aktuelle Pressemitteilungen

Wenn die Blutplättchen außer Kontrolle geraten

Das akute Lungenversagen (ARDS für Acute Respiratory Distress Syndrom) ist ein lebensbedrohlicher Zustand. Eine von Thrombozyten befeuerte überschießende Immunreaktion verschlechtert zusätzlich die Lungenfunktion. Forschende der Universitätsmedizin Würzburg haben nun herausgefunden, wie diese schwere Entzündungsreaktion unterdrückt werden kann. Die Ergebnisse der von Prof. Dr. Bernhard Nieswandt geleiteten Studie, in der ein bedeutender Fortschritt in dem Verständnis des akuten Lungenversagens aufgezeigt wird, wurden im renommierten Fachjournal Blood veröffentlicht.

Interaktion von Blutplättchen mit Entzündungszellen im Lungengewebe
Die fluoreszenzmikroskopische Aufnahme zeigt die Interaktion von Thrombozyten (cyan) mit Entzündungszellen (gelb) im Lungengewebe, sowie eine eingewanderte Entzündungszelle außerhalb des Blutgefäßes (magenta) innerhalb des Lungenbläschens. (Copyright RVZ, Nieswandt AG)

Eine von zehn intensivmedizinisch behandelten Personen entwickelt ein akutes Lungenversagen (ARDS). Die meisten dieser Atemnotsyndrome, von denen die milde Form auch als ALI (Acute Lung Injury) bekannt ist, werden durch eine Lungenentzündung verursacht, aber auch Blutvergiftungen, äußere Verletzungen, Blutkrebs- und Autoimmun-Erkrankungen oder eine sogenannte Fremdkörperaspiration können die Lungenfunktion lebensbedrohlich beeinträchtigen. Allen Ursachen gemeinsam sind entzündliche Prozesse, welche das Lungengewebe schädigen. Trotz verbesserter Behandlungsmöglichkeiten ist das Sterberisiko hoch. Die therapeutischen Ansätze zur Bekämpfung des ARDS sind hauptsächlich unterstützend und konzentrieren sich auf eine lungenschonende mechanische Beatmung.

Schädigung des Lungengewebes unaufhaltsam

Selbst mit vermeintlich wirksamen Antibiotika hält die Entzündung oft an und schadet der Schutzbarriere der Blutgefäße in der Lunge, was zu einer immunvermittelten Verletzung des Lungengewebes führt. Die Hauptverantwortlichen für diesen schädigenden Prozess sind Neutrophile Granulozyten. Diese Art der weißen Blutkörperchen hilft dem Körper eigentlich dabei, Infektionen zu bekämpfen und Verletzungen zu heilen. Beim akuten Lungenversagen dringen die Neutrophilen in einem mehrstufigen Prozess in das Lungengewebe ein und durchbrechen die Auskleidung der Blutgefäße schon früh in der Entzündungsphase. Dabei unterstützen Thrombozyten die Rekrutierung und Aktivierung der Neutrophilen maßgeblich.

Thrombozyten können akute Entzündungsprozesse vorantreiben

Einer der die komplexen Funktionen von Blutplättchen schon seit Jahren erforscht und nun einen Ansatz gefunden hat, die Infiltration von Neutrophilen ins Lungengewebe zu unterbinden, ist Prof. Dr. Bernhard Nieswandt, Leiter des Lehrstuhls für Experimentelle Biomedizin I und Forschungsgruppenleiter am Rudolf-Virchow-Zentrum – Center for Integrative and Translational Bioimaging (RVZ)  der Universität Würzburg und Direktor des Instituts für Experimentelle Biomedizin am Universitätsklinikum Würzburg. „Die kleinen kernlosen Blutzellen können sehr viel mehr als Blutungen stillen und Infarkte auslösen, zum Beispiel Entzündungsprozesse in Gang bringen. Der Mechanismus wird als Thrombo-Inflammation bezeichnet“, schildert Bernhard Nieswandt die Funktionen der Thrombozyten, die in unserem Knochenmark kontinuierlich aus Megakaryozyten gebildet werden. In der neuesten, im Fachjournal Blood publizierten, Untersuchung hat die Arbeitsgruppe von Bernhard Nieswandt einen vielversprechenden Angriffspunkt gefunden, um die akute Entzündung, die ALI/ARDS verursacht, zu reduzieren. Das aktivierende Thrombozytenrezeptor-Glykoprotein VI (GPVI) könnte nämlich eine entscheidende Rolle bei der Aktivierung und Ausbreitung von Thrombo-Inflammation spielen.

GPVI ist ein vielversprechender Angriffspunkt

„Unsere Daten zeigen, dass die gezielte Hemmung von GPVI, das sich auf der Oberfläche von Blutplättchen befindet, durch einen Antikörper den verheerenden Einstrom von Neutrophilen ins Lungengewebe und die daraus resultierende Gewebeschädigung der entzündeten Lunge deutlich reduziert, ohne das Risiko von Entzündungsblutungen zu erhöhen", erläutert Bernhard Nieswandt und resümiert: „Die Ergebnisse könnten den Weg für neue therapeutische Ansätze zur Bekämpfung dieser lebensbedrohlichen Erkrankungen ebnen.“


Philipp Burkard, Wissenschaftler am Würzburger Institut für Experimentelle Biomedizin und Erstautor der Studie fügt hinzu: „Wenn wir GPVI gezielt mit einem Antikörper unterdrücken, können wir das Ausmaß der überschießende Immunreaktion unterbinden, wodurch sich die Barrierefunktion der Blut-Luft-Schranke und damit auch das klinische Ergebnis verbessert.“


In einer weiteren Studie werden die Forschenden die Wirkung eines blockierenden GPVI-Antikörpers in einem humanisierten Mausmodell untersuchen, in dem die Blutplättchen die menschliche Version von GPVI exprimieren. Dies bringt sie näher an die Situation beim Menschen heran und wird den Nutzen einer Anti-GPVI-Behandlung noch besser bestätigen.

Förderung

Diese Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (Projekt SFB/TR240 und SFB 1525).


Publikation

A key role for platelet GPVI in neutrophil recruitment, migration and NETosis in the early stages of acute lung injury.  Burkard P, Schonhart C, Vögtle T, Köhler D, Tang L, Johnson D, Hemmen K, Heinze KG, Zarbock A, Hermanns HM, Rosenberger P, Nieswandt B. Blood. 2023 Jul 13 / doi: 10.1182/blood.2023019940. Online ahead of print. PMID: 37441848

Interaktion von Blutplättchen mit Entzündungszellen im Lungengewebe
Die fluoreszenzmikroskopische Aufnahme zeigt die Interaktion von Thrombozyten (cyan) mit Entzündungszellen (gelb) im Lungengewebe, sowie eine eingewanderte Entzündungszelle außerhalb des Blutgefäßes (magenta) innerhalb des Lungenbläschens. (Copyright RVZ, Nieswandt AG)

Telemedizin unabhängig von Herzpumpfunktion wirksam

Die prästratifizierte Sekundärauswertung der TIM-HF2-Studie durch das DZHI am Universitätsklinikum Würzburg, das Deutsche Herzzentrum der Charité in Berlin und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zeigt, dass ein Telemonitoring auch Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten mit erhaltener oder nur leicht reduzierter Pumpfunktion zu Gute kommt.

Patientin mit Blutdruckmessgerät
Spezielle mit Sensoren ausgestattete Messgeräte übertragen die Gesundheitswerte der Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten täglich drahtlos an das Telemedizinzentrum der Charité, sodass auf auffällige Messwerte sofort reagiert und die Therapie frühzeitig angepasst werden kann. © DZHC

Würzburg / Berlin. Rund 64 Millionen Menschen weltweit leiden an einer Herzinsuffizienz, davon mehr als 3 Millionen in Deutschland. Eine große Hoffnung in der Behandlung dieser Volkskrankheit liegt in der Telemedizin – also der regelmäßigen Fernüberwachung von Vitalparametern, die dem medizinischen Fachpersonal eine frühere Reaktion bei Hinweisen auf Verschlechterung ermöglicht. 

Im Dezember 2020 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die telemedizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche in das ambulante Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen mit aufzunehmen. „Allerdings haben bisher nur Patientinnen und Patienten mit einer deutlich reduzierten linksventrikulären Pumpfunktion diesen gesetzlichen Versorgungsanspruch, also erst, wenn die so genannte LVEF weniger als 40 Prozent beträgt,“ erläutert Dr. Fabian Kerwagen, Clinician Scientist am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) und Erstautor einer neuen wegweisenden Publikation im European Journal of Heart Failure. Darin zeigt der angehende Kardiologe in Zusammenarbeit mit Prof. Stefan Störk, Leiter der Klinischen Forschung am DZHI, und Prof. Friedrich Köhler, Leiter des Arbeitsbereichs Kardiovaskuläre Telemedizin am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC), dass Telemonitoring unabhängig von der Pumpfunktion wirksam ist. 

Hoher Bedarf an Therapien für Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion 

Neben der Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion, in der Fachsprache HFrEF (Heart Failure with reduced Ejection Fraction) genannt, gibt es die Herzinsuffizienz mit leichtgradig reduzierter Pumpfunktion und Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion, kurz HFpEF für Heart Failure with preserved Ejection Fraction. „Ausgerechnet für die beiden bisher von der telemedizinischen Versorgung ausgeschlossenen Formen gibt es deutlich weniger evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten als für die HFrEF. Der Bedarf an wirksamen Therapien für diese beiden Formen ist daher besonders hoch“, bemerkt Fabian Kerwagen zu den Hintergründen seiner Analyse. 

TIM-HF2 legte Grundstein für neue Telemedizin auf Rezept

Die neuen Einsichten beruhen auf einer Sekundärauswertung der im Jahr 2018 im Journal The Lancet veröffentlichten TIM-HF2-Studie (Telemedical Interventional Management in Heart Failure II). Diese kontrollierte multizentrische Versorgungsforschungsstudie wurde unter der Leitung von Friedrich Köhler an der Charité Berlin deutschlandweit unter Einbeziehung von 1.538 Patientinnen und Patienten durchgeführt. „TIM-HF2 zeigte, dass sich im deutschen Gesundheitssystem das Leben von Herzinsuffizienzpatienten durch telemedizinische Unterstützung verlängern und die Krankenhauswiederaufnahme reduzieren lässt. Damit haben die Ergebnisse von TIM-HF2 entscheidend dazu beigetragen, dass der neue Versorgungsansatz als erstes digitales Behandlungsprogramm überhaupt in die Regelversorgung aufgenommen wurde“, berichtet der Studienleiter der TIM-HF2 Studie, Friedrich Köhler.

In der prästratifizierten Sekundärauswertung wurde untersucht wie sich die zwölfmonatige telemedizinische Betreuung auf die Zahl der ungeplanten Krankenhaustage und Todesfälle bei den drei Formen der Herzinsuffizienz auswirkt: also bei Herzinsuffizienz mit höhergradig reduzierter, mit leicht reduzierter oder mit erhaltener Pumpfunktion. Die statistische Auswertung der Studie erfolge am Institut für Biometrie und Epidemiologie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. 
 „Wir konnten zeigen, dass alle Patientinnen und Patienten von einer telemedizinischen Mitbetreuung profitieren – unabhängig von der Pumpfunktion“, konstatiert Fabian Kerwagen erfreut. 

„Das hochkomplexe Krankheitsbild benötigt eine umfassende Betreuung“

Stefan Störk, Letztautor der Studie, freut sich über dieses wichtige Ergebnis und hofft, dass die telemedizinisch unterstützte Versorgung bald für alle Herzinsuffizienz-Patientinnen und Patienten zugänglich sein wird. „Wir setzen uns schon sehr lange für diesen Versorgungsansatz ein. Denn das hochkomplexe Krankheitsbild Herzinsuffizienz benötigt eine umfassende Betreuung.“ Um drohende Entgleisungen frühzeitig zu erkennen und Krankenhausaufenthalte zu vermeiden, das Leben zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern, wurde am DZHI auf dem Gelände des Universitätsklinikums Würzburg das Versorgungsprogramm HeartNetCare-HFTM entwickelt. Der Schlüssel zum Erfolg dieses Programms, das in abgewandelter Form auch in TIM-HF2 zur Anwendung kam, sind spezialisierte Herzinsuffizienzschwestern und -pfleger. 

Über die telemedizinische Mitbetreuung im Rahmen der TIM-HF2 Studie

Die Fernüberwachung bestand aus einer ärztlich geleiteten telemedizinischen Unterstützung rund um die Uhr durch das telemedizinische Zentrum (TMZ) am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC). Das TMZ-Team bestand aus Ärztinnen und Ärzten sowie spezialisierten Herzinsuffizienz-Pflegekräften. Alle Patientinnen und Patienten erhielten ein Telemonitoring-System für zu Hause, das ein Mobiltelefon, ein digitales Tablet und vier externe Geräte für die Messung eines Dreikanal-Elektrokardiogramms (EKG), der peripheren kapillaren Sauerstoffsättigung (SpO2), des nicht-invasiven Blutdrucks und des Körpergewichts umfasste. Nach Installation und Einweisung in das Telemonitoring-System vor Ort wurden alle Studienteilnehmenden von den spezialisierten Herzinsuffizienz-Pflegekräften geschult. Das TMZ nutzte die als Medizinprodukt zertifizierte telemedizinische Analysesoftware "Fontane". Damit wurden Patientendaten übermittelt, die elektronische Gesundheitsakte überwacht und die Kommunikation zwischen TMZ, Studienteilnehmenden und ihrer hausärztlichen oder kardiologischen Praxis durchgeführt. Die Patientendaten einschließlich der Vitalparameter und Medikation wurden täglich überprüft. Darüber hinaus kontaktierten die Pflegekräfte die Patientinnen und Patienten monatlich oder bei Bedarf auch häufiger, um ein strukturiertes Telefongespräch zu führen, das Lehr- und Überwachungselemente enthielt. Die Kombination aus Telemonitoring mit externen Geräten und bedarfsorientiertem Telefonkontakt durch spezialisierte Herzinsuffizienz-Pflegekräfte gewährleistete eine mehrdimensionale, individualisierte Behandlung inklusive emotionaler Unterstützungsfunktion, Aufdosierung von Herzinsuffizienz-Medikamenten oder Einleitung eines Krankenhausaufenthalts, falls erforderlich.
 

Patientin mit Blutdruckmessgerät
Spezielle mit Sensoren ausgestattete Messgeräte übertragen die Gesundheitswerte der Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten täglich drahtlos an das Telemedizinzentrum der Charité, sodass auf auffällige Messwerte sofort reagiert und die Therapie frühzeitig angepasst werden kann. © DZHC

Den Immunzellen auf der Spur

Pressemitteilung des RVZ

Carlos Talavera-López hat seit Kurzem die Juniorprofessur für Systemimmunologie an der Universität Würzburg inne. Sein spezieller Blick gilt den Vorgängen im Zellinneren. Dabei setzt er auf Deep-Learning-Methoden.

 

Immunologie, Infektionsbiologie und chronische Entzündungen: Auf diesen Gebieten forscht Carlos Talavera-López.
Immunologie, Infektionsbiologie und chronische Entzündungen: Auf diesen Gebieten forscht Carlos Talavera-López. (Bild: Anika Grafen / Max-Planck-Forschungsgruppe für Systemimmunologie)

Carlos Talavera-López ist ein Experte für Computerbiologie, maschinelles Lernen und Medizin. In seiner Rolle als klinischer Wissenschaftler forschte er zuletzt am Institut für Computational Biology, Helmholtz München, und der Abteilung für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Jetzt, als Assistenzprofessor am Lehrstuhl für Systemimmunologie an der Universität Würzburg, kombiniert er verschiedene rechnergestützte Ansätze, um die zellulären Schaltkreise von Immunzellen in Gesundheit und Krankheit aufzuklären.

Während seiner Postdoc-Ausbildung arbeitete Dr. Talavera-López mit statistischen und Deep-Learning-Methoden und kombinierte sie mit räumlich aufgelösten Einzelzelltechnologien. Diese Kombination ermöglichte es ihm und seinen Kollegen, die zellulären Schaltkreise von Immunzellen im erwachsenen menschlichen Herzen zu entschlüsseln und ihre möglichen Veränderungen in diesen Funktionen während der Reparatur von Herzgewebe aufzudecken.

Als Junior-Gruppenleiter am Helmholtz Zentrum München wandte er Deep-Learning-Methoden an, um Zell-Zell-Interaktionen und Stoffwechselaktivitäten während Entzündungen und Gewebereparaturen mittels räumlicher Transkriptomik aufzuklären.

Forschung an Immunologie, Infektionsbiologie und chronischen Entzündungen
„In meiner neuen Rolle als Juniorprofessor schlägt mein Labor einen neuen Weg ein“, sagt Talavera-López. „Mein Team und ich werden modernste Technologien und Methoden dafür einsetzen, Immunologie, Infektionsbiologie und chronische Entzündungen genauer zu untersuchen.“

Er wird sich zunächst auf zwei Hauptforschungsbereiche konzentrieren: Zum einen will er gemeinsam mit seinem Team verstehen, wie die Genomplastizität die Anpassung von Wirt und Erreger im Verlauf der Infektion steuert. Zum anderen werden die Wissenschaftler die Dynamik der zellulären Kommunikation, der Transkriptionsregulation und des Stoffwechsels während der Entwicklung in verschiedenen Organen und Spezies untersuchen.

Kontakt
Prof. Dr. Carlos Talavera-López, Juniorprofessur für Single Cell Biology, T: +49 931 31-84385, carlos.talavera-lopez@uni-wuerzburg.de

Von Christina Bornschein

Immunologie, Infektionsbiologie und chronische Entzündungen: Auf diesen Gebieten forscht Carlos Talavera-López.
Immunologie, Infektionsbiologie und chronische Entzündungen: Auf diesen Gebieten forscht Carlos Talavera-López. (Bild: Anika Grafen / Max-Planck-Forschungsgruppe für Systemimmunologie)

Was Stephanie hilft, hilft Stefan nicht unbedingt

Pressemitteilung des RVZ

Frauen und Männer reagieren unterschiedlich auf Belastungen und Stress. Das zeigt eine Studie aus dem ersten Jahr der Coronapandemie. Verantwortlich dafür ist ein Team der Würzburger Universitätsmedizin.

Auch wenn es auf diesem Bild nicht so aussieht: Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf angstauslösende Situationen.
Auch wenn es auf diesem Bild nicht so aussieht: Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf angstauslösende Situationen. (Bild: Tomnamon / Colourbox.de)

Erinnert sich noch jemand an die erste Phase der Corona-Pandemie im Jahr 2020? Als Geschäfte, Restaurants, Kinos und Theater geschlossen blieben. Als Treffen mit Freunden und Verwandten untersagt waren. Als der Schulunterricht ins heimische Kinderzimmer verlegt wurde. Als Verreisen undenkbar war.

Aktuell sieht es so aus, als sei diese Zeit von den meisten Menschen längst vergessen. Dabei dürften die verschiedenen Corona-Maßnahmen der Politik bei vielen für enormen Stress gesorgt haben. Die Angst um den Arbeitsplatz, die Sorge um erkrankte Verwandte, die nervliche Belastung, wenn Eltern und Kinder zusammen in einer kleinen Wohnung sitzen und Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut bringen sollen: Das alles ist nicht ohne Auswirkungen geblieben, wie zahlreiche Studien zeigen.

Angst ist der zentrale Faktor
Inwieweit sich diese Erfahrungen auf die psychische Gesundheit und die Lebensqualität von Frauen und Männern im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie ausgewirkt haben: Das hat ein Forschungsteam der Würzburger Universitätsmedizin untersucht. Konkret haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür interessiert, in welchem Verhältnis Sorgen um den Arbeitsplatz und um andere Menschen mit eigenen psychischen Problemen wie Angst und Depression und der Lebensqualität allgemein stehen, welchen Einfluss die Unterstützung im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz darauf hat – und: ob es dabei Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt.

Klares Ergebnis: In diesem Netzwerk unterschiedlicher Variablen und Einflussfaktoren steht Angst absolut im Mittelpunkt. Dabei zeigen sich allerdings eindeutige geschlechtsspezifische Unterschiede: „Bei Männern steigt die Angst in zunehmenden Maß mit der Sorge um den Arbeitsplatz, bei Frauen findet sich dieser Effekt nicht. Dafür konnten wir bei Frauen eine Zunahme der Angstwerte parallel mit einer Zunahme der Sorgen um Familie und Freunde registrieren“, sagt Grit Hein. Zusätzlich zeigt die Studie, dass Frauen positiv auf die Unterstützung durch Freunde und Familie in solchen Zeiten reagieren, indem sie ein Plus an Lebensqualität empfinden. Bei Männern zeigte sich dieses Phänomen nicht.

Daten über den Einfluss des Geschlechts fehlten
Grit Hein ist Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Würzburger Universitätsklinikums. Gemeinsam mit ihrem Postdoc Martin Weiß hat sie die Studie geleitet, deren Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurden.

„In der Vergangenheit haben zahlreiche Studien untersucht, welchen Einfluss psychosoziale Faktoren wie beispielsweise die Unterstützung durch Freunde und Kollegen und finanzielle, berufliche oder persönliche Sorgen auf die psychische Gesundheit und die Lebensqualität ausüben. Es fehlten jedoch Daten darüber, ob diese Zusammenhänge bei Männern und Frauen gleich sind“, erklärt Grit Hein den Hintergrund der Studie. In einer Erweiterung früherer Untersuchungen hat das Würzburger Forschungsteam deshalb jetzt den Einfluss dieser Faktoren in Abhängigkeit vom Geschlecht untersucht.

Studie mit rund 2.900 Teilnehmenden
Die entsprechenden Informationen bekam das Team von einer großen Gruppe von Probandinnen und Probanden geliefert: den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der sogenannten STAAB-Studie. Diese umfasst eine Kohorte von rund 5.000 zufällig ausgewählten Freiwilligen aus der Allgemeinbevölkerung Würzburgs und richtet ihren Fokus eigentlich auf die Entwicklung von Herzkreislauferkrankungen. Während der COVID-19-Pandemie wurde das Programm spontan auf die psychosozialen Auswirkungen von Pandemie, Lockdown und anderen Begleiterscheinungen erweitert.

Insgesamt haben sich 2.890 Menschen, 1.520 Frauen und 1.370 Männer, an der Umfrage beteiligt. Ihr Alter lag zwischen 34 und 85 Jahren, das Durchschnittsalter betrug 60 Jahre. Sie mussten zwischen Juni und Oktober 2020 einen umfangreichen Fragebogen zu ihrem psychischen Befinden ausfüllen. Unter anderem sollten sie Auskunft darüber geben, wie stark sie sich von ihrem sozialen Umfeld, ihren Kollegen und Vorgesetzten unterstützt fühlten und ob sie jemanden hatten, mit dem sie ihre Probleme besprechen konnten. Gefragt wurde auch, inwieweit Kontaktverbote zu Eltern und Großeltern sie belasteten und wie groß der Stress am Arbeitsplatz oder in der Schule war. Finanzielle Probleme oder die Sorgen darum waren Gegenstand weiterer Fragen.

Bei der Auswertung der Daten setzten Hein und ihr Team auf eine besondere Methode: die sogenannte Netzwerkanalyse. „Analysen, die auf einem Netzwerkansatz basieren, ermöglichen eine grafische Darstellung aller Variablen als einzelner Knotenpunkte“, erläutert Hein. Auf diese Weise sei es möglich, Variablen zu identifizieren, die in besonderem Maße mit anderen Variablen verbunden sind. Das Netzwerk könne somit beispielsweise komplexe Beziehungen zwischen Symptomen verschiedener psychischer Störungen aufzeigen und damit eventuelle Komorbiditäten erklären.

Ergebnisse passen zu traditionellen Geschlechternormen
Wirklich überrascht von den Ergebnissen waren Grit Hein und Martin Weiß nicht. „Die Beobachtung, dass Männer stärker mit der Arbeit und Frauen stärker mit Familie und Freunden in Verbindung gebracht werden, kann auf traditionelle Geschlechternormen und -rollen zurückgeführt werden“, erklärt Hein. Demnach fühlen sich Männer in der Regel stärker von Arbeitsplatzunsicherheit und Arbeitslosigkeit betroffen, was zu einer höheren psychischen Belastung führt. Frauen empfinden hingegen eine höhere Belastung, wenn sie das Gefühl haben, ihre Familie zu vernachlässigen.

Dass es Frauen psychisch besser geht, wenn sie Unterstützung durch Freunde und Familie erfahren, liege ebenfalls auf der Hand: „Dies steht im Einklang mit der traditionellen weiblichen Familienrolle, die eine stärkere Tendenz zu engen sozialen Kontakten und zur Suche nach sozialer Unterstützung beinhaltet, um Stress abzubauen und das Wohlbefinden zu steigern“, sagt Hein.

Auch wenn diese Ergebnisse eindeutig sind, weisen die Verantwortlichen auf eine Reihe von Einschränkungen hin. Die wichtigste darunter: „Da die COVID-19-Pandemie einen sehr spezifischen Kontext darstellte, muss noch geklärt werden, ob unsere Ergebnisse auf allgemeine pandemieunabhängige Situationen übertragbar sind.“ Unbestreitbar sei jedoch ein Befund: „Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, bei therapeutischen Maßnahmen soziale Aspekte zu berücksichtigen, um die psychische Gesundheit von Frauen und Männern zu verbessern.“

Originalpublikation
Weiß, M., Gründahl, M., Deckert, J. et al. Differential network interactions between psychosocial factors, mental health, and health-related quality of life in women and men. Scientific Reports 13, 11642 (2023).

doi.org/10.1038/s41598-023-38525-8

Kontakt
Prof. Grit Hein, PhD, Professur für Translationale Soziale Neurowissenschaften, Universität und Universitätsklinikum Würzburg, T: +49 931 201-77411, hein_g@ukw.de

Von Gunnar Bartsch

Auch wenn es auf diesem Bild nicht so aussieht: Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf angstauslösende Situationen.
Auch wenn es auf diesem Bild nicht so aussieht: Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf angstauslösende Situationen. (Bild: Tomnamon / Colourbox.de)

Vom Schwimmer im Strömungskanal

Die Universitätsmedizin Würzburg und ihr Spin-Off CatalYm zeigen in der Fachzeitschrift Nature Communications erstmals die Wirkung des Zytokins GDF-15 auf die LFA-1/Zelladhäsionsachse bei Tumor-assoziierten T Zellen. Eine erhöhte GDF-15-Expression beeinträchtigt die Immunantwort auf den Tumor und verhindert den Erfolg einer Immuntherapie.

Prof. Dr. Jörg Wischhusen und Dr. Markus Haake im Porträt
Jörg Wischhusen (links), Professor für Experimentelle Tumorimmunologie an der Universität Würzburg, und Markus Haake, Vice President Pharmacology bei CatalYm, forschen schon seit vielen Jahren am Wachstumsdifferenzierungsfaktor GDF-15. Wie GDF-15 die Immuntherapie bei soliden Tumoren beeinflussen kann, haben sie jetzt im Journal Nature Communications publiziert. © Dominik Gierke / CatalYm

Unser Immunsystem schützt uns vor körperfremden Eindringlingen oder krankhaft veränderten Zellen. Die Evolution hat jedoch Toleranzmechanismen entwickelt, die das Immunsystem zum Stillhalten bewegen. Ohne solche Toleranzsignale würde ein Embryo, der ja zur Hälfte väterliche Gene hat, vom mütterlichen Immunsystem abgestoßen werden. Aus eben diesem Grund ist die tumorimmunologische Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jörg Wischhusen in der Frauenklinik am Universitätsklinikum Würzburg angesiedelt. „Wir lernen von der feto-maternalen Toleranz“, erklärt Wischhusen. „Das heißt: Wir suchen nach Toleranzmechanismen, die den Fötus schützen und die sich Tumore zu eigen machen, um sich den gleichen Schutz zu verschaffen wie der Embryo.“

GDF-15 kann als Biomarker Versagen einer Immuntherapie vorhersagen

Schon vor vielen Jahren hat der Biochemiker mit seinem Team den Wachstumsdifferenzierungsfaktor GDF-15 (Growth/Differentiation Factor 15) als wichtige Zielstruktur identifiziert. Das Protein GDF-15 führt dazu, dass Immunzellen gar nicht erst zum Fötus gelangen, sondern einfach im Blutstrom am neuen, väterliche Antigene exprimierenden Gewebe vorbeischwimmen. Ein niedriger GDF-15-Spiegel bedeutet für Schwangere ein erhöhtes Risiko, dass ihr Immunsystem den Fötus abstößt. In der Krebstherapie wiederum geht ein erhöhter GDF-15 Spiegel mit einer schlechteren Prognose einher. In einer Studie im Wissenschaftsjournal Nature Communications konnte die Würzburger Arbeitsgruppe gemeinsam mit CatalYm, einer inzwischen in München beheimateten Ausgründung der Julius-Maximilians-Universität, zeigen, dass GDF-15 ein zentraler Faktor der Resistenz gegen Immuntherapien bei verschiedenen soliden Tumoren ist. Die Studie schlägt dabei den Bogen von molekularen Mechanismen über zelluläre Modelle und Mausmodelle bis hin zu Beobachtungen am Menschen. Untersucht wurden Melanome (Hauttumore) und Kopf-Hals-Tumore sowie im Tiermodell Kolon- und Pankreaskarzinome (Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs).

Hoher GDF-15 Spiegel bedeutet schlechte Prognose bei aktuellen Immuntherapien

Wie stark GDF-15 den Erfolg einer Immuntherapie beeinflusst zeigen Blutproben, die Melanom-Patientinnen und Patienten abgenommen wurden, bevor sie eine Immuntherapie mit anti-PD-1-Antikörpern erhielten. PD-1 steht für Programmed Cell Death 1 und ist der Rezeptor für den von vielen Tumoren exprimierten Liganden PD-L1, der T Zellen regelrecht entwaffnet. PD-1-Antikörper, die aus der heutigen Krebstherapie nicht mehr wegzudenken sind, unterbrechen dieses inhibitorische Signal, sodass die T Zellen wieder ihrer eigentlichen Arbeit nachkommen und den Tumor bekämpfen können. Immuntherapien mit diesen so genannten Checkpoint-Inhibitoren bieten vielen Krebspatientinnen und -patienten realistische Heilungschancen. Die Ansprechraten liegen aber bei den meisten Tumorarten im unteren zweistelligen Prozentbereich.

„Diejenigen Melanompatientinnen und -patienten, die eine niedrige GDF-15-Konzentration im Serum aufwiesen, hatten sehr gute Überlebenschancen, wohingegen diejenigen mit einem hohen GDF-15-Wert nicht auf die Immuntherapie angesprochen haben“, schildert Jörg Wischhusen anhand einer Kaplan-Meier-Kurve. „Dass Überlebenskurven basierend auf einem einzigen Marker so weit auseinandergehen ist einer der stärksten Effekte, die bislang beschrieben wurden.“

GDF-15 blockiert die Rekrutierung von LFA-1-abhängigen T-Zellen

Doch warum ist das so? Wie kann GDF-15 die Immunzellen so wirksam hemmen? Hier kommt das Integrin LFA-1 (leukozytenfunktionsassoziiertes Antigen 1) ins Spiel. Seine Bindung an das Adhäsions-Molekül ICAM-1 sorgt für eine entscheidende Zell-Zell-Interaktion, damit aktivierte Immunzellen an ihren Bestimmungsort gelangen. Wischhusen vergleicht die Immunzelle mit einem Schwimmer im Strömungskanal. Nachdem sie im Lymphknoten aktiviert wurde macht sie sich in der Blutbahn auf den Weg zum Tumor, schafft es aber nicht, sich mit ihren Armen, den Integrinen, an den Griffen im Strömungskanal festzuhalten, sich herauszuziehen und zum Tumor ins Gewebe zu gelangen, um diesen zu bekämpfen. Denn GDF15 verhindert die Aktivierung der Zelladhäsionsachse LFA-1/ICAM-1, es schwächt gewissermaßen die Schultermuskulatur des Greifarms der Immunzelle.

Neutralisierung von GDF-15 verbessert Immunantwort

„Tatsächlich ist dies die erste Studie weltweit, die eine Verbindung zwischen GDF-15 und der LFA-1/ICAM-1 Zelladhäsionsachse auf T-Zellen zeigt“, berichtet Dr. Markus Haake, Vice President Pharmcology der CatalYm GmbH und Erstautor der Studie. Somit sei GDF-15 ein interessanter Biomarker, aber auch eine Option in der Therapie, betont Haake, der als ehemaliger Mitarbeiter der AG Wischhusen CatalYm mitbegründet hat. Wenn GDF-15 die Rekrutierung von LFA-1-abhängigen T-Zellen blockiert, so könnte wiederum eine Blockade von GDF-15 die Infiltration der Immunzellen in den Tumor und schlussendlich den Erfolg der Immuntherapie verbessern.

Mit Visugromab verfügt das Biotech-Start-up CatalYm über einen Antikörper, der GDF-15 neutralisiert und mit einer Anti-PD-1-Therapie kombiniert wird. Die aussagekräftigen Daten aus der Phase-1-Studie belegen das erhebliche klinische Potenzial von Visugromab, das inzwischen in einer multizentrischen und internationalen Phase-2-Studie (GDFATHER = GDF-15 Antibody-mediaTed Human Effector Cell Relocation Phase 2) mit Würzburger Beteiligung untersucht wird.

Gelungene Translation und Hoffnung für verschiedene Tumorarten und Therapien

Jörg Wischhusen blickt stolz auf die gelungene Translation, die er mit seiner Arbeitsgruppe geschafft hat: „Wir haben den Mechanismus von der Idee über die ersten Daten, Entwicklung eines Antikörpers, Gewinnung von Investoren, dem Liefern weiterer Evidenz aus Modellen und aus klinischen Korrelationen soweit gebracht, dass dieser GDF-15-neutralisierende Antikörper jetzt klinisch eingesetzt wird.“

„Natürlich müssen wir noch vorsichtig sein, aber es gibt gute Anzeichen, dass die Immunzellen im Tumor landen und wir mit der Kombination aus GDF-15-neutralisierenden Antikörpern und Immuntherapie Menschen mit verschiedenen Tumorarten helfen können, für die es keine therapeutische Option mehr gibt und denen sonst wirklich nicht mehr geholfen werden kann“, blickt Markus Haake hoffnungsvoll in die Zukunft. 

Studie: Haake, M., Haack, B., Schäfer, T. et al. Tumor-derived GDF-15 blocks LFA-1 dependent T cell recruitment and suppresses responses to anti-PD-1 treatment. Nat Commun 14, 4253 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-39817-3

Prof. Dr. Jörg Wischhusen und Dr. Markus Haake im Porträt
Jörg Wischhusen (links), Professor für Experimentelle Tumorimmunologie an der Universität Würzburg, und Markus Haake, Vice President Pharmacology bei CatalYm, forschen schon seit vielen Jahren am Wachstumsdifferenzierungsfaktor GDF-15. Wie GDF-15 die Immuntherapie bei soliden Tumoren beeinflussen kann, haben sie jetzt im Journal Nature Communications publiziert. © Dominik Gierke / CatalYm

Uniklinikum Würzburg sucht Teilnehmende für ADHS-Studie

Eine Studie am Zentrum für Psychische Gesundheit des Uniklinikums Würzburg untersucht die Zusammenhänge zwischen dem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) und der Herz-Kreislaufregulation. Dafür werden Probandinnen und Probanden mit und ohne ADHS gesucht.

Würzburg. Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) leiden oft nicht nur unter weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen, sondern auch unter körperlichen Krankheiten, wie zum Beispiel Bluthochdruck. „Ob und wie Psyche und Herz-Kreislauffunktion bei ADHS zusammenhängen ist aber noch kaum verstanden“, berichtet Dr. Georg Ziegler, Oberarzt am Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) des Uniklinikums Würzburg. Hier soll nach seinen Worten die jetzt am ZEP durchgeführte Studie „Kardiovaskuläre Regulation bei ADHS“ (KoR-ADHS) für mehr Klarheit sorgen. Dafür werden noch Probandinnen und Probanden mit und ohne ADHS zwischen 18 und 65 Jahren gesucht, die herzgesund sind und keine Blutdruckmedikamente einnehmen.

Mit ihnen führen die Würzburger Forscherinnen und Forscher verschiedene psychologische Tests durch, wobei parallel ein EKG abgeleitet wird, um die Herzaktion in Ruhe und während geistiger Anstrengung zu untersuchen. Darüber hinaus werden Blutdruck und EKG über 24 Stunden gemessen sowie Blut- und Speichelproben abgenommen. 

Die Teilnehmenden erhalten die Ergebnisse der Langzeit-Blutdruckmessung und eine Aufwandsentschädigung von 30 Euro. Interessierte kontaktieren das Studienteam unter E-Mail: kor_adhs@ ukw.de oder Tel. 0931-201 76999.

Selina ist das 100ste MIAI-Baby

Seit dem Start der Geburtskohorte MIAI im Mai 2022 wurden am Uniklinikum Würzburg bereits 100 Babys in die Studie aufgenommen. Anhand ihrer Daten und Bioproben untersucht der Lehrstuhl für Translationale Pädiatrie an der Kinderklinik gemeinsam mit der Frauenklinik bei Kindern im ersten Lebensjahr die Entwicklung des Immunsystems gegen Viruserkrankungen der Atemwege.

Selina ist in einem Handtuch eingewickelt und wird gehalten vom MIAI-Studienarzt.
Selina ist das hundertste Baby in der Geburtskohorte MIAI des Lehrstuhls für Translationale Pädiatrie am Uniklinikum Würzburg. © Markus Hammer / UKW
Hautabstrich bei Selina, dem 100sten MIAI-Baby
Im Rahmen der MIAI-Studie werden in regelmäßigen Abständen verschiedene Bioproben wie etwa Hautabstriche und Stuhlproben abgenommen. © Markus Hammer / UKW
In der MIAI-Studienambulanz werden die Babys untersucht.
Das MIAI-Studienteam analysiert anhand der gesammelten Daten aus Fragebögen und Untersuchungen sowie den Bioproben, wie Babys lernen, sich gegen die Viren zu verteidigen, die Atemwegserkrankungen auslösen. © Kirstin Linkamp / UKW

Würzburg. Selina Brandl gähnt herzhaft als Dr. Jonas Fischer das Stethoskop auf ihre zarte Brust setzt. Und das vier Wochen alte Mädchen schläft seelenruhig weiter, während der Kinderarzt es gemeinsam mit Studienschwester Monika ausgiebig untersucht. Auch der prominente Status kann den Säugling nicht aus der Ruhe bringen. Selina ist das hundertste Baby in der MIAI-Studie und leistet mit allen weiteren MIAI-Kindern einen wichtigen Beitrag für die Wissenschaft. 

Mit ihren gesammelten Daten aus Fragebögen und Untersuchungen sowie den Bioproben erhofft sich das MIAI-Studienteam am Uniklinikum Würzburg ein besseres Verständnis, wie Babys lernen, sich gegen die Viren zu verteidigen, die Atemwegserkrankungen auslösen. Ziel der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie MIAI (englisch für Maturation of Immunity Against Influenza) ist es, wissenschaftlich belegte Empfehlungen zu geben und Maßnahmen zu entwickeln, mit denen Eltern die Entwicklung des Immunsystems frühzeitig fördern können.

Welche Faktoren tragen zur Entwicklung des Immunsystems bei?

Auch Selinas Immunsystem ist noch nicht ausgereift. Das ist ganz normal und hat bei Neugeborenen seinen Sinn. Es wird erst in den nächsten Wochen und Monaten durch verschiedene Einflüsse wie die Darmflora, Ernährung, Infektionen, Impfungen, soziale Kontakte und Lebensbedingungen geformt. Welche Faktoren die Reifung des kindlichen Immunsystems gegen Viruserkrankungen der Atemwege beeinträchtigen oder fördern, das erforscht Prof. Dr. Dorothee Viemann, Leiterin der Translationalen Pädiatrie, mit ihrem Team anhand des Datenschatzes, den die MIAI-Babys produzieren. Dazu werden die Kinder direkt nach der Entbindung in der Frauenklinik sowie nach einem, sechs und zwölf Monaten in der MIAI-Studienambulanz in der benachbarten Kinderklinik untersucht. 

Wie läuft eine typische Untersuchung ab? „Wir fragen zunächst nach dem Gesundheitszustand der Kinder, ob zwischendurch Impfungen erfolgt sind oder ein Urlaub im Ausland verbracht wurde. Wir sammeln verschiedene Bioproben der Kinder, nehmen zum Beispiel Hautabstriche und Stuhlproben. Außerdem werden die Babys gemessen, gewogen und von unserem Studienarzt gründlich untersucht“, berichtet die Studienkoordinatorin Carina Maier. Die Untersuchungen finden natürlich erst dann statt, wenn die Eltern in die Studienteilnahme eingewilligt haben.

Erkenntnisse für die Gesellschaft und ein Extra-Blick aufs Kind

Und das tun sie gern. Das Interesse ist groß. So sind die Eltern der MIAI-Zwillinge Anton und Bruno der Meinung: „Nur Forschung bringt uns voran!“ Eine andere Familie hat das Ziel überzeugt, „unabhängig von Pharmainteressen, Erkenntnisse zu gewinnen, was unseren Kindern Vorteile beim Start ins Leben gibt.“ Eine Mutter macht aus Dankbarkeit ein gesundes Baby zur Welt gebracht zu haben, an der Studie mit. Ihre Zimmerkollegin hatte ein Frühchen, das intensivmedizinisch betreut werden musste. Darüber hinaus schätzen viele neben dem gesellschaftlichen Aspekt den persönlichen Vorteil. Denn zusätzlich zu den U-Untersuchungen erfolgt regelmäßig ein professioneller Blick auf die Kleinen, und das Studienteam nehme sich noch einmal Extra-Zeit. Auch Selinas Mama, Sina Brandl, war von Beginn an überzeugt von der Studie und kommt dafür gern zum Uniklinikum. „Es ist ja für die Kinder“, sagt sie.

Weitere Studienteilnehmende sind herzlich willkommen

Wer in Würzburg und Umgebung demnächst Nachwuchs erwartet, am Uniklinikum Würzburg entbinden und an der Studie teilnehmen möchte, ist herzlich eingeladen, sich vorab mit dem MIAI-Studienteam in Verbindung zu setzen: www.ukw.de/miai.

Das Immunsystem: Balance zwischen Toleranz und Abwehr

Weitere Informationen zum Immunsystem als Brücke zwischen Gesundheit und Krankheit stehen in unserer Pressemitteilung, die wir anlässlich des diesjährigen Tag der Immunologie herausgegeben haben. Die Würzburger Universitätsmedizin hat sich als wichtiger Forschungsstandort im Bereich Immunologie hervorgetan und diese Kompetenzen in den letzten Jahren stark ausgebaut. In zahlreichen Instituten und Lehrstühlen arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, das Immunsystem besser zu verstehen, um neue Ansätze zur Therapie und vor allem Prävention von Krankheiten zu entwickeln. Dabei kooperieren sie eng mit Forschungsteams in Deutschland und weltweit.

 

Film: Selinas erste Untersuchung in der MIAI-Studienambulanz haben wir gefilmt und ist hier zu sehen. 

Selina ist in einem Handtuch eingewickelt und wird gehalten vom MIAI-Studienarzt.
Selina ist das hundertste Baby in der Geburtskohorte MIAI des Lehrstuhls für Translationale Pädiatrie am Uniklinikum Würzburg. © Markus Hammer / UKW
Hautabstrich bei Selina, dem 100sten MIAI-Baby
Im Rahmen der MIAI-Studie werden in regelmäßigen Abständen verschiedene Bioproben wie etwa Hautabstriche und Stuhlproben abgenommen. © Markus Hammer / UKW
In der MIAI-Studienambulanz werden die Babys untersucht.
Das MIAI-Studienteam analysiert anhand der gesammelten Daten aus Fragebögen und Untersuchungen sowie den Bioproben, wie Babys lernen, sich gegen die Viren zu verteidigen, die Atemwegserkrankungen auslösen. © Kirstin Linkamp / UKW