Aktuelle Pressemitteilungen

Hentschel-Stiftung Würzburg - „Kampf dem Schlaganfall“

Die Hentschel-Stiftung mit Sitz in Würzburg fördert die Schlaganfallforschung, um die Behandlung der Betroffenen zu verbessern.

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Die Hentschel-Stiftung schreibt hierzu erneut deutschland-weit für eine herausragende Doktorarbeit oder eine hochrangige wissenschaftliche Publikation zum Thema „Schlaganfall“ einer jungen Wissenschaftlerin/eines jungen Wissenschaftlers den

Hentschel-Preis 2024

aus.

Der Preis ist mit 5.000 € dotiert und kann geteilt werden. Der Preis soll an jüngere Wissenschaftler/innen (Altersgrenze 40 Jahre) verliehen werden, die herausragende Leistungen in der Schlaganfallforschung aufzuweisen haben.

Förderungswürdig sind Arbeiten aus der Grundlagenforschung, der klinischen Forschung sowie aus der Versorgungsforschung. Die Arbeit muss in deutscher oder englischer Sprache verfasst sein. Die Preisvergabe erfolgt gemäß einer Entscheidung des Vorstands der Hentschel-Stiftung Würzburg im Rahmen des 9. Würzburger Schlaganfallsymposiums, das am 23.10.2024 statt-finden wird.

Bewerbungen sollten die betreffende Arbeit, einen Lebenslauf mit Lichtbild und ein Schriftenverzeichnis umfassen und in fünf-facher Ausfertigung bis zum 31.08.2024 postalisch geschickt werden an:

Prof. Dr. Jens Volkmann

Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik
Universitätsklinikum Würzburg
Josef-Schneider-Str. 11
D - 97080 Würzburg

Informationen zur Stiftung finden sie unter:
www.hentschel-stiftung.de 

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Erhält jeder die bestmögliche Krebstherapie?

Von WERA entwickelte Methodik macht Patientenzugang zur Präzisionsonkologie transparent

Forschende der onkologischen Spitzenzentren Würzburg, Erlangen, Regensburg und Augsburg prüfen mit der WERA Matrix, in welchen Regionen ihres überwiegend ländlich geprägten Versorgungsgebietes Menschen mit Krebs Zugang zu innovativen personalisierten Therapien haben. Ihre Ergebnisse wurden nun im renommierten European Journal of Cancer veröffentlicht. Das Konzept soll nun auf weitere onkologische Spitzenzentren in Deutschland übertragen werden.

 

Karte von Bayern mit Angaben zur Krebsversorgung und white spots
Woher stammen die Patientinnen und Patienten der molekularen Tumorboards der WERA Allianz? Die Karte Bayerns verrät Regionen mit einer guten Anbindung an WERA Zentren – jedoch auch „weiße Flecken“, die möglicherweise einen Nachholbedarf bei der Versorgung mit Präzisionsonkologie aufweisen. Quelle: Krebs et al., European Journal of Cancer 2024; https://doi.org/10.1016/j.ejca.2024.114144
Die Mediziner Markus Krebs und Florian Lüke in zivil
Dr. Markus Krebs (links) und Dr. Florian Lüke behandeln Patientinnen und Patienten in ihren molekularen Tumorboards. Im Rahmen ihrer gemeinsamen Forschung interessieren sie sich für die Zugangswege zu innovativer Krebsbehandlung in der WERA Allianz – immer mit dem Ziel, die Erreichbarkeit für Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern. Foto: Anja Sedlmeier

Würzburg. Für Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen oder seltenen Krebserkrankungen ist die Präzisionsonkologie ein wichtiger Bestandteil ihrer Behandlung. Insbesondere an Universitätskliniken wurden hierzu molekulare Tumorboards eingerichtet, wo auf Basis einer umfassenden molekulargenetischen Diagnostik maßgeschneiderte Therapien gesucht und ermöglicht werden. Doch haben tatsächlich alle Patientinnen und Patienten gleichermaßen Zugang zu dieser innovativen Form der personalisierten Medizin? Dieser Frage gingen Forscherinnen und Forscher der WERA Allianz nach. Die vier onkologischen Spitzenzentren Würzburg, Erlangen, Regensburg und Augsburg bilden die Comprehensive Cancer Center Allianz WERA (CCC WERA) und sind seit Februar 2023 Standort des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT).

Die WERA Allianz deckt in Bayern ein gemeinsames Versorgungsgebiet mit rund acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ab, das überwiegend ländlich geprägt ist. Um die Reichweite ihrer Allianz in der Präzisionsonkologie zu messen, haben die Forschenden ein Modell aus der strategischen Managementlehre, die sogenannte Growth-Share-Matrix*, übernommen, um für mehr als 800 Postleitzahlengebiete ihren Anteil an der gesamten Krebsversorgung mit der regionalen Nutzung von molekularen Tumorboards in der WERA Allianz zu vergleichen. 

Ihre Studie identifizierte Regionen wie Bad Mergentheim, Bamberg und Bayreuth, die trotz ihrer Entfernung zu den WERA-Zentren einen hohen Anteil an Vorstellungen in den Molekularen Tumorboards aufwiesen. Diese Ergebnisse deuten auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit den regionalen Partnern hin. „Das ist der Idealfall, wenn die allgemeine Krebsversorgung vor Ort genutzt wird und WERA den Zugang zur Präzisionsonkologie sicherstellt“, bemerkt Dr. Markus Krebs, der korrespondierende Autor der Studie. Der Arzt im Molekularen Tumorboard am Standort Würzburg hat vor dem Medizinstudium ein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen, ist also prädestiniert für die Patientenzugangsforschung, die ihm zufolge in Deutschland noch in den Kinderschuhen stecke. 

Gemeinsam mit zahlreichen WERA-Kolleginnen und -Kollegen, allen voran Dr. Florian Lüke, dem klinischen Leiter des Regensburger molekularen Tumorboards sowie Dr. Alexander Kerscher, dem Geschäftsführer des Zentrums für Personalisierte Medizin (ZPM) in Würzburg, hat er die WERA Cancer Center Matrix im European Journal of Cancer veröffentlicht.

Im Fokus: „Weiße Flecken“ in der präzisionsonkologischen Versorgung

Die WERA-Matrix zeigte jedoch nicht nur eine erfolgreiche Zusammenarbeit, sondern auch „Weiße Flecken“ mit einem potenziellen Nachholbedarf in der Präzisionsonkologie. Sie machte Postleitzahlengebiete transparent, aus denen zahlreiche Patientinnen und Patienten zwar eine Krebsbehandlung durch WERA erhielten, jedoch wenige oder keine Vorstellungen in den molekularen Tumorboards erfolgten. Für diese geographisch oftmals zusammenhängenden Gebiete stellt sich die Frage: Liegt es an der infrastrukturellen Erreichbarkeit der WERA-Standorte? Übernehmen andere Versorger die Krebsversorgung? Oder sind die molekularen Tumorboards dort schlicht unbekannt? 

„Diese Regionen müssen wir uns gezielt anschauen, uns bei den onkologischen Praxen und Krankenhäusern vorstellen und unsere Unterstützung anbieten“, kommentiert Dr. Florian Lüke. Gleichzeitig erhoffen sich die Forschenden durch dieses Vorgehen ein besseres Verständnis davon, welche Faktoren tatsächlich einen kritischen Einfluss auf den Patientenzugang zur Präzisionsonkologie haben. 

In Planung: Ausweitung der Methodik auf andere Regionen

„Die WERA-Matrix ist von Praktikern für Praktiker entwickelt worden. Wir sehen unmittelbar, wo wir die Versorgung krebskranker Menschen möglicherweise noch verbessern können. Wir sehen aber auch, wo die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern bereits sehr gut funktioniert“, freut sich Dr. Markus Krebs.

Um die weitere Entwicklung der Präzisionsonkologie in der WERA Allianz zu verfolgen, sollen die Versorgungsdaten künftig regelmäßig mit Hilfe der WERA Matrix ausgewertet werden. 

„Das Schöne an unserer Methodik ist, dass wir auch andere Fragestellungen ergänzen können – beispielsweise, welche Patientinnen und Patienten aus welchen Regionen in innovative klinische Studien eingeschlossen werden“, sagt Dr. Alexander Kerscher. Zusammen mit Forschenden aus ganz Deutschland hat er von der Deutschen Krebshilfe jetzt eine Förderung erhalten, um das Konzept der WERA Matrix auf weitere onkologische Spitzenzentren zu übertragen. 

 

*Als Grundlage diente das Vier-Quadranten-Matrix-Modell, auch als BCG-Matrix bekannt, das Produkte nach den Kriterien Marktanteil und Marktwachstum in ein Portfolio einordnet. In der WERA-Matrix wurden die Produkte durch Postleitzahlen ersetzt, wobei die präzisionsonkologische Versorgung dem Marktwachstum auf der y-Achse und die allgemeine Krebsversorgung dem Marktanteil auf der x-Achse entsprach. Die Größe der Punkte in den vier Quadranten spiegelt die Bevölkerungszahl der Postleitzahlgebiete wider. Unten rechts befindet sich zum Beispiel Quadrant IV mit Gebieten, in denen WERA einen vergleichsweise hohen Anteil der allgemeinen Krebsversorgung übernimmt. Gleichzeitig werden aus diesen Regionen jedoch wenige Patientinnen und Patienten in den molekularen Tumorboards der WERA Allianz untersucht.


Publikation:
Markus Krebs, Florian Haller, Silvia Spörl, Elena Gerhard-Hartmann, Kirsten Utpatel, Katja Maurus, Volker Kunzmann, Manik Chatterjee, Vivek Venkataramani, Imad Maatouk, Max Bittrich, Tatjana Einwag, Norbert Meidenbauer, Lars Tögel, Daniela Hirsch, Wolfgang Dietmaier, Felix Keil, Alexander Scheiter, Alexander Immel, Daniel Heudobler, Sabine Einhell, Ulrich Kaiser, Anja M. Sedlmeier, Julia Maurer, Gerhard Schenkirsch, Frank Jordan, Maximilian Schmutz, Sebastian Dintner, Andreas Rosenwald, Arndt Hartmann, Matthias Evert, Bruno Märkl, Ralf Bargou, Andreas Mackensen, Matthias W. Beckmann, Tobias Pukrop, Wolfgang Herr, Hermann Einsele, Martin Trepel, Maria-Elisabeth Goebeler, Rainer Claus, Alexander Kerscher, Florian Lüke. The WERA cancer center matrix: Strategic management of patient access to precision oncology in a large and mostly rural area of Germany.European Journal of Cancer, Volume 207, 2024, 114144, ISSN 0959-8049, https://doi.org/10.1016/j.ejca.2024.114144.

 


Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) WERA
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) WERA ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Würzburg, der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, des Universitätsklinikums Erlangen, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, des Universitätsklinikums Regensburg, der Universität Regensburg, des Universitätsklinikums Augsburg und der Universität Augsburg. Neben WERA (Würzburg, Erlangen, Regensburg, Augsburg) gibt es fünf weitere NCT Standorte in Deutschland: Berlin, Dresden, Heidelberg, SüdWest (Tübingen-Stuttgart/Ulm) und West (Essen/Köln).
Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatientinnen und -patienten an den NCT Standorten auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch der NCT Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln.

Text: Kirstin Linkamp / UKW 

 

Karte von Bayern mit Angaben zur Krebsversorgung und white spots
Woher stammen die Patientinnen und Patienten der molekularen Tumorboards der WERA Allianz? Die Karte Bayerns verrät Regionen mit einer guten Anbindung an WERA Zentren – jedoch auch „weiße Flecken“, die möglicherweise einen Nachholbedarf bei der Versorgung mit Präzisionsonkologie aufweisen. Quelle: Krebs et al., European Journal of Cancer 2024; https://doi.org/10.1016/j.ejca.2024.114144
Die Mediziner Markus Krebs und Florian Lüke in zivil
Dr. Markus Krebs (links) und Dr. Florian Lüke behandeln Patientinnen und Patienten in ihren molekularen Tumorboards. Im Rahmen ihrer gemeinsamen Forschung interessieren sie sich für die Zugangswege zu innovativer Krebsbehandlung in der WERA Allianz – immer mit dem Ziel, die Erreichbarkeit für Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern. Foto: Anja Sedlmeier

Computerspiele-Technik für Tremor-Diagnostik und Dystonie-Behandlung

Zwei wegweisende Publikationen der Universitätsmedizin Würzburg zur besseren Diagnose von Bewegungsstörungen in „npj Digital Medicine”

Neben den molekularen und verhaltensorientierten Neurowissenschaften entwickeln sich die digitalen Neurowissenschaften zu einer neuen Säule, die sowohl die Diagnostik als auch die Therapie von neurologischen Erkrankungen revolutionieren könnte. Computergestützte Bilderkennungstechnologien könnten helfen, die Genauigkeit der Diagnostik bei Tremor und Dystonie zu verbessern und die Wirksamkeit von Behandlungen wie der Tiefen Hirnstimulation zu überwachen.

 

Hand mit Markern
Ein interdisziplinäres Team aus dem Uniklinikum Würzburg hat basierend auf computergestützten Bilderkennungstechnologien aus der Gaming-Szene eine vergleichsweise einfache Möglichkeit entwickelt, um wichtige Merkmale eines Tremors zu messen. © UKW
Team mit Gestenerkennung auf den Händen
Das Team aus der Neurologie des Uniklinikums Würzburg: vorn sitzend Robert Peach und Anna-Julia Rönn, hinten stehend v.l.n.r.: Muthuraman Muthuraman Jens Volkmann, Chi Wang Ip und Martin Reich, es fehlt Maximilian U. Friedrich. © UKW

Würzburg. Als Paradebeispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit und absolut zukunftsweisend bezeichnet Professor Dr. Jens Volkmann, Direktor der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), die beiden aktuellen Publikationen im Journal npj Digital Medicine. Durch die enge Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Mathematik, Physik, Informatik und Ingenieurwissenschaften haben Neurologinnen und Neurologen nun endlich die Möglichkeit, ihr klinisches Bauchgefühl zu formalisieren und Bewegungsstörungen mit hohem Detailgrad zu quantifizieren. „Bisher waren wir bei allen Therapiebeurteilungen auf schlecht quantifizierbare Skalen angewiesen, die den subjektiven Eindruck erfahrener Neurologinnen und Neurologen widerspiegelten. Wir brauchen aber für die Therapieplanung oder klinische Studien objektiv messbare Merkmale oder Biomarker, wie es zum Beispiel der Blutdruck in der Inneren Medizin ist“, sagt Volkmann.

In der multizentrischen, retrospektiven Längsschnitt-Kohorten-Studie „Quantitative assessment of head movement dynamics in dystonia using visual perceptive deep learning” zeigt das Team aus Würzburg wie mit visuell perzeptiver künstlicher Intelligenz die Dynamik von Kopfbewegungen bei der Bewegungsstörung Dystonie objektiv erfasst werden können. In einer weiteren Studie beschäftigen sich die Erstautorin und Doktorandin Anna-Julia Roenn und Erstautor Maximilian Friedrich mit der Validierung und Anwendung von diesen visuell perzeptiven Algorithmen zur smartphone-videobasierten Analyse von Händezittern.

Erfolg einer Tiefen Hirnstimulation hängt entscheidend von der Charakterisierung des Zitterns ab

Ein Tremor, also das unwillkürliche Zittern von Körperteilen wie Händen, Beinen, Kopf oder Rumpf, ist eines der häufigsten Symptome verschiedener neurologischer Erkrankungen. Er kann mit Parkinson oder anderen erworbenen oder genetisch bedingten neurologischen Störungen einhergehen. Liegen keine weiteren neurologischen Symptome vor, spricht man vom essentiellen Tremor, unter dem weltweit 4,6 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahren leiden. „Die korrekte Diagnose ist eine große Herausforderung für die klinische Neurologie und hat weitreichende Konsequenzen für die Therapie“, schildert Prof. Dr. Martin Reich, Leitender Oberarzt in der Neurologie am UKW und Letztautor der Tremor-Studie. So hängt beispielsweise der Erfolg einer Tiefen Hirnstimulation maßgeblich von der Phänotypisierung, also der genauen Charakterisierung der Bewegungseigenschaften des Tremors, ab. Bisherige Methoden wie die 3D-Bewegungserfassung sind sehr aufwendig und wenig praktikabel, die sogenannte Gestaltwahrnehmung und die subjektive Beurteilung durch die Ärztin oder den Arzt nicht detailliert genug und nicht standardisierbar.

Tremor-Quantifizierung mit Computerspielesoftware 

Um Bewegungen in Videos von Patientinnen und Patienten mit Tremor zu verfolgen und wichtige Merkmale des Tremors zu messen wurden verschiedene computergestützte Bilderkennungstechnologien untersucht. Bei der Quantifizierung des Tremors bestand die große Herausforderung darin, aus zweidimensionalen klinischen Videoaufnahmen dreidimensionale Datenpunkte zu bestimmen. Beim Haltetremor, dem Zittern bei nach vorne gestreckten Händen, verliefen die Messungen mit open-source Algorithmen, die in der tierexperimentellen Forschung etabliert sind (DeepLabCut), sehr gut. Beim Intentionstremor hingegen, wenn sich das Zittern zum Beispiel beim Hinführen eines Fingers an die Nase verstärkt, und die Hand quasi fliegt, stieß die Software an ihre Grenzen. „Die Lösung für dieses Problem haben wir in der Gaming-Szene gefunden“, erläutert die angehende Neurologin Anna-Julia Rönn. „Mit einer Software, die eigentlich für Gesichts- und Gestenerkennung in der Unterhaltungselektronik durch Google entwickelt wurde, Mediapipe, konnten wir durch Anpassungen auch diese komplexen Bewegungen im dreidimensionalen Raum verfolgen und dieses in einer vergleichbaren Genauigkeit zu den aufwendigen Messungen mittels Beschleunigungssensors in 3D-Videolaboren“, ergänzt Robert Peach. Der Mathematiker aus London verstärkt die Würzburger Neurologie seit vier Jahren mit seiner Expertise in der Verarbeitung hochkomplexer Datensätze. 

Phänotypisierung der Dystonie mittels Deep-Learning

Auch bei der Phänotypisierung der Dystonie musste Robert Peach gemeinsam mit Maximilian Friedrich in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit tüfteln. Denn die abnormen, unwillkürlichen Muskelkontraktionen, die vor allem den Kopf- und Nackenbereich betreffen und oft zu schmerzhaften Fehlhaltungen führen, sind in ihrer Dynamik äußerst komplex und daher kaum ohne zusätzliche Hilfsmittel für Klinikerinnen und Kliniker in Gänze erfassbar. „Eine Dystonie kann sowohl durch genetische Veranlagung, Medikamente, aber auch ohne erkennbare Krankheitsursache durch Fehlbelastung, Verletzungen oder andere umweltbedingte Einflüsse entstehen. Dystonie kann aber auch als Symptom bei Menschen mit anderen Erkrankungen wie dem Parkinson auftreten. Dann sprechen wir von mehreren Millionen Betroffenen und eine der häufigsten Bewegungsstörungen“, erklärt Prof. Dr. Chi Wang Ip, stellvertretender Direktor der Neurologie am UKW. 
Um die komplexen raum-zeitlichen Eigenschaften dystoner Phänomene besser zu verstehen und die Behandlung zu optimieren, hat das Team mit dem visuell-perzeptiven deep-learning-Algorithmen einen neuen Ansatz entwickelt, der mittels mehrschichtiger neuronaler Netze erlaubt, aus Videos Muster und Merkmale zu erkennen und deren Dynamik als Funktion der Zeit zu messen. Das Team nennt diese Informationen „Digitale Biomarker“.

Evaluiert wurde das System anhand klinischer Videodaten, die unter Leitung des Würzburger Teams in drei multizentrischen Studien über Jahre in sieben akademischen Zentren in Deutschland gesammelt wurden. Tatsächlich wiesen die aus Videos abgeleiteten Messungen der Kopfwinkelabweichungen eine hohe Korrelation mit den klinisch zugewiesenen Werten auf. „Die Analysen zeigten konsistente Bewegungsmuster, die wichtige Informationen über den Schweregrad der Krankheit, den Subtyp und die Auswirkungen von Eingriffen in die neuronalen Schaltkreise liefern“, berichtet Chi Wang Ip. „Dieser neue Rahmen für Maschinelles Lernen ebnet den Weg für zahlreiche wissenschaftliche Studien.“

Bewegungsstörung via App aufnehmen und Krankheitsverlauf beobachten

Im nächsten Schritt soll das Tool weiterentwickelt werden und in eine Applikation für Smartphones und Tablets eingebunden werden. So kann nicht nur der Schweregrad und die Art der Dystonie ermittelt, sondern auch ein Monitoring ermöglicht werden. Die Betroffenen nehmen sich selber auf, oder die Behandelnden erstellen das Video, der Algorithmus evaluiert im Hintergrund das Video und gibt objektive Werte heraus, aus denen medizinische Schlüsse gezogen werden können. 
Die beiden innovativen Forschungsprojekte sind als Kooperationen aus dem Sonderforschungsbereich (SFB) Transregio (TRR) 295 „ReTune“ entstanden, mit dem die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG vor allem das interdisziplinäre Arbeiten stark fördert. Ein echter Mehrwert, findet nicht nur das Team. 

Publikationen: 

Friedrich MU, Roenn AJ, Palmisano C, Alty J, Paschen S, Deuschl G, Ip CW, Volkmann J, Muthuraman M, Peach R, Reich MM. Validation and application of computer vision algorithms for video-based tremor analysis. npj Digit. Med. 7, 165 (2024). https://doi.org/10.1038/s41746-024-01153-1

Peach R, Friedrich M, Fronemann L, Muthuraman M, Schreglmann SR, Zeller D, Schrader C, Krauss JK, Schnitzler A, Wittstock M, Helmers AK, Paschen S, Kühn A, Skogseid IM, Eisner W, Mueller J, Matthies C, Reich M, Volkmann J, Ip CW. Head movement dynamics in dystonia: a multi-centre retrospective study using visual perceptive deep learning. npj Digit. Med. 7, 160 (2024). https://doi.org/10.1038/s41746-024-01140-6

Text: Kirstin LInkamp / UKW 

Hand mit Markern
Ein interdisziplinäres Team aus dem Uniklinikum Würzburg hat basierend auf computergestützten Bilderkennungstechnologien aus der Gaming-Szene eine vergleichsweise einfache Möglichkeit entwickelt, um wichtige Merkmale eines Tremors zu messen. © UKW
Team mit Gestenerkennung auf den Händen
Das Team aus der Neurologie des Uniklinikums Würzburg: vorn sitzend Robert Peach und Anna-Julia Rönn, hinten stehend v.l.n.r.: Muthuraman Muthuraman Jens Volkmann, Chi Wang Ip und Martin Reich, es fehlt Maximilian U. Friedrich. © UKW

Stabile Basisimmunität nach drei Kontakten

Neue Studie des bayerischen Corona-Vakzin-Konsortiums CoVaKo bestätigt den Nutzen einer stärkeren und länger anhaltenden hybriden Immunität auf Antikörper- und Gedächtniszellebene durch COVID-19-Impfungen und SARS-CoV-2-Infektionen.

Laborbild
Martina Prelog und Giovanni Almanzar (Mitte) untersuchen in der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg die zelluläre Immunabwehr und Antikörperantworten, hier im Bild mit den Medizinstudierenden Luise Schäfer und Luca Huth. © Daniel Peter / UKW
Gruppenbild
Das CoVaKo-Team in Würzurg, v.l.n.r.: Giovanni Almanzar, Kimia Kousha, Lars Ziegler, Tim Vogt, Martina Prelog, Julia Bley, Valeria Schwägerl, Johannes Liese, Tanja Mastorakis, Tatjana Durnev. © Matthias Emmert, Universitäts-Kinderklinik

Würzburg. Bei einer Coronavirus-Infektion, wie sie durch SARS-CoV-2 verursacht wird, reagiert unser Immunsystem auf zwei grundlegende Arten: mit der Antikörperantwort, auch humorale Antwort genannt, und mit der zellulären Antwort. Während die humorale Antwort schnell auf das Virus reagiert und es neutralisiert, sorgt die zelluläre Antwort für die Eliminierung infizierter Zellen und die langfristige Kontrolle der Infektion. Beide Immunantworten hat das vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst geförderte Corona-Vakzin-Konsortium CoVaKo der sechs bayerischen Universitätskliniken umfassend analysiert. Die im Journal of Medical Virology veröffentlichten Auswertungen der zellulären Antwort bestätigen nun die bereits im Dezember 2023 im Journal of Clinical Virology veröffentlichte Untersuchung der Antikörperantwort und decken sich mit der STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung des Robert Koch-Instituts: Für eine starke und stabile Basisimmunität benötigt man mindestens dreimal Kontakt mit den Bestandteilen des Erregers durch Impfung oder mit dem Erreger selbst durch Infektion, wobei mindestens einer dieser Kontakte durch die Impfung erfolgen sollte. 

„Dies ist vermutlich die erste Studie, die den Verlauf der zellulären Immunantwort bei Personen mit zwei COVID-19-Impfungen über einen Zeitraum von sechs Monaten nach einer Durchbruchsinfektion im Detail engmaschig untersucht hat“, sagt Privatdozent Dr. Giovanni Almanzar. Der Biochemiker ist Erstautor der Studie zur zellulären Immunantwort und hat zusammen mit Prof. Dr. Martina Prelog und ihrem Team am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) sowohl die Antikörperkonzentration und die Bindungsstärke der Antikörper an das Virus, die so genannte Avidität, als auch die zelluläre Immunantwort gemessen. Die Gruppe der zweifach Geimpften mit Durchbruchsinfektion wurde mit dreifach Geimpften, einmalig Geimpften mit Durchbruchsinfektion und Ungeimpften, die sich infiziert hatten, verglichen. Außerdem wurde die Rolle saisonaler Coronaviren, die regelmäßig zu bestimmten Jahreszeiten, insbesondere im Herbst und Winter, auftreten und meist milde Atemwegserkrankungen wie Erkältungen verursachen, auf die SARS-CoV-2-spezifische Immunantwort untersucht. 

Dreimaliger Kontakt mit Erregerbestandteilen von SARS-CoV-2 führt zu robuster Basisimmunität 

Nicht geimpfte Personen profitierten teilweise von einem möglicherweise vorhandenen früheren Kontakt zu saisonalen Coronaviren auf Ebene von Gedächtniszellen, indem sie eine höhere Reaktivität gegenüber dem Spike-Protein aufwiesen. Dennoch zeigten Ungeimpfte im Vergleich zu Geimpften nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 eine verzögerte Impfantwort und eine stärkere und länger anhaltende ungerichtete Entzündungsreaktion. 
Die Anti-S-IgG-Antikörper, das heißt, die Menge der spezifischen Immunglobulin-G-Antikörper, die gegen das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus gerichtet sind, nahmen in allen Gruppen im Verlauf von 24 Wochen ab. Die Reduktion der Anti-S-IgG-Antikörper war jedoch bei den ungeimpften und bei den einmalig geimpften Personen mit Durchbruchsinfektion deutlich stärker als bei den zweimalig geimpften Personen mit Durchbruchsinfektion und als bei dreimalig geimpften Personen.

Kombination aus zwei Impfungen und einer natürlichen Infektion erzeugt besonders starke Immunantwort

Prof. Dr. Martina Prelog, Immunologin am UKW und Letztautorin der Studie, empfiehlt für eine starke und stabile humorale und zelluläre Immunantwort nachdrücklich drei Kontakte mit dem Spike-Protein, am besten als eine Kombination aus zwei Impfungen und einer Durchbruchsinfektion, die sogenannte hybride Immunität, oder in Form von drei Impfungen: „Drei Expositionen mit SARS-CoV-2-Erregerbestandteilen führen bei Personen ab 18 Jahren zu einer hochwertigen Basisimmunität, die in der Regel vor schweren COVID-19-Verläufen schützt und auf Basis der bisher verfügbaren Untersuchungen mindestens zwölf Monate lang anhält. Da jedoch das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe mit dem Alter und bei einer das Immunsystem schwächenden Erkrankung oder Therapie zunimmt, ist eine zusätzliche jährliche Auffrischungsimpfung mit einem adaptierten Impfstoff für chronisch Kranke und für alle Personen ab 60 Jahren sinnvoll.“


Zum Corona-Vakzin-Konsortium CoVaKo:

Das Corona-Vakzin-Konsortium ist ein vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördertes wissenschaftliches Projekt zur Untersuchung und Erfassung der Wirksamkeit und Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen sowie des Verlaufs möglicher Durchbruchsinfektionen. In einer der größten multizentrischen und prospektiven Studien wurden sowohl die klinischen Daten zu Durchbruchsinfektionen nach Grundimmunisierung gegen das schwere akute respiratorische Syndrom Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) im Vergleich zu Ungeimpften als auch die Immunogenitätsdaten untersucht. Die Durchführung erfolgte an den sechs bayerischen Universitätskliniken in Erlangen, München (LMU und TUM), Würzburg, Regensburg und Augsburg sowie an der Hochschule Hof (iisys), in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF, Partnerstelle München), dem Helmholtz Zentrum München und dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) sowie den örtlichen Gesundheitsämtern. Die Federführung liegt bei Prof. Klaus Überla aus dem Universitätsklinikum Erlangen. Am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) wurde die Studie von Prof. Dr. Johannes Liese und Prof. Dr. Martina Prelog von der Kinderklinik geleitet. Unterstützt wurde das Projekt von der Arbeitsgruppe von Priv.-Dozent Dr. Manuel Krone aus der Zentralen Einrichtung Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship mit Hochdurchsatz-ELISPOT-Analysen.


Publikation:
Almanzar G, Koosha K, Vogt T, et al. Hybrid immunity by two COVID-19 mRNA vaccinations and one breakthrough infection provides a robust and balanced cellular immune response as basic immunity against severe acute respiratory syndrome coronavirus 2. J Med Virol. 2024; 96:e29739. doi:10.1002/jmv.29739

Text: Kirstin Linkamp / UKW 
 

Laborbild
Martina Prelog und Giovanni Almanzar (Mitte) untersuchen in der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg die zelluläre Immunabwehr und Antikörperantworten, hier im Bild mit den Medizinstudierenden Luise Schäfer und Luca Huth. © Daniel Peter / UKW
Gruppenbild
Das CoVaKo-Team in Würzurg, v.l.n.r.: Giovanni Almanzar, Kimia Kousha, Lars Ziegler, Tim Vogt, Martina Prelog, Julia Bley, Valeria Schwägerl, Johannes Liese, Tanja Mastorakis, Tatjana Durnev. © Matthias Emmert, Universitäts-Kinderklinik

16 Millionen Euro für Aggressionsforschung

Welche Rolle spielt Aggression bei psychischen Erkrankungen? Dieser Frage widmet sich ein neues Forschungsprogramm, an dem die Universität Würzburg beteiligt ist. Es wird gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Prof. Dr. Katja Bertsch, Psychologieprofessorin an der Universität Würzburg, wird an zwei Projekten am neuen SFB mitarbeiten.
Prof. Dr. Katja Bertsch, Psychologieprofessorin an der Universität Würzburg, wird an zwei Projekten am neuen SFB mitarbeiten. (Hofmann/JMU)

Aggression ist ein Symptom unterschiedlicher psychischer Krankheiten – etwa bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen, ADHS, Schizophrenie und bipolaren Störungen. Ein neues Forschungsprogramm, an dem die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) mitarbeitet, will entschlüsseln, welche genetischen und molekularen Mechanismen auf aggressives Verhalten einwirken. Von der DFG wird es mit 16 Millionen Euro als Sonderforschungsbereich gefördert.

„Indem wir herausfinden, welche biologischen und chemischen Prozesse im Körper bei Aggression ablaufen, hoffen wir, aggressives Verhalten künftig besser vorhersagen und effektiver behandeln zu können“, erklärt Katja Bertsch, Inhaberin des Lehrstuhls für Psychologie I: klinische Psychologie und Psychotherapie.

Koordiniert wird der neue Sonderforschungsbereich von der RWTH Aachen (Sprecherin: Ute Habel), die Universitäten Frankfurt und Heidelberg sind ebenfalls beteiligt. Das Würzburger Forschungsteam rund um Psychologin Bertsch wird an zwei Projekten mitarbeiten: in einem sollen Konflikte in Paarbeziehungen im Vordergrund stehen, während es im zweiten Projekt um den Zusammenhalt zwischen Aggression Testosteron und anderen Hormonen geht.

Förderung bis 2028 geplant

Sonderforschungsbereiche (SFB) sind langfristige Forschungsprogramme, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert werden. Ziel ist die Bearbeitung komplexer, interdisziplinärer Forschungsfragen durch die Zusammenarbeit mehrerer Institute oder Fakultäten über einen Zeitraum von bis zu 12 Jahren. Der SFB 379, in dem das Würzburger Team mitarbeitet, trägt den Namen „Neuropsychologische Aggression: Ein transdiagnostischer Ansatz bei psychischen Störungen“ und wird ab Oktober 2024 bis 2028 mit knapp 16 Millionen Euro gefördert.

Kontakt

Prof. Dr. Katja Bertsch, Inhabern des Lehrstuhls für Psychologie I – Klinische Psychologie und Psychotherapie, Tel. +49 931 31-86114, l-psy1@ psychologie.uni-wuerzburg.de

 

einBlick - Das Online-Magazin der Universität Würzburg vom 25.06.2024

Prof. Dr. Katja Bertsch, Psychologieprofessorin an der Universität Würzburg, wird an zwei Projekten am neuen SFB mitarbeiten.
Prof. Dr. Katja Bertsch, Psychologieprofessorin an der Universität Würzburg, wird an zwei Projekten am neuen SFB mitarbeiten. (Hofmann/JMU)

Warum Muskeln schwächer werden und schwinden

Lässt sich neurodegenerativer Muskelschwund bei ALS aufhalten? Verbindung zwischen Motoneuronen und Muskel im Fokus

Dr. Mehri Moradi erhält DFG-Förderung in Höhe von 420.000 Euro für den Aufbau einer Forschungsgruppe, um Synapsendegeneration bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) zu untersuchen und einen Therapieansatz zu finden.

 

Mehri Moradi vorm PC
Die Neurobiologin Dr. Mehri Moradi vom Universitätsklinikum Würzburg (UKW) erhält eine DFG-Förderung in Höhe von 420.000 Euro für den Aufbau einer Forschungsgruppe zur Pathogenese der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). © Kirstin Linkamp / UKW
Mehri Moradi schaut ins Mikroskop
Mit dem Forschungsteam am Institut für Klinische Neurobiologie des UKW hat Mehri Moradi bereits herausgefunden, dass vor den motorischen Nervenzellen die neuromuskuläre Synapse abstirbt - die Verbindung zwischen Motoneuron und Muskelzelle, die die Übertragung von Nervenimpulsen ermöglicht, welche die Muskelkontraktion auslösen. © Kirstin Linkamp / UKW
Mikroskopisches Bild von neuromuskulären Synapsen bei Mäusen
Rechts im Bild ist die Synapse zwischen Motoneuron und innerviertem Zielmuskel in Mäusen mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) zu sehen, links im Wildtyp. Die Nervenbahnen mit dem präsynaptischen Kompartiment sind gelb dargestellt, das postsynaptische Kompartiment an der Muskelfaser ist magenta. © Mehri Moradi / UKW

Würzburg. Gehen, Stehen, Essen, Atmen - all diese Bewegungen werden vom Gehirn gesteuert. Doch wie landet zum Beispiel der Befehl „Geh!“ aus der Schaltzentrale oben im Gehirn unten in den Füßen? Und warum kommen manche Befehle nicht an oder können nicht umgesetzt werden? Dr. Mehri Moradi vom Institut für Klinische Neurobiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) erklärt: "Die Bewegungsimpulse werden über den motorischen Kortex von motorischen Nervenzellen, den oberen Motoneuronen, vom Gehirn durch das Rückenmark geleitet, wo sie auf die unteren Motoneuronen treffen. Diese nehmen den Befehl auf und leiten ihn über ihr Axon, eine lange, dünne Nervenfaser, an die Muskeln der Beine und Füße weiter. An der Verbindungsstelle zwischen Motoneuron und Muskel, der Synapse, wird der elektrische Impuls in einen chemischen Botenstoff umgewandelt. Dieser bindet sich an die Muskelzellen und löst die Kontraktion der Muskeln aus, so dass sich die Beine bewegen.“ Die Motoneuronen sind also wie Telefonleitungen, bei denen es zu Störungen kommen kann, wie zum Beispiel bei den neurodegenerativen Erkrankungen Spinale Muskelatrophie (SMA) und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).


Und genau auf diese Störungen konzentriert sich Dr. Mehri Moradi. Für ihre Forschung zu einem möglichen Pathomechanismus bei ALS und den Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe hat die 42-Jährige jetzt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Förderung in Höhe von insgesamt 420.000 Euro erhalten. Im Fokus steht eine Mutation im Gen C9orf72, bei der es zu übermäßigen Wiederholungen von DNA-Bausteinen kommt, welche Proteine verändern und toxische Effekte auf Nervenzellen haben.

SMA: Durch Gendefekt stirbt zuerst die neuromuskuläre Synapse ab

Grundlage sind frühere Untersuchungen zu den Pathomechanismen der SMA. SMA ist mit 1:7.000 Neugeborenen in Deutschland eine der häufigsten autosomal-rezessiv vererbten Erkrankungen und eine der häufigsten genetischen Ursachen für frühkindliche Sterblichkeit. Die Erkrankung wird durch Mutationen im SMN1-Gen (Survival Motor Neuron 1) verursacht. Dieses Gen ist für die Produktion des SMN-Proteins verantwortlich, das für das Überleben und die Funktion von Motoneuronen notwendig ist. Ein Defekt im SMN1-Gen führt zu einem Mangel an SMN-Protein und damit zum Absterben der Motoneuronen. „Wir haben herausgefunden, dass vor den Motoneuronen die neuromuskuläre Synapse abstirbt, die Verbindung zwischen Motoneuron und Muskelzelle, die die Übertragung von Nervenimpulsen ermöglicht, welche die Muskelkontraktion auslösen. Die Krankheit beginnt also bei den Nervenbahnen“, erklärt Mehri Moradi.

Bisherige Therapieansätze basieren auf der Wiederherstellung des SMN-Proteins. „Aber diese Behandlungen wirken nicht hundertprozentig, man braucht eine zusätzliche Therapie für die Synapse“, sagt Mehri Moradi. Sie hat auch schon ein Ziel: „Wir haben im Mausmodell bereits gezeigt, dass wir die Synapse retten können, wenn wir bestimmte Proteine wiederherstellen, die bei der synaptischen Übertragung eine Schlüsselrolle spielen, zum Beispiel das Protein Munc13-1.“

Führt die Synapsendegeneration auch bei ALS zum Verlust von Motoneuronen?

Bei der ALS, die zu zunehmender Muskelschwäche und Muskelschwund (Atrophie) führt, ist die Situation ähnlich, aber viel komplexer. Im Gegensatz zur SMA, die durch einen einzigen Gendefekt verursacht wird, sind die Ursachen der ALS noch weitgehend unklar. Bislang wurden 40 Gendefekte identifiziert, die mit ALS in Verbindung gebracht werden. 80 bis 90 Prozent der Fälle treten jedoch sporadisch auf, und es ist möglich, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren zur Entstehung der Krankheit beiträgt. „Es gibt vier aggressive Gene, von denen das Gen C9orf72 die häufigste Ursache für ALS in Europa ist“, sagt Mehri Moradi. In Europa erkranken jährlich drei von 100.000 Menschen an ALS. Die meisten Betroffenen erleben innerhalb von drei bis fünf Jahren nach der Diagnose eine deutliche Verschlechterung ihrer motorischen Fähigkeiten. Die fortschreitende Schwächung der Atemmuskulatur führt schließlich meist zum Tod. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich, aber das Fortschreiten der Symptome kann verlangsamt werden.

Im Hinblick auf weitere mögliche Angriffspunkte für therapeutische Interventionen will Mehri Moradi die Pathogenese der ALS noch besser verstehen, insbesondere wie es zur Degeneration der Synapse kommt. Könnte der Funktionsverlust des C9orf72 Proteins ein möglicher Verursacher der Synapsendegeneration sein? Was passiert, wenn man die Funktion dieses Proteins umgeht oder andere Proteinpartner gentherapeutisch überexprimiert? Antworten sucht sie in Mausmodellen, vor allem aber in menschlichen Stammzellen aus ALS Patienten.

Doktorand oder Doktorandin mit Interesse an Synapsenforschung gesucht 

Die gebürtige Iranerin und Mutter einer Tochter studierte in ihrem Heimatland Genetik und kam 2007 mit ihrem Mann nach Würzburg, um mit einem Stipendium an der Julius-Maximilians-Universität Neurobiologie zu studieren. Dort promovierte sie bei Prof. Dr. Michael Sendtner, dem Direktor des Instituts für Klinische Neurobiologie, und setzte ihre Arbeit als Postdoc fort. Die Neurobiologin freut sich darauf, nun mit Unterstützung der DFG eine eigene Arbeitsgruppe zu leiten. Aufgrund der bevorstehenden Emeritierung von Michael Sendtner wird Mehri Moradi Anfang nächsten Jahres an den Lehrstuhl für Biotechnologie und Biophysik von Prof. Dr. Markus Sauer wechseln, wo sie auch von der dortigen Expertise und Infrastruktur in der Superresolution-Mikroskopie profitieren kann. Jetzt fehlt ihr nur noch ein Doktorand oder eine Doktorandin mit Interesse an der Synapsenforschung. Bewerbungen sind herzlich willkommen. Hier geht es zur Stellenanzeige. 

Text: Kirstin Linkamp / UKW 
 

Mehri Moradi vorm PC
Die Neurobiologin Dr. Mehri Moradi vom Universitätsklinikum Würzburg (UKW) erhält eine DFG-Förderung in Höhe von 420.000 Euro für den Aufbau einer Forschungsgruppe zur Pathogenese der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). © Kirstin Linkamp / UKW
Mehri Moradi schaut ins Mikroskop
Mit dem Forschungsteam am Institut für Klinische Neurobiologie des UKW hat Mehri Moradi bereits herausgefunden, dass vor den motorischen Nervenzellen die neuromuskuläre Synapse abstirbt - die Verbindung zwischen Motoneuron und Muskelzelle, die die Übertragung von Nervenimpulsen ermöglicht, welche die Muskelkontraktion auslösen. © Kirstin Linkamp / UKW
Mikroskopisches Bild von neuromuskulären Synapsen bei Mäusen
Rechts im Bild ist die Synapse zwischen Motoneuron und innerviertem Zielmuskel in Mäusen mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) zu sehen, links im Wildtyp. Die Nervenbahnen mit dem präsynaptischen Kompartiment sind gelb dargestellt, das postsynaptische Kompartiment an der Muskelfaser ist magenta. © Mehri Moradi / UKW

Veränderte Thrombozyten unter ECMO erhöhen Sterberisiko - Neue Ansätze zur Blutungsprävention

Universitätsmedizin Würzburg identifiziert GPV-Rezeptor als Ziel gegen Blutungsereignisse bei ECMO

Neue Studie vom UKW zeigt, dass die ECMO-Behandlung zu Veränderungen in Thrombozyten führt, was mit einer erhöhten Blutungsneigung einhergeht. Der GPV-Rezeptor auf den Blutplättchen wurde als mögliches Ziel zur Vermeidung von Blutungen identifiziert.

 

Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO)
Mit einer künstlichen Lunge kann im ARDS/ECMO-Zentrum der Würzburger Anästhesiologie das akute Lungenversagen behandelt werden. Die Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) basiert auf einer pumpenunterstützten Blutumleitung, bei der über eine Membrane das Kohlendioxid entfernt und gleichzeitig das Blut mit Sauerstoff angereichert wird. © UKW
Die Thrombozyten wurden mittels speziellem, hochauflösenden Mikroskopieverfahren (Konfokale Mikroskopie, Whole-Mount Transmissionselektronenmikroskopie) dargestellt. Die Daten zeigen, dass es unter ECMO-Therapie zu einem Verlust der δ-Granula (dargestellt in cyan in Abbildung A) und δ-Granula (roter Pfeil, Abbildung B) kommt. © AG Schulze / Institut für Experimentelle Biomedizin / UKW

Würzburg. Für Patientinnen und Patienten mit akutem Lungenversagen, kurz ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome), kann die veno-venöse extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) die letzte Therapiemöglichkeit und damit lebensrettend sein. Das intensivmedizinische Verfahren, bei dem zuvor entnommenes Blut mit Sauerstoff angereichert und wieder zurückgeführt wird, ist jedoch mit potenziellen Komplikationen verbunden. Insbesondere Blutungsereignisse schränken den Erfolg der Therapie ein. Auch die Gabe von Antikoagulanzien kann die Bildung von Blutgerinnseln nicht vollständig verhindern, zudem erhöhen Blutverdünner das Blutungsrisiko. Bei diesen Blutungsereignissen spielen die Blutplättchen eine entscheidende Rolle. Die so genannten Thrombozyten können sowohl Blutungen stillen als auch Infarkte auslösen und Entzündungsprozesse in Gang setzen.

In einem interdisziplinären Projekt am Universitätsklinikum Würzburg haben Forschende der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Experimentelle Biomedizin und der Medizinischen Klinik und Poliklinik I die Thrombozyten im Blut von ARDS-Patientinnen und -Patienten mit und ohne ECMO-Therapie systematisch untersucht. Die Ergebnisse wurden in der weltweit renommierten Thrombose-Fachzeitschrift Journal of Thrombosis and Haemostasis (JTH) veröffentlicht.

Reduzierter GPV-Rezeptor auf Thrombozyten erhöht Sterberisiko 

Dr. Johannes Herrmann, zusammen mit Dr. Lukas Weiß Erstautor der Studie, erläutert die Beobachtungen: „Unter der ECMO-Behandlung stellten wir Veränderungen an den Oberflächenrezeptoren der Thrombozyten fest. Besonders auffällig war eine Reduktion des Glykoprotein-V-Rezeptors. Diese Untereinheit des GPIb/IX/V-Rezeptorkomplexes spielt eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung und wurde bereits in Würzburger Vorarbeiten als möglicher Angriffspunkt zur Verhinderung von Blutungen identifiziert. Und tatsächlich: Eine geringere Anzahl von GPV-Rezeptoren war mit einer geringeren Überlebensrate der Patientinnen und Patienten verbunden“.
Zudem beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der ECMO-Therapie eine verminderte Thrombozytenfunktion und eine Entleerung der zellulären Speicher (δ-Granula) in den Thrombozyten. „Dies führte zu einer gestörten Blutgerinnselbildung und einer verlängerten Blutungszeit, ähnlich wie bei Patientinnen und Patienten mit einem Speicherdefekt, dem sogenannten Storage Pool Defect, bei denen es ebenfalls häufig zu Blutungen kommt“, berichtet Lukas Weiß. Interessanterweise normalisierte sich die Thrombozytenfunktion innerhalb von 48 Stunden nach Ende der ECMO-Behandlung deutlich. 

Mit neuen In-vitro-Modellen präklinische Daten für therapeutische Interventionen gewinnen

„Diese grundlegenden Erkenntnisse über Thrombozyten bei der ECMO-Therapie können in Zukunft dazu beitragen, die Therapie und Behandlung kritisch kranker Patientinnen und Patienten zu verbessern. Indem wir die Ursachen von Blutungsereignissen besser verstehen, können wir nun kausal therapieren“, fasst Prof. Dr. Patrick Meybohm zusammen. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie ist gemeinsam mit Prof. Dr. Harald Schulze vom Institut für Experimentelle Biomedizin Letztautor der Studie.

In den nächsten Schritten will das Team neue In-vitro-Modelle etablieren, um die Effekte mechanistisch detaillierter zu untersuchen und präklinische Daten für therapeutische Interventionen zu gewinnen.


Förderung: 
Die Studie wurde gefördert von der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des SFB 1525.

Publikation: 
Johannes Herrmann, Lukas J. Weiss, Bastian Just, Kristina Mott, Maria Drayss, Judith Kleiss, Jonathan Riesner, Quirin Notz, Daniel Röder, Rainer Leyh, Sarah Beck, Dirk Weismann, Bernhard Nieswandt, Christopher Lotz, Patrick Meybohm, Harald Schulze, ECMO aggravates platelet GPV shedding and δ-granule deficiency in COVID-19-associated acute respiratory distress syndrome, Journal of Thrombosis and Haemostasis, 2024, ISSN 1538-7836, https://doi.org/10.1016/j.jtha.2024.05.008.
 

Text: Kirstin Linkamp / UKW

Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO)
Mit einer künstlichen Lunge kann im ARDS/ECMO-Zentrum der Würzburger Anästhesiologie das akute Lungenversagen behandelt werden. Die Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) basiert auf einer pumpenunterstützten Blutumleitung, bei der über eine Membrane das Kohlendioxid entfernt und gleichzeitig das Blut mit Sauerstoff angereichert wird. © UKW
Die Thrombozyten wurden mittels speziellem, hochauflösenden Mikroskopieverfahren (Konfokale Mikroskopie, Whole-Mount Transmissionselektronenmikroskopie) dargestellt. Die Daten zeigen, dass es unter ECMO-Therapie zu einem Verlust der δ-Granula (dargestellt in cyan in Abbildung A) und δ-Granula (roter Pfeil, Abbildung B) kommt. © AG Schulze / Institut für Experimentelle Biomedizin / UKW