Aktuelle Pressemitteilungen

Würzburg. Am 4. März 2023 besuchte Judith Gerlach, die Bayerische Staatsministerin für Digitales, die Würzburger Universitäts-Kinderklinik. Privatdozent Dr. Oliver Andres, Oberarzt der Kinderklinik, und Prof. Dr. Tilmann Schweitzer, Spezialist für Kinderneurochirurgie, begleiteten die Politikerin bei ihrem Rundgang durch die Klinik. In ihren Ausführungen verdeutlichten die Ärzte die überregionale Bedeutung der Einrichtung. So erstreckt sich die an der Kinderklinik tagtäglich geleistete Betreuung von Aschaffenburg bis nach Nürnberg und von Fulda bis nach Heilbronn. Durch die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit unter anderem mit der Geburtshilfe, der Kinderneurochirurgie, der Kinderchirurgie, der Augenheilkunde und der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde verfügt die Kinderklinik über eine Fachkompetenz, die auch bundesweit wahrgenommen wird. Wichtig sind dabei auch Netzwerkstrukturen mit anderen Kliniken, die mit digitaler Unterstützung ausgebaut werden. 

Anschaffung eines neuen Transport-Inkubators geplant

Beim Besuch der Ministerin kam auch die zeitnah geplante Anschaffung eines neuen Transport-Inkubators zur Sprache, mit dem schwerkranke Neugeborene sowohl im Krankenwagen als auch im Helikopter transportiert werden können. Finanziert werden soll der Spezial-Inkubator zu erheblichen Teilen von der Elterninitiative KIWI e.V. Bei der Klinikbesichtigung stellte die 1. Vorsitzende von KIWI e.V., Ina Schmolke, die ehrenamtliche Arbeit des Vereins vor. Diese besteht darin, Spendengelder für die Ziele der Elterninitiative einzuwerben und die Projekte des Vereins durchzuführen. Der Besuch der Staatsministerin ging auf eine Kontaktinitiative von Ina Schmolke zurück.

Besichtigung der Frühgeborenen-Intensivstation

Zum Abschluss konnte Judith Gerlach die Frühgeborenen-Intensivstation besichtigen und im Gespräch mehr über die Arbeit in der Kinderklinik sowie die täglichen Herausforderungen erfahren. Sie erhielt einen Einblick in die Versorgungssituation der Neugeborenen im Brutkasten und traf Eltern, die ihren frühgeborenen Kindern möglichst kontinuierlich zur Seite stehen.

Würzburger Universitäts-HNO-Klinik: Neues Mediennetzwerk ermöglicht OP-Live-Übertragungen auf Spitzenniveau

In 3D und mit 4K: Nach umfangreichen Entwicklungs- und Installationsarbeiten verfügt die HNO-Klinik des Uniklinikums Würzburg jetzt über ein neues Mediennetzwerk, mit dem Operationen zu Schulungszwecken nach höchsten Standards übertragen werden können – innerhalb der Klinik und weltweit. Seine erfolgreiche Feuertaufe erlebte das System beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs.

 

Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden.
Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden. Bild: UKW / Johannes Völker
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik.
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik. Bild: UKW / Stephanie Wolz
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten.
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten. Bild: UKW / S. Hagen
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K.
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K. Bild: UKW / Johannes Völker
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können.
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können. Bild: UKW / Johannes Völker

Würzburg. Die Video-Übertragung vom Operationssaal in den Hörsaal hat an der HNO-Klinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) eine lange Tradition: Mit Unterstützung der Dr.-Herbert-Brause-Stiftung Würzburg können schon seit dem Jahr 2006 Studierende und Kursteilnehmende in dreidimensionalen Live-Bildern am OP-Geschehen teilnehmen und mit dem Operateur kommunizieren. Was zunächst nur vor Ort möglich war, wurde zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 durch ein aufwändiges Live-Broadcast- und -Streaming-System zu einem Online-Angebot erweitert. 

Konzept für neues Audio-Video-Netzwerk erarbeitet

„Parallel zu dieser letzten Entwicklung fassten wir den Plan, das gesamte System technologisch auf den heute bestmöglichen Stand zu heben, der zudem Raum für zukünftige Weiterentwicklungen gibt“, schildert Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen. Deshalb gründete er im Jahr 2020 ein Team zur Modernisierung der Anlage. Die Projektleitung übernahmen der stellvertretende Klinikdirektor Prof. Dr. Kristen Rak und der Oberarzt Dr. Johannes Völker. Das in der Folge erarbeitete Konzept für ein neues Audio-Video-Netzwerk wurde von der Dr.-Herbert-Brause-Stiftung erneut gefördert, diesmal mit 130.000 Euro. 

„Unsere Ziele dabei waren vielfältig“, beschreibt Dr. Völker und fährt fort: „Während bisher nur Bilder von einzelnen wenigen OP-Mikroskopen übertragen werden konnten, sollte das neue Netzwerk alle fünf regulären sowie den experimentellen OP-Saal der HNO-Klinik, deren Felsenbein-Labor und Konferenzräume, das klinikeigene Videolabor und das Direktorat einbinden – und zwar bidirektional.“ Außerdem sollte die Bildauflösung auf 4K erhöht werden. Die damit mögliche detail- und kontrastreiche sowie besonders dynamische Darstellung ist zum Beispiel von modernen Heimkinoanlagen bekannt.

25 km Glasfaserleitungen als Infrastruktur-Voraussetzung

Eine zentrale Voraussetzung für die Neukonzeption war die Installation eines Mehrfaser-Glasfaser-Netzwerks – 25 Kilometer der leistungsfähigen Datenleitungen wurden in den letzten Monaten in der HNO-Klinik an der Josef-Schneider-Straße verlegt und mit bislang 150 Endgeräten an 20 Endpunkten verbunden. Zu diesen zählen zwei spezielle Projektoren, die für eine brillante 4K/3D-Projektion im Hörsaal angebracht und hochpräzise ausgerichtet wurden. „Unser Wunsch war es ferner, in die 3D-Projektion auch zweidimensionale Bilder – wie Audiogramme, Grafiken oder Röntgenbilder – einklinken zu können“, berichtet Prof. Hagen. Allerdings bot der Markt hierfür keine fertigen Lösungen, so dass die HNO-Klinik in der Konzeptionierungsphase eigene Experimente durchführen musste. „Glücklicherweise standen uns bei der technologischen Entwicklung und Umsetzung neben unseren hauseigenen Technikern die Expertinnen und Experten des Servicezentrums Medizin-Informatik des UKW sowie der Rottendorfer Firma Soulution zur Seite“, betont der Klinikdirektor. 

Erfolgreicher Praxistest beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs

Die Modernisierung des Mediensystems war rechtzeitig abgeschlossen, um beim 35. Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs vom 13. bis 15. Februar 2023 seine erfolgreiche Feuertaufe zu durchlaufen. So hatten im Hörsaal die mit Polarisationsbrillen ausgestatteten, rund 56 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 12 Ländern zum Beispiel pixelgenau die gleiche dreidimensionale Sicht auf das Operationsfeld, wie es sich dem Operateur mit dem digitalen Operationsmikroskop Arriscope bietet. Und das in riesenhafter Vergrößerung: Mittelohrstrukturen, die in der Realität nur wenige Millimeter groß sind, füllten im Hörsaal eine Projektionsfläche mit einer Diagonalen von sieben Metern. „Das Auditorium wie auch unsere externen Referenten waren schlichtweg begeistert“, freut sich Prof. Hagen. Neben den Zuschauerinnen und Zuschauern vor Ort nutzen 42 Personen aus elf Nationen die Möglichkeit zur Online-Teilnahme über das interaktive Broadcast-System. „Im Moment sehen diese die Bildinhalte auf ihren heimischen Computerbildschirmen noch in 2D, aber es zeichnet sich ab, dass zukünftig auch dort eine dreidimensionale Wiedergabe technisch möglich sein wird“, kündigt Prof. Hagen an. Er resümiert: „Mit dem Mediennetzwerk haben wir die Voraussetzungen für hochwertige Fachfortbildungen ohne Reiseaufwendungen sowie eine moderne Online-Lehre geschaffen, die auch kommende Technologien flexibel integrieren kann.“

Operationstraining jetzt auch online möglich

Zu den seit über drei Jahrzehnten von der HNO-Klinik des UKW veranstalteten Mikrochirurgischen Mittelohr-Kursen gehören neben Live-OPs und Vorträgen traditionsgemäß auch Trainingssitzungen im Felsenbein-Labor. Das Felsenbein ist der Teil des Schädels, der das Mittel- und Innenohr enthält. Im Labor der HNO-Klinik konnten auch in diesem Jahr wieder 24 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer an Präparaten dieses Knochenabschnitts diverse mikrochirurgische Techniken mit Originalgeräten selbst erproben. Als Innovation wurde dieses Angebot heuer erstmals auch als Fernkurs angeboten. Dazu sandte die Klinik zehn interessierten Ärztinnen und Ärzten aus aller Welt vorab ein Set von Übungsmaterialien zu. Dazu gehörten ein in allen Details naturgetreu nachgebildetes Felsenbein aus Kunststoff, die für die Operationen notwendigen Spezialinstrumente sowie eine Endoskop-Kamera. Jedem Teilnehmenden stand ein Teammitglied der HNO-Klinik als Betreuer online zur Seite. Diese konnten über eine Internetverbindung die Aufnahmen der Endoskop-Kamera beim jeweiligen „Schüler“ in Echtzeit sehen und dessen Vorgehen anleiten. „Der Piloteinsatz des wegweisenden Fortbildungsformats hat hervorragend funktioniert. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Lösung die internationale Nachfrage nach unserem Kursangebot in Zukunft noch deutlich erhöhen wird“, kommentiert Prof. Hagen. 

Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden.
Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden. Bild: UKW / Johannes Völker
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik.
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik. Bild: UKW / Stephanie Wolz
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten.
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten. Bild: UKW / S. Hagen
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K.
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K. Bild: UKW / Johannes Völker
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können.
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können. Bild: UKW / Johannes Völker

Auslöser für eine Typisierungsaktion für Stammzellenspenderinnen und –spender im Landratsamt Würzburg war die lebensgefährliche Knochenmarkserkrankung der siebenjährigen Mara. Ihr Onkel, Markus Feser, ist Mitarbeiter des Landratsamtes und fiebert mit Maras Familie mit, ob ein passender Stammzellenspender gefunden werden kann, um das Leben von Mara zu retten.

Auf Fesers Initiative hin organisierte das Landratsamt Würzburg eine Typisierungsaktion, um möglichst viele neue Spenderinnen und Spender in die Stammzellenspenderdatei des „Netzwerks Hoffnung“ der Universitätsklinik aufnehmen zu können. Insgesamt nahmen 39 Personen die Möglichkeit wahr, mit ihrer Speichelprobe beizutragen, dass eventuell Mara – oder den zahlreichen Patienten, die weltweit auf eine passende Stammzellenspende warten – geholfen werden kann. 

Hoffnung spenden und Leben retten

Dr. med. Sabine Kuhn stand fünf Stunden lang mit dem Team des „Netzwerks Hoffnung“ der Uniklinik Würzburg im Landratsamt bereit, um Speichelproben von Spendenwilligen zu nehmen und zu dokumentieren. Als Unterstützung hatte sie Lilli Adelmann und Klaudia Paluchowska mitgebracht, die sich seit Jahren unter dem Motto „Hoffnung spenden und Leben retten. Für Franken. Für Bayern. Für die ganze Welt.“ einsetzen. 

Landrat Thomas Eberth bedauerte, dass er das erste Mal in seinem Leben für etwas Gutes zu alt sei – denn neu aufgenommene Spendende dürfen nicht älter als 45 Jahre sein. Eberth ist jedoch ohnehin schon seit vielen Jahren in der Spenderdatei registriert und begrüßte das Engagement der Kolleginnen und Kollegen, um nach der Zwangspause durch die Corona-Pandemie wieder auf diese Möglichkeit, Leben zu retten, aufmerksam zu machen. Auch das Gesundheitsamt Würzburg unterstützte mit den Mitarbeiterinnen Iris Bodach und Jeannine Müller-Heppes die Typisierungsaktion.

Dr. Kuhn erklärte: „Viele Patienten mit Leukämie oder ähnlichen Erkrankungen sind wie Mara für ihre Heilung auf eine Stammzelltransplantation angewiesen. Für eine solche Transplantation müssen die Gewebemerkmale zwischen Patient und Spender nahezu vollständig übereinstimmen. Da es jedoch sehr viele unterschiedliche Merkmalskombinationen gibt, ist es oft unglaublich schwierig, einen geeigneten Spender zu finden. Deshalb ist eine Aktion wie heute im Landratsamt unglaublich wertvoll, um möglichst viele Spender in der weltweiten Datenbank zu haben.“

Stammzellenspende fast so einfach wie eine Blutspende

Landrat Eberth informierte sich über den Ablauf, wenn ein Match gefunden wurde, also die Stammzellen von Patient und einem Spender passen. „Es muss schon seit längerem keine Knochenmarksentnahme mehr beim Spender vorgenommen werden“, erklärte Dr. Kuhn. Der Eingriff erfolge ähnlich wie bei einer Blutspende und sei für den Spender nahezu schmerzfrei und in rund fünf Stunden erledigt. Durch Vermehrung der Stammzellen mit einem Medikament können diese fast so einfach wie eine Blutspende gewonnen werden.  „Wir hoffen, dass wir mit der Aktion im Landratsamt dazu beitragen konnten, einem Patienten neue Hoffnung zu schenken“, betonte Landrat Eberth. „Und wir wünschen der kleinen Mara und allen, die auf eine Stammzellenspende warten, alles Gute und hoffentlich rechtzeitig eine passende Spende.“ 

Registrierung auch individuell möglich

Wer sich mit einer Speichelprobe registrieren lassen will, dem sendet das Netzwerk Hoffnung auch ein Typisierungsset nach Hause. Dieses kann kostenlos unter Telefon 0931 201-31325 oder per Mail netzwerk-hoffnung@ ukw.de angefordert werden. 

Die Kosten der Ersttypisierung betragen 40 Euro und werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Diese werden ausschließlich aus privaten Spenden finanziert. Das Netzwerk Hoffnung ist für jede Unterstützung dankbar. Spendenkonto: Netzwerk Hoffnung, HypoVereinsbank Würzburg, IBAN: DE12 7902 0076 0304 5555 05, BIC: HYVEDEMM455

Weitere Informationen gibt es unter www.ukw.de/netzwerke/netzwerk-hoffnung 

 

Pressemitteilung vom Landratsamt Würzburg vom 15. März 2023

 

Hausärztliche Praxisteams und Bürger als Co-Forscher

Das Bayerische Forschungsnetz in der Allgemeinmedizin (BayFoNet) zieht beim Beiratstreffen in Würzburg Zwischenbilanz und wagt den Blick nach vorn

Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.
Das BayFoNet Team mit den Beiratsmitgliedern zu Gast in den Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW

Die Forschung in der Allgemeinmedizin durch Kooperationen von hausärztlichen Praxen und der universitären Allgemeinmedizin in Bayern zu fördern, das ist das große Ziel des Bayerischen Forschungsnetzes in der Allgemeinmedizin, kurz BayFoNet. „Das heißt, wir wollen Forschungsfragen aus der ambulanten Versorgung zusammen mit den Praxen untersuchen, die Forschungserkenntnisse zeitnah und zielgruppenspezifisch in die Regelversorgung transferieren, den hausärztlichen Nachwuchs in die Forschung integrieren und dazu befähigen, eigene Forschungsideen zu entwickeln und umzusetzen und schließlich die Bürgerinnen und Bürger am Forschungsprozess beteiligen“, erklärt die Projektleiterin und Sprecherin Prof. Dr. Ildikó Gágyor vom Institut für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg.

BayFoNet wird seit dem Jahr 2020 für insgesamt fünf Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Neben den Universitätskliniken Erlangen und Würzburg, dem Klinikum der Universität München und dem Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München gehört seit November 2022 auch das Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Augsburg zum BayFoNet. Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.

Mehr als 100 Mitgliedspraxen zertifiziert

Inzwischen haben mehr als 200 hausärztliche Praxen ihr Interesse an einer Teilnahme am BayFoNet angemeldet. 118 Praxen von ihnen haben bereits alle Akkreditierungskriterien erfüllt und ein BayFoNet-Mitglieds-Zertifikat erhalten. In zwölf regionalen Ideenwerkstätten brachten knapp 40 Hausärztinnen und Hausärzte ihre Expertise bei der Entwicklung und Durchführung von Studien ein. Eine erste, von Hausarztpraxen selbst initiierte und entwickelte Studie steht kurz vor dem Start. Aktuell werden zwei Pilotstudien zur Mikroskopie beim unkomplizierten Harnwegsinfekt sowie zur Implementierung eines Online-Schulungsprogramms für Menschen mit Asthma durchgeführt, die zur Prüfung der Funktionalität des Netzwerkes dienen sollen. Daneben werden an den fünf Standorten 14 weitere Studien durchgeführt, welche auf die Infrastruktur zurückgreifen. Daraus sind jeweils 16 wissenschaftliche Publikationen und Tagungsbeiträge entstanden

Bürgerinnen und Bürger werden am Forschungsprozess beteiligt

Ein besonderes Augenmerkt wird im BayFoNet auf die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und hausärztlichen Praxisteams gelegt. Knapp 50 Personen aus der Bevölkerung konnten bisher gewonnen werden, sich in einer der 18 stattgefundenen Bürgerforen und Bürgerbeiräten einzubringen. Wer an der Forschung Interesse hat und mithelfen möchte, wissenschaftliche Untersuchungen so zu gestalten, dass diese auch nachvollziehbar sind, ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Informationen liefert die Webseite bayfonet.de 

„Patienten finden es toll, wenn sich die Praxis für die Wissenschaft interessiert“

Des Weiteren möchten sich die Netzwerkpartner in den nächsten zwei Jahren dem Thema der Datenverarbeitung widmen. Wie innerhalb des Netzwerkes gilt auch hier, dass ohne Vertrauen kein Austausch erfolgen kann. Dabei gilt es zu klären, welche Daten auf bayerischer, aber auch nationaler Ebene zu welchen Zwecken standardisiert erhoben und geteilt werden sollen und wie eine technische Umsetzung konkret aussehen kann.

Erste Ergebnisse der Prozessevaluation weisen darauf hin, dass die hausärztlichen Praxisteams durch ihre Mitgliedschaft im BayFoNet, ihre aktive Mitwirkung und Vernetzung eine Stärkung der Allgemeinmedizin erleben. Zudem sehen sie es als berufliche Entwicklung sowie Fortbildungsmöglichkeit für das Praxispersonal an. „Die Patienten finden es toll, wenn sie merken, dass sich die Praxis für die Wissenschaft interessiert. Das wertet meine Praxis auf", so eine Rückmeldung eines Hausarztes.

„Wir sind auf einem sehr guten Weg“, freut sich Ildikó Gágyor und dankt allen Beteiligten für ihren Einsatz, generell im BayFoNet und konkret beim zweitätigen Beiratstreffen. Wichtige Impulse und Rückmeldungen beim Treffen in der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg kamen von den Beiratsmitgliedern Prof. Frank Sullivan von der University St. Andrews, Prof. Alena Buyx von der TU München sowie Prof. Klaus Berger von der Universität Münster. Die Prodekanin der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg, Prof. Katrin Heinze, sowie Prof. Dr. Thomas Ewert vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) stimmten die Anwesenden mit Grußworten auf die Veranstaltung ein.

Kontakt

Für interessierte Hausarztpraxen, die Teil des BayFoNet werden möchten, steht Christian Kretzschmann als Ansprechpartner zur Verfügung unter E-Mail: Kretzschma_C@ukw.de oder Tel: 0931 201 47808. Weitere Informationen finden Sie unter www.bayfonet.de 

Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.
Das BayFoNet Team mit den Beiratsmitgliedern zu Gast in den Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW

Demenz vom Stigma befreien

Am Uniklinikum Würzburg hat Alexandra Wuttke die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. Sie möchte vor allem die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Demenzforschung in die Praxis bringen, Interventionen zur Stressreduktion für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen entwickeln und im Alltag erproben.

Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.
Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke

Würzburg. Sie ist mit 34 Jahren eine der jüngsten Professorinnen in der Würzburger Universitätsmedizin. Und sie kümmert sich um die Älteren unserer Gesellschaft - um Menschen mit Demenz. „Seit meinem Psychologie-Studium finde ich ältere Menschen spannend und faszinierend“, erläutert Prof. Dr. Alexandra Wuttke ihren Arbeitsschwerpunkt. „Ich erlebe tagtäglich, welche Ressourcen in ihnen schlummern. Ihre Kräfte und Energien wären so wichtig für einen intergenerationalen Austausch. Schade, dass die Gesellschaft oft eine negative Sicht auf die älteren Menschen hat.“

„Was wir aus der Forschung wissen, müssen wir in den Alltag bringen!“

Ebenso bedauerlich findet sie, dass die Demenz immer noch stigmatisiert wird. Das Wort Demenz verbinden viele mit der Oma im Pflegeheim, die einen nicht mehr erkannt hat, oder dem Opa, der nicht mehr reden konnte. Alle hätten das letzte Stadium im Kopf und dass man gegen eine Demenz machtlos sei. Aber dass es einen jahrzehntelangen Vorlauf gibt, sich die Demenz schleichend entwickelt und sich viele Weichen stellen lassen, um das Fortschreiten zu verlangsamen und die Selbstständigkeit für einen sehr langen Zeitraum zu erhalten, das sei leider nicht in den Köpfen. Und das möchte Alexandra Wuttke ändern: Das Wissen aus der Forschung in die Bevölkerung bringen! Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der frühen Begleitung und Intervention, die sich sowohl an die Menschen mit Demenz als auch ihre Angehörige richtet, damit beide gesund bleiben können. Denn die Diagnose Demenz sei ein Stressor für alle Beteiligten, und in den unterschiedlichen Stadien der Demenz müsse es spezifische Angebote für Menschen mit Demenz und ihr Angehörigen geben, um Stress zu reduzieren und Resilienz zu stärken.

Stiftungsprofessur von Würzburger Universitätsmedizin, Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist

Seit Februar hat die Mutter eines Sohnes eine an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Zentrum für psychische Gesundheit (ZEP) angesiedelte W1-Professur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen - zunächst in Teilzeit, da sie derzeit noch das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz leitet. Die neue Stiftungsprofessur in Würzburg wurde vom Uniklinikum Würzburg, der Julius-Maximilians-Universität, der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und der Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist im vergangenen Jahr eingerichtet, um an der Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Anwendung das gesellschaftlich so wichtige Thema der Demenz voranzubringen. Alexandra Wuttke ist von den ersten Arbeitstagen in Würzburg begeistert: „Ich wurde so herzlich begrüßt. Die Infrastruktur zur Demenzforschung ist in Würzburg hervorragend, und es gibt bereits tolle Initiativen und Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen.“

Würzburg bietet immensen Wissensschatz durch Studien und hervorragende Infrastruktur

Die Stiftung Bürgerspital zum hl. Geist bietet seit ihrer Gründung in ihren Senioreneinrichtungen alten Menschen mit all ihren Erkrankungen eine bestmögliche Versorgung unter Wahrung von Autonomie und Würde. Und in ihrem Geriatriezentrum und der dort angesiedelten GesundheitsAkademie50Plus wird schon seit fast 20 Jahren die Therapie und Prävention typischer Alterserkrankungen intensiv verfolgt. Wuttke sieht hier zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten.

Einen immensen Datenschatz für die Frühdiagnose und Prävention bieten zudem die Forschungsergebnisse aus der von der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp finanzierten Kohorten-Studie, in der mehr als 600 Würzburgerinnen und Würzburger ab 75 Jahren innerhalb von zwölf Jahren mehrfach am Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) des UKW untersucht wurden. Nach der Querschnittsauswertung zu den Risikofaktoren für eine Demenzentwicklung steht jetzt die Längsschnittauswertung aus: Was kann eine Demenzentwicklung vorhersagen?

Auch das Uniklinikum nimmt die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, an und hat die Themen Alterung und Multimorbidität als eines von vier Strategiefeldern definiert. Die Professur von Alexandra Wuttke ist Teil dieser Strategie. „Demenzsensibler Umgang mit Patientinnen und Patienten erfordert vor allem Empathie“, lehrt sie ihre Studierenden. „Es geht darum, die Bedürfnisse zu verstehen. Menschen mit Demenz sind zum Beispiel nicht aggressiv, weil sie böse sind, sondern weil ein Bedürfnis nicht erfüllt ist. Vielleicht hat eine geschlossene Tür Erinnerungen an Kriegszeiten hervorgerufen und man kann Ängste nehmen, indem man die Tür offenlässt. Natürlich sind Gespräche zeitintensiver als die Gabe einer Pille, aber ein gutes Gespräch spart oft weitere Krisen und Wiederaufnahmen.“

„Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken“

Die interdisziplinäre Verortung ihrer Professur ist der Mannheimerin ganz wichtig. „Wir dürfen nicht in der eigenen Disziplin stecken bleiben. Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken. Wir müssen die Pflege, die Medizin und die Psychologie zusammenbringen. Demenz und Depression sind die beiden größten Herausforderungen, wenn es um die psychische Gesundheit im Alter geht. Beides beeinflusst sich gegenseitig.“ Ihre geplante Studie, in der sie zusammen mit einem Konsortium aus Versorgung, Wissenschaft und Politik den Übergang von stationärer zur ambulanten Behandlung untersuchen möchte, setzt genau auf diese interdisziplinäre Denkweise.

Wer schlecht hört aber kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Demenzrisiko

Doch woran erkenne ich eine Demenz? Und wie kann ich vorbeugen oder ein Fortschreiten verlangsamen. „Wir wissen heute, dass 40 Prozent des Risikos, an einer Demenz zu erkranken, auf einen veränderbaren Lebensstil zurückgeht“, erklärt Alexandra Wuttke. Eine Rolle spielen zum Beispiel die Bewegung, soziale Kontakte und psychische Gesundheit. „Aber kaum jemand kennt den Faktor, der den größten Einfluss hat: die Hörfähigkeit im mittleren Erwachsenenalter. Wer schlecht hört und kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Risiko, eine Demenz zu entwickeln.“ Das Tragen eines Hörgerätes könne dieses Risiko ausgleichen. Ein Grund mehr, das Thema Schwerhörigkeit nicht mehr zu tabuisieren. Man sollte sich trauen, Hörgeräte zu tragen, ebenso wie man sich trauen sollte, über Demenz offen zu sprechen.

Nicht korrigieren sondern auf Augenhöhe kommunizieren – das reduziert Stress

Wenn jemand den Verdacht hat, eine Demenz zu haben oder die Angehörigen kognitive Störungen bemerken, ist es ratsam, dieses umgehend in einer Gedächtnisambulanz abklären lassen. Je früher man die Demenz erkennt und behandelt, desto besser kann man die Weichen für die weitere Versorgung stellen. Neben Medikamenten, die den Verlauf einer Alzheimer-Demenz verlangsamen können, gibt es vor allem eine große Bandbreite an evidenz-basierten und wirksamen psychosozialen und psychotherapeutischen Maßnahmen, Interventionen und Ansätze, die die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen helfen, die demenzbedingten Veränderungen des Alltags zu bewältigen und Stress zu reduzieren. Wichtig sei es, die Angehörigen mit einzubeziehen, betont Alexandra Wuttke, die sich sehr für die dyadischen Aspekte der Stressregulation interessiert, was verändert sich in den Zweierbeziehungen bei einer Demenz. „Ich empfehle allen, auf Augenhöhe zu bleiben und die Menschen mit Demenz nicht wie ein Kind zu behandeln.“ Die Situation zuhause entspanne sich oft schon durch eine Änderung der Kommunikation. Wer als Mensch mit Demenz ständig korrigiert und verbessert wird, nach dem Motto „das habe ich doch schon dreimal erklärt“, „du hast schon wieder das Falsche geholt“, fühlt sich ertappt und gestresst und zieht sich zurück. „Wir dürfen den älteren Menschen durchaus mehr zutrauen. Eine gut eingestellte Smartwatch oder Aufkleber auf Schränken und Schubladen könnten zum Beispiel bei der Orientierung im Alltag helfen. Menschen mit einer demenziellen Entwicklung und ihre Angehörigen können lernen, trotz der Demenz möglichst lange gut zusammen zu leben. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.“

Zur Person:

Alexandra Wuttke hat an der Philipps-Universität in Marburg sowie an der University of Western Australia in Perth und an der Central Queensland University im australischen Rockhampton Psychologie studiert, ihre Promotion zum Thema Psychobiological mechanisms underlying the stress-reducing effects of music listening in daily life hat sie in Marburg mit summa cum laude abgeschlossen und anschließend eine Postgraduierte Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Fachkunde Verhaltenstherapie) absolviert. In der Universitätsmedizin in Mainz hat sie zunächst in der AG „Gesundes Altern und Neurodegeneration, Demenz“ als Post Doc gearbeitet und später die Leitung des Zentrums für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz übernommen. Das ZpGA ist ein interdisziplinäres Netzwerk für Präventionsforschung und innovative Versorgungsmodelle des Landeskrankenhauses (AöR). Im Jahr 2022 hat sie den Irmela-Florin Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation (DGVM) für ihre Arbeit zu aufsuchenden, dyadischen Interventionen für Menschen mit beginnender Demenz und ihre Angehörigen erhalten. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. 

Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.
Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke

Deutsche Hochschulmedizin unterstützt Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums

Die Deutsche Hochschulmedizin befürwortet die heute vom Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach vorgestellte Digitalisierungsstrategie. Sie dient als Grundlage für das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Beide Gesetze sollen laut Bundesgesundheitsministerium in den nächsten Wochen vorgelegt werden. Kern der Strategie ist ein Neustart bei der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Diese soll bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherten im sogenannten Opt-Out-Verfahren eingerichtet werden. Gleichzeitig sollen die Daten aus der ePA künftig zu Forschungszwecken automatisch über das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM für Forschungseinrichtungen und nun auch für die forschende Industrie abrufbar sein.

Dazu sagt Professor Jens Scholz, 1. Vorsitzender des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands e.V.: „Die ePA noch mal neu anzugehen und bis Ende nächsten Jahres für jeden, der sich nicht aktiv dagegen entscheidet, verbindlich einzuführen, bringt neuen Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die ePA wird uns helfen, Patientinnen und Patienten besser zu versorgen. Gleichzeitig werden wir so umfassend wichtige Versorgungsdaten für die Forschung nutzen können. Auch dies wird durch bessere Diagnose- und Therapiemöglichkeiten den Patientinnen und Patienten zu Gute kommen. Dieser Schub für die Gesundheitsversorgung wird sich in einer zukünftig reformierten Krankenhauslandschaft noch verstärken. Grundlage für regionale Versorgungsnetzwerke, die von den Universitätsklinika koordiniert werden, ist eine starke IT-Infrastruktur in den Level IIIU-Häusern. Allerdings ist die neue ePA nur ein erster Schritt. Andere Länder haben uns bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens längst überholt. Hier hat Deutschland eindeutig noch Nachholbedarf.“

Professor Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultätentages unterstützt die Initiative mit Nachdruck: „Die Digitalisierungsstrategie greift zwei wesentliche Aspekte auf, nämlich bürokratische Hemmnisse abzubauen und die Forschung für Patientinnen und Patienten auf eine neue Grundlage zu stellen. So wird mit dem Aufbau einer zentralen Koordinierungsstelle für die Gesundheitsforschung ein vereinfachter Zugang zu klinischen Daten aus verschiedenen Quellen geschaffen. Von ganz herausragender Bedeutung ist, dass datenschutzrechtliche Bürokratie abgebaut wird, ohne dabei die Rechte und berechtigten Interessen der Patientinnen und Patienten zu verletzen. Mit der Begrenzung der Zuständigkeit nur noch eines federführenden Landesdatenschutzbeauftragten bei länderübergreifenden Forschungsvorhaben wird den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein einfacherer datenschutzkonformer Umgang mit Patientendaten ermöglicht und damit die Gesundheitsforschung im Interesse aller Patientinnen und Patienten für eine bestmögliche Gesundheitsversorgung erheblich erleichtert.“

Kontakt:

Stephanie Strehl-Dohmen
T. +49 30 3940 517-25
Mail: strehl-dohmen@ uniklinika.de
www.deutsche-hochschulmedizin.de

Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) und der Medizinische Fakultätentag (MFT) vertreten die Interessen der 36 Universitätsklinika sowie der 39 Medizinischen  Fakultäten in Deutschland. Ihr Dachverband ist die Deutsche Hochschulmedizin e.V. Gemeinsam stehen die Verbände für Spitzenmedizin, erstklassige Forschung sowie die international beachtete Medizinerausbildung und Weiterbildung.

 

Pressemitteilung der Deutschen Hochschulmedizin e.V. vom 09.03.2023

Wie Körper und Gehirn bei Angst zusammenspielen

Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir Angst haben? Das Defense Circuits Lab am Uniklinikum Würzburg hat ein Rahmenkonzept erstellt, um die Ausprägung von Verhalten und körperlichen Anpassungen inklusive ihrer komplexen Dynamik zu charakterisieren und so die Gehirnaktivität bei Angst besser zu verstehen. Übergeordnetes Ziel ist die Erforschung neuer Therapieansätze bei Angsterkrankungen. Die Studie wurde im Nature-Magazin Nature Neuroscience veröffentlicht.

Hier wird in einer Grafik die Herzrate von Mäusen bei Lichtstimulationen gezeigt.
Die Grafik zeigt die durchschnittliche Herzrate von Mäusen, bei denen über einen Zeitraum von zehn Minuten fünfmal für zehn Sekunden Zellaktivität mittels Licht künstlich angeregt wurde. Hierzu wurde eine bestimmte Population von Nervenzellen im Mittelhirn mit lichtsensitiven Proteinen sogenannten Opsinen ausgestattet. Jede Lichtstimulation hat eine deutliche Reduzierung der Herzrate zur Folge, allerdings ist dieser Effekt stärker, je später die Stimulation in der zehnminütigen Aufzeichnung stattfindet. Das erklären sich die Forschenden durch den Einfluss eines übergeordneten Macrostates, die sogenannte „Rigidität“. Interessanterweise sieht die Verhaltensantwort - trotz unterschiedlicher kardialer Antworten - während allen Lichtstimulation genau gleich aus: Die Mäuse zeigen deutliches freezing-Verhalten (hier nicht gezeigt). © Defense Circuits Lab / UKW
Das Bild zeigt Philip Tovote (Mitte) und Mitarbeiter im Labor des Defense Circuits Lab
Ein Team des Defense Circuits Lab von Philip Tovote hat am Uniklinikum Würzburg ein Rahmenkonzept erstellt, um die Ausprägung von Verhalten und körperlichen Anpassungen inklusive ihrer komplexen Dynamik zu charakterisieren und so die Gehirnaktivität bei Angst besser zu verstehen. Übergeordnetes Ziel ist die Erforschung neuer Therapieansätze bei Angsterkrankungen. © Daniel Peter
Nina Schukraft am Mikroskop, im Hintergrund Jérémy Signoret-Genest.
Nina Schukraft konnte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Defense Circuits Lab des UKW bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn identifizieren, die für die Generierung einer typischen Angstreaktion in Mäusen verantwortlich sind. © Daniel Peter
Das Bild zeigt Jérémy Signoret-Genest am Mikroskop.
Der Biologe Jérémy Signoret-Genest ist gemeinsam mit Nina Schukraft Erstautor der Studie „Integrated cardio-behavioural responses to threat define defensive states“, die jetzt im Fachmagazin Nature Neuroscience publiziert wurde. © Daniel Peter

Flight, fight or freeze. Wegrennen, sich wehren oder vor Angst erstarren. Jeder reagiert anders auf eine Bedrohung. Das Verhalten hängt ganz davon ab, welche neuronalen Schaltkreise in unserem Gehirn aktiviert werden, um uns vor möglichen Schäden zu schützen. Das Defense Circuits Lab am Universitätsklinikum Würzburg beschäftigt sich vor allem mit dem Angstzustand. Wie verhalten wir uns, wenn wir Angst empfinden? Wie reagiert unser Körper darauf? Und wie hängen Emotion und physiologische Reaktion zusammen?

Rahmenkonzept für präzise Charakterisierung von Angstzuständen

„Obwohl die Neurowissenschaft schon länger an der Entschlüsselung von Angstzuständen und entsprechenden Behandlungsansätzen arbeitet, ist es noch nicht gelungen, ein einheitliches Bild zu gewinnen, das sowohl Verhaltensänderungen als auch physiologische Reaktionen und deren dynamisches Zusammenspiel während Angstzuständen beschreibt“, berichtet Prof. Dr. Philip Tovote, Leiter des Defense Circuits Lab und Kodirektor des Instituts für Klinische Neurobiologie. Eine Angstreaktion werde immer noch auf eine Verhaltensänderung reduziert wie etwa auf die Schockstarre, bei der die Bewegungen förmlich einfrieren, im Englischen freezing genannt. Die Änderung der Herzrate jedoch wurde nie als eine verlässliche Komponente zur Charakterisierung von Angstzuständen wahrgenommen, da die bisherige Studienlage keine einheitlichen Ergebnisse hervorbrachte.

Um Angst und die damit verbundenen oft übermäßig stark ausgeprägten körperlichen Reaktionen zu behandeln, ist es wichtig, das genaue Zusammenspiel von Körper und Gehirn besser zu verstehen. Angststörungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen und treten oftmals im Zusammenhang mit kardiovaskulären und neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Parkinson oder Herzinsuffizienz auf“, erinnert Philip Tovote.

In der Tat hat auch Tovotes Team im Institut für klinische Neurobiologie bei Mäusen mit identischem Angstverhalten grundsätzlich verschiedene Herzraten beobachtet - mal waren sie erhöht, mal erniedrigt, mal unverändert. Diese zunächst scheinbar widersprüchlichen kardialen Reaktionen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in einem Rahmenkonzept zusammengefasst, welches die Einflüsse übergeordneter Zustände, sogenannter „Macrostates“ beschreibt und damit die unterschiedlichen Herzaktivitäten erklärbar macht. 

Gehirnnetzwerke, die für Angstzustände wichtig sind, besser verstehen

„Mit unserer Analyse ist es uns jetzt möglich, feine Abstufungen von verschiedenen Verhaltensänderungen, die zunächst gleich aussehen, aufgrund ihrer unterschiedlichen begleitenden Herzantworten zu erkennen“, freut sich Jérémy Signoret-Genest. Der Biologe ist gemeinsam mit Nina Schukraft Erstautor der Studie „Integrated cardio-behavioural responses to threat define defensive states“, die jetzt im Fachmagazin Nature Neuroscience publiziert wurde. Letztendlich könne diese präzise Charakterisierung von verschiedenen Ausprägungen von Angstzuständen dazu beitragen, Gehirnnetzwerke, die für die Entstehung von Angstzuständen wichtig sind, besser zu verstehen.

„Wir konnten bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn identifizieren, die für die Generierung einer typischen Angstreaktion in Mäusen verantwortlich sind“, erläutert Nina Schukraft die Entdeckung. Dafür wurden neueste neurowissenschaftliche Methoden genutzt, die es erlauben mittels Licht die Aktivität ausgewählter Nervenzellen zu kontrollieren. Die genetischen Konstrukte für diese so genannten optogenetischen Versuche wurden dem Würzburger Team von einem Begründer der Optogenetik, Karl Deisseroth von der Stanford University (USA) zur Verfügung gestellt, 

Pathologische Angstzustände genauer erkennen und gezielter behandeln

Um das Rahmenkonzept auszuweiten und unterschiedliche Angstzustände voneinander abzugrenzen sollen in Zukunft weitere Parameter wie zum Beispiel Atemfrequenz und Temperatur in die Analyse aufgenommen werden. Die umfangreichen und komplexen Daten sollen mittels „unbiased clustering“-Ansätzen in Cluster mit ähnlichen Eigenschaften zusammengeführt werden. Und schließlich soll das Konzept der durch viele verschiedene Faktoren mit unterschiedlicher zeitlicher Ausprägung bedingten „States“ auch auf krankheitsrelevante Zustände, so genannte „Pathostates“ übertragen werden. Damit würde ein besseres Verständnis der mit Angststörungen verbundenen Erkrankungen und ihrer zeitlichen Dynamik einhergehen, welches neue und verbesserte Therapieansätze zulasse. „Eine durch unser Rahmenwerk integrierte Analyse der verschiedenen, dynamischen Angstreaktionen und deren Abhängigkeit voneinander, könnte dazu beitragen, pathologische Angstzustände genauer und individuell angepasst zu erkennen und letztendlich besser zu behandeln“, resümiert Philip Tovote. Er ist zuversichtlich: „Unsere enge Verzahnung mit der klinischen Forschung im Rahmen großer Verbundprojekte auf dem Feld der Neurologie und Psychiatrie ermöglicht uns die Umsetzung dieser Ziele.“

Förderungen

Diese Forschung im Defense Circuits Lab wurde maßgeblich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt, die eine Heisenberg-Professur und entsprechende Projektförderung für Philip Tovote finanziert (TO 1124/1,2,3]). Die Arbeiten zu den neuronalen Grundlagen der Schockstarre werden weiterhin von der DFG im Rahmen des Transregio-Sonderforschungsbereichs „Retune“, der sich mit den Mechanismen der Tiefenhirnstimulation beschäftigt, gefördert (TRR 295: [446022135], [446270539]). Des Weiteren unterstützt die Europäische Union im Rahmen des „Horizon 2020 research and innovation programme“ (Marie Skłodowska-Curie grant 956414), sowie die Brain and Behavior Foundation (Newe York, USA) die Arbeiten des Defense Ciruits Lab am Universitätsklinikum Würzburg. Sara L. Reis wurde mit einem Stipendium der Fundação para a Ciência e a Tecnologia aus Portugal gefördert.

Publikation:

 

Signoret-Genest, J., Schukraft, N., L. Reis, S. et al. Integrated cardio-behavioral responses to threat define defensive states. Nat Neurosci 26, 447–457 (2023). doi.org/10.1038/s41593-022-01252-w

 

Hier wird in einer Grafik die Herzrate von Mäusen bei Lichtstimulationen gezeigt.
Die Grafik zeigt die durchschnittliche Herzrate von Mäusen, bei denen über einen Zeitraum von zehn Minuten fünfmal für zehn Sekunden Zellaktivität mittels Licht künstlich angeregt wurde. Hierzu wurde eine bestimmte Population von Nervenzellen im Mittelhirn mit lichtsensitiven Proteinen sogenannten Opsinen ausgestattet. Jede Lichtstimulation hat eine deutliche Reduzierung der Herzrate zur Folge, allerdings ist dieser Effekt stärker, je später die Stimulation in der zehnminütigen Aufzeichnung stattfindet. Das erklären sich die Forschenden durch den Einfluss eines übergeordneten Macrostates, die sogenannte „Rigidität“. Interessanterweise sieht die Verhaltensantwort - trotz unterschiedlicher kardialer Antworten - während allen Lichtstimulation genau gleich aus: Die Mäuse zeigen deutliches freezing-Verhalten (hier nicht gezeigt). © Defense Circuits Lab / UKW
Das Bild zeigt Philip Tovote (Mitte) und Mitarbeiter im Labor des Defense Circuits Lab
Ein Team des Defense Circuits Lab von Philip Tovote hat am Uniklinikum Würzburg ein Rahmenkonzept erstellt, um die Ausprägung von Verhalten und körperlichen Anpassungen inklusive ihrer komplexen Dynamik zu charakterisieren und so die Gehirnaktivität bei Angst besser zu verstehen. Übergeordnetes Ziel ist die Erforschung neuer Therapieansätze bei Angsterkrankungen. © Daniel Peter
Nina Schukraft am Mikroskop, im Hintergrund Jérémy Signoret-Genest.
Nina Schukraft konnte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Defense Circuits Lab des UKW bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn identifizieren, die für die Generierung einer typischen Angstreaktion in Mäusen verantwortlich sind. © Daniel Peter
Das Bild zeigt Jérémy Signoret-Genest am Mikroskop.
Der Biologe Jérémy Signoret-Genest ist gemeinsam mit Nina Schukraft Erstautor der Studie „Integrated cardio-behavioural responses to threat define defensive states“, die jetzt im Fachmagazin Nature Neuroscience publiziert wurde. © Daniel Peter