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Ein potenzielles Ziel für neue Wirkstoffe gegen Krebs

Bei vielen Krebsarten spielen MYC-Proteine eine wichtige Rolle. Einem Forschungsteam der Universität Würzburg ist es jetzt gelungen, diese Proteine indirekt zu beeinflussen – mit deutlichen Folgen für den Tumor.

Gene aus der MYC-Familie sind für den menschlichen Organismus essenziell.  Nach derzeitigen Erkenntnissen regulieren sie die Expression der meisten zellulären Gene. Eine Fehlsteuerung von MYC-Proteinen trägt wesentlich zur Entstehung vieler Arten von Krebs bei.  Kein Wunder, dass MYC-Proteine im Fokus der Krebsforschung weltweit stehen. Aus Sicht der Wissenschaft könnten sie das ideale Ziel für neue Wirkstoffe im Kampf gegen Krebs sein.

Tatsächlich ist die Bedeutung von MYC für die Entwicklung von Krebszellen seit Langem bekannt. Die Struktur der MYC-Proteine und ihre molekulare Funktion haben es allerdings bisher verhindert, das Protein direkt pharmakologisch anzugreifen. Bei der Suche nach einer Lösung für dieses Problem ist einem Forschungsteam der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) jetzt möglicherweise ein wichtiger Schritt geglückt: Über einen Kooperationspartner von MYC konnte es im Tierversuch die Entstehung und Entwicklung der Krebstumoren deutlich bremsen.

Publikation in „Life Science Alliance”

Beteiligt an der Studie waren zwei Arbeitsgruppen am Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie der JMU von Wolf Elmar, Professor für Tumorsystembiologie, und von Dr. Peter Gallant sowie die Gruppe von Thomas Raabe, Professor für Molekulare Genetik. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Life Science Alliance“ veröffentlicht.

„Weil es so schwierig ist, MYC-Proteine direkt anzugreifen, haben wir nach Partnern von MYC gesucht und dabei ein Protein namens SPT5 gefunden“, schildert Elmar Wolf die Vorarbeiten zu dieser Studie. SPT5 stellte sich in der Zellkultur als unverzichtbar für die MYC-abhängige Gen-Transkription in menschlichen Krebszellen heraus. Unklar blieb allerdings, wie wichtig die Interaktion von MYC- und SPT5-Proteinen für das Verhalten von normalen Zellen im Körper ist und ob sich über sie die Entwicklung von Krebszellen würde beeinflussen lassen.

Forschung an der Fruchtfliege

Antworten liefert die jetzt veröffentlichte Studie. „Wir haben mit der Fruchtfliege Drosophila melanogaster gearbeitet – einem bekannten und bewährten Modellsystem der tierischen Entwicklung“, erklärt Peter Gallant. Genauso wie Wirbeltiere – und somit auch der Mensch – besitzen Fruchtfliegen ebenfalls MYC- und SPT5-Proteine. 

In ihren Experimenten konnten die Wissenschaftler in einem ersten Schritt nachweisen, dass MYC- und SPT5-Proteine auch im Organismus der Fruchtfliege funktionell zusammenarbeiten. So wurde beispielsweise eine moderate Veränderung der MYC- oder der SPT5-Menge von den Fliegen gut toleriert. Veränderte das Team jedoch sowohl MYC- als auch SPT5-Mengen gleichzeitig, traten bei den Tieren deutliche Defekte auf. „Diese Beobachtungen unterstreichen die Wichtigkeit der MYC-SPT5-Interaktion während der normalen Entwicklung des Organismus“, sagt Thomas Raabe.

Drastische Reduktion des Tumorgewebes

Im nächsten Schritt ging das Forschungsteam der Frage nach, welche Rolle SPT5 bei der Entstehung und Entwicklung von Tumoren einnimmt. Zum Einsatz kamen dafür gentechnisch veränderte Fruchtfliegen, die MYC-abhängige Hirntumoren entwickeln. Im Experiment konnten diese Fliegen zwar schlüpfen, starben aber innerhalb von weniger als zehn Tagen, wohingegen die meisten Kontrolltiere nach zwei Monaten noch am Leben waren. 

„Wenn wir jedoch bei diesen Exemplaren die Menge an SPT5 in den Hirntumoren experimentell reduzierten, verdreifachte sich ihre Lebenszeit“, schildert Peter Gallant das zentrale Ergebnis der Studie. Dies ging einher mit einer dramatischen Abnahme der Tumormasse, die allerdings nur vorübergehend war. Die Lebenszeit verlängerte sich auch dann, wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die SPT5-Menge nicht nur im Gewebe der Hirntumoren reduzierten, sondern im gesamten Organismus der Fliege. Analoge Manipulationen der SPT5-Menge in gesunden Kontrolltieren hatten nur vernachlässigbare Auswirkungen auf die Gehirnstruktur und das Überleben der Tiere. 

Nach Aussicht der Würzburger Arbeitsgruppen zeigen diese Resultate, dass SPT5 eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von MYC-abhängigen Tumoren spielt. Ihre Experimente lassen auch den Schluss zu, dass eine moderate Reduktion von SPT5 in gesundem Gewebe gut toleriert wird, aber zu einer deutlichen Rückbildung von Tumoren führen kann. Damit erweise sich SPT5 als ein mögliches Zielprotein für die Entwicklung von pharmakologischen Hemmstoffen für die Krebsbekämpfung.

Originalpublikation

Spt5 interacts genetically with Myc and is limiting for brain tumor growth in Drosophila. Julia Hofstetter, Ayoola Ogunleye, André Kutschke, Lisa Marie Buchholz, Elmar Wolf, Thomas Raabe, Peter Gallant. Life Science Alliance Vol 7, Issue 1; doi: 10.26508/lsa.202302130.

Kontakt

Dr. Peter Gallant, Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie, peter.gallant@uni-wuerzburg.de 

 

Pressemeldung der Universität Würzburg vom 07.11.2023

 

Harmloser Harnwegsinfekt – Wärmflasche oder Antibiotikum?

Die unnötige oder dem Erregerspektrum nicht entsprechende Verordnung von Antibiotika führt zu zunehmenden Resistenzen. Um die Therapie und Medikamentenverordnung beim unkomplizierten Harnwegsinfekt in den allgemeinmedizinischen Praxen zu optimieren, wurden im Rahmen der RedAres-Studie unter der Leitung des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg die Auswirkungen eines Interventionsprogramm geprüft. Fazit: Multimodale Intervention verbessert Verschreibungsverhalten in allgemeinmedizinischen Praxen.

 

Frau hält Wärmflasche auf Unterbauch
Die Studie RedAres hat gezeigt, dass ein multimodales Interventionsprogramm das Verschreibungsverhalten beim unkomplizierten Harnwegsinfekt verbessern kann. Es wurden häufiger die in der Leitlinie empfohlenen Antibiotika verschrieben und weniger. Bis zu zwei Drittel der unkomplizierten Harnwegsinfekte heilen mit Wärme, Ruhe und viel Trinken aus. © Christoph Müller

Fast jede Frau macht es mindestens einmal im Leben durch: Brennen beim Wasserlassen und ständiger Harndrang. Die typischen Symptome eines Harnwegsinfekts. Sie gehören zu den häufigsten Anlässen für eine hausärztliche Konsultation. Die meisten dieser bakteriellen Blasenentzündungen sind harmlos. Bis zu zwei Drittel der so genannten unkomplizierten Harnwegsinfekte können mit Wärme, Ruhe und viel Trinken nach einer Woche ausheilen. In manchen Fällen muss ein Antibiotikum gegeben werden. Doch hier kommt es auf das richtige Antibiotikum an. 

Mit leitliniengerechter Verschreibung Wirksamkeit von Antibiotika erhalten

Es sollte immer erst ein in den Leitlinien* festgelegtes Mittel der ersten Wahl angewendet werden. Dieses geht die Erreger gezielt an und hat weniger Nebenwirkungen als ein sogenanntes Reserveantibiotikum, das zwar eine breite Palette an Bakterien bekämpft, aber entsprechend Resistenzen hervorruft. Dadurch besteht die Gefahr, dass Reservemittel bei schweren Infekten nicht mehr wirksam sind. „Doch trotz ausdrücklicher Empfehlungen für Erstlinien-Antibiotika machen Breitband-Antibiotika wie Fluorchinolone immer noch einen großen Anteil der verordneten Antibiotika für Frauen mit Harnwegsinfektionen in Deutschland aus“, mahnt Alexandra Greser. Die Allgemeinärztin hat unter der Leitung von Prof. Ildikó Gágyor am Institut für Allgemeinmedizin des Uniklinikums Würzburg das Projekt RedAres - Reduktion von Antibiotikaresistenzen - koordiniert. Mit einem multimodalen Interventionsprogramm sollten Hausärztinnen und Hausärzte bei der Behandlung von Patientinnen mit unkompliziertem Harnwegsinfekt unterstützt werden. Die zwölfmonatige Intervention hatte Erfolg: Es wurden häufiger die in der Leitlinie empfohlenen Antibiotika verschrieben. Und: Insgesamt wurden weniger Antibiotika verordnet. Die Ergebnisse hat das Studienteam gerade im renommierten British Medical Journal (BMJ) veröffentlicht. 

Regionale Resistenzdaten, komprimiertes Informationsmaterial, individuelles Feedback und Benchmarking 

Das Interventionsprogramm bestand aus drei Komponenten. Zunächst erhielten die Interventionspraxen regionale Resistenzdaten von den wichtigsten Keimen. „Darauf sind wir besonders stolz“, sagt Ildikó Gágyor. „Das Robert Koch Institut (RKI) hat als Teilprojekt regionale Resistenzdaten** ermittelt, sodass die teilnehmenden Praxen in den verschiedenen Bundesländern auf einen Blick sehen konnten, welche Antibiotika, die in den Leitlinien empfohlen werden, eine geringe Resistenzrate haben. Das Besondere: In die Resistenzprüfung des RKI wurden ausschließlich Urinproben von unkomplizierten Blasenentzündungen einbezogen. Bisher gab es immer nur Mischbilder, in denen auch komplizierte Harnwegsinfekte bis hin zu Nierenbeckenentzündungen berücksichtig wurden.“ Neben den Resistenzdaten wurde den Interventionspraxen als zweite Komponente komprimiertes Informationsmaterial sowie Flyer für Patientinnen in fünf verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt. Das dritte Modul umfasste individuelles Feedback zur Verordnungspraxis nach jedem Quartal, Telefonberatungen und ein Benchmarking, also der regelmäßige Vergleich der individuellen Verordnungsdaten mit denen anderer Praxen. 

MFA aus 128 Praxen haben insgesamt 10.323 Fälle anonymisiert aggregiert erhoben 

An der durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderten Studie RedAres beteiligten sich insgesamt 128 Praxen aus fünf Regionen Deutschlands, nämlich Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg und Thüringen. Neben dem Uniklinikum Würzburg, das mit 43 aufgenommenen Studienpraxen den größten Anteil hatte, rekrutierten die Institute für Allgemeinmedizin der Unikliniken in Freiburg und Jena sowie die Charité in Berlin. Die Universität Bremen war ebenfalls ein wichtiger Projektpartner und zeichnete für die Pilotierung verantwortlich. In die finale Analyse, die vom Institut für klinische Epidemiologie und Biometrie der Universität Würzburg durchgeführt wurde, flossen die Daten von 110 Praxen ein. Davon nahmen 57 Praxen an der Intervention teil, 53 Praxen waren in der Kontrollgruppe. Insgesamt konnten 10.323 Fälle in anonymisierter Form aggregiert werden.

„Hier gilt ein großer Dank den Medizinischen Fachangestellten, die für uns per Hand die Daten erhoben haben“, lobt Ildikó Gágyor. „Ohne sie wäre die Studie in diesem Ausmaß gar nicht möglich gewesen, geschweige denn unser Erkenntnisgewinn.“ 

Reduktion von Zweitwahl-Antibiotika um 10%-Punkte absolut in 12 Monaten übertroffen

Die Auswertung hat gezeigt, dass eine komplexe Intervention die Verordnung von Zweitwahl-Antibiotika beim unkomplizierten Harnwegsinfekt um 13 Prozentpunkte reduziert. „Damit haben wir unseren anfangs formulierten Endpunkt um 3 Prozentpunkte übertroffen“, kommentiert Ildikó Gágyor. Zudem haben wir weniger wiederkehrende Harnwegsinfektionen in der Interventionsgruppe verzeichnet als in der Kontrollgruppe, in der möglicherweise aufgrund einer erhöhten Verschreibung von Breitbandantibiotika mehr Resistenzen und entsprechend mehr Rezidive entstanden sind.“ 

Interventionsmodule nutzbar und in der täglichen Routine anwendbar

Was bedeuten die Ergebnisse für die Routineversorgung? Eine einfache Intervention ließe sich gut in die tägliche Routine integrieren, zum Beispiel indem die regionalen Resistenzdaten bei der Antibiotika-Verordnung einbezogen werden, meint Alexandra Greser. Oder die Behandelnden erhalten jedes Quartal eine automatisierte Auswertung der Verschreibungsdaten. „Wir haben in der Studie gelernt, dass die Ärztinnen und Ärzte es durchaus hilfreich fanden, regelmäßig Rückmeldungen zum Verordnungsverhalten zu erhalten, so Prof. Dr. Jutta Bleidorn vom Uniklinikum Jena. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Feedback zum eigenen Verordnungsverhalten relevant ist, um Verordnungsverhalten zu verändern oder positiv zu bestätigen. Im Rahmen der Prozessevaluation schätzten die beteiligten Hausärztinnen und Hausärzte die Interventionsmodule mehrheitlich als nützlich und in der täglichen Routine anwendbar ein. Schlussendlich gilt es auch die Patientinnen zu informieren und zu sensibilisieren, was symptomatische Behandlungsmöglichkeiten mit ausreichend Trinken und gegebenenfalls mit Schmerzmitteln oder pflanzlichen Mitteln betrifft, aber auch welche Antibiotika der ersten Wahl für sie in Frage kommen. 

Studienwebseite: www.redares.de 


Publikation: 
Schmiemann G, Greser A, Maun A, Bleidorn J, Schuster A, Miljukov O et al. Effects of a multimodal intervention in primary care to reduce second line antibiotic prescriptions for urinary tract infections in women: parallel, cluster randomised, controlled trial BMJ 2023; 383 :e076305 doi:10.1136/bmj-2023-076305


*Für den Harnwegsinfekt gibt es zwei relevante nahezu identische S3-Leitlinien: die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) „Brennen beim Wasserlassen” sowie die „S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten” der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). 

**Die regionalen Resistenzdaten des Robert Koch-Instituts sind offen für alle Bundesländer und können hier abgerufen werden: 

 

Frau hält Wärmflasche auf Unterbauch
Die Studie RedAres hat gezeigt, dass ein multimodales Interventionsprogramm das Verschreibungsverhalten beim unkomplizierten Harnwegsinfekt verbessern kann. Es wurden häufiger die in der Leitlinie empfohlenen Antibiotika verschrieben und weniger. Bis zu zwei Drittel der unkomplizierten Harnwegsinfekte heilen mit Wärme, Ruhe und viel Trinken aus. © Christoph Müller

Innovationspreis für Kabel-Klammer-Implantate bei Beckenverletzungen

Für die Entwicklung von innovativen Kabel-Klammer-Implantaten zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings nach Hochrasanztrauma erhielt Privatdozent Dr. Martin Jordan vom Uniklinikum Würzburg den mit 10.000 Euro dotierten Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Zeitgleich wurde der Unfallchirurg in die Exzellenz-Akademie des Konvents der Universitätsprofessuren für Orthopädie und Unfallchirurgie (KUOU) aufgenommen.

Der Preisträger Martin Jordan präsentiert beim DKOU die Urkunde des Innovationspreises auf der Bühne.
Preisverleihung auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie am 27.10.2023; v.l.n.r.: Benjamin Lehnen, Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz (Kongresspräsident), PD Dr. Martin Jordan (UKW) und Prof. Dr. Dietmar Pennig (stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie). © Intercongress
Neuartiges Kabel-Klammer-Implantat bei Open-Book-Verletzungen
Unfallchirurgen des Uniklinikums Würzburg haben mit internen und externen Partnern aus der Region innovative Kabel-Klammer-Implantate zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings entwickelt. © UKW
Die Titan-Klammern mit einer Führungsstruktur für das geflochtene Stahlseil werden fest am Knochen mit zwei Schrauben fixiert. Da sie fest im Implantat fassen und nicht im Knochen, können sie nicht ausbrechen. © UKW

Vor wenigen Monaten wurde die Proof-of-concept-Studie der neuartigen mittels 3D-Druck entwickelten Kabel-Klammer-Implantate im Fachjournal Nature Communications Medicine publiziert. Mit dem Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) für seine vielversprechende Stabilisations-Alternative bei Verletzungen des vorderen Beckenrings hat Privatdozent Dr. Martin Jordan nun einen neuen Meilenstein erreicht. Der geschäftsführende Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie am Uniklinikum Würzburg hat die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung Ende Oktober beim Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie 2023 in Berlin stellvertretend für das gesamte interdisziplinäre Team entgegengenommen, die an der Entwicklung der Kabel-Klammer-Implantate beteiligt waren. 
Was ist das Besondere an dem Implantat, das künftig bei so genannten Symphysenrupturen zum Einsatz kommen könnte. Der Autor der Studie erklärt die Problematik dieser Open-Book-Verletzungen, bei denen das Becken wie ein geöffnetes Buch aufklappt, und chirurgisch versorgt werden müssten: „In vielen Fällen kommen Stahlplatten und Schrauben zum Einsatz, die zwar gut geeignet sind zur Knochenbruchbehandlung aber Nachteile bei der Versorgung der Symphyse aufweisen, welche eigentlich eine flexible Faserknorpelverbindung ist. Das heißt: Wir stabilisieren derzeit die eigentlich flexible Symphyse mit einer rigiden Stahlplatte und Schrauben. Da es in diesem knorpeligen Teil des Beckens jedoch keine knöcherne Heilung gibt, sondern nur eine Vernarbung, sind kontinuierliche Mikrobewegungen nicht zu vermeiden. Es kommt zu Lockerungen der Schrauben und bei einer reduzierten Knochenqualität droht ein Implantatversagen.“

Titan-Klammern und Stahlseil stabilisieren flexible Faserknorpelverbindung im vorderen Beckenring

Gemeinsam mit Headmade Materials, einem regionalem Deep Tech-Unternehmen in den Bereichen 3D-Druck und Pulvermetallurgie, entwickelte Martin Jordan komplexe Kabel-Klammer-Implantate, bei denen ein geflochtenes Stahlseil die Schambeinäste zusammenhält. Damit das Seil nicht einschneidet wird es von fest verankerten Titan-Klammern geführt. Bei der Testung im Biomechanik-Labor der Unfallchirurgie wiesen die Kabel-Klammer-Implantate eine äquivalente Stabilität zu herkömmlichen Verfahren auf. „Sie sind nicht schlechter und bisher nicht wesentlich besser als die Platten, aber wir haben hier nicht das Risiko des frühzeitigen Implantatversagens“, erläutert Martin Jordan. Die Passgenauigkeit der Kabel-Klammer-Implantate hat Prof. Thorsten Bley mit seinem Team im Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am UKW im neuen hochmodernen Photonenzählenden Computertomografen (CT) ausgewertet. In den nächsten Schritten sollen die Implantate modifiziert und in weiteren Studien getestet werden. 

„Und da die Möglichkeit eines klinischen Nutzens durchaus besteht, was der Innovationspreis noch einmal unterstreicht, haben wir bereits eine internationale Patentanmeldung (PCT) mit Unterstützung des Servicezentrums Forschung und Technologietransfer und der Bayerischen Patentallianz eingeleitet“, erläutert Martin Jordan. 

Aufnahme in Exzellenz-Akademie der KUOU

Seine Leistung haben auch den Konvent der Universitätsprofessuren für Orthopädie und Unfallchirurgie (KUOU) überzeugt. Im Rahmen des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin hat der Konvent Martin Jordan in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Qualifikation und akademischen Eignung in die Exzellenz-Akademie aufgenommen. Ziel der Exzellenz-Akademie ist es, klinisch und wissenschaftlich engagierte Kolleginnen und Kollegen mit hohem Potenzial für die Besetzung von universitätsklinischen Leitungspositionen zu identifizieren und frühzeitig zu fördern.

Link zur Pressemitteilung anlässlich der Publikation inklusive Film zum Kabel-Klammer-Implantat.

 

Der Preisträger Martin Jordan präsentiert beim DKOU die Urkunde des Innovationspreises auf der Bühne.
Preisverleihung auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie am 27.10.2023; v.l.n.r.: Benjamin Lehnen, Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz (Kongresspräsident), PD Dr. Martin Jordan (UKW) und Prof. Dr. Dietmar Pennig (stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie). © Intercongress
Neuartiges Kabel-Klammer-Implantat bei Open-Book-Verletzungen
Unfallchirurgen des Uniklinikums Würzburg haben mit internen und externen Partnern aus der Region innovative Kabel-Klammer-Implantate zur Behandlung von Verletzungen des vorderen Beckenrings entwickelt. © UKW
Die Titan-Klammern mit einer Führungsstruktur für das geflochtene Stahlseil werden fest am Knochen mit zwei Schrauben fixiert. Da sie fest im Implantat fassen und nicht im Knochen, können sie nicht ausbrechen. © UKW

Auszeichnung: Dr. Dr. Benedikt Schmid erhält Forschungsstipendium Dierichs der DGAI

Arbeit im Bereich der Weiterentwicklung von Anästhesieverfahren gewürdigt.

Prof. Dr. Benedikt Pannen, Dr. Dr. Benedikt Schmid und Kongresspräsident Prof. Dr. Bernhard M. Graf bei der Vergabe des Stipendiums
Prof. Dr. Benedikt Pannen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI), Dr. Dr. Benedikt Schmid, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, UKW, und Kongresspräsident Prof. Dr. Bernhard M. Graf bei der Vergabe des Stipendiums (v.l.) Foto: Mike Auerbach/ DGAI e.V.

Würzburg/Berlin. Dr. Dr. Benedikt Schmid von der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Würzburg (Direktor Prof. Dr. Patrick Meybohm) wurde nun das „Forschungsstipendium Dierichs“ der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) verliehen. Das Forschungsstipendium ist mit 50.000 Euro dotiert.

Die Auszeichnung wurde Im Rahmen des 25. Hauptstadtkongresses der DGAI Mitte Oktober verliehen. Dr. Dr. Schmid erhielt das Forschungsstipendium für seine „herausragende Arbeit“ im Bereich der Weiterentwicklung von Anästhesieverfahren und Anästhetika zur Verbesserung der Patientensicherheit in der Anästhesiologie unter besonderer Berücksichtigung seines Projektes „Conventional vs. Video-Assisted Laryngoscopy in Perioperative Endotracheal Intubation“. Das Stipendium wird von der Förderstiftung Dierichs ermöglicht.

Benedikt Schmid dankt der DGAI und der Förderstiftung Dierichs für die Vergabe des Forschungsstipendiums: „Das Forschungsstipendium ermöglicht meinem Team und mir die bereits geleistete Vorarbeit auf einem hohen Niveau fortzusetzen. Ganz besonders freut mich dabei, dass unsere Fachgesellschaft mit der Vergabe signalisiert, dass ihr das Thema Patientensicherheit im Rahmen der Narkoseeinleitung im OP sehr wichtig ist.“

Hier geht es zur kompletten Pressemeldung der DGAI:

https://www.dgai.de/aktuelles/alle-meldungen-archiv/1261-dr-dr-benedikt-schmid-erhaelt-forschungsstipendium-dierichs-2.html
 

Prof. Dr. Benedikt Pannen, Dr. Dr. Benedikt Schmid und Kongresspräsident Prof. Dr. Bernhard M. Graf bei der Vergabe des Stipendiums
Prof. Dr. Benedikt Pannen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI), Dr. Dr. Benedikt Schmid, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, UKW, und Kongresspräsident Prof. Dr. Bernhard M. Graf bei der Vergabe des Stipendiums (v.l.) Foto: Mike Auerbach/ DGAI e.V.

Hentschel-Preis 2023 für zwei Würzburger Schlaganfallforscherinnen

Im Rahmen des 8. Würzburger Schlaganfallsymposium wurden Dr. Sarah Margaretha Beck und Felicitas Anna Eichner mit dem Hentschel-Preis 2023 geehrt.

Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Felizitas Anna Eichner
Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Felizitas Anna Eichner. Bild: Felizitas Anna Eichner
Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Dr. Sarah Margaretha Beck, zusammen mit Prof. Dr. Karl Georg Häusler und Günter Hentschel
Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Dr. Sarah Margaretha Beck, zusammen mit Prof. Dr. Karl Georg Häusler (Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, links im Bild) und Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung. Bild: UKW / Dr. Christian Hametner

Würzburg. Das 8. Würzburger Schlaganfallsymposium der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) fand am 26. Oktober 2023 mit Unterstützung der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und von Industriepartnern im Vogel Convention Center Würzburg statt. Im Rahmen des Fortbildungsprogramms, das im Zeichen der interdisziplinären Zusammenarbeit im Rahmen des Neurovaskulären Netzwerks Unterfranken und des TRANSIT-Stroke Telemedizinnetzwerks stand, diskutierten die etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über aktuelle Themen der Schlaganfalldiagnostik und -therapie. 

Im Rahmen des Symposiums wurde außerdem der Hentschel-Preis verliehen. Mit dem seit 2011 jährlich vergebenen Preis ehrt die Stiftung „Kampf dem Schlaganfall“ wissenschaftliche Arbeiten zur Grundlagenforschung oder zur Behandlung des Schlaganfalls. Der bundesweit ausgeschriebene und mit 5.000 Euro dotierte Preis ging gemäß der Entscheidung des Vorstands der Hentschel-Stiftung in diesem Jahr zu gleichen Teilen an Dr. Sarah Margaretha Beck (Institut für Experimentelle Biomedizin – Lehrstuhl I der Universität Würzburg, Direktor: Prof. Dr. Bernhard Nieswandt) und an Felizitas Anna Eichner, MSc (vormals Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Universität Würzburg, Vorstand: Prof. Dr. Peter U. Heuschmann). Zusammen mit dem Stiftungsgründer, Dipl.-Ing. Günter Hentschel, gratulierte der Organisator des 8. Würzburger Schlaganfallsymposiums, Prof. Dr. Karl Georg Häusler (Leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik des UKW; Direktor: Prof. Dr. Jens Volkmann), den Preisträgerinnen.

Um auch in Zukunft Projekte zum Thema Schlaganfall unterstützen zu können, freut sich die Hentschel-Stiftung Würzburg über Spenden auf das folgende Konto: 
Kampf dem Schlaganfall 
HypoVereinsbank Würzburg
BIC: HYVEDEMM455
IBAN: DE45790200760347390402
Die Stiftung ist vom Finanzamt Würzburg unter der Steuernummer 257/147/00343 als gemeinnützig anerkannt. Zustiftungen und Spenden sind daher steuerlich absetzbar.

Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Felizitas Anna Eichner
Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Felizitas Anna Eichner. Bild: Felizitas Anna Eichner
Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Dr. Sarah Margaretha Beck, zusammen mit Prof. Dr. Karl Georg Häusler und Günter Hentschel
Die Hentschel-Preisträgerin 2023, Dr. Sarah Margaretha Beck, zusammen mit Prof. Dr. Karl Georg Häusler (Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, links im Bild) und Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung. Bild: UKW / Dr. Christian Hametner

Tiefe Hirnregionen gezielt stimulieren und motorische Lernleistung verbessern

Neue nicht-invasive tiefe Hirnstimulationsmethode erstmals am Menschen eingesetzt

 

In einer aktuellen im Journal Nature Neuroscience publizierten Studie weist Dr. Maximilian Wessel vom Uniklinikum Würzburg (UKW) zusammen mit einem internationalen Forschungskonsortium unter Führung der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) erstmalig die erfolgreiche nicht-invasive elektrische temporale Interferenzstimulation (tTIS) einer tiefen Hirnregion nach.

Mit der tTIS-Hirnstimulationsmethode lassen sich die Rolle und Arbeitsweise von Tiefenhirnnetzwerkknoten für das Verhalten allgemein und konkret bei neurologischen Erkrankungen entschlüsseln.

 

Illustration einer nicht-invasiven tiefen Hirnstimulationsmethode
Illustration der Zielstruktur (Striatum) bei der neuen nicht-invasiven tiefen Hirnstimulationsmethode (tTIS), die das Erlernen einer handgebundenen motorischen Fertigkeit verbessert. © Flyazure / 2023, École Polytechnique Fédérale de Lausanne EPFL (Hummel-Lab)

Unser Gehirn ist ein äußerst komplexes Organ mit rund 86 Milliarden Nervenzellen, die über ein Netzwerk von mehr als einer Trilliarde Synapsen miteinander kommunizieren und so Signale weitergeben, damit wir fühlen, denken, handeln und uns bewegen können. Die Steuerung dieser Funktionen kann jedoch durch neurologische oder psychiatrische Erkrankungen wie der Parkinson-Erkrankung, nach einem Schlaganfall oder bei einer Depression beeinträchtigt werden. Einen vielversprechenden Ansatz in der Erforschung und Behandlung dieser Funktionsstörungen bietet die nicht-invasive Hirnstimulation (NIBS für non-invasive brain stimulation), bei der mit sanften elektrischen oder magnetischen Impulsen bestimmte Bereiche des Gehirns aktiviert oder gehemmt werden können. 

Fokale nicht-invasive Stimulation entscheidender tiefer Hirnregionen 

„Allerdings war es bisher nicht möglich, mittels herkömmlicher NIBS-Techniken tiefe Hirnregionen zielgenau zu stimulieren ohne darüber gelegene Hirnbereiche mit zu erfassen“, berichtet Dr. Maximilian Wessel. Der Clinician Scientist in der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) ist Erstautor einer neuen vielversprechenden Studie zur nicht-invasiven elektrischen temporalen Interferenzstimulation (tTIS für Transcranial electrical temporal interference stimulation (tTIS), welche diese bisherige Einschränkung überwinden kann und damit den bisherigen Anwendungsbereich revolutionieren könnte. Die innovative Technik wurde zunächst durch Computersimulationen und Studien am Mausmodell entwickelt und nun erstmalig am Labor von Prof. Friedhelm Hummel (EPFL) beim Menschen eingesetzt. Im renommierten Journal Nature Neuroscience beschreibt Maximilian Wessel mit einem internationalen Autorenteam, wie die Theta-Burst-Stimulation des so genannten Striatums dessen Aktivität sowie das damit verbundene Erlernen motorischer Fähigkeiten verbessern kann. 

Aktivität der Zielregion mittels tTIS verbesserte motorische Lernleistung

„Das Striatum ist eine wichtige Hirnstruktur und Teil des Basalgangliensystems, welches einen zentralen Knotenpunkt für die Verarbeitung von Bewegung, Emotionen und kognitiven Funktionen darstellt“, erläutert Maximilian Wessel das Zielgebiet. Tatsächlich ergab die Bildanalyse der funktionellen MRT-Daten von 15 jungen gesunden Studienteilnehmenden, dass die Aktivität der Zielregion bei aktiver Hirnstimulation mittels tTIS im Vergleich zur Kontrollstimulation während einer motorischen Lernaufgabe zunahm. Bei einer Gruppe älterer gesunder Probandinnen und Probanden führte die aktive tTIS-Hirnstimulationsmethode zu einer signifikanten Verbesserung der motorischen Lernleistung. 

Verarbeitungsprozesse im Gehirn besser verstehen und neue Behandlungsansätze entwickeln

„Die Studie schafft hiermit die Basis für weitere neurowissenschaftliche Anwendungen, um Verarbeitungsprozesse im Gehirn, die zum Beispiel Lernvorgängen oder Gedächtnisprozessen zugrunde liegen, besser zu verstehen. tTIS ergänzt ideal die bereits am Referenzzentrum in Würzburg unter der Leitung von Prof. Jens Volkmann in der klinischen Routine eingesetzte und etablierte konventionelle invasive tiefe Hirnstimulation (THS), bei der jedoch immer ein neurochirurgischer Eingriff nötig ist. Als neue nicht-invasive neurowissenschaftliche Methode wird tTIS für die Untersuchung von Krankheitsmechanismen bei neurologischen Erkrankung eine entscheidende Rolle spielen“, resümiert Maximilian Wessel. Damit hat er schon sein nächstes Forschungsvorhaben definiert: Mittels der tTIS-Hirnstimulatiosmethode die Mechanismen bei neurologischen Erkrankungen wie zum Beispiel motorische Lernvorgängen nach einem Schlaganfall oder unbalancierte Hirnwellen bei der Parkinson-Erkrankung, näher untersuchen. Der Würzburger Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass sich mit tTIS in Zukunft neurotechnologie-basierte Behandlungsansätze entwickeln lassen, welche die Behandlung und Rehabilitationen nach neurologischen Erkrankungen maßgeblich unterstützen können. 

„Ich freue mich sehr, dass die Forschungsstrukturen in Würzburg im Bereich der Neuromodulation so attraktiv sind, dass herausragende Nachwuchswissenschaftler wie Dr. Maximilian Wessel für den Standort gewonnen werden konnten“, ergänzt Jens Volkmann, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik am UKW.

Publikation: 

Wessel, M.J., Beanato, E., Popa, T. et al. Noninvasive theta-burst stimulation of the human striatum enhances striatal activity and motor skill learning. Nat Neurosci (2023). doi.org/10.1038/s41593-023-01457-7


 
Illustration einer nicht-invasiven tiefen Hirnstimulationsmethode
Illustration der Zielstruktur (Striatum) bei der neuen nicht-invasiven tiefen Hirnstimulationsmethode (tTIS), die das Erlernen einer handgebundenen motorischen Fertigkeit verbessert. © Flyazure / 2023, École Polytechnique Fédérale de Lausanne EPFL (Hummel-Lab)

SGLT2-Hemmer stärken das Herz durch verbesserten Eisenstoffwechsel

Bei der Entschlüsselung der Wirkmechanismen der Wunderdroge SGLT2-Hemmer einen entscheidenden Schritt weiter

 

Eine Post-hoc-Analyse der EMPA-TROPISM-Studie zeigt, dass die positiven Auswirkungen einer Empagliflozin-Behandlung bei Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten mit Effekten des SGLT2-Hemmers auf den Eisenmetabolismus zusammenhängen könnten.

Magnetresonanztomogramm - klassisches CINE-MRT und T2-Mapping
Kurzachsenschnitt durch das Herz. Links: Mit dem klassischen Cine-MRT werden Struktur und Funktion des Herzens quantifiziert. Mitte: Beispiel einer Sequenz mit T2* Information. Eine Abnahme der in Millisekunden gemessenen T2* Zeit entspricht dabei einer Zunahme des Eisengehaltes. Rechts: Beim T2* Mapping wird durch Farbkodierung das Ausmaß der Veränderung von T2* über die Zeit visualisiert.

Jeder zweite Mensch mit einer chronischen Herzinsuffizienz weist einen Eisenmangel auf, auch deshalb, weil sie weniger Eisen aus der Nahrung über den Darm aufnehmen. Bei einer akuten Herzinsuffizienz leiden sogar bis zu 80 Prozent der Erkrankten unter einem Mangel an diesem lebenswichtigen Spurenelement, das für die Energieproduktion der Zellen, für die Blutbildung und die Sauerstoffversorgung von entscheidender Bedeutung ist. Während Eisenmangel schon bei Gesunden die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität mindert, kann er bei Herzinsuffizienz zudem das Risiko für Krankenhauseinweisungen erhöhen und die Prognose verschlechtern. Deshalb empfiehlt die Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC), bei Herzinsuffizienz regelmäßig den Eisenstatus zu überprüfen und gegebenenfalls Eisen intravenös zu supplementieren. 

Allzweckwaffe SGLT-2-Hemmer 

Sodium-Glukose-Transporter 2 (SGLT-2)-Hemmer scheinen auch Effekte auf den Eisenstoffwechsel zu haben. Die als neue Wunderwaffe gehandelten, auch Gliflozine genannten Medikamente wirken bei Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz, reduzieren zudem hoch signifikant das Risiko für eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz, Klinikeinweisungen oder frühzeitigen Tod. Die zugrundeliegenden Wirkmechanismen sind noch unvollständig verstanden.

Wie wirkt sich Empagliflozin auf den Eisengehalt im Myokardgewebe aus?

Prof. Dr. Christiane Angermann vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) am Uniklinikum Würzburg (UKW) ist nun mit einem internationalen Team bei der Entschlüsselung der Wirkmechanismen dieser Substanzklasse einen entscheidenden Schritt weitergekommen. In der am 26. Oktober 2023 im Fachjournal Nature Cardiovascular Research publizierten Studie EMPATROPISM-FE, einer Post-hoc-Analyse der randomisierten und kontrollierten EMPA-TROPISM-Studie, identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Effekte auf den Eisenstoffwechsel als möglichen Mechanismus für Verbesserungen der Struktur und Funktion des Herzens bei nicht-diabetischen Patientinnen und Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz.

„In jüngerer Zeit wurden komplexe Proteom-Verschiebungen durch SGLT2-Inhibitoren unter anderem hinsichtlich der Eisenregulation aufgedeckt. Weiter war sehr auffällig, dass sich diese Medikamente auf die Funktion vieler Organe, aber zum Beispiel auch auf die Bildung roter Blutkörperchen positiv auswirkten, und zudem Labormarker des Eisenstoffwechsels im Blut veränderten. Bemerkenswert fanden wir auch, dass Effekte von SGLT2-Inhibitoren schon sehr rasch, nämlich innerhalb von zwei Wochen zu beobachten waren. Unabhängig von der SGLT2-Inhibitor-Forschung deuteten schließlich neue Studien darauf hin, dass ein insuffizienter Herzmuskel vermindert Eisen aufnimmt und nutzt, mit gravierenden Auswirkungen auf seinen Energiehaushalt. Vor diesem Hintergrund wollten wir herausfinden, ob die Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor wie Empagliflozin hier möglicherweise gleichsam einen Schalter umlegt, so dass die Zellen plötzlich wieder in der Lage sind, mehr Eisen aufzunehmen und zu nutzen“, erklärt Christiane Angermann die Hintergründe der Substudie EMPATROPISM-FE. 

Sättigung des myokardialen Eisengehalts korreliert mit Herzleistung 

In der EMPA-TROPISM-Studie wurde bereits gezeigt, dass der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin den Herzinsuffizienz-bedingten kardialen Umbau teilweise wieder rückgängig machen kann. Die Größe und Masse der erweiterten linken Herzkammer nahm im Vergleich zur Placebo-Gruppe signifikant ab, während die linkventrikuläre Ejektionsfraktion, also die Menge des pro Herzschlag ausgeworfenen Blutes, und die körperliche Leistungsfähigkeit bei Belastung entsprechend zunahmen. 

In der EMPATROPISM-FE Studie hat das DZHI gemeinsam mit Tanja Zeller, Professorin für Genomik und Systembiologie vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Kolleginnen und Kollegen des Cardiovascular Institute, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, an Biomaterialien und kardialen Magnetresonanztomogrammen von 80 der 84 Studienteilnehmenden untersucht, in wieweit diese Behandlungseffekte mit dem Eisenstoffwechsel zusammenhängen. Durchgeführt wurden dazu Analysen des Eisengehaltes im Herzmuskel, der Biomarker des Eisenstoffwechsels im Plasma sowie des roten Blutbildes. 

Dabei stellte sich zunächst heraus, dass die meisten Teilnehmenden bereits bei Studienbeginn erniedrigte Eisenwerte hatten, ein Eisenersatz war aber in keinem Fall erfolgt. Der mittels kardialer Magnetresonanztomographie gemessene Eisengehalt im Herzmuskel stieg trotzdem unter der Behandlung mit Empagliflozin signifikant an, nicht aber unter Placebo. Die Änderungen der sogenannten T2*-Relaxationszeiten innerhalb von sechs Monaten korrelierten dabei signifikant mit den Veränderungen der Volumina, der Muskelmasse und der Auswurffraktion der linken Herzkammer, des maximalen Sauerstoffverbrauchs unter Belastung und der 6-Minuten-Gehstrecke. Und auch die Laborwerte zeigten nach der Empagliflozin-Therapie eine vermehrte Nutzung von Eisen in den Körpergeweben, zum Beispiel im Herzmuskel, und bei der gesteigerten Neubildung von roten Blutkörperchen. 

Alle Befunde sprachen dafür, dass ein höherer Eisengehalt und eine bessere Eisennutzung im Herzmuskel unter einer SGLT2-Inhibitortherapie die günstigen klinischen Effekte von SGLT2-Inhibitoren bei Herzinsuffizienz erklären könnten.

Gibt es weitere günstige Effekte der SGLT2-Inhibitoren, die mit Eisenstoffwechsel zusammenhängen?

„Unsere Studienergebnisse legen nahe, dass sogar bei Eisenmangel durch die Therapie mit Empagliflozin fehlendes Eisen im Herzmuskel ergänzt und metabolisch genutzt werden kann, dass die kardiale Struktur und Funktion sich verbessern und dass die Blutbildung zunimmt, wobei sich jedoch die Eisenspeicher weiter entleeren. Das bedeutet, dass es auch eine mögliche Synergie zwischen SGLT2-Inhibitoren und Eisenersatztherapie geben könnte,“ sagt Christiane Angermann. „Ob andere günstige Effekte der SGLT2-Inhibitoren, zum Beispiel auf die Nierenfunktion, ebenfalls zumindest teilweise mit dem Eisenstoffwechsel zusammenhängen, oder ob die Eisenaufnahme über den Darm durch Empagliflozin verbessert wird, bleibt zu klären. EMPATROPISM-FE war keine große Studie, und wurde zudem post-hoc geplant. Sie diente vor allem dazu, Hypothesen zu generieren, die nun durch größere prospektive Studien weiter geprüft und bestätigt werden müssen.“ 

Angermann, C.E., Santos-Gallego, C.G., Requena-Ibanez, J.A. et al. Empagliflozin effects on iron metabolism as a possible mechanism for improved clinical outcomes in non-diabetic patients with systolic heart failure. Nat Cardiovasc Res (2023). https://doi.org/10.1038/s44161-023-00352-5 

Magnetresonanztomogramm - klassisches CINE-MRT und T2-Mapping
Kurzachsenschnitt durch das Herz. Links: Mit dem klassischen Cine-MRT werden Struktur und Funktion des Herzens quantifiziert. Mitte: Beispiel einer Sequenz mit T2* Information. Eine Abnahme der in Millisekunden gemessenen T2* Zeit entspricht dabei einer Zunahme des Eisengehaltes. Rechts: Beim T2* Mapping wird durch Farbkodierung das Ausmaß der Veränderung von T2* über die Zeit visualisiert.